Freitag
Freitagnachmittag ist es bei uns im Büro immer recht ruhig. Einige Kollegen machen früher Schluss, andere erledigen nach der Mittagspause die Dinge, zu denen man die ganze Woche einfach nicht so kommt. Ich persönlich achte ständig auf die Pflanzen in meinem und Herrn Küppers Büro, einige meiner Kollegen kommen da aber offenbar nur freitags dazu. Wenn überhaupt.
Für den Herrn Küppers arbeite ich nun schon seit fast 28 Jahren als Sekretärin, er leitet unsere Abteilung. Bis letztes Jahr waren wir noch die Buchhaltung, jetzt heißen wir Accounting. Und Herr Küppers heißt nun Senior Head Of Accounting und ich heiße Personal Assistant To Senior Head Of Accounting. Das steht auch an meiner Bürotür. Auch viele andere Bezeichnungen in unserer Firma sind nun englisch, ansonsten hat sich eigentlich recht wenig verändert.
Die Idee mit den englischen Bezeichnungen im letzten Jahr hatte wohl der Herr Schneider. Er war oft bei uns, meistens beim Herrn Küppers. Es ging da wohl um das große Projekt, dass die ganze Firma betroffen hat. Jedenfalls wurde das damals so in der Betriebsversammlung angekündigt. Wenn jedenfalls jemand zu Herrn Küppers möchte, muss er immer an meinem Vorzimmer vorbei, auch der Herr Schneider. Ich habe das bis heute nicht so recht verstanden, auf jeden Fall hat der Herr Schneider mit den Kollegen seiner Firma unserer Firma geholfen. Im Grunde sei er Berater, auf seiner Visitenkarte steht aber Business Consultant & Business Development Specialist Accounting And Finance Processes. So ein freundlicher junger Mann mit Anstand und Manieren. Er saß oft bei mir im Büro und hat auf Herrn Küppers gewartet. Dabei hat er mir viel erzählt, z. B. dass er in Hamburg wohnt, wenn überhaupt nur übers Wochenende heim fliegt und dass er hier in Ludwigsburg im Hotel leben muss. Und seine Freundin sei auch Beraterin in einer anderen Firma, sie ist aber momentan viel in London und sie sehen sich vielleicht ein- bis zweimal im Monat nur an den Wochenenden. Unglaublich, man muss sich das mal vorstellen, was den jungen Leuten heute zugemutet wird. Die setzen sich derart für unsere Firma ein, verzichten auf ihr Privatleben und das ganze wahrscheinlich auch noch für ein karges Gehalt. Ansonsten hätte sich unsere Geschäftsleitung das Ganze bestimmt nicht geleistet. Was solche Ausgaben angeht, sind die alle total knauserig, das weiß hier jeder. Der letzte Betriebsausflug ging wieder ins Blühende Barock, diesmal immerhin mit Empfang im kleinen Residenzschloss. Aber man spart sich da die Anfahrt, weil jeder mit dem öffentlichen Bus heimfahren kann. Auch so ein Thema, denn der Herr Schneider und seine Kollegen mussten am Tag unseres Betriebsausfluges als einzige in der Firma arbeiten, sie wurden gar nicht erst eingeladen. Obwohl der Herr Schneider für mich schon fast zur Firma gehört hat. So nett wie der war.
Auf jeden Fall hatten der Herr Schneider und seine Kollegen die Idee mit den englischen Bezeichnungen. Ich finde das gut, das gibt dem Ganzen Laden wieder etwas mehr Pep, obwohl man nun meistens nicht mehr so genau weiß, was die anderen nun sind. Außerdem wurde auch etwas umgebaut, unsere Kaffeküche heißt jetzt nämlich Meeting Point. Davon gibt es neuerdings in jeder Etage mindestens einen, denn man kann und soll sich da nun mehr unterhalten. Zu meiner Zeit hat man sich wenn überhaupt nur in der Mittagspause unterhalten, manchmal vielleicht noch auf dem Flur, sollte aber bloß keiner mitkriegen. Schließlich sind wir ja zum Arbeiten da. Heutzutage ist das anders, das hat mir der Herr Hieber erklärt, er macht jetzt das Facility Management. Darum war er auch für den Umbau zuständig, denn unsere Kaffeeküche wurde fast ganz abgerissen und mit Glaswänden von unten bis oben für alle einsehbar abgetrennt. Damit alle sehen, wer sich mit wem unterhält. Wie sich die Zeiten ändern. Außerdem gibt es jetzt kleine Bistrotische mit braunen Lederhockern, eine ganz moderne Espressomaschine mit allen möglichen Funktionen und einen neuen Wasserkocher mit sieben verschiedenen Teesorten. Auf Firmenkosten und auf jeder Etage. Den Herrn Hieber habe ich dann noch gefragt, wie ich denn die neue Espressomaschine reinigen soll, ich habe das bisher immer in der alten Küche gemacht, kenne mich nun aber damit nicht mehr aus. Bloß die Finger weglassen hat er gesagt, das machen dann die Service Mitarbeiter der neuen Outsourcing Firma. Mit denen haben wir neue Verträge und wenn was nicht passt, solle ich das gleich melden. Er - der Herr Hieber - beschwert sich dann sofort beim dortigen Manager und lässt ihn bei sich antanzen. Was im Übrigen auch für die firmeneigenen Großpflanzen gilt, die werden von der Firma „Greener Office“ betreut. Auch gut, obwohl ich das mit dem Kaffee immer recht gerne gemacht habe. Außerdem war es früher auch etwas einfacher, ich habe dann meist gleich eine ganze Thermoskanne aufgebrüht, man weiß ja nie, wer nachmittags noch alles kommt. Aber neulich hatte der Herr Küppers eine wichtige Besprechung und ich habe wie immer nach Kaffee gefragt. Bis ich dann an dem neuen Automaten zwei Latte Macchiato, einen Espresso, zwei Cappuccino, einen Cafe Crema und einen Original Earl Grey Silver Taste bereitet hatte, war die Besprechung fast vorbei. Beziehungsweise das Meeting.
Egal, auf jeden Fall war es neulich an einem Freitag ohne Meetings und Herr Küppers hatte den ganzen Tag wichtige Auswärtstermine. Sagte er zu mir. Ich erinnere mich nämlich, dass ich ihn kurz nach der Mittagspause noch auf dem Handy anrief, schließlich war am folgenden Montag Quartalsabschluss-Meeting um 9.30 Uhr im Raum Barcelona. Allerdings konnte ich ihn am Telefon nicht so recht verstehen, denn plötzlich kam im Hintergrund eine Lautsprecherstimme mit der Durchsage, dass diese Woche Gartenerde im 40-Liter-Gebinde im Angebot sei. Dann war das Gespräch beendet, hoffentlich hatte er wenigstens Barcelona verstanden, dachte ich mir noch. Nicht das er wieder wie beim letzten Mal im Raum Madrid wartet und keiner kommt. Da war dann den ganzen Rest des Tages schlechte Laune angesagt, man kenne sich da ja im Konferenzraumbereich vor lauter Städten nicht mehr aus, und wieso überhaupt alle Namen italienisch sein müssen, kann man das nicht einfach wie früher durchnummerieren, usw.
Nach dem Telefonat hatte ich im Grunde nicht mehr viel zu tun, bis zum Feierabend war es aber doch noch ein Weilchen hin. Eigentlich war der Zeitpunkt passend, mal wieder mit ein paar Kollegen zu plaudern, man erfährt da ja manchmal die tollsten Sachen aus der Firma. Zu den meisten habe ich aber nicht mehr so recht den Draht wie man sagt. Seit ich vor 28 Jahren aus dem Betriebsratsbüro zu Herrn Küppers gewechselt bin, hat sich doch einiges verändert. Die meisten Duzen sich, mir ist das eher unangenehm und ich beschränke das auf wenige Kollegen. Beispielsweise treffe ich mich immer mittwochs in der Kantine mit der Sybille aus der Auftragserfassung, also dem heutigen Order Management. Wir haben damals zusammen im Betrieb angefangen, da gibt es immer viel zu erzählen. Oder Herr Küppers, der erzählt mir auch viel. Aus der Firma, manchmal auch Privates, man kennt sich ja schon so lange. Aber immer per Sie. Ansonsten beschränke ich mich bei den anderen Kollegen auf das Betriebliche, ich kann da bei vielen Themen auch gar nicht so mitreden. Zum Beispiel die Frau Schnieders und die Frau Pilic, die beiden sitzen von meinen Büro aus gesehen am nächsten zu mir.
Die Frau Pilic kenne ich noch, als sie bei uns als Auszubildende in der Abteilung war. Persönlich fand ich sie damals immer etwas unfreundlich, sie hat mich selten gegrüßt und diese bauchfreien T-Shirts fand ich am Arbeitsplatz nicht angebracht. Herr Küppers hat sich aber nach ihrer Ausbildung um sie bemüht, er sagt, sie hat Talent und unsere Abteilung braucht auch mal etwas frischen Wind. Da spielen Abschlussnoten bei der IHK-Prüfung nicht so die Rolle, das Menschliche zählt. Ich habe mich dann mit meiner Meinung zurück gehalten, schließlich ist er Chef, er weiß das.
Zur Frau Schnieders kann ich weniger sagen, sie ist die ältere der beiden und vor etwa einem Jahr als Zeitarbeitskraft aus dem Lohnbüro zu uns gewechselt. Beim großen Projekt von Herrn Schneider wurden damals nicht nur englische Namen verteilt, sondern auch Kollegen aus anderen Abteilungen. Wir haben Frau Schnieders bekommen und Frau Schnieders einen Festanstellungsvertrag. Die beiden bearbeiten die Reiskostenabrechnungen für den Außendienst, sehr schwer kann das also nicht sein. Trotzdem hat mich die Sybille mittwochs mal darauf angesprochen, dass man im Vertrieb schon munkelt, warum das immer so lange dauert und das Abrechnungen schon mal falsch seien, ob der Küppers das nicht in den Griff bekomme. Ich äußere mich nicht dazu, habe ich ihr gesagt. Aha, alles klar.
Dennoch bin ich an besagtem Freitag mal in die Richtung der beiden gegangen, man soll ja nicht ständig mit Vorurteilen hadern und anderen auch eine zweite Chance geben. Außerdem gab es offenbar irgendetwas Interessantes zu sehen, da sich beide intensiv deutend vor dem Monitor von Frau Schnieders unterhalten haben. Ich wende mich also in deren Richtung und erwecke den Eindruck, unseren facilities-gemanageten Abteilungs-Ficcus zu besichtigen. Dabei frage ich mich, ob „Greener Office“ auch als Pflanzen-Sterbehilfeorganisation durchgehen würde und beginne mitleidig ein paar welke Blätter abzuzupfen. Bewusst beiläufig schaue ich auf den Bildschirm der beiden Kolleginnen und mache leise auf mich aufmerksam, das kann ich recht gut. Wir kommen gleich etwas ins Gespräch. Ja, endlich Freitag, das ganze Wochenende vor der Tür, schauen Sie mal, was wir auf Ebay gefunden haben. Aha. Darum geht`s.
Gehört habe ich davon schon oft, man liest ja auch viel in der Zeitung darüber. Ich bin da immer etwas skeptisch und kaufe liebe „normal“ ein, aber mein Mann - der Norbert – der kennt sich da sehr gut aus. Überhaupt ist er mit den ganzen technischen Sachen in unserem Haushalt total fit, wir haben E-Mail, Internet, DVD, Sattelitenempfang und seit einiger Zeit noch zusätzlich Bezahlfernsehen für Fußball- und Sportprogramme. Wenn Norbert donnerstags zum Training geht, bereitet er mir zum Fernsehen alles vor und schaltet die notwendigen Geräte ein. Oder aus. Sechs verschiedene Fernbedienungen, Unmengen von Kabel und unterschiedlichste Geräte mit Abkürzungen und englischen Bezeichnungen. Mal wieder. TV schauen fand ich früher deutlich einfacher. Das sage ich dem Norbert aber lieber nicht, ich bin ja froh, dass er sich auskennt und ich ihn fragen kann.
Auch zu Ebay. Das ist das erste was mir einfällt, als Frau Pilic Platz macht und auf den Monitor deutet. Wunderschöne schwarze Buffalo-Lederstiefel, nicht zu modern, kann man eigentlich immer tragen, fürs Büro und jeden Tag. Und vor allem für den Preis, denke ich mir. 8,50 EUR steht daneben. Ob die wohl echt sind? Klar, heutzutage könne man sich da bei Ebay nichts mehr leisten, der Verkäufer habe auch 99.7 % positive Kundenbewertungen, die Beschreibung sei total ausführlich. Nur einmal kurz getragen, auf den Bildern sieht man auch kaum Gebrauchsspuren. Tatsächlich. Ein Schnäppchen. Ich mache das mit dem Internet eigentlich nie in der Firma, ein bisschen kenne ich mich aber schon aus. Deshalb merke ich mir genau die Bezeichnung in der Überschrift:
LUXUS LEDERSTIEFEL BUFFALO LONDON *** WIE NEU ***
Auf dem Heimweg im Bus hadere ich mit mir selber. Der Gedanke an die Stiefel beschäftigt mich, solche hatte ich sogar mal im Geschäft anprobiert. Außerdem würde mich das mit dem Ebay mal interessieren, die Sybille würde auch Augen machen. Ganz zu Schweigen von den beiden Reiskostenabrechnungsspezialistinnen. Wie ich das Ganze jedoch anstellen soll, ist mir noch nicht ganz klar. Nach dem Abendessen kommt mir eine Idee. Freitags kommen oft ein paar von Norberts Sportfreunden und schauen bei uns das erste Wochenendspiel der Bundesliga. Er hat dann keine Zeit für mich und ich habe den Eindruck, das ist ihm etwas unangenehm. Ich frage nun den Norbert direkt nach Ebay, ich würde mir das gerne mal ansehen. Klar, wir hätten bei Ebay auch ein Konto mit Passwort, er habe da ja schon einiges gekauft. Erleichtert über mein Interesse und die Ablenkung am heutigen Abend hat er mir gleich den Computer angestellt, Ebay geöffnet und sich dort angemeldet. Wenn was ist, er sei ja nebenan. Wo er heute auch bleiben kann, wenn’s nach mir geht. Ich bin entschlossen wie schon lange nicht mehr, heute will ich`s wissen. Schnell noch Bier in den Kühlschrank, Salzstangen auf den Couchtisch zwischen die diversen Fernbedienungen, viel Spaß mit den Jungs, lasst Euch nicht stören, ich bin im Arbeitszimmer.
Der Anpfiff zum Spiel war gleichzeitig mein Startschuss. Allein nach der Eingabe von Luxus Lederstiefel erscheint schon „mein“ Angebot. Endlich kann ich mich näher mit dem Ganzen beschäftigen. Tatsächlich erscheint die Beschreibung recht vertrauenswürdig, vor allem aber die Bilder zeigen anschaulich den tollen Zustand der Stiefel. Auf einen kleinen Kratzer am linken Absatz wird sogar extra hingewiesen. Der Preis steht noch immer bei 8,50 EUR, der Versand wäre 6,- EUR oder alternativ auch eine Abholung möglich. Und nach länger Suche entdecke ist das Beste: Artikelstandort Pflugfelden. Keine 15 Minuten mit dem Auto von uns aus, Sybilles Schwager wohnt dort. Alle restlichen Bedenken sind nun endgültig verschwunden, man muss nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Unter einem Eingabefeld steht: Bitte geben Sie mindestens EUR 1,00 ein. Gerne. Dann Bieten, nochmals Bestätigen uns siehe da – Sie sind der höchst Bietende! So einfach ist das. Bei weiterer Betrachtung finde ich nun eine Restzeit von 32 Minuten und kann kaum glauben, dass sich niemand ernsthaft für diese Stiefel interessiert. Vielleicht doch ein wahres Schnäppchen? Passiert nun ausgerechnet mir, was man öfter von Leuten hört, die unerhörtes Glück haben? Soll ich vielleicht am Wochenende lieber auch noch Lotto spielen? In meiner Euphorie lege ich sofort nochmals einen Euro drauf. Bieten, Bestätigen, Fertig. Noch immer keine Reaktion von eventuellen Feinden aus anderen Haushalten. Ich entdecke einen Knopf mit der Aufschrift „Aktualisieren“. Klingt gut, mache ich, die Seite baut sich neu auf, die Uhr zeigt nur noch 24 Minuten und mein Gebot noch immer 10,50 EUR. Die Spannung steigt, am liebsten würde ich Norbert holen, doch der eigentliche Erfolg steht ja noch aus. Der wird Augen machen, wenn seine Freunde heute Abend weg sind. Ich male mir bereits aus, wie ich beiläufig beim Aufräumen aus der Küche rufe, dass wir morgen mit dem Auto kurz nach Pflugfelden fahren müssten, ich hätte mir eben Schuhe bei Ebay ersteigert. Das glaubt der nie, nicht ich und schon gar nicht ohne seine Hilfe am Computer. Mein Triumph erscheint mir immer greifbarer, ich lehne mich gelassen zurück und aktualisiere regelmäßig am Computer. Noch 1 Minute und 15 Sekunden. Noch 43 Sekunden. Ob ich mir ausnahmsweise einen Piccolo öffnen soll? Egal, noch 15 Sekunden. Das muss es jetzt gewesen sein, ein letztes Mal aktualisieren und: Die Auktion ist beendet. Und dann der Schock. Meine Luxus Lederstiefel gehen für 13,50 EUR an den Bieter „wildkatze_75“, ich kann es kaum fassen. Da muss jemand in allerletzter Sekunde noch nachgelegt haben, entweder per Zufall oder aus purer Berechnung. Kann es sein, dass meine Konkurrenz die ganze Zeit über lauernd vor dem Angebot saß und mich ausgetrickst hat? Wer ist „wildkatze_75“, und überhaupt, wie kann man sich so einen zweideutigen Namen geben? Meine Triumphgefühle sind dahin, der Piccolo vergessen, auf Norbert habe ich nun überhaupt keine Lust mehr. Als er mit seinen Freunden zur Halbzeit aus dem Wohnzimmer kommt, liege ich bereits im Bett. Blöde Kuh, denke ich, wieso auch ausgerechnet Du. Schuhe kaufen war früher auf jeden Fall auch einfacher. Und weniger deprimierend.
Am Montag auf dem Weg zur Arbeit hänge ich meinen Gedanken noch etwas nach. Den Misserfolg von Freitagabend habe ich weitgehend verdrängt, ich kann das gut. Trotzdem fühle ich mich etwas bedrückt und bin nicht so gut drauf. Na ja, Montag eben, jeder hat mal so einen Tag. Bis mein Bus kurz vor der Firma hält, habe ich mich schon wieder motiviert und freue mich auf die neue Woche. Die kann ich ruhig angehen lassen, Herrn Küppers sehe ich wegen dem Quartalsabschluss-Meeting auch erst gegen Nachmittag, prima. Erstmal Beleuchtung und Computer angestellt, kurz mal nach den eigenen Pflanzen gesehen, eben am Abteilungs-Ficcus gezupft und als nächstes einen Kaffee. Heute sogar mal einen Latte Macchiato. Auf dem Weg zum Meeting-Point sehe ich dort bereits Frau Schnieders und Frau Pilic auf den braunen Lederhockern am Bistrotisch stehen und sich unterhalten. Auch egal, ich habe ja keine Reisekosten, auf die ich warten muss. Doch plötzlich erstarre ich und bleibe unvermittelt stehen. Durch Herrn Hiebers rahmenlose Glaswände sehe ich es sofort, mir wird schlagartig alles klar und ich kann es zunächst kaum fassen: Schwarze Luxus Lederstiefel von Buffalo aus London an den Füßen von Frau Schnieders aus Ludwigsburg. Das also ist Gegenstand des angeregten Gesprächs der beiden Reiskostenabrechnungsspezialistinnen. Das mit dem Latte Macchiato verschiebe ich spontan auf später, schalte auf Rückzug und drehe unauffällig wieder um. Auf dem Weg zu meinem Büro kommt mir jedoch plötzlich ein Gedanke: Ich habe soeben „wildkatze_75“ enttarnt. Und das bleibt jetzt erstmal mein Geheimnis, wer weiß, was sich hinter diesem vieldeutigen Namen noch alles verbirgt. Ich sehe aus dem Fenster und denke mir, dass man mit dem Internet bestimmt noch viel `rausbekommen kann, man muss nur wissen wo und wie man sucht. Ob ich Norbert einweihe und wir gemeinsam auf die Cybersuche nach den Geheimnissen von „wildkatze_75“ gehen sollen? Oder die Sybille? Ich bekomme gerade wieder einen Ansatz triumphaler Emotionswogen, als sich Frau Pilic und die Wildkatze ihren Arbeitsplätzen vor meinem Büro nähern. Wie gewohnt nehmen Sie mich gar nicht wahr und unterhalten sich immer amüsierter. Bevor das Ganze dann in einem ungehaltenen Gekicher endet höre ich noch wie Frau Schnieders sagt, wie blöd man eigentlich sein muss, wenn man dann auch noch bei Ebay den Benutzernamen „Norbert_Herrlinger“ fürs Bieten verwendet.
Zuerst weiß ich nicht, auf wen ich wütend sein soll. Auf die Wildkatze, auf Norbert oder wie gewohnt auf mich selbst. Letzteres wird wohl das Beste sein. Aus der Wut wird rasch wieder Enttäuschung, ich bin niedergeschlagen. Lass doch die Finger von diesem Zeug, Du kannst das halt nicht, man sieht ja, wozu das führt. Nicht auszudenken, wenn ich Sybille, Norbert oder gar jemanden anderen in die Ergebnisse meiner „Ich-kenn-mich-jetzt-auch-aus-im-Internet-Ausflüge“ eingeweiht hätte. Um zumindest nach Außen hin ein rundes Bild abzugeben, gehe ich mir einen Latte Macchiato oder was auch immer holen, normalen Kaffee gibt’s hier ja nicht mehr. Wieder im Büro sehe ich auf der Anzeige meines Telefons einen verpassten Anruf, 09.37 Uhr - Konferenzraum Ancona. Ich mache mich gerade an den Rückruf, da poltert Herr Küppers sichtlich genervt ins Büro, das Gesicht gerötet und leicht verschwitzt, er muss die Treppe genommen haben. Wo denn das verdammte Meeting jetzt wieder wäre, kein Mensch sei im Konferenzraum. Barcelona antworte ich kleinlaut, denn ich bin bereits bedient. Wenn er den erwischt, der sich diesen Quatsch mit den italienischen Städtenamen ausgedacht hat. Und außerdem brauche er noch immer den Abschluss der Reiskosten, ich solle das sofort mit der Pilic und der Schnieders klären.