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Frauen und Fussball
Frauen Und Fussball
Samstag Vormittag, mitten in unseren Einkaufsbummel, blieb Monika abrupt stehen.
„Was? Du warst noch nie bei einem Fußballspiel?“
fragte meine Freundin und starrte mich mit schreckgeweiteten Augen an. Blaue Augen, die nicht Lügen können. Dann wurde mir schlagartig klar: Ich hatte was Großes verpasst.
„Na gut, ich komme mit“,
sagte ich mit weinerlicher Stimme. Ich tat mir selber leid und hatte plötzlich Angst. Was hat man nicht schon alles über Fußball gehört. Unser Reiseziel liegt nur eine Viertelstunde entfernt von meiner Wohnung. Eine seltsame, mysteriöse, exotische, ovale Insel, die nur am Wochenende bewohnt ist: von Sechsundachtzig Frauen und Vierundfünfzigtausendneunhundertzweiundsechzig einander feindlich gesinnten Männern, die in Trompeten und Hörnern pusten, Fahnen schwenken und sich mit der freien Hand auf die Brust schlagen wie eine Horde wildgewordener Gorillas nur ein klein wenig, weniger behaart. Es ist einer jener wenigen seltsamen Orte, wo die Schlangen vor dem Damenklo wesentlich kürzer sind als vor der Herrentoilette. Aber selbst diese Sensation hat mich bisher nicht zu einem Besuch veranlassen können. So saß ich bei meinen ersten Fußballspiel, in einem Stadion: Rapid gegen Austria.
„Toll, genau an der Mittellinie“,
sagte meine Freundin und rutschte nervös auf ihren Sitz hin und her. Der Jahrhundertsommer brodelte. Fünfzigtausend Deos versagten. Der Mann hinter mir roch nach Bier und Fischsuppe und sang grölend:
„Yöh-hyöhhhööoo!“
Ich lächelte ihn freundlich an. Wie heißt es doch noch mal das Syndrom, das weibliche Geiseln entwickeln? Sie werden besonders nett zu ihren Peinigern und einige verlieben sich sogar in sie!. Als ich meine Freundin fragen wollte, sprang sie auf und schrie. Ein gigantischer Chor der Verdammten erklang. Ich stimmte ein und kreischte mit. Mein rechter Nachbar brüllte wie ein sterbender Tiger, sprang auf, riss die Arme in die Luft und setzte sich wieder hin. Diese turnerische Übung wiederholte er und Tausende andere etwa alle drei Minuten. Ich fühlte mich wie auf einen Iggy-Pop-Konzert: eingekeilt zwischen wahnsinnig schlechten Tänzern und ich konnte mein eigenes Geschrei nicht hören. Die Sache begann mir Spaß zu machen. Nach wenigen Minuten verstummten jedoch alle. Ich hatte einige Fragen auf Lager.
“ In welche Richtung schießen wir? Welche Farbe trägt unsere Mannschaft noch mal?“
Meine Freundin reagierte wie die Mathelehrerin einer verblödeten Klasse:
„Schau einfach zu und sei still. Ja?“
Der Mann hinter mir rief erneut:
„Yöh-hyöhhhööoo!“
Danach stöhnte er, als hätte er schlechten Sex. Mein Nachbar verschwandt in seinen Bierbecher. Weinte er? Verkroch er sich vor Scham? Egal.
„Wie war`s?“,
fragte meine Freundin nach dem Schlusspfiff. Die blauen Augen leuchteten glücklich.
„Echt toll!“
sagte ich. Und war wieder einmal froh, braune Augen zu haben, die Lügen können wie gedruckt: Der Besuch auf der Insel hat sich für mich gelohnt. Fußball Live ist klasse, ehrlich.