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Frühstückspost

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21.10.2013
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Frühstückspost

Arthur war in mieser Stimmung, obwohl es Samstag war und er nicht zur Arbeit gehen musste. Davon abgesehen mochte er seinen Job bei der Versicherungsgesellschaft sowieso nicht. Den ganzen Tag starrte er auf den Bildschirm, studierte Versicherungsverträge, führte endlose Telefongespräche mit fragenden oder wütenden Kunden und musste zu allem Übel oft auch noch Überstunden machen, obwohl er, wie er fand, viel zu wenig für diese Knochenarbeit verdiente. Sein Job hing ihm zum Hals heraus und er hätte sofort gekündigt, wenn sich eine Alternative aufgetan hätte.
Der leere Kühlschrank gab seiner Laune den Rest. Für ein genussvolles Frühstück hatte er nicht das Geringste zu bieten – kein Ei, keinen Käse, keine Milch für den Kaffee, keine Marmelade. Alles was er fand, war der letzte Rest einer gräulich schimmernden Leberwurst, ein Zipfel Salami und eine halbe Flasche Orangensaft. Eine unangenehm grelle Aprilsonne drang durch das Küchenfenster in sein billiges kleines Apartment und erinnerte ihn schmerzlich daran, dass er nicht nur die Fenster putzen, sondern auch dringend die Wände streichen sollte. Er konnte sich keinen Ärger mit dem Vermieter leisten.
Plötzlich klingelte es. Wer konnte das sein? Wenn er überhaupt einmal Besuch bekam, dann niemals Samstags um diese Uhrzeit. Er spähte durch den Türspion und sah den Postboten, einen kleinen älteren Mann, unter dessen blauer Postlerjacke sich ein mächtiger Bauch wölbte. Er kannte ihn vom Sehen, weil er ihn manchmal Post in die zahlreichen Briefkästen im Eingangsbereich des Wohnblocks stecken sah. Was wollte er hier oben an seiner Tür? Vielleicht ein Päckchen abgeben oder ein Einschreiben. Ihm fiel ein, dass er den Bußgeldbescheid über 50 Euro vor knapp einem Monat (der grelle Radarblitz hatte ihn richtig erschreckt) noch nicht bezahlt hatte. Sein erster Impuls war, die Tür nicht zu öffnen und sich tot zu stellen, aber das würde die Sache auch nicht besser machen. Er öffnete. „Herr Arthur Krakowski persönlich?“ fragte der Mann von
der Post und schaute durch seine leicht schmierigen Brillengläser zu ihm hoch.
„Was gibt’s denn? Irgendwas Wichtiges?“ – „Ein Einschreiben. Muss ich Ihnen
persönlich aushändigen. Ist Vorschrift, wissen Sie.“ Er drehte den Umschlag um. „Steht kein Absender drauf. Ist doch hoffentlich nichts Unangenehmes!“ Er streckte ihm ein Blatt Papier entgegen. „Wenn Sie bitte hier den Empfang quittieren“. Arthur unterschrieb, nahm den Umschlag und schloss die Tür. Ein Einschreiben. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er würde es nicht öffnen und sich das Wochenende vollends verderben. Einschreiben enthielten entweder Bußgeldbescheide oder Mahnungen, aber niemals etwas, worüber man sich freuen konnte. Mürrisch schlurfte zurück in die Küche, um sich um sein Frühstück zu kümmern. Aber wenn nun doch etwas anderes in dem gelben Umschlag war? Ein Brief von seiner Mutter vielleicht, von der er seit Jahren nichts mehr gehört hatte. Oder ein anonymer Liebesbrief. Vielleicht sogar ein Erpresserbrief! Seine Phantasie wirbelte ihn ganz durcheinander und weckte sein Neugier. Er schaute sich den Umschlag genauer an, entdeckte aber nichts Besonderes. Auf einem gedruckten Aufkleber standen sein Name und seine Adresse, und neben der Briefmarke war der übliche Einschreiben-Aufkleber. Kein Absender, merkwürdig. Er holte ein spitzes Messer aus einer der Schubladen, öffnete den Umschlag und nahm den Brief heraus. Plötzlich war er hellwach. Staatliche Lottogesellschaft hieß es im Briefkopf. Staatliche Lottogesellschaft! Er hatte fast schon vergessen, dass er vor Monaten einen Dauer-Lottoschein ausgefüllt hatte und jeden Samstag mit der gleichen Reihe von Zahlen, die sich aus seinen Geburtsdaten und denen seiner Mutter zusammensetzten, an der Auslosung teilnahm. Er hatte noch nie etwas gewonnen und interessierte sich schon lange nicht mehr für Veröffentlichung der Lottozahlen. Mit wachsender Erregung las er weiter:
Sehr geehrter Herr Krakowski,
Wir freuen uns sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie in der Ziehung am 7.April mit den Zahlen 5, 8, 12, 25,31,48 und der Superzahl 17 den Jackpot von 5,4 Millionen Euro gewonnen haben. Bitte setzen Sie sich unter der Telefonnummer 01805-232425 mit dem Büro unserer Zentrale in Frankfurt in Verbindung, damit wir die Details der
Übergabe klären können. In Ihrem eigenen Interesse geben wir Ihnen den dringenden Rat, nur Menschen Ihres absoluten Vertrauens über Ihren Gewinn zu informieren und dieses Schreiben an einem sicheren Ort aufzubewahren.
Er las den Brief mehrere Male, als wäre er in einer fremden Sprache verfasst und als müsste er seinen Inhalt Wort für Wort erschließen. Seine Hände waren feucht geworden und er hatte Angst, Schweißflecken auf dem weißen Papier zu hinterlassen. Den Jackpot von 5,4 Millionen Euro gewonnen. Wie ein endloses Echo hallte dieser Satz in ihm nach. Plötzlich erschien ihm der Brief völlig absurd, genau so absurd wie die 5,4 Millionen. In seinen Tagträumen im Büro hatte er manchmal davon geträumt, reich zu sein und mit Julia Roberts, seiner Lieblingsschauspielerin, in einer Villa am Mittelmeer zu leben. Aber das waren Träume, die nicht für die Wirklichkeit gedacht waren. Doch es gab keinen Zweifel an der Realität des Briefes, der vor ihm auf dem Tisch lag. Er hatte einen Haufen Geld gewonnen, er war ein reicher Mann! Die tausendachthundert Euro brutto, die ihm die Versicherung jeden Monat für seinen Arbeit zahlte, kamen ihm angesichts dieser Millionen plötzlich lächerlich vor. Was sollte er mit dem vielen Geld machen? Eine schicke Wohnung in einem der noblen Stadtviertel kaufen? Vielleicht eine Penthousewohnung mit Blick über die ganze Stadt? Ein schnelles Auto wäre nicht schlecht, ein Porsche oder ein Jaguar. Oder vielleicht lieber ein Ferrari? Der Porsche klang gut. Er sah sich am Steuer sitzen mit einer schönen Frau an seiner Seite.
Frauen! Endlich würde er sich Frauen leisten können! Frauen stehen auf reiche Männer! Frauen lieben Luxus! Sollte er seinen Job gleich kündigen und sofort das angenehme Leben eines Millionärs genießen? Oder war es sinnvoller, das Geld erst mal gut anzulegen und abzuwarten? Vielleicht war es besser, sein Leben nicht von heute auf morgen völlig zu ändern. Vielleicht sollte er einfach so weiter leben wie bisher und seinen Reichtum geheim halten. Ihm war fast schwindelig von den Fragen, die ihm kreuz und quer durch den Kopf schossen. Bisher war sein Leben so einfach gewesen, ohne jede Alternative, und jetzt taten sich auf ein Mal so viele Möglichkeiten auf - und so viele Fragen! Das Geld erschien ihm fast schon wie eine Last. Er musste Entscheidungen treffen. Es würde Veränderungen geben, und Veränderungen bedeuteten Unruhe.
Arthur ließ sein dürftiges Frühstück unberührt stehen und stellte sich unter die Dusche.

Danach würde er die Lottogesellschaft anrufen, um sich nach den Einzelheiten der
Geldübergabe zu erkundigen. Er würde es sicher nicht auf einem Konto deponieren! Seit der Finanzkrise war sein Vertrauen in die Banken vollends geschwunden. Über Nacht hatten damals viele ihr komplettes Vermögen verloren, und das wollte er auf keinen Fall riskieren. Banken und Versicherungen waren kriminelle Organisationen, deren einziges Ziel es war, den Menschen ihr Geld zu rauben. Er würde sein Geld zuhause aufbewahren – in einem guten Versteck natürlich, aber immer unter seiner persönlichen Kontrolle. Er würde einen Safe kaufen, ja ein Safe war eine gute Idee.
Am Montagmorgen meldete er sich telefonisch krank und fuhr wie vereinbart zum Büro der Lottogesellschaft in der Innenstadt. Nachdem er die guten Ratschläge der Lottoleute angehört und mehrere Papiere unterschrieben hatte, erhielt er einen Scheck über 5,4 Millionen Euro. Auf dem Weg zur Bank fühlte er sich fast wie ein Dieb, und der Scheck in der Innentasche seines Mantels brannte wie Feuer. Der Bankangestellte, der ihn vom Sehen kannte, war außer sich, dass er eine so gewaltige Summe in bar ausbezahlt haben wollte („Auf der Bank ist ihr Geld doch viel sicherer, Herr Krakowski!“). Nach mehreren Telefongesprächen mit der Bankzentrale und der Lottogesellschaft und einer peniblen Prüfung seiner Identität, zahlte der Filialleiter ihm das Geld schließlich persönlich aus – in 500 Euro-Scheinen, wie er es verlangt hatte – und steckte es dann in eine Kunstledertasche, auf die der Name der Bank aufgedruckt war. Allerdings nur einen Teil der Summe, ein Viertelmillion Euro, denn mehr konnte selbst die Bank so kurzfristig nicht locker machen. Den Rest könne er zwei Tage später abholen, hieß es. Er könne das Geld aber auch von einem Geldboten der Bank direkt zu sich nach Hause bringen lassen, das sei sicherer. Mit einem „Herzlichen Glückwunsch und alles Gute, Herr Krakowski! Und seien Sie vorsichtig mit dem vielen Geld!“ verabschiedete ihn der Filialleiter. Bevor Arthur die Bank verließ, steckte er die Tasche mit dem Geld in die Einkaufstüte einer bekannten Supermarktkette, die er extra zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Um keinen Preis wollte er auffallen, und dies erschien ihm die unauffälligste und deshalb sicherste Methode für den Transport seines Reichtums. Er würde den kürzesten Weg nach Hause nehmen – zu Fuß, denn er fand es angebracht, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden.


Es waren mehr Menschen unterwegs als er erwartet hatte, und er hatte das Gefühl, dass
alle auf seine Einkaufstüte starrten. Das bildest du dir bloß ein, versuchte er sich zu
beruhigen. Geh einfach ganz normal weiter und verhalte dich unauffällig. Er trug die
Tüte in der rechten Hand und wehrte sich krampfhaft gegen den Impuls, sie an die Brust zu drücken und loszurennen. Reiß dich zusammen, Mann! Keiner weiß, was in der Tüte ist. Sie ist nichts weiter als eine gewöhnliche Einkaufstüte, eine von vielen, die gerade durch die Stadt getragen werden. Kein Grund, in Panik zu verfallen! Aber es half nichts. Arthur fühlte sich gehetzt und beobachtet. Sein Unterhemd war nassgeschwitzt und er fühlte sich elend. Er zwang sich, im Strom der anderen weiter zu gehen und allmählich beruhigte er sich wieder. Als er an seinem Supermarkt vorbei ging, überkam ihn das Verlangen nach einer Flasche Champagner. Schließlich war er jetzt ein reicher Mann, und das musste gefeiert werden! Begeistert von seiner spontanen Idee ging er hinein und nahm sich einen Einkaufswagen, behielt aber seine Tüte fest in der Hand. Er stand bereits vor dem Regal mit Sekt und Champagner, als ihm plötzlich Bedenken kamen. Wie konnte er nur so dumm sein! Was, wenn die Frau an der Kasse seine Tüte kontrollieren wollte – eine Einkaufstüte mit Inhalt! Das musste sie sogar tun, dazu war sie verpflichtet! Darf ich bitte mal einen Blick in ihre Einkaufstüte werfen? würde sie mit einem entschuldigenden Lächeln sagen. Er würde die Kunstledertasche öffnen müssen und sie würde das Geld sehen. Er würde eine Erklärung stammeln, aber sie würde misstrauisch werden und den Manager rufen. Es würde eine Menge Aufregung geben, vielleicht würden sie sogar die Polizei rufen. Am Ende wüssten alle von seinem Lottogewinn, und das wollte er unter allen Umständen verhindern. Er steuerte seinen Einkaufswagen in einen der hinteren Gänge zum Katzen- und Hundefutter. Unauffällig sah er sich um. Erst als er sich sicher war, dass ihn niemand sehen konnte, stopfte er die Tüte schnell unter seinen Mantel und ging dann mit klopfenden Herzen zurück zum Champagnerregal. Dort nahm er sich eine Flasche Pommery und schob seinen Wagen so schnell wie möglich in Richtung Kasse. Sein Blut tobte und er fing wieder an zu schwitzen. Die Tasche mit dem Geld, die er unter den linken Arm geklemmt hatte, fühlt sich an wie glühendes Eisen und er spürte, wie seine Muskeln sich verkrampften. Er musste so schnell wie möglich aus diesem verdammten Supermarkt hinaus!
Zum Glück fand er eine Kasse, an der er nur wenige Menschen anstanden. Er reihte sich ein und wartete. Warum ging das denn nicht schneller! Plötzlich fühlte er ein Hand auf seiner rechten Schulter. Eine männliche Stimme hinter ihm sagte „Entschuldigung, würden Sie mir bitte in meine Büro folgen?“ Einen Moment lang war Arthur unfähig zu jeder Bewegung. Er fühlte sich wie ein Stein. Dann drehte er sich um und blickte in das Gesicht eines unauffälligen jungen Mannes. Der Ladendetektiv! Jetzt war es passiert. Das Blut schoss ihm ins Gesicht, und unter den schadenfrohen Blicken der anderen Kunden folgte er dem jungen Mann zu einer Seitentür, dann einen Gang entlang in einen schäbigen fensterlosen Raum voller Überwachungsmonitore. Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte, aber der junge Mann ignorierte es. Er stand einfach vor ihm und musterte ihn von Kopf bis Fuß als wäre er ein Außerirdischer. Warum nahm er nur das gottverdammte Telefon nicht ab? Dieses durchdringende Geräusch war zuviel für seine strapazierten Nerven.
Das Klingeln weckte Arthur. Er war schweißnass und so durcheinander dass er einen Moment lang nicht wusste, wo er war. Erst als er den Kopf vom Frühstückstisch hob, wo er neben seiner Kaffeetasse eingenickt war, begriff er: Es klingelte an der Tür. Wie in Trance erhob er sich. Durch den Türspion sah er den Briefträger, einen kleinen älteren Mann, unter dessen blauer Postlerjacke sich ein mächtiger Bauch wölbte. Er hielt einen Brief in der Hand. Arthur öffnete nicht. Er ging einfach zurück in die Küche, um frischen Kaffee zu machen. Er hatte ja noch nicht einmal gefrühstückt.

 

Hallo Doris,

habe eben erst gesehen, dass du "Frühstückspost" schon gelesen hast und dass du mir schon was dazu geschrieben hast. Danke!
Im Moment gibt es noch nichts Neues von mir - aber das wird sich bald ändern, denke ich.

Gruß
angelo

 

Hallo Angelo!

Ab der Stelle, wo Arthur den Brief erhält, ist es eine spannende Geschichte. Auch irgendwie atemlos geschrieben. Also, der Text flutscht nur so an den Augen vorüber.

Den Anfang, diese Jammerarie, find ich nicht gut. Da ist nix, was mich reinzieht, in die Story. Ich weiß auch nicht, ob die dort vermittelte Info so wichtig für die Geschichte ist. Vielleicht kann man diese Info, mieser Job, miese Wohnung, auf zwei oder drei Sätze eingedampft, irgendwo anders unterbringen.

Gegen Ende war alles nur ein Traum, dann jedoch noch eine Wende, der Traum betritt die Realität. Ob der reale Postbote die polizeiliche Mahnung bringt oder die gute Nachricht der Lottozentrale? Das bleibt offen. Arthur jedenfalls will wohl weder das eine noch das andere empfangen.


Lieben Gruß

Asterix

 

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