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Frage einer Sterbenden

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20.02.2002
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Frage einer Sterbenden

Nein, es geht mir alles andere als gut. Zur Gesellschaft sage ich heute nein, doch diesmal weil ich mich nicht danach sehne und nicht etwa aus den Prinzipien, die mein alltägliches Leben bestimmen. Die Innenstadt mit ihren S-Bahnen, die laut und mächtig an mir vorbeirauschen, die Kaufhausvitrinen mit ihren kitschig edlen Angeboten, supercoole Einkaufsläden für Jugendliche, hier und da mal eine Dönerbude, aber überall sind da Menschen.
Nirgendwo kann man hin, ohne auf sie zu treffen, ganz coole Typen, welche die Entwicklung der Sprache auf über 1000 Jahre zurückdrehen, deren modischer Stil mir mißfällt, doch noch viel mehr ärgert mich ihre Art. Sich laut unterhaltend, ihre "Kollegen" hin und wieder schubsend, immer lachend, nicht selten vor dem "Mäkess" angestaut, nie ein Wort der Heiterkeit, keine Fragen bezüglich der Welt und des Lebens. Bin ich besser? Nein, denn ich bin unglücklich. In diesem Punkt sind sie mir voraus und eben aus diesem Grund will ich sie nicht sehen!
Wissen kann eine Qual sein, eine bestürzende Empfindung noch viel mehr, oh ja, das kann sie und deshalb will ich sie heute nicht sehen, nicht nur diese fremden Passanten, alle Menschen, nicht mal mein eigenes Spiegelbild. Es könnte anfangen zu fragen, jeder könnte damit beginnen. Doch ich will es nicht hören, nein, ich will es nicht wissen, nein, ich möchte überhaupt nichts mehr von dieser Welt.
Warum eigentlich? Was ist der Anlaß für diese Frage? Wenn du dich das fragst, so laß dir eins gesagt sein, wenn du mal in das Zimmer einer dir gut bekannten Person gehst, die immer sehr nett zu dir gewesen ist; du siehst sie zum ersten Mal, seitdem bei ihr Geschwüre im Bauch festgestellt wurden. Die Ärzte sagen, es wird gut, alle sagen ihr, es wird gut, ohne nur darauf einzugehen, daß sie völlig abgemagert ist, sich kaum noch bewegt und ihr ehemals weibliches Gesicht sehr stark Christopher Walken ähnelt. Du stehst bewegungslos da, fragst dich was zu machen ist. Schläft sie? Möchte sie allein sein? Diese Fragen lösen sich auf, sobald du ihre Augen siehst, die aus dem dürren Gesicht nach außen ragen. Kein Wort, keine Geste, aber du mußt dich an ihr Bett setzen, es ist einfach so, ihr Wille bestimmt es. Mit einem unvorstellbar lockeren Griff greift sie nach deiner Hand, es fühlt sich an wie eine kalte, verwelkende Blüte einer Blume. Du sprichst mit ihr über die Behandlung, ihren Zustand, die Medikamente, sogar über die erschreckend niedrige Zahl ihrer "Stuhlgänge", wie es politisch korrekt heißen muß. Verdammte Scheiße!
In einem Augenblick schmerzvoller Ruhe stellt sie dir Fragen, die rein objektiv betrachtet nichts zu bedeuten haben, die sogar zum Standardrepertoir des Small-Talk gehören, aber aus ihrem Mund etwas dermaßen Endgültiges darstellen, daß du dir selber die Frage nicht mehr stellst, ob sie es überlebt oder nicht. "In welche Klasse gehst du nochmal? Dann hast du ja nur noch zwei Jahre auf der Schule. Und danach? Danach studieren? Das ist sehr gut." Die Frage nach dem Befinden deines kürzlich geborenen Neffen, begleitet von einem harmonischen Lächeln, in dem sie gleichzeitig mit allem Irdischen abschließt.
Dann noch ruhig zu sitzen, auf den eigenen Blick zu achten, bloß nicht verraten, was man weiß, ist schwieriger als ein Meer zu teilen. Wenn du es dann nicht mehr dort aushältst und einen Grund suchst, um zu verschwinden, auf dem Heimweg deine Zigarette rauchst und die Gewißheit besitzt, daß du sie zum letzten Mal lebend gesehen hast, möchte ich deine Gefühle kennen, deine Einstellung gegenüber all den Unwissenden, in Gemeinschaften lachenden Menschen auf der Strasse. Dann möchte ich von dir wissen, ob dir die nichtigen, gedankenlosen Gespräche etwa nicht weh tun, ob du die Isolation nicht auch vorziehst, um über den Haß, den du auf dein eigenes Leben hast, in aller Ruhe und Zeit der Welt nachzudenken.

[Beitrag editiert von: zorenmaya am 10.03.2002 um 12:19]

 

Damit habe ich gerechnet, sollte mir angewöhnen in Word zu schreiben, der erkennt die Fehler wenigstens, im Gegensatz zu mir.
PS. Freue mich über deine vielen Kommentare

 

Hallo Zorenmaya!

Es gefällt mir, wie Du diese Gedanken/Gefühle niedergeschrieben hast. Ich finde die Art, wie Du an das Thema herangehst, sehr gut und auch mit dem Thema an sich kann ich viel anfangen, da ich mit meiner Oma ein ähnliches Erlebnis hatte.

Wenn Du die paar Fehler korrigieren möchtest, such´ich sie Dir gern heraus und mail sie Dir.

Alles liebe
Susi

 

Danke für deine Kritik, ich bin immer noch entsetzt, welchen Inhalt solche an sich bedeutungslosen Worte haben. Ich habe es mir jetzt noch mal durchgelesen und einige Fehler korrigiert, falls da noch welche wären, dann fände ich es sehr lieb von dir, danke.
Frag mich was mit schlachtpaulchens Beiträgen passiert ist.

 

Hallo Zorenmaya!

Ein bisschen was hab ich noch gefunden, ich schreib´s gleich hierher, ist ja nicht so viel:

schubsen
nach außen
Standardrepertoire
dermaßen
gegenüber all den Unwissenden
schnürst

Nochmal zu Deiner Geschichte:

Dieser Satz hat es mir besonders angetan:

"begleitet von einem harmonischen Lächeln, in dem sie gleichzeitig mit allem Irdischen abschließt"

- Meine Oma konnte nicht mehr reden, nachdem sie ihr einen 5 Jahre alten Gehirntumor rausoperiert haben (der Hausarzt verschrieb ihr Schlaftabletten....), aber das habe ich gespürt, ich hielt ihre Hand vielleicht zwei Stunden lang, sie sprach ohne Worte mit mir.

Ich habe mich seit jeher vorm Tod gefürchtet und wollte nie darüber reden oder auch nur dran denken. Aber seit meine Oma gestorben ist, denke ich:
Wenn man alt genug wird, hat man keine Angst mehr vorm Tod. Nicht nur die Menschen und die Politik haben sich im Lauf der Jahrzehnte verändert, auch die technischen Neuerungen etwa, machen den alten Menschen zu schaffen. Sie kommen da nicht mehr mit und irgendwie hat man dann glaub ich das Gefühl, daß es nicht mehr die Welt ist, in die man gehört.
Wenn dann mit den Kindern und Enkeln alles in Ordnung ist, dann kann man zufrieden gehen, dann hat man sein Leben hinter sich.

So, das war nur so ein Gedanke, der mir gerade eingefallen ist,

alles liebe
Susi

PS.: Das hab ich mich auch schon gefragt, scheinen irgendwie alle gelöscht zu sein.....

[Beitrag editiert von: Häferl am 03.03.2002 um 01:32]

 

hallo zorenmaya.

Du bringst es ziemlich gut auf den Punkt, wie man sich fühlt wenn man jemanden beim Sterben zusehen muß, ohne etwas ändern zu können.

Man möchte die Welt anhalten, um dem jenigen reverenz zu erweisen, aber genaugenommen weiß man ja ab einer gewissen Entwicklungsstufe, daß Leben und Tod voneinander abhängen.
Aber ich gebe Dir/der handelnden person recht mit dem Gefühl alles laute zu meiden, um in Ruhe den kommenden Abschiedsschmerz verkraften zu können.

Einfühlsam und schön. :) :)


Lord

 

Zuerst zwei stilistische Sachen, bevor ich's vergess':

[...]"Stuhlgänge", wie es politisch korrekt heißen muß.
Bitte nicht "politisch"! (tut ja richtig weh, ehrlich gesagt!) Tut mir leid, aber mit Politik hat das leider so rein gar nichts zu tun (wie auch generell mit Sprache bzw. deren -kultur). "Stuhlgang" ist einfach einer von unzähligen euphemistischen Begriffen für Dinge oder Vorgänge, welche man in der Regel nicht so gern beim Namen nennt. Außerdem: Mir ist es durchaus lieber, wenn man vom "Stuhlgang" als vom "Scheißgang" spricht. Es ist nicht immer "bös'" gemeint, wenn man die Dinge beschönigt. Im Übrigen sind solche Phänomene doch immer nur Symptome gesellschaftlicher Irritationen, nicht aber deren Ursachen!

[...]den du auf dein eigenes Leben schnürst,[...]
Man schnürt die Dinge nicht auf sondern viel mehr um etwas.


Zur Erzählung selbst: Ich habe selbst einmal in meinem Zivildienst in einem entsprechenden Krankenhaus an Leukämie erkrankte Kinder betreut. Die Atmosphäre dort ist wirklich, gelinde gesagt, unheimlich. Die Kinder, beinahe jeden Alters, von ihrer kräftezehrenden Chemotherapie gezeichnet (Haarausfall, blaße Haut, Lethargie) geben sich wie lebende Leichen, mit ihren fahrbaren Infusionsgeräteständern die Gänge auf und ab wandernd. Der Tod ist dort ständig anwesend und es fällt schwer, auch einmal etwas heiter zu sein. Das liegt allerdings leider auch an unserer (abendländischen) Kultur. Der Tod ist nun einmal ein fester Bestandteil unseres Lebens und jegliche Verdrängung oder Beschönigung lässt ihn nur noch größer und mächtiger werden. Viel klüger ist es da, sich mit ihm anzufreunden.

Auf alle Fälle aber: Sich zu grämen und seine Seele mit Hass zu füllen bringt nix (im Gegenteil)!

 

Klar, da muß ich dir recht geben, aber in so einer Situation handelt man eben nach Gefühl und nicht rational. Es geht auch nicht darum, ob man den Tod als notwendig ansieht oder nicht. Es ist diese Gewißheit, um die es geht.

 

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