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Frühlingstraum im Gerichtssaal

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04.07.2004
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Frühlingstraum im Gerichtssaal

Ich sitze da und versuche, aus dem Fenster zu sehen, vorbei am `feindlichen` Tisch, aber das gelingt mir nicht. Ich bin noch nie gut darin gewesen, mich abzulenken- höchstens darin, mich ablenken zu lassen. Was ich gerade auch tue... Mein Blick fliegt wieder einmal in Richtung Fenster und streift sein blondes kurzgeschnittenes Haar, auf das die sanften Sonnenstrahlen fallen und es glänzen lassen, und ich frage mich ob das an der Sonne liegt oder an seinem Haar. Ich verlasse den rauschenden grünen Baum draußen vor dem Fenster und setze meine Erkundungsreise auf seinem Gesicht fort- die helle Haut an der Wange und der perfekt rasierte Kinn. Oder vielleicht doch nicht so perfekt- von hier aus kann ich kurze Stoppeln erkennen, kaum sichtbar- mein Augenarzt wäre stolz auf mich. Er verstummt endlich, und ich traue mich, weiterzugehen, mich auf seinem Gesicht höher zu tasten, und im nächsten Moment erstarrt mein Blick wie erschrocken. Nein, nicht erschrocken- leicht berauscht von dem gesehenen. Ebenfalls blasse, aber unglaublich sinnliche Lippen, die bedauernswerterweise meist Anklageschriften von sich geben. Bei diesem Anblick spüre ich Wärme auf meinem Gesicht, wie von einem Kuss- aber ich weiß, dass es nur die Sonne ist, die am `feindlichen´, aber jetzt so interessanten für mich Tisch vorbeischeint und auf den Verteidigertisch fällt. Und im nächsten Augenblick erkenne ich, dass es nicht allein das Licht der Sonne ist, sondern das Strahlen seiner eisblauen Augen, deren Blick so ernst ist, dass ich den brennenden Wunsch verspüre, sie lachen zu sehen. Irgendjemand redet, aber ich mache mir nicht die Mühe zuzuhören- denn nichts in diesem Saal ist verlockender als das, was mein Blick Zentimeter für Zentimeter ertastet. Und als nächstes betrachte ich den Schatten seines Gesichts auf seinem Hals und begreife, dass dieser Schatten ein gutes Versteck für meinen Blick ist. Ein viel zu gutes Versteck, so gut, dass meine Augen auf seinem Hals verharren und wie verzaubert sind. Dann spüre ich einen sanften, spielenden Hauch von Aftershave und weiß, dass es nur die frischen weißen Blüten des jungen Apfelbaums sind, der direkt am offenen Fenster wächst und sich bemüht, meinen Blick zu gewinnen, den Blick, der immer noch fasziniert der Gegenseite Streicheleinheiten schenkt. Ich wundere mich, warum man das Gerichtsgebäude so mitten in der Natur gebaut hat, und ich bin so unsagbar froh darüber, dass ich ein stilles Lächeln an den Tisch gegenüber schicke, damit es die Arbeit meines Blickes übernimmt. Und es begleitet meinen Blick- und einen weiteren kleinen Sonnenstrahl, der auf dem seinem Tisch landet und die Bücher in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, von dem niemand außer mir weiß. Der Sonnenstrahl führt meinen Blick auf seine Hände, die Finger der einen umklammern den Kugelschreiber, die andere liegt ruhig auf dem Tisch, und ich wollte, meine Hände wären genauso ruhig wie seine. Und dann wünsche ich mir noch etwas anderes, etwas was meine Gedanken nicht formulieren können- sie trauen sich nicht. Ich frage mich ob er Klavier spielt, so wie ich, und dann glaube ich auch, die Melodie zu hören, die unter seinen langen Fingern hervorfliegen und sanft mein Ohr berühren könnte, wie ein Schmetterling. Aber ich weiß, dass es nur Fantasie ist, und ich möchte, dass sie ewig andauert. Er steht auf, und ich erhebe meinen Blick und erkenne eine große, durchtrainierte Statur, die nicht einmal die schwarze Robe verbergen kann, und mir wird bewusst, welchen hilflosen, schutzsuchenden Eindruck ich neben ihm machen würde, und dann muss ich lächeln, denn seine Stimme klingt so, als könnte er jemanden beschützen- aber ich bin es nicht, denn in diesem Augenblick brauche ich Schutz vor ihm. Ich sehe ihn immer noch an, und weiß, dass ich verlieren werde, und ich freue mich darauf, denn wenn ich verliere, wird es wahrscheinlich Berufung geben, und ich werde wieder an diesem Tisch sitzen und die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Haar beobachten. Und mich wieder wundern, dass meine Träume sich im Gerichtssaal neiderlassen. Und dass sich meine Träume mit ihm verbinden. Wenn sie das tun werden. Aber das ist so sicher wie das faire Urteil der Justitia...

 

Hallo Lady Miracle,

zunächst mal ein herzliches Willkommen von mir :)

Ich bin etwas zwiespältig, was deine Geschichte angeht. Zum einen ist die Tatsache, dass unsere Blicke und Gedanken sich oft vom eigentlichen Geschehen verabschieden, natürlich bekannt und ich fand es nett, sie in Form deiner Geschichte wiederzufinden. Andererseits hab ich mich gefragt, ob man gerade in der Situation, in der deine Prot ist, wirklich an solche Sachen denkt? Wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, steht sie ja als Angeklagte offenbar kurz vor einer Verurteilung. Realistischer hätte ich gefunden, wenn sie zwischen ihren Ängsten vor der Strafe und ihrem Hingezogensein zum Richter tatsächlich hin- und hergerissen wäre. Die Perspektive ist übrigens wirklich eine ungewöhnliche Idee :thumbsup: Nett wäre gewesen, wenn du in der Überschrift nicht gleich verraten hättest, wo die Geschichte spielt, so dass ich als Leser erst nach und nach dahinter gekommen wäre, dass es während einer Verhandlung ist.

Noch was: Die Geschichte ist zwar nur kurz, aber ich glaube trotzdem, dass der ein oder andere Absatz das Lesen erleichtern würde. Einen Fehler hab ich noch gefunden:

Ich verlasse den rauschenden grünen Baum draußen vor dem Fenster und setze meine Erkundungsreise auf seinem Gesicht fort- die helle Haut an der Wange und das perfekt rasierte Kinn.

So negativ wie das alles jetzt klingt ist es übrigens gar nicht gemeint, das sind nur die Gedanken die mir beim Lesen gekommen sind ;) Ich hoffe, du kannst was mit anfangen.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hello LadyMiracle,

ein nettes Stimmunsbild, das erklären kann, weshalb so viele Verurteilte ihre Urteile nicht verstehen und sich für unschuldig halten ;-)

Allerdings ist der Schluss arg unrealistisch und Deine Protagonistin wird vermutlich niemals auf ihre Kosten kommen. Denn die Berufungsverhandlung findet nicht vor demselben Richter statt, das macht dann ein anderer, eine andere oder, noch wahrscheinlicher, gleich mehrere Richter.

Juschi hat recht - der Titel verrät zuviel.

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo Lady Miracle,

und herzlich willkommen bei uns.
Wahrscheinlich wirst du mich für einen völlig unromatischen Wortklauber ohne Sinn für poetische Bilder halten, aber bei deiner Geschichte sind mir leider eine Reihe an Formulierungen aufgefallen, die entweder gar nichts ausdrücken oder etwas, was du sicher nicht ausdrücken wolltest. Gerade bei der Verwendung von Bildern ist die Sprache voller Fallstricke und leider bist du über einige davon gestolpert. Versuche meine Kritik noch ein zweites Mal zu lesen, wenn der erste Ärger verflogen ist. Es geht mir nicht darum, mich über deine Bilder lustig zu machen, indem ich sie zu wärtlich nehme, sondern darum, dass Bilder eben so wörtlich genommen werden müssen, wenn sie gehalt- und sinnvoll sein sollen.

Ich verlasse den rauschenden grünen Baum draußen vor dem Fenster und setze meine Erkundungsreise auf seinem Gesicht fort-
Ich nehme an, mit "ich" ist in diesem Fall der Blick der Prot gemeint. Der hat ja aber gar nicht auf dem Baum geruht, sondern auf dem Haar. Er verlässt also etwas, wo er nie angekommen ist.
Außerdem dachte ich bei der Formulierung, die Geschichte wäre aus der Perspektive eines Vogels geschrieben. ;)
Der ständige Perspektivwechsel stört. Entweder es belibt beim Blick oder beim "Ich" Beim zweiteren geht man aber nciht über das Gesicht eines Menschen, um es zu erkunden (es sei denn, man ist ein Vogel oder ein Insekt)
Ebenfalls blasse, aber unglaublich sinnliche Lippen, die bedauernswerterweise meist Anklageschriften von sich geben.
Auch diese Formulierung ist unpräzise. Die Lippen verlesen die Anklageschriften. Wenn sie sie von sich geben, spucken sie einen Stapel Papier aus.
aber ich weiß, dass es nur die Sonne ist, die am `feindlichen´, aber jetzt so interessanten für mich Tisch vorbeischeint und auf den Verteidigertisch fällt.
- aber jetzt für mich so interessanten
- scheint die Sonne wirklich an dem einen Tisch vorbei, um dann auf den anderen zu fallen? Fallen nicht eher die Sonnenstrahlen auf den Tisch? Und fallen die nicht genauso auch auf den "Feindlichen" Tisch? Wenn sie vorbeifallen würden, wäre der eine Tisch im Dunklen und der andere im Licht. Wolltest du das ausdrücken?
Und als nächstes betrachte ich den Schatten seines Gesichts auf seinem Hals und begreife, dass dieser Schatten ein gutes Versteck für meinen Blick ist. Ein viel zu gutes Versteck, so gut, dass meine Augen auf seinem Hals verharren und wie verzaubert sind.
Bilder zu schaffen ist wirklich schwer. In diesem versteckt sich ein Blick. Wie stelle ic hmir das physikalisch vor? Vermutlich wolltest du beschreiben, dass sich der Mann weniger auffällig angestarrt fühlen würde, wenn sie ihm nicht direkt ins Gesicht, sondern auf den Schatten am Hals schaut. Ein Blick ist aber niemals selbst aktiv. Er wird bewegt.
Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass du wirklich ausdrücken wolltest, ihre Augen verharrten auf seinem Hals. Das kann wiederum nur der Blick. Die Augen müssten sich dazu ja aus ihren Höhlen im Kopf bewegen.
Dann spüre ich einen sanften, spielenden Hauch von Aftershave
wie spielt ein Hauch von Aftershave?
dass es nur die frischen weißen Blüten des jungen Apfelbaums sind,
Wenn ein Apfelbaum in voller Böüte steht, erscheint er auch fast weiß. Das Adjektiv Grün für en Baum am Anfang solltest du also ändern (oder besser: einfach streichen)
Ich wundere mich, warum man das Gerichtsgebäude so mitten in der Natur gebaut hat,
mitten in die Natur
dass ich ein stilles Lächeln an den Tisch gegenüber schicke, damit es die Arbeit meines Blickes übernimmt.
auch hier bedard ich einer Erläuterung. Wie übermimmt ein Lächeln die Arbeit eines Blickes? Welche Arbeit ist das? Kann das Lächeln sehen?
dass meine Träume sich im Gerichtssaal neiderlassen. Und dass sich meine Träume mit ihm verbinden.
- niederlassen und sich mit ihm verbinden (klänge weniger holprig mE)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo, Leutz!
Also, ich glaube, ich muss da wirklich noch einige Erklaerungen vornehmen. Und zwar ist meine Protagonistin nicht die Angeklagte, sondern die Verteidigerin (was aber zugegebenermassen etwas schwer zu erkennen ist. Allerdings koennte man bei genauem Lesen deutlich erkennen, dass der Mann, den sie 'anschmachtet', keineswegs der Richter, sondern der Staatsanwalt ist- das laesst sich z.B. schon an dem Satz 'Lippen, die bedauernswerterweise meist Anklageschriften von sich geben' erkennen, denn wann gibt schon ein Richter Anklageschriften von sich?.. Und dann muesste man noch in Erwaegung ziehen, dass ich die Sonne beschreibe, die an dem 'feindlichen' Tisch vorbeischaut und auf den Verteidigertisch fehlt. Wenn man sich dann noch den Aufbau eines Gerichtssaals in Erinnerung ruft, wird man verstehen, dass die Sonne keinesfalls am Richtertisch vorbei auf den Verteidigertisch fallen kann- dann muesste sie ja 'um die Ecke' biegen...;-)
Ansonten sind meine Geschichten (und nicht nur diese eine) aus der 'nichtrealistischen' Sicht zu geniessen. Und wenn man diese Absatz fuer Absatz druchgeht, so macht das Lesen (mir jedenfalls) keinen Spass mehr...
Aber aus eurer Kritik werde ich natuerlich Kosequenzen ziehen und meine Geschichten und Zukunft vielleicht etwas einfacher formulieren!

 

Stelle dir vor, Lady Miracle,

es soll Menschen geben, die noch nie einen Gerichtssaal von innen gesehen haben und auch bei den entsprechenden Shows, die nachmittags im Fernsehen laufen nicht zuschauen. Wieso sollte also jeder Mensch sich einen Gerichtssaal vorstellen können oder wissen, ob es der Richter oder der Staatsanwalt ist, der die Ankageschrift verliest?

Die Gesamtheit auch der nichtrealistischen Sicht entsteht aus dem Absatz für Absatz. Wenn du ein Bild malst, sind es immer die Details, die aus dem Ganzen ein Kunstwerk machen, selbst bei surrealen Bildern. Und wenn ein Satz in sich Blödsinn ist, dann bleibt er auch dann Blödsinn, wenn die Gesamtheit unrealistisch sein soll.

Vielleicht probierst du einfach mal die Hinweise aus und überprüfst, ob die Gesamtheit dann nicht auch besser wird. (Musst es dann ja auch nicht verraten)

Lieben Gruß, sim

 

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