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Frühlingsgefühle
Seit ich stolzer Mieter einer Wohnung mit Balkon bin, pflege ich regelmäßig im Frühjahr meine Pflanzkästen mit geeigneten Blumen zu bestücken. In den letzten Jahren habe ich dies relativ lieblos erledigt und mich in den Monaten nach dem Schöpfungsakt nicht weiter um die mir anvertrauten Pflanzen gekümmert. Bis auf die gelegentliche Zufuhr von etwas Wasser hatte ich keine zusätzlichen Aktivitäten zur Erhaltung der Flora auf meinem Balkon verschwendet.
Im letzten Jahr hat sich dies allerdings geändert, da ich einen neuen Nachbar bekommen habe. Meine bisherigen Nachbarn in der Wohnung neben mir, und davon habe ich bereits zwei erlebt, hatten entweder gar keine Pflanzen oder nur einen kümmerlichen Kasten, der jedoch eher als Aschenbecher verwendet wurde, und daher den eingegrabenen Pflanzen nur wenig Lebensraum übrig ließ.
Nicht so der neue Mieter an meiner Seite. Kaum hatte ich im letzten Frühjahr meine drei Kästen mit den üblichen Geranien befüllt, konnte ich zwei Tage später auf dem Nachbarbalkon sechs moderne Blumenkästen mit exquisiten Pflanzen der nördlichen Hemisphäre erblicken. Dazu wurde noch eine wohnliche Atmosphäre mittels kleiner und größerer Dekorationsartikel geschaffen.
Selbstverständlich konnte ich diese Herausforderung nicht auf mir sitzen lassen. Bereits am darauf folgenden Wochenende bin ich in das nächste Gartencenter gefahren und habe zwei zusätzliche Pflanzenkästen, einige weitere Geranien und Petunien sowie ein Windrad, eine Sonnenuhr, zwei kitschige Steinfiguren und eine Solarleuchte Modell „Osaka“ erworben. Mit viel Mühe und Liebe zum Detail verteilte ich die Beute gerecht auf meinem Balkon und fühlte mich meinem Herausforderer ebenbürtig. Allerdings musste ich bereits zwei Wochen später feststellen, das meine Pflanzen den Eindruck machten, als wären sie aus Tschernobyl importiert worden. Einige Blätter waren bereits braun, ein Teil der Blüten bereits verdorrt und das ganze Ensemble sah eher kümmerlich aus. Währenddessen hat sich die Blütenpracht auf dem Nachbarbalkon in ein Meer aus Farben verwandelt. In den ganzen Frühlings- Sommer- und Herbstmonaten musste ich diesen enormen Unterschied mit ansehen.
Eine vergleichbare Blamage sollte mir in diesem Jahr erspart bleiben. Folglich fuhr ich auch nicht in ein profanes Gartencenter sondern suchte eine in der Nähe gelegene Gärtnerei auf. Hier, so war ich mir sicher, würde ich professionelle Hilfe und eine hervorragende Qualität an besonders ausgefallenen und spektakulären Pflanzen bekommen. Ich betrat das Geschäft und wendete mich umgehend an eine der anwesenden Verkäuferinnen. Nachdem ich mich zuerst von Ihrer Fachkompetenz überzeugt hatte, erzählte ich kurz von der örtlichen Gegebenheiten der zu verschönernden Balkonbrüstung. Nebenbei erwähnte ich auch kurz die Fehde mit meinem Nachbar, die Notwendigkeit den Wettstreit in diesem Jahr zu meinen Gunsten zu gewinnen und den Umstand das ich hierfür auch bereit wäre, ähnlich dem amerikanischen Verteidigungsetat, meine finanziellen Möglichkeit schamlos zu überziehen. Offenbar hatte ich ein wenig zu viel von meiner persönlichen Lebenssituation Preis gegeben, den die freundliche Dame hielt ab sofort einen Sicherheitsabstand von zwei Metern zu mir und delegierte mich an eine junge Mitarbeiterin, offenbar im ersten Lehrjahr, mit den Worten. „Pflanzen für einen Westbalkon“.
Eigentlich hatte ich schon etwas mehr Enthusiasmus von dem Pflanzen Dealer meiner Wahl erwartet, aber da ich schon mal da war, wollte ich auch keinen Rückzieher mehr machen. Das junge Mädchen bemühte sich sichtlich mir eine Auswahl geeigneter Pflanzen anzubieten. Ich beschloss mich blind dem Geschmack der Verkäuferin anzuvertrauen und stimmte einfach allen Vorschlägen bedenkenlos zu. Mit drei Plastikpaletten voller Pflanzen, zwei Säcken Spezialerde, einer Flasche Wunderdünger, einer zusätzlichen Flasche Guano, dem „Handbuch für den begeisterten Hobbygärtner“, sechs neuen Original Terracotta Pflanzschalen mit passenden Balkonhaltern, sowie der im Sonderangebot befindlichen Dekofigur „Gerold der Gockel“ verließ ich das Geschäft. Außerdem hatte mir die Verkäuferin noch ein paar kostenlosen Ratschläge und Tipps mit auf den Weg gegeben.
Zu Hause angekommen macht ich mich sofort daran, meinen Balkon für die diesjährige Saison aufzurüsten. Ich überzeugte mich, das mein Nachbar tatsächlich in der Arbeit war. „Der soll sich wundern, wenn er heute nach Hause kommt“ Umgehend bepflanzte ich alle Kästen und hielt mich dabei strikt an die Anweisungen der Gärtnerin. Die Pflanzen, was auch immer für eine Sorte das sein mag, erstrahlten in wunderschönen Farben. „Der wird Augen machen“. Ich holte alle über den Winter im Keller verstauten Zubehörartikel wieder hervor, und platzierte das Windrad, die Sonnenuhr, die Steinfiguren und die Solarleuchte. „Der wird vor Neid erblassen“. Zum Schluss suchte ich mir noch einen möglichst auffälligen Platz in unmittelbarer Nähe zum Grenzbereich des benachbarten Balkons und platziert dort „Gerold den Gockel“ in provokativer Körperhaltung. "Das wird mir den endgültigen Sieg einbringen". Nach eineinhalb Stunden Arbeit war ich mit dem Ergebnis meiner Bemühungen mehr als zufrieden und konnte nur noch Bedauern und Mitleid für den ungeschmückten Außenbereich der Nachbarwohnung aufbringen. In diesem Jahr würde ich meinem Nachbar mitleidige Blicke zuwerfen können.
Drei Tage später klingelte es und eben jener Hausbewohner stand vor der Tür. Ich war bereit seine bedingungslose Kapitulation anzunehmen und mich von ihm als König der Balkondekorateure feiern zu lassen. Er erwähnte jedoch meine Bemühungen mit keinem Wort sondern wollte mir nur mitteilen, das er nächste Woche auszieht, da er beruflich versetzt wurde. So ein Spielverderber!