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Franzl und Stoffel - Chaos im Märchenbuch (2)
Chaos im Märchenbuch
Franzl schlummerte noch friedlich in seinem Bett, als ein vorwitziger Sonnenstrahl, der durch das Fenster drang, ihn an der Nasenspitze kitzelte und aufweckte. Gähnend reckte er sich, schlug die Augen auf und schaute sich um.
Dackel Stoffel, der durch die Unruhe im Bett ebenfalls wach geworden war, lief über die Bettdecke zu seinem Herrchen nach oben und leckte über dessen Gesicht.
„Morgen, Stoffel“, begrüßte er den Hund und richtete sich auf. Dabei berührte seine Hand einen harten Gegenstand unter dem Kopfkissen. Etwas erstaunt griff er danach und zog das alte Märchenbuch hervor.
„Also habe ich doch nicht geträumt. Das Buch existiert ja wirklich“, stellte er fest und wollte den ledernen Buchdeckel aufklappen.
Doch was war das?
Das Buch ließ sich nicht aufschlagen.
„So ein Mist“, brummte Franzl und streichelte dabei Stoffel, der ganz gespannt jede Bewegung des Jungen beobachtete. „Wieso geht das nicht öffnen. Heute Nacht war das doch auch möglich?“
Franzl überlegte angestrengt. Was hatte er falsch gemacht? Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Figuren wurden nur im Mondschein lebendig, wie Drosselbart ihm berichtet hatte. Vielleicht galt das auch für das Aufklappen des Buches.
Ein nochmaliger Versuch schlug ebenfalls fehl. Kurz entschlossen schlüpfte der Junge aus dem Bett und schob das Buch wieder in die Lücke im Regal, wo es in der Nach zuvor heraus gefallen war.
„Da müssen wir halt warten, bis es dunkel wird und der Mond wieder scheint. Also Geduld, Franzl“, tröstete er sich selbst.
Das war einfacher gesagt als getan.
Das Frühstück dauerte eine Ewigkeit und auch bei der Besteigung des Burgturmes am Nachmittag zeigte Franzl nicht die richtige Begeisterung.
Die Eltern dachten schon, ihr Sohn wäre krank und als er am frühen Abend bat: „Mama, ich bin müde. Können Stoffel und ich nach oben gehen?“ waren sie total ratlos. Franzl, freiwillig ins Bett und das in den Ferien? Kaum zu glauben.
Doch die Mutter willigte ein und brachte die Beiden ins Schlafzimmer. Nach dem Gute-Nacht-Kuss schloss sich die Türe hinter ihr und Franzl und Stoffel waren alleine.
Schnell holte der Junge das Buch und kroch damit wieder unter die Decke.
Keine Sekunde zu früh. Die Wolkendecke am Himmel riss auf und das Mondlicht fand seinen Weg ins Zimmer.
„Schnell, Stoffel. Versuchen wir mal den Deckel aufzuschlagen.“ Mit diesen Worten hob Franzl den Bucheinband an und siehe da…. Er ließ sich ganz leicht aufschlagen.
„Hurra, es hat geklappt!“, rief er und klatschte in die Hände.
Stoffel, der die ganze Sache beobachtet hatte, stellte seinen Kopf schräg und schaute das Buch erwartungsvoll an.
„So, jetzt werden wir gleich wissen, ob gestern Nacht alle Figuren in ihren eigenen Märchen angekommen sind“, unterrichtete Franzl seinen Hund über sein weiteres Tun. „Das erste Märchen ist ‚Hänsel und Gretel’. Schau, Stoffel. Die beiden Kinder sind brav auf ihrer Seite. So, und nun weiter.“
Flink blätterte er die nächsten Seiten um und kam zu ‚Schneewittchen und die sieben Zwergen’.
„Hier stimmt etwas nicht“, stellte der Junge fest. Schneewittchen stand zwar im Zimmer der Zwerge, aber diese waren nirgends zu sehen. Auf dem ganzen Bild keine Spur von ihnen.
Als Franzl schon im nächsten Märchen nach dem Rechten sehen wollte, nahm er am Bildrand zwei dunkle Schatten war, die sich langsam auf das Schneewittchen zu bewegten.
„Oh, mein Gott!“, rief er. „Das sind ja Wölfe. Und gleich zwei. Wo kommen die denn her, und was wollen sie in dieser Geschichte?“
Stoffel knurrte laut und fletschte die Zähne.
„Schon gut, Stoffel. Wenn die das Schneewittchen fressen wollen, dann brauchen wir Hilfe. Aber von wem?“ Angestrengt dachte der Junge nach, als er plötzlich die rettende Idee hatte. Drosselbart musste her. Er war der einzige, der die Macht besaß, die Märchenfiguren unter Kontrolle zu halten, wie in der letzten Nacht, als er sie alle in das Buch gescheucht hatte.
Aber wo war er? In Windeseile blätterte der Junge im Buch. Hier war die Geschichte von Drosselbart. Aber leider keine Spur von dem König.
„So ein Mist!“, schimpfte Franzl. „Wohin ist der Kerl nur verschwunden? Wir müssen ihn finden, sonst ist Schneewittchen verloren.“
Er blätterte zurück, um zu sehen, wie weit die Wölfe vorgedrungen waren. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie von Schneewittchen.
In seiner Verzweiflung rief Franzl laut: „Drosselbart, komm heraus, du musst mir helfen!“
Kaum hatte er geendet, als sie Seiten des Buches in Bewegung gerieten und Drosselbart herauskletterte.
„Um was geht es, mein Freund. Womit kann ich dir dienen?“ Dabei machte er eine recht unbeholfene Bewegung.
„Lass den Blödsinn, Drosselbart. Beeil dich lieber, Schneewittchen ist in Gefahr. Die Wölfe aus ‚Rotkäppchen’ und aus dem Märchen mit den ‚Sieben Geißlein’ sind in ihre Geschichte geraten und wollen es fressen!“
Ganz aufgeregt schlug Franzl die Geschichte wieder auf. Doch Potzblitz, was war das?
In diesem Moment legte sich eine dunkle Wolke über den Mond und das Zimmer lag in völliger Dunkelheit. Vor Schreck stieß Franzl einen spitzen Schrei aus und Stoffel bellte einmal laut auf.
Dann folgte ein dumpfer Knall.
Es dauerte nur wenige Sekunden und das Mondlicht drang wieder in das Zimmer. Erleichtert atmete Franzl auf und sah sich suchend um.
Wo war das Märchenbuch geblieben?
Als sein Blick auf den Teppichboden fiel, entdeckte er das dicke Buch. Vor lauter Schreck hatte es Franzl fallen lassen, als es dunkel wurde. Das also war der Knall gewesen!
Flink hob er es auf und öffnete die Seite mit Schneewittchen. Hatten es die Wölfe inzwischen gefressen?
Aber nein. Drosselbart hatte es noch bevor der Mond hinter der Wolke verschwunden war geschafft, in die Geschichte zu schlüpfen. Nun stand er zwischen Schneewittchen und den gefräßigen Tieren. Auge in Auge mit den Wölfen.
Franzl hielt den Atem an und beobachtete, was geschah.
Die Wölfe wurden unsicher. Sie knurrten laut, zogen sich aber zurück und verschwanden in ihren eigenen Geschichten, wie Franzl später feststellen konnte.
Schneewittchen atmete erleichtert auf und bedankte sich bei Drosselbart für sein mutiges Eingreifen. Franzl bat sie, sich auf die Suche der Sieben Zwerge zu machen, damit sie von ihnen beschützt werden konnte.
Beim Durchblättern des Buches entdeckte er sie endlich im Märchen von ‚Dornröschen, wo sie gemeinsam versuchten, die Rosenhecke, die das Schloss umrankt hatte, zu überwinden, um die Prinzessin zu befreien. Aber sie wurden nur von den Dornen zerkratzt, blieben aber sonst erfolglos. Murrend folgten sie der Aufforderung des Jungen, wieder in ihre Geschichte zu gehen, denn sie hatten so keine Chance mehr, zu Dornröschen zu gelangen.
Franzl war von dem vielen Hin- und Herblättern inzwischen müde geworden und konnte die Augen kaum offen halten.
„Ich glaube, du schläfst jetzt erst einmal“, entschied Drosselbart, der nun wieder auf der Bettdecke saß. „Morgen ist auch noch ein Tag oder vielmehr eine Nacht. Da können wir uns um die anderen Märchenfiguren kümmern.“
„Meinst du, ich könnte auch in so eine Geschichte schlüpfen und mir die Märchenwelt einmal von innen anschauen?“, fragte ihn Franzl.
„Schauen wir mal, was wir tun können. Aber erst wenn der Mond wieder scheint“, gab der König zur Antwort und verwand zwischen den Buchseiten.