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Freiheit
Endlich konnte ich mir eine Zigarette anzünden. Es war vollbracht, ich war frei. Erschöpft setzte ich mich in den Ledersessel im Wohnzimmer, rauchte meine Zigarette, und sah mir meine Tat zufrieden mit einer immer größer werdenden, beruhigenden Distanz an.
Es war wie ein Gewitter gewesen. Danach aber fühlte ich mich frei, leicht und beschwingt. Froh, endlich alles von mir gelassen zu haben, was jahrelang in mir gebrodelt hatte. All der Ärger, den ich jahrelang runtergeschluckt hatte, war wie bei einer Explosion ausgebrochen, hat mir Freiheit verschafft. Ich fühlte mich wie nach einem Gewitter, wenn die Luft wieder klar und frisch ist. Für mich war mein Leben wieder klar und frisch. Und frei. Ich war endlich wieder frei. Frei von Ballast, von Verpflichtungen und Zwängen, einfach frei.
Die Zigarette erlosch im Aschenbecher, ich hatte sie während meiner Grübelei dort vergessen. Egal – ich zündete mir eine weitere Zigarette an, rauchte hastig ein paar Züge, und stand auf, um mir einen Whiskey einzuschenken. Ich nahm einen Schluck und setzte mich wieder in den Sessel und genoss das langsam steigende Gefühl der Freiheit, das an meiner Seele so sanft hinunterlief, wie der Single Malt in meiner Kehle.
Irgendwann hat alles ein Ende. Jeder Abschnitt endet irgendwann. Je definitiver, desto besser. Sonst kommt man schlecht in den nachfolgenden Abschnitt hinein, Altlasten zerren an einem, wollen einen nicht loslassen. Ohne Loslassen kann man aber nicht weiterkommen. Und Weiterkommen war das Einzige, was mir blieb.
Der Abschnitt, den ich heute beendet habe, war nun definitiv zuende. Dafür habe ich gründlich gesorgt. Es war auch höchste Zeit gewesen. Eigentlich habe ich das Ende dieses Abschnitts viel zu lange hinausgezögert, habe mich einlullen lassen, bin träge geworden, und genügsam. Nie wieder werde ich genügsam werden. Genügsamkeit ist eine Krankheit, die einem vorgaukelt, man wäre glücklich und zufrieden. In Wahrheit ist man aber eingefangen zwischen lauter Unwahrheiten und Traumbildern. Noch nicht mal Wunschbilder. Einfach nur Traumbilder. Die meisten Menschen träumen gerne weiter. Sie haben nicht den Mumm, den ich heute bewiesen habe. Sie lassen die gemeinsten Beschimpfungen über sich ergehen, lassen sich treten, erniedrigen, bis sie das letzte bisschen Stolz verloren haben, und sie sich dann der Genügsamkeit ergeben.
Nicht so ich. Ich habe heute mit dem letzten bisschen Stolz, der mir geblieben ist, der Genügsamkeit die Zähne gezeigt und bin ausgebrochen aus diesem trägen Tollhaus, das wir bürgerlich nennen. Bin ausgebrochen aus dem Korsett, das uns erst unsere Eltern, später unsere weitere Bekanntschaft angezogen haben, so, wie wir es auch immer unserer Bekanntschaft anziehen, aus Gewohnheit und Konformismus, den wir uns gegenseitig auferlegen, aber nie eingestehen. Du musst, Du darfst doch nicht, Du kannst doch nicht, wo kommen wir denn dahin...
Was konnte ich denn dafür, dass meine Frau mir das Leben zur Hölle gemacht hat? Ich konnte doch nur versuchen, dies zu unterbinden.
Ich legte das Messer, das ich immer noch in der Hand hielt, neben mir auch den Tisch, auf dem sich sofort einige Bluttropfen sammelten. Auch meine Klamotten waren schon überall mit Blut vollgesaut. Das entsprach in gewissem Sinne der Art ihrer typischen, lächerlichen Rache. Wie alles andere auch, was sie mir antun wollte und getan hat, bis ich diesem Abschnitt heute ein Ende gesetzt habe. Sie hatte immer solch kleine lächerliche Eigenarten und Racheversuche, wenn ich irgendetwas getan hatte. Nur diesmal führte sie ihre Rache nicht selbst durch, der Zufall half ihr. Aber es passte in ihr Schema. Und es war erfolgreich. Es nervte mich extrem.
Morgen würde ich all diese Blutspuren entfernen müssen. Das würde mich viel Zeit kosten, aber ich hatte mir für diese Woche, nur für diesen Wiedererhalt der Freiheit, freigenommen. Montag, heute in einer Woche, würde ich wieder ins Büro gehen, und zum ersten Mal frei sein. Da frage ich mich natürlich, ob die Kollegen mir mein neues Glücksgefühl ansehen werden, ob sie es merken werden, dass für mich ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat. Hoffentlich würden sie es nicht sofort bemerken. Sie würden es sowieso nicht begreifen, alles falsch verstehen und entweder dumme Fragen stellen oder gleich die falschen Schlussfolgerungen ziehen. Nein, besser, wenn man mir gar nichts anmerken würde. Obwohl ich in diesem Moment sehr gerne der ganzen Welt meine neue Freiheit kundgetan hätte. Aber es war besser, stillzuhalten. Die Menschen steckten zu sehr in ihren Konformismen, als dass sie mich verstanden hätten.
Ich stand auf, und ging langsam durch das Wohnzimmer, bis hin zu dem Stuhl, auf dem sie saß. Der Stuhl, auf dem sie schon seit Samstag Nachmittag saß. Er müsste auch sorgsam gereinigt werden. Wahrscheinlich würde ich ihn gleich mit entsorgen. Unter dem Stuhl hatte ich, vorsorglich, wie ich war, eine Plastikplane gelegt. Die Mischung aus Blut und Fäkalien, die sich auf dieser Plane angesammelt hatte, konnte ich problemlos in der Toilette entsorgen und die Plane wieder im Schrank verstauen. Ich hatte schon damit gerechnet, dass sie alles einsauen würde, es war typisch für sie, mit solch ineffektiven und lächerlichen Mitteln Rache zu nehmen.
Auch wenn sie es nicht mehr bewusst tat, so kotzte es mich dennoch an.
Ich zündete mir eine weitere Zigarette an und ging langsam, jeden Schritt geniessend, um meine Frau herum. Du würdest meine Freiheit nicht mehr einschränken, dachte ich. Du nicht.