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FrühlingsTage

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18.02.2009
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FrühlingsTage

Meine Augen sind so furchtbar verquollen, dass sie schmerzen.
Ich hasse das Frühjahr, nun ja, zumindest hasse ich den Pollenflug. Auch nach vierzehn Jahren Allergie habe ich mich an das Halb-Krank-Gefühl nicht gewöhnt, das mich dann für mehrere Wochen beutelt, bis ich mich schließlich selbst wie eins meiner vollgerotzten Taschentücher fühle.
„Bakterienmutterschiffe“ nennt Nats, mein Bruder, sie, obwohl ich ja kaum ansteckend sein dürfte, und beschwert sich mit angeekeltem Gesicht, wenn ich vergesse, das eine oder andere Dutzend davon zu entsorgen.
Meine Nase ist ein geröteter Knorpel mitten im Gesicht, an den Rändern wundgescheuert, weil sich der Samtweicheffekt, mit dem der Papiertaschentuchhersteller wirbt, spätestens nach dem fünften Brachialschnauben verflüchtigt hat.
Mein Rachen juckt ganz tief im Innern, ein so heftiges Kribbeln als hätte ich Ameisen zerkaut und geschluckt, an gewöhnliches Kratzen ist natürlich nicht zu denken. Wie denn auch, meine Finger sind kaum lang genug und mit der Zahnbürste tut es höchstens weh. Von Zeit zu Zeit stoße ich ein gutturales Röcheln aus, eine Mischung aus Bellen und Krächzen, das den Schlund sozusagen von innen her kratzt.
„A-li-ce!“ tönt meine Familie dann genervt im Chor. Klar, kein Problem für sie, meinen Geräuschkanon unangenehm zu finden, sie sind vom Heuschnupfen bisher Jahr für Jahr verschont geblieben.
Alice bin dann übrigens ich, mit hörbarem „e“ am Ende, darauf haben meine Eltern aus nur ihnen bekannten Gründen je her bestanden. Alice mit e und Nathanael mit t-h. Kann man solchen Erzeugern glauben, dass sie schon immer nur das Beste für einen wollten?
Freunde nennen mich Alli, das coolere Äliß konnte ich nicht durchsetzen, denn als ich das erste Mal dieser Sprechart meines Namens begegnete, kam ich etwa 12 Jahre zu spät. Shit happens.
Es hätte dann wahrscheinlich auch für mich lustigere Orte für das berühmte erste Mal gegeben, als den umjubelten Rosengarten, an dem sich tagsüber Lustwandler auf die Füße treten, abends angesagte Cliquen Bierflaschen klirren lassen und nachts der Mond großzügige Silberschleier wirft. In der Romantik genau diesen Lichts wurde ich entjungfert, eine halbe Stunde vor Anbruch des dreiundzwanzigsten Märzes. Der Akt war relativ unspektakulär, Martin und ich hatten uns ja auch schon ein bisschen vorgetastet, Küsschen links, Küsschen rechts, Zungenstoß, Drehung hin und her, dann die ersten Brustquetscher („Au!!! Die sind empfindlich, Mann!“), die Entdeckung meines Bauchnabelpiercings bzw. seines ulkigen Haarwuchses vom Nabel abwärts und schließlich die tieferen Etagen.
Ich hatte ihn schon einige Male in der Hand gehalten, bisschen feucht, bisschen rutschig, nass, warm, haarig. Damals dachte ich mir noch, dass es wohl dauern musste, mit der Begeisterung für diese Körperstellen, aber andersherum nahm ich auch nicht an, dass es für ihn angenehmer sein mochte, mich zu berühren. Als es dann soweit war, war ich nicht vom Mondlicht trunken, sondern von dem Erdbeerlimes, den Martin mitgebracht hatte. Schmerzen hatte ich nicht und ob ich blutete, konnte ich im Finstern nicht feststellen. Gedauert hat es ungefähr drei „Der Mond ist aufgegangen“ lang, das mussten wir in der siebten Klasse auswendig lernen und ich kann’s immer noch.
Dann rollte Martin sich mit einem glücklichen Grunzen von mir und ich konnte endlich meinen linken Arm von dem Kieselstein heben, der sich während des Aktes hartnäckig dort ins Fleisch gedrückt hatte.
Das liegt jetzt zwei Monate zurück. Martin geht immer noch mit mir, aber im Moment macht er seinen Rollerführerschein und hat nicht grade viel Zeit.
Und ich bin ja augenblicklich auch nicht die Schönste im Lande, jetzt, wo draußen noch alles blüht und treibt.
Meine Augen sind so furchtbar verquollen, dass sie schmerzen.
Mein Hals ist wund, mein ganzer Körper fühlt sich müde, leer und schlapp an.
Der Strich im Testfeld ist rosa.
Die Tränen brennen unter den entzündeten Lidern.

 

Hi Nikita,

ist durchaus geschickt, wie du hier den Heuschnupfen mit der möglichen Schwangerschaft verknüpfst, auch wenn ich mich natürlich anfangs fragte, wie du über die Allergie zur Defloration kommst und welcher Zusammenhang da bestünde.

Dann rollte Martin sich mit einem glücklichen Grunzen von mir herunter
"herunter" ist im Grunde redundant, da es schon in "von mir" steckt. Vor allem vermeidest du, wenn du es weglässt, die Unsicherheit, ob es nun herunter oder nicht eigentlich hinunter heißen müsste. Herunter da müsste er dem "her" nach ja gleichzeitig auf sie rollen. ;)

Lieben Gruß
sim

 

Hallo und vielen Dank für die Kritiken!

Ja, wie ich auf den Akt der Akte kam...ich weiss es nicht :-), die Geschichten schreiben sich bei mir irgendwie selber wie sie wollen.

Frohe Ostern *nies*

 

Frohe Ostern NikitaF,

kleine, feine Geschichte. Schön zu lesen, amüsant geschrieben. Ich hatte jedenfalls meine Freude an Deinem Text. Das Ende, ja dass passt so in ihr "leidiges" Leben hinein, was sonst hätte eigentlich passieren sollen.

„Bakterienmutterschiffe“ nenn Nats, mein Bruder,

nennt

Meine Nase ist ein geröteter Knorpel mitten im Gesicht, an den Rändern wundgescheuert, weil sich der Samtweicheffekt, ... spätestens nach dem fünften Brachialschnauben überlebt hat.

Mich irritiert das "überlebt". Überlebt heißt für mich, es gibt ihn noch, verstehe den Satz eher im Sinne von abgelebt. Oder hat er sich selbst überlebt :confused:
Abgesehen davon, würde ich bereits nach dem zweiten Brachialschnauben das Taschentuch zu den anderen Mutterschiffen gesellen und ein Neues nehmen, was mir trotzdem nicht die rote Nase ersparen würde.

... die Entdeckung meines Bauchnabelpiercings bzw. seines ulkigen Haarwuchses vom Nabel abwärts und die schließlich die tieferen Etagen.

So ein schöner Satz, und dann stoße ich mich an den "tieferen Etagen", irgendwie wollen die für mich nicht ins sprachliche Gesamtbild, wo Du doch eine großartige "Wortzauberin" bist.

An der Stelle finde ich es übrigens sehr schön, dass Du erst den Rosengarten seiner Romantik beraubst und dann auch den ersten Akt als solchen.

Als es dann soweit war, war ich nicht vom Mondlicht trunken, ...

Gedauert hat es ungefähr drei „Der Mond ist aufgegangen“

:), doch so schön ja :)

... und ich konnte endlich meinen linken Arm von dem Kieselstein heben, der sich während des Aktes hartnäckig dort ins Fleisch gedrückt hatte.

:D

Da erzählt uns die Prot, wie sie leidet, wie sie fertig gemacht wird, von den Pollen, die im Flug auf sie stürzen, und dann mal eben, ganz kurz nebenbei, dass sie nun schwanger ist, jung schwanger. Doppeltes Pech. Bei ihr schlägt einfach alles an, aber es macht ja auch Sinn, erst kommt der Blütenstaub und nach ein paar Monaten die Ernte :sealed: upps.

Gern gelesen. Lieben Dank.
Beste Grüße Fliege

 

Fliege, du hast mir gerade ein so wunderbares Kompliment gemacht, dass ich richtig ge- und berührt bin:

wo Du doch eine großartige "Wortzauberin" bist.

Danke!!!

 

Hej nikita,

vor allem den beiläufige Ton mag ich, die sichere Sprache, in der Du die Geschichte schreibst.

Dass die Beschreibung des Heuschnupfens die eine und das erste Mal die andere Hälfte der Geschichte bildet, gefällt mir nicht so gut.
Vielleicht mit ein Grund, warum ich mich mit dem Satz: "Der Strich im Testfeld ist rosa." ein wenig schwer tue. Aber ich gebe zu, solche Überraschungen ganz am Ende sind auch nicht mein Ding.

denn als ich das erste Mal dieser Sprechart meines Namens begegnete, kam ich etwa 12 Jahre zu spät.
Das finde ich komisch formuliert. Ich würde deutlicher beschreiben: Als ich versuchte, die Sprechart meines Namens…war ich schon zwölf Jahre alt und alle hatten sich an Alice mit "e" gewöhnt - oder so ähnlich.

meines Bauchnabelpiercings bzw. seines ulkigen Haarwuchses
Würde ich in einer Geschichte nicht benutzen, so 'ne Abkürzung.

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Nikita,

Deine Geschichte hat mir - selbst heuschnupfengeplagt - sehr gut gefallen.
Die leichte Erzählsprache hat mir großen Spass gemacht.

Aber am besten fand ich:

Kann man solchen Erzeugern glauben, dass sie schon immer nur das Beste für einen wollten?

Sehr treffend, da regt sich als Elternteil doch gleich das schlechte Gewissen und man denkt über das eigene "Beste" nach, das man für sein Kind will.

Gerne gelesen.

LG
Giraffe :)

 

Hallo und Danke euch!

Ich bin übrigens grade selbst so heftig am Schniefen und Schneufen, dass es einfach Eingang in eine Kg finden MUSSTE :-)

(Aber schwanger bin ich zum Glück nicht...)

@Ane: Hm, wie weiter oben erwähnt,hat sich die Story einfach in diese Richtung gewandelt.
Ich finde den von dir angesprochenen Satz, so wie er ist, ok - dein Vorschlag klingt mir zu umständlich und nicht "leicht" genug....ebenso wie das "bzw.".


Grüße!

 

@Giraffe: Übrigens finde ich Nathanel einen wunderschönen Namen, ganz im Ernst!!!;)
Die Erzeuger würde ich dafür nicht rügen, das Alicé dagegen....

 

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