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Frühling
Der Frühling des Jahres 1995
...war ein ganz besonderer Frühling. Er veränderte alles, er veränderte mich, mein Leben und meine Geschichte.
Eigentlich begann es ganz harmlos. Wie jeden Morgen fuhr ich mit dem Rad zur Arbeit. Ich arbeitete in einem kleinen Tante-Emma-Laden. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, stand er plötzlich vor mir.
Es war irgendwie unheimlich, wie dieser Mann mir in die Augen starrte, es fiel mir dennoch schwer, meinen Blick von ihm zu lösen. Erstaunlicherweise hatte ich keine Angst, obwohl die vielen Geschichten in meinem Kopf herumspukten. Wir waren mit ihnen groß geworden.
Viele Mädchen waren verschwunden. Wohin sie gegangen waren wusste keiner. Meine Großeltern erzählten immer von einem jungen Gott, der den jungen Frauen den Kopf verdrehte.
Ja, unsere Gemeinde war anders. Seit jeher glaubten die Menschen an Götter und verehrten jeden für seine Gaben, die uns durch unser Leben begleiteten.
Die Begegnung dauerte nur wenige Minuten, oder vielleicht waren es nur Sekunden? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Auch wusste ich nichts mehr von diesem Mann, nur, dass ich seine stahlblauen Augen niemals vergessen würde.
Einen Tag später war der Winter vorbei, die Sonne schien als hätte sie nie etwas anderes getan. Überall begann es zu blühen. Meine Glücksgefühle hielten an. Die ganze darauffolgende Woche war ich wie im Rausch, dabei wusste ich nicht einmal, ob diese Begegnung echt war oder nur ein Traum.
Nach genau sieben Tagen radelte ich abends von der Arbeit nach Hause. Ich kam an einem kleinen Waldstück vorbei in dem jede Menge exotische Vögel lebten. Plötzlich knallte es laut, ein Vogelschwarm flatterte aufgeregt in den Himmel. Ich selbst hatte mich so erschreckt dass ich vom Fahrrad fiel. Ich spürte einen dumpfen Schlag, mein Kopf fühlte sich an, als würde er explodieren, dann wurde es dunkel.
Als es um mich herum wieder hell wurde, hatte sich der Ort verändert. Schon bevor ich meine Augen aufschlug merkte ich, dass jemand neben mir saß.
Den Kopf zu drehen fiel mir schwer. Er brummte entsetzlich. Meine Neugierde und meine Angst ließen nicht zu, dass ich wieder wegschlummerte.
Die Person neben mir merkte, wie ich langsam wieder zu mir kam. Sie wischte mir mit einem feuchten Tuch über die Stirn. Als die Finger meine Haut berührten, kam es mir vor, als könnte ich das Knistern förmlich spüren.
Etwas lag in der Luft. Noch nie hatte ich so empfunden! Als ich ihn erblickte, war es um mich geschehen. Es waren die gleichen Augen, die mir eine Woche zuvor tief in meine Seele geblickt hatten. Am liebsten hätte ich ihm augenblicklich die Kleider vom Leib gerissen. Was war nur los mit mir?
Wir sprachen kein Wort, sahen uns nur an. Als ich merkte, dass ich seine Hand festgehalten hatte, spürte ich das Blut in meinen Kopf steigen. Seinem wachen Blick entging das nicht. Langsam strich er mit seinen Fingerspitzen an meiner Wange entlang, bis hinunter zu meinem Halsansatz. Seine Berührungen brachten mich in Wallungen. Doch bevor es zu mehr kommen konnte ging die Tür auf. Erst jetzt bemerkte ich etwas um mich herum. Ich war in einer kleinen Hütte. Durch das Fenster strahlte die Sonne, die spärlichen Möbel sahen alt aus.
Es war nur ein Hund, der sich durch die angelehnte Tür gedrückt hatte.
Der Mann zog mich zu sich nach oben. All meine Bedenken und all meine Sorgen waren wie weggeblasen. In stiller Umarmung verharrten wir eine kurze Weile, bis er zur Tür deutete.
Hand in Hand gingen wir nach draußen. Der Frühling hatte hier seine volle Pracht entfaltet. Der Augenblick war pure Magie. Eine seltsame Aura umgab ihn, von der ich mich nicht lösen konnte.
Seine starken Arme hielten mich, ich kam mir vor als wäre ich die einzige Frau auf Erden. Er begehrte mich, ich begehrte ihn. Nichts und Niemand hätte mich in diesem Moment von diesem Mann lösen können.
Meine Hände verselbständigten sich, ich konnte es nicht aufhalten und ich wollte es auch nicht. Sein Geruch, sein Geschmack vermischte sich mit den Gerüchen des Waldes, den Geschmäckern der süßen Luft. Das Gras prickelte auf meiner Haut, seine Lippen berührten meine auf eine Art, die mir den Atem nahm. Ich war ihm hoffnungslos ergeben.
Meine Erfahrungen mit Männern beschränkten sich auf hilflose Küsse. In meinen kühnsten Träumen hatte ich nicht erwartet, was in diesem Augenblick mit uns passierte.
Die Welt schien stillzustehen, alles um mich herum gefror, nur wir beide waren noch. Wir waren eins mit der Natur. Wellen der Erregung erfassten meinen Körper. Allein die Vorahnung seiner Berührung brachte mich um den Verstand.
An diesem warmen Frühlingstag liebte ich den Mann meiner Träume auf einer Lichtung im Wald.
Heute weiß ich, warum alles so kam und ich werde es niemals vergessen. Mein Leben liegt nun bald hinter mir, aber jedes Jahr, wenn der Frühling beginnt, denke ich mit Freuden an diesen Tag zurück. Er zeigte mir, was Liebe ist, durch ihn begriff ich, was es bedeutete zu Leben.
Ich habe nie eine Einzelheit vergessen und auch nach so langer Zeit weine ich mich noch in den Schlaf, jedoch nicht aus Trauer, ihn verloren zu haben, sondern aus Freude dieses, wunderbare Geschenk von ihm erhalten zu haben. Er hat mein Herz erfüllt, er hat mich lebendig gemacht.
Wie ich wieder nach Hause kam, weiß ich noch immer nicht, ob ich vielleicht alles nur geträumt habe? Das werde ich nie beantworten können.
Nach diesem Tag verließ ich unsere Gemeinde und suchte mein Glück in der Fremde. Niemals wieder fand ich dieses Gefühl das er mir gegeben hatte, aber nun verstand ich, wieso die vielen Mädchen gegangen waren.
Meine Großeltern hatten Recht behalten. Ein Gott war in Gestalt eines Mannes zu uns gekommen, um uns in Versuchung zu führen.