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Frau Sunrides Idee
Ich hatte mir fest vorgenommen, auf dem Flug zum Mars eine Science-Fiction-Geschichte zu schreiben. Es musste ja kein Roman werden, eine Kurzgeschichte würde genügen. Einfach mal, um etwas anderes zu schreiben. Auf meinem Notebook stand der klägliche Versuch eines ersten Satzes: „Der Sternenkreuzer Ragall trat in den Orbit von Ursires ein.“ Kein besonders origineller Anfang. Ich löschte den Satz wieder, schaute von meinem Fensterplatz in die Sterne und sinnierte über eine Idee. Aggressive Aliens? Wildgewordene Roboter?
„Dienstreise oder Vergnügen?“
Aus dem Tagtraum gerissen, schaute ich zu meiner Sitznachbarin. „Ein wenig von beidem“, antwortete ich.
„Maria Sunride“, sagte sie und reichte mir die Hand.
„Mark Tonis“, antwortete ich und erwiderte ihren Handschlag.
„Waren Sie schon einmal auf dem Mars?“
„Mein Bruder wohnt auf dem Mars und ich habe ihn vor vier Jahren schon mal besucht.“
„Oh, also doch zum Vergnügen.“
„Naja, ich muss zur Eröffnung des New Vegas Colosseum Casino, um für ein Magazin zu berichten. Dass ich meinen Bruder dabei besuche, ist eher eine Zugabe.“
„Das klingt doch nach Vergnügen“, sagte sie mit einem Lächeln. „Sie sind also Reporter?“
„Nicht wirklich, aber die Arbeit für Magazine bringt Geld.“ Ich seufzte. „Eigentlich bin ich Schriftsteller.“
„Wirklich? Wie interessant. Woran arbeiten Sie gerade?“
Ich zögerte, ihr zu antworten.
„Oder dürfen Sie das nicht sagen, weil es Ihrem Ehrencodex widerspricht?“
„Ich schreibe an einer Science-Fiction-Geschichte“, gab ich zu.
„Worum geht es dabei?“
„Ich weiß es noch nicht, ich arbeite gerade an einer Idee.“
„Wie wäre es …“ Maria zog die Stirn in Falten. „Wie wäre es, wenn Aliens Menschengestalt annehmen könnten.“
„Und dann infiltrieren sie Regierungen und bedrohen die Menschheit?“
„Nein. Sie wollen die Menschen kennenlernen. Sie passen sich an, um den Kontakt zu erleichtern.“
„Klingt irgendwie langweilig.“
„Langweilig? Es ist doch schon spannend, die Metamorphose zum Menschen zu beschreiben, wie die Aliens beobachten, lernen, imitieren; und das nur, um überhaupt erst menschlich agieren zu können. Ich finde das nicht langweilig.“
„Sie meinen, die Aliens leben so lange unbemerkt unter uns, bis sie so menschlich werden, dass sie mit uns reden können?“
„Ja, genau. Und dann …“
„ACHTUNG!“ Der Bordcomputer unterbrach unser Gespräch. „Werte Gäste, Sensoren haben ein Schädlingsproblem erkannt. Bitte begeben Sie sich ruhig in den hinteren Teil des Raumschiffes!“
„Wahrscheinlich haben wir Wotten“, sagte ich und schnallte mich ab.
„Was sind denn Wotten?“, fragte Maria und schaute mich erstaunt an.
„Weltraum-Motten.“
„Was?“
„Das muss so sechzig Jahre her sein, als eine interstellare Mission zur Erde zurückkehrte und diese Schädlinge aus dem All mitbrachte. Sie verstecken sich in Textilien und können Jahre so ausharren. Aber wenn sie aktiv sind, fressen sie im wahrsten Sinne des Wortes einem die Kleider vom Leib. Wotten eben. Haben Sie noch nie davon gehört?“
„Ach das, ja. Davon habe ich gehört. Aber das mit den Sensoren ist neu, oder?“
„Ja. Ich habe letzte Woche einen Artikel gelesen, dass jetzt Raumschiffe damit ausgestattet werden. Wir haben anscheinend Glück, dass dieses hier ganz neu ist.“
Maria schob sich ganz nach hinten und beobachtete argwöhnisch die Roboterarme, die mit Sensoren und Vaporisatoren ausgestattet den Aufenthaltsraum nach Wotten absuchten.
Nach wenigen Minuten gab der Computer Entwarnung.
„Ladies first", raunte ich Maria zu und geleitete sie zur Sicherheitskontrolle.
Als sie durch die Kontrolle ging, fingen ein paar rote Warnlampen an zu blinken. Zwei Sicherheitsbeamte zogen Maria zur Seite und die Roboterarme richteten sich auf sie.
„Da hat sich wohl eine Wotte in ihrem Pullover eingenistet", dachte ich und schaute weiter zu, wie die Beamten an ihr zogen.
Plötzlich zerfiel Maria in ein dutzend Teile, die in alle Richtungen fliehen wollten. Das Knattern der Vaporisatoren übertönte das Geschrei von zwei verängstigten Mädchen neben mir.
„Werte Gäste", meldete sich der Bordcomputer. „Die Kontaminierung durch Schädlinge wurde erfolgreich beseitigt. Bitte begeben Sie sich wieder auf Ihre Plätze. Wir wünschen einen angenehmen Flug."
Ich saß auf meinem Platz, schaute in die Sterne und vermisste Maria. Dann öffnete ich das Notebook und schrieb: „Der Sternenkreuzer Sunride trat in den Orbit von Osiris ein."