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Fremd oder befremdlich?
Es ist laut in der Besteckschublade. Das ist allerdings erst so, seitdem die Hausfrau einen fremden Teelöffel in den Kasten gelegt hatte. Damit hatte sie die anderen Teelöffel verwundert, die einfach nicht verstehen konnten, was das sollte. Sie waren ihrer doch genug. Also, wozu dieser fremdartige Löffel? Wie kam die Hausfrau dazu? Die Teelöffel rückten auseinander, um genügend Abstand zum Neuling zu finden. Das war allerdings ein schwieriges Unterfangen, gab es doch nur begrenzten Platz. So maulten und meckerten sie in einer Tour, betrachteten den Eindringling mit Skepsis, zumal er doch so ganz anders aussah als sie. Er war glänzend und nicht mattiert. Zudem hatte er am oberen Ende des Stiels fremdartige Verzierungen. Die Teelöffel meckerten in einem fort und konnten sich einfach nicht daran gewöhnen, diesen Fremdling zu ertragen. Am liebsten hätten sie ihn, so sie denn die Möglichkeit dazu gehabt hätten, im hohen Bogen rausgeworfen. Dabei wollte dieser Teelöffel nichts anderes, als zu ihnen gehören, einen kleinen Platz in ihrer Gemeinschaft inne zu haben, anerkannt zu werden und in Frieden mit ihnen leben. Das war einfach nicht möglich. Die Teelöffel, meckerten, maulten und zeterten jeden Tag aufs Neue.
Eines Tages wurde es der Gabel zu bunt. Die holte tief Luft und schrie mit sonorer Stimme: „Haltet endlich die Klappen. Was soll das denn? So schlimm ist das doch nicht, dass da ein fremder Löffel bei euch ist. Nehmt ihn doch einfach so an, wie er ist. Der tut doch nichts Böses.“
„Ja“, zischelte das Messer „warum hört ihr nicht auf die Gabel, die hat doch recht. Mit eurem Geschrei und Gezeter ändert ihr gar nichts. Ob ihr jetzt meckert oder nicht; es bleibt doch so, wie es ist.“
Der Esslöffel meldete sich auch zu Wort und meinte: „Wisst ihr was, wenn man uns einen fremden Esslöffel in die Schublade gelegt hätte, würden wir es zulassen. Wir würden ihn anerkennen und mit ihm leben. Was ist denn schon dabei? Was macht denn so ein fremder Löffel schon?“
Die Teelöffel hörten nicht auf das Gerede der anderen. Sie waren weiterhin gemein und ätzend zu dem Eindringling. Dieser wünschte sich nichts anderes, als wieder in seine Heimat zurückzukehren. Aber wie sollte er das bewerkstelligen? Er hatte ja nicht die Möglichkeit, das zu ändern.
So ging es Woche um Woche, Monat um Monat. Zwei Jahre waren mittlerweile vergangen. Für den Fremdling hatte sich nichts geändert. Dieser hatte sich in sein Schicksal gefügt und bemühte sich, so unauffällig wie möglich zu bleiben.
Die Hausfrau zieht die Besteckschublade auf, schaut hinein und dann zu ihrem Ehemann. „Was hältst du davon, wenn wir uns ein neues Besteck kaufen? Das alte ist schon ziemlich in die Jahre gekommen, nicht mehr so schön und schon gar nicht mehr modern. Na ja immerhin haben wir es ja schon viele Jahre. Da wir bald Silberhochzeit haben, meine ich, ist das eine gute Gelegenheit, uns ein neues Besteck zu kaufen. Weißt du was, ich habe vorhin in einem Prospekt ein ganz tolles Besteck gesehen. Supermodern, schick und traumhaft schön. Und das Beste an der ganzen Sache ist, es kostet nur noch die Hälfte. Auch noch ein Schnäppchen. Na, was meinst du?“
„Na ja“, sagt ihr Ehegatte „wenn du das möchtest, kauf es.“
Das lässt sich die Frau nicht zweimal sagen. Sie eilt ins Geschäft und erwirbt ein neues Besteck. Das alte nimmt sie sofort aus der Schublade, um es einem Sozialkaufhaus zu schenken, und legt das neue hinein.
Als sie mittags das Geschirr in die Spülmaschine räumt, fällt ihr Blick auf einen Teelöffel des alten Bestecks. Sie nimmt ihn heraus und legt ihn zu den Teelöffeln des neuen.