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Frühstück
„Verfickte Hurenscheiße!!!“ Das Glas zerschellte am Boden. Nicht irgendein Glas. DAS Glas! Es war sein verdammtes Lieblingsglas. Nicht weil es besonders teuer gewesen war. Nein, es war so eine kostenlose Dreingabe einer großen Burgerbraterkette. Aber es war blau und stand im Weg. Außerdem kann man sich doppelt aufregen, wenn Lieblingssachen kaputt gehen. Es hätte also jedes andere beschissene Stück Geschirr sein können. Natürlich, es war Montag. Montagmorgen und zum ersten Mal seit Wochen, wollte er vor der Frühschicht ausnahmsweise zu Hause frühstücken. Nicht weil er es sich vorgenommen hätte. Er konnte eh nicht pennen bei dieser scheiß Hitze. Vor einer halben Stunde hatte er sich noch verschwitzt hin und her gewälzt, auf der Suche nach optimalem WLAN-Empfang, kostenlose Internetpornos waren ein Segen.
Fast melancholisch erinnerte er sich an früher, an die alten Blitz-Illus unter seinem Bett. Als einsamer Landonanist hatte er die klassische Karriere erotischer Anschauungskunst hinter sich: die Unterwäscheseiten der Bader- und Otto-Kataloge seiner Oma, die Bravo, die keine Sau wegen der tollen Stories kaufte, die Illustrierten mit Nackedeis, um die er in der Tankstelle stets eine halbe Stunde herumschlich, so tuend, als interessiere er sich für Autozeitschriften. Später dann der große Sprung ins Pornobusiness: als er herausfand in welcher Ecke der Werkstatt der perverse Altgeselle die Happy Weekend versteckte wenn er wieder ne halbe Stunde auf dem Klo verschwand. Lange Zeit stagnierte der Konsum der Printmedien, bis zum Glück eine Videothek in der kleinen Stadt eröffnete. Er erinnerte sich an sein erstes Modem und daran, wie lange die Einwahl in diese scheiß Onlinewelt dauerte. Genug Zeit um die Tempobox und das Spezialmassageöl bereitzustellen. Erst viel später begriff er, dass Babyöl den gleichen Zweck für den Bruchteil des Preises erfüllte, ohne dass er verschämt und mit rotem Kopf an der Kasse hätte stehen müssen. Es begann die Zeit des Diskettentauschens. 3,5 MB geballte Erotik passten seinerzeit auf die kleinen Plastikscheiben. Über die Jahre wich die VHS der DVD und dank Highspeed-Internet und WLAN, war selbst das irgendwann obsolet. Für Sex musste er das Haus nun nicht mehr verlassen. Außer für diese Art Sex, zu der man eine Frau benötigt; Die aber viel Geld dafür haben wollte. Er dachte gerade an Sandy aus der Eichhörnchenbar, die ihn damals mit 18 entjungfert hatte. Dachte schmerzlich daran, was „bis zum Schuss danach ist Schluss“ bedeutete und wie viel Pornos und Gleitcreme er für die 150 Mark wohl bekommen hätte. Damals war er stolz darauf, dass es stundenlanger zäher Kampfmasturbation bedurfte, ehe er grunzend ins Laken laichte. Bei Sandy dauerte es 2 Minuten bis sie lächelnd von ihm abließ, um die Rolle mit den Zellstofftüchern zu holen. Vielleicht war es in den Landbordells so üblich. Vielleicht hatte Sandy aber auch einfach keine Lust, weiter an diesem ungeduschten dicken Versager herum zu lutschen, der stammelnd und schwitzend und schüchtern auf dem Laken zuckte. Wie auch immer. Er war damals ein Mann geworden, er hatte eingelocht, schaffte den Aufstieg vom Wichser zum Ficker...
Der Feuermelder unterbrach jäh diese späte, aber dennoch plausibel klingende Erkenntnis und heiße Fettspritzer unterstrichen diese Rückrufaktion in die Gegenwart. Das Öl war viel zu heiß und die Fischstäbchen viel zu kalt. Nun sind sie schwarz. Und während er den siedenden Tröpfchen auswich fiel ihm ein, dass er die Reste seines Lieblingsglases aufkehren wollte. Er musste aufpassen, nicht auf seinem eigenen Blut auszurutschen, als er die qualmende Pfanne quer durch seine Wohnung balancierte um sie im Badezimmerwaschbecken zu löschen. Die Spüle in der Küche lieferte zwar (stets und ausnahmslos) kochend heißes Wasser, was zum abkühlen der auf dunkle Rotglut erhitzten Billigteflonpfanne nach physikalischen Maßstäben ausgereicht hätte, aber dort stapelte sich das Geschirr der letzten drei bis zwölf Tage. Warum kam seine Oma auch immer so unregelmäßig zu Besuch?
Gedankenverloren stopfte er sich seine Ration Citalopram in den Hals, als er die ölige Jauche den Abfluss hinunter rinnen sah... Nein, er war einfach kein Frühstücksmensch. So schlecht waren die Schokocroissants von der Tanke auch gar nicht. Immerhin, im Fußraum auf der Beifahrerseite war noch ein halber Becher koffeinhaltigen Milchmischerzeugnisses mit Geschmacksrichtung „Latte“. Die gelben Finger drehten hastig eine Zigarette aus schwarzem Tabak. Wenn er doch nur alles so gut konnte wie beim Autofahren drehen. Aus dem letzten funktionierenden Lautsprecher knarzte der WDR2-Wichser mit seiner Gute-Laune-Attacke. Eher unterbewusst nahm das rostige Auto den Weg zum Krankenhaus. Aufgeschnittene Füße und ölverbrannte Füße reichten für mindestens eine Woche gelben Urlaub. Ganz so übel fing die neue Woche gar nicht an.