Was ist neu

Fräulein Wunschs Asyl der gramen Seelen

Mitglied
Beitritt
23.08.2013
Beiträge
176
Zuletzt bearbeitet:

Fräulein Wunschs Asyl der gramen Seelen

Früher hatte Fräulein Wunsch es mit Gott. Später eröffnete Fräulein Wunsch ein Gasthaus, in dem sie heute Minuten in langen Zügen serviert und hastig Brombeerschnaps. Der Kapitän-Direktor führt mich dahin und sagt, es sei ein Stift der Ruinierten, wo sich obendrein ganz prächtig der Bart wärmen ließe.
Draußen am Kai, wo ich zur Entspannung dann und wann das Treibgut inspiziere, ist mir dieser Mann begegnet. Im Qualm der Zigaretten und beduselt von der frischen Luft erwerbe ich von ihm drei Geschichten ohne glückliches Ende.
Heute ist die Woche an ihrem letzten Tag angelangt, und wo manch einer sich die Morgenstunden im Park mit Entenfüttern vertreibt, mache ich mich auf den Weg.
Wir gehen durch dösige Felder am Rande einer Stadt, die vor Zukunft zerbröselt und bald nicht mehr sein wird. Hochstrommaste krallen einander an den beißenden Tentakeln, zu einer blinden Lichterkette auf Jahrzehnte vereint. Am Horizont ragen Schlote mit eingefrorenen Pilzen aus Dampf in den Himmel.
Am Ausläufer der Fichten, unweit eines morschen Jägersitzes, krüppelt ein Häuschen vor sich hin. Aus Beton und Verzweiflung zusammengezimmert, macht es mit zugemauerten Fenstern Front gegen die Zeit.
Der Kapitän-Direktor hüstelt in den Verschlag, die Tür fällt stumm zurück und wir treten hinein.
Das Dunkel erbricht sich mit dem Mief des Zerfalls in unsere Gesichter, ein würdiges Willkommen in das Asyl der gramen Seelen. Wir tasten uns durch das Gerümpel des Vorraums, stolpern über Rollstühle und nackte Puppen, gleich flackern um die Ecke die Kerzen irre.
“Willkommen, willkommen“, raunt Fräulein Wunsch mit einem Lächeln aus Zucker, “ich lasse die Uhr dann mal laufen“, und zieht uns an den Säumen der Mäntel hinein.
Das Gesicht einer Kamee hat das Fräulein, märzjung eingefroren, nicht von einer wegwischbaren Hübschheit, bloß Schatten und Spitzen. Wir folgen.
In der Mitte des Raumes, wo es hoch ist und dunkel, hat die Gastgeberin für uns reserviert. Sie schenkt uns saphirfarbenen Schnaps ein in schnarrende Tassen, die nach Erde der Kriegsgräben schmecken, und nach blutigen Zeiten. Der Kapitän-Direktor hat sich schon umgeschaut und ist vergnügt. Er streichelt das Wucherkraut in seinem Gesicht zurecht: “Bitte schön, das Elend wie bestellt. Nur dass Sie wissen, hier haben die Kerzen kein Ende.“
In einem Erker sehe ich alte Männer, über den Tisch gebeugt, fahrig tuscheln; sie rammen sich die Stirne zu Funken und wirren ihre Bärte zu einem zornigen Knäuel.
“Schuld ohne Sühne“, erklärt mein Begleiter großzügig, als sei sie seinen Lenden entsprungen, “für sie hält das liebe Fräulein das feinste Plätzchen bereit.“
Ich lausche gierig, bezahlt ist bezahlt, und dann knallt auch der Schnaps wie die Sonne.
Der Kapitän-Direktor macht es sich gemütlich, knöpft seinen Mantel auf und entwindet den Schal. Schnittig ist mein Fremdenführer gekleidet in braunen Je´taime Cord, und seine Worte sind auch in samtene Heiserkeit getunkt, die einen auf Sänften bettet.
“Das Herrchen da, zum Beispiel, ein gewisser Anton Maus, ehemals Bürokrat von Beruf“, der Kapitän-Direktor geniert sich nicht, deutet mit dem Finger auf einen Alten mit schwarzen Augen, “der hat seinen Jungen auf dem Gewissen.“
Ich trinke bedächtig, jetzt zeigt´s sich, was der Handel taugt.
Jetzt lehnt sich mein Händler nach vorne, knackt mit den Händen; sieh her, das ist meine Ware, was hältst du davon: „Die Motive von Herrn Maus waren recht ordinär. Sie verstehen, ein junges Mädchen von gerade mal zwanzig Jahren, dann noch Karriere plus Nerven und der Bengel plärrt wie besessen. Da erwürgt er den Buben in Rage, und dann heißt es Unfall. Also windet sich Herr Maus, wie er sich bloß windet. Nem Aal wäre es Scham geworden, nicht aber dem feinen Herrn. Bange ist ihm vor dem Kittchen, und dann auch noch Mord.“
Ich schau mir den Elenden an, neugierig bin ich, lässt sich ja herrlich besehen so ein armer Teufel ganz ohne Schultern, und dann aus dem Dunkeln, da braucht sich keiner zu schämen.
„Auf Fahrlässigkeit einigt man sich vor Gericht“, heißt es weiter „der Herr Advokat ist ein Bieger und Beuger von hohem Talent, falscher Eid wie gespuckt, wenn´s denn sein muss, und dann ist auch schon Schluss auf der morschen Bühne. Fünfzig Jahre ist das her.“
Wir lehnen nach vorne und trinken, stoßen an, wie zwei schwarze Berge, die sich in die Hände klatschen. Es rauscht wie blöde, bis es leer ist, mehr Edelstein schenkt die Wirtin uns ein, so fürsorglich ist das schöne Fräulein.
Und fort geht es: „Man stelle sich also vor, Herr Maus darf nach Hause, ein wenig zerknittert, aber ein freier Mann. Nun ist es dann doch nicht so einfach wie ausgedacht; mit so einem Mordchen, da schläft es sich schlecht. Was tun? Herr Maus weiß es nicht, Also trinkt er sich gram und grämlich“, flüstert der Kapitän-Direktor in seinen Bart so leise, dass ich ihm ganz eng werden muss, „bloß der Tod erbarmt sich seiner nicht, dieser Sturkopf. Nicht einmal irre zu werden, schafft es der freie Mann, da sehen Sie mal, was ein Menschchen so aushält. Fünfzehn Jahre Qual für Herr Maus, ohne Urlaub versteht sich, ohne Briefverkehr, Einzelhaft sozusagen, aber von der strengen Sorte. Da hätte manch einer gesagt, sei es drum, fünfzehn Jahr auf die Weise ist wie lebenslänglich, das Haar ist nun ergraut, der Mund voller Trümmer, mit anderen Worten, verbüßt ist verbüßt. Aber nicht so Herr Bürokrat. Die Strafe gäb´s nur im Gefängnis, daheim und im Schädel, da sei´s nicht das Wahre. Also packt Herr Maus sein Mutchen zusammen, und beschließt zu gestehen.“
An diesem Punkt halten wir, Fräulein Wunsch ist zur Stelle, lässt uns vor dem ersten Finale noch an ihrem Wunderbräu stärken, dass es sprudelt und pocht. So lässt sich ein Bürokrat vertilgen, ganz feine Küche ist das. Fremder Kummer ploppt Häppchen für Häppchen dem Kapitän-Direktor von der Zunge, und mir mundet es auch très delikat.
Und zum Dessert dann die Überraschung nach ein wenig Recken und Strecken für die Verdauung: „Schließlich steht Anton Maus, Bürokrat, auf der Matte und gesteht und gesteht. Alles gesteht er, von der Picke zur Sohle, eine Lebensbeichte legt er ab, wie sie die heilige Inquisition nicht bekam mit ihren Schergen und Feuern. Vor dem Wachtmeister schon blutet er los, wird weitergereicht an die Kommissarin, die sich wundert und wundert, von ihr an den Staatsanwalt, der die Gesetze löchrig wälzt. Und siehe da, die mausische Tragödie; die Strafklage ist ja schon verbraucht, futsch, die Tat abgeurteilt, so ist´s mit der Justiz bei uns, einmal hat man schon über Herrn Bürokraten gerichtet, noch einmal ist nicht. Wir würden ja gerne Herr Maus, aber müssen leider passen, gehen Sie lieber nach Hause.“
Schuld ohne Sühne, da sitzt sie, inmitten ihrer Schattenkameraden, einträchtig im Elend, zänkisch in Not.
Musik, Fräulein Wunsch, Musik fürs Erinnern, Tanz gegen das Vergessen. Nehmt diesen Seelen ihre Schuld nicht, denn was soll ihnen sonst noch bleiben.
Fräulein Wunsch hört. „Mit Musik kann ich nicht dienen liebe Gäste, aber sie ist auch nicht nötig. Darf ich bitten, teurer Herr Maus.“
In den Kerzenschatten, die bei Fräuleins Schritten prompt erstarren, gleitet die Gastgeberin in den Erker. Ihre Fingerspitzen legen sich sanft auf den Bürokraten, entkrümmen ihn, ziehen seine Gestalt hoch, zerreißen die Wurzeln um seine Beine. Eine rührende Szene haben wir hier. Fräulein Wunsch macht den Efeu, legt ihre Arme um den trüben Anton, schmiegt ihren Leib an den seinen, wispert und haucht, was wir nicht wissen, jetzt heißt es Tanz ohne Schalk.
Der Raum verstummt, der Schnaps versiegt. Ich sehe die fahlen Köpfe in die Mitte rücken, sehe die Weiden auf den Mauern vor Stille erschlaffen. Langsam bewegt sich das Paar, zeichnet Quadrate in Kreisen, fängt fiebrig die Blicke mit verschlossenen Augen. Der Boden ist still, das Holz ist erstarrt und wartet geduldig darauf, dass man ihm das Knarren wieder gestattet.
Kein Wirbeln, kein Swing, bloß ein trauriges pas de deux legen Maus und Wunsch auf´s Parkett, ein müder Schieber, nichts weiter, aber sollen sie doch. Und dann ist schon Ende.
Das Männchen tattert zurück auf seinen Platz zwischen den Funken und Bärten, das Holz atmet auf, die Kerzen erwachen, alles flüstert zur Decke, geschehen und gut ist, was gibt es denn noch?
Schnaps, Fräulein Wunsch, Schnaps! Von mir für mich, und bringen Sie dem Bürokraten auch ein Gläschen.
Der Kapitän-Direktor ist wieder dran, Geschäft ist Geschäft und ich hab noch Kredit.
„Und da drüben im Grellen“, fährt er fort, durch Fräuleins Brand redselig erhitzt, „in der Idiotenecke, wie manch einer so sagt, da sitzt die Sühne ohne Schuld. Sicher ist´s Ansichtssache, was man von dergleichen hält, aber ihren Reiz hat sie schon. Da haben Sie bestimmt Interesse.“
Gewiss habe ich Interesse. Die Idioten sind mir die liebsten, gebe ich zu. Hier inspiziere ich genau und sehe auf dem Boden ein mageres Dutzend im Schweigen verscharrt, im Schein einer Glühbirne ohne Schirm und Erbarmen. Männer und Frauen sind dort versammelt, an die Mauern gelehnt, von den Weiden umflochten, dass es schon kuschelt. Auch eine hübsche ist dabei, freilich dürr ist das Mädchen und ein wenig welk, aber mit Sinn in den Augen und Taille wie ein Püppchen.
Was mit ihr denn sei, lieber Kapitän-Direktor, ob sie denn Hilfe bräuchte.
„Nein, Herr Tourist, hier ist nichts zu machen, das hat das Kindchen davon, dass es die Sache mit dem lieben Gott ein Quäntchen zu ernst nimmt. Doch Sie sind schon ein wenig bekannt mit der Kleinen; Frau Maria Maus, geboren Wassilsky, Sie gestatten. Von dem toten Buben die Mutter, und selbst ein Kind Russlands. Dort haben die Leutchen es mit dem Herrn, ich weiß auch nicht warum, doch auf Kuppeln und Ikonen ist im Osten Verlass.“
Jung scheint Frau Maus, keine Spur von den siebzig Jahren, ich wundere mich, aber wundern Sie sich nicht, Herr Tourist, höre ich gleich, bei Fräulein Wunsch habe man´s nicht so mit dem Altern, wer früh käme, bliebe auch lange.
Aber das nebenbei, denn es täte nichts zur Sache, das frühe Kommen lasse sich bei Frau Maria nicht leugnen, so flockenzart sei ihr Köpfchen, von Bedeutung bliebe bloß noch der Grund.
„Und hier tritt der Herr auf den Plan“, sagt der Kapitän-Direktor und wir kippen die Schnäpse, von Fräulein Wunsch nicht vergessen.
Strunzbehaglich ist mir zumute, ich lehne mich zurück, dass es ächzt, auch das Hemd knöpfe ich auf in der trächtigen Luft. Was mir die Gestalten schon können. Gar nichts. Mögen sie schwätzen und stieren aus ihren Hasenwinkeln. Ich bezahle bar und gerecht, da gibt´s nichts zu tadeln. Und wer will einem denn die Neugierde verübeln, soll ein Mensch etwa dumm bleiben.
Aber zurück zum Herrn.
„Nun, was machen Sie bloß an der Stelle der jungen Dame“, der Kapitän-Direktor wüsste es selbst nicht, ich wette, doch er kennt die Geschichte.
„Da haben wir einen Ehemann, der aus dem frisch geflochtenen Nest flieht, und denn Buben hat er auch noch erwürgt, der Unmensch, den ersten Jungen und den einzigen, versteht sich. Fahrlässigkeit hin, Gerichtsurteil her, doch das Mutterherz weiß Bescheid. Gläubig ist Frau Maria, erzgläubig wie vom Dorf, aber der Allmächtige schweigt. Ja, wo ist denn der Allmächtige. Das sagt Frau Maus, geboren Wassilsky, niemand.“
Die Situation scheint verzwickt, da schweigen die Zweifel. Ich sehe mir die Hübsche an, wie sie da auf dem mistigen Boden mit der Wand verschmilzt, ein wenig herzzerreißend ist das schon, gebe ich zu, aber das Fräulein könnte auch mal zurückgucken. Ob die Arme nicht vielleicht ein Gläschen vom Schnaps des Hauses vertragen könne, der macht ja ganz wohlig im Bauch. Geht natürlich auf mich, frage ich den Kapitän-Direktor recht rücksichtsvoll, aber er schüttelt nur mit dem Kopf. „In der Idiotenecke gibt´s keinen Schnaps, so ist bei Fräulein Wunsch das Gesetz. Aber wir können einen trinken.“
Also trinken wir, und dann geht´s auch schon weiter.
„Leid minus Hoffnung ist gleich Verzweiflung und am Ende dieser Gleichung finden wir Frau Maria wieder, was kein Wunder ist. Da hätte ein erfahrener Mensch von festem Charakter Abgrund vor Augen, wie soll da so ein Küken schon fühlen. Also vergisst das Mädchen kurz den Allmächtigen und seine Ansprüche, packt einen Strick und geht in den Wald, gleich hier drüben vor der Tür. Man sieht ja sofort, dass das Mädchen im Ballett tanzen könnte und den Ast sucht sie auch gewissenhaft aus bei einem zähen Kiefer unweit der Lichtung. Bloß erweist sich der Strick als faul und so wird aus Frau Marias Plan dann doch nichts.“
Der Kapitän-Direktor schweigt eine Weile und ich schweige mit. Recht dumm gelaufen ist es für Frau Maria, ich denk gleich an Gott und schon zieht´s ungemütlich.
„Ja, und dann, hier spekulieren die Geister, dann meldet sich wohl der ewige Hirte bei seinem Schäfchen, und meint, so und so gehe das freilich nicht. Sie wisse ja, was er von Selbstmordgeschichten halte. Ob der Herr Frau Maria dann für ewig verdammt hat, kann man natürlich nicht sagen, zumal viele doch meinen, es sei nicht weit her mit dem Herren. Frau Maria ist dieser Meinung nun nicht, das wissen Sie ja, und so kommt es für die Arme noch ärger. Ganz benommen ist das Mädchen und dann noch die Sünde, mit ihr sieht sie für sich keinen Platz auf der Erde. Es gäb ja Verständnis, aber das will sie nicht haben. Schwäche und Schandtat, die müssen gebüßt werden, und zwar gründlich, am besten doch ewig. Und da hat Frau Maus dann Glück, Fräulein Wunschs Lokal ist ja gleich um die Ecke.“
So endet die zweite Geschichte und der Kapitän-Direktor schaut mich an, mit einem Blick zum Verlegenwerden. Ich aber schau nicht zurück, sondern habe Lust nachzudenken.
Ja, da ist wohl die Sühne und ihr fehlt wohl die Schuld, da kann man nur wenig drehen. Und dann so ganz ohne Schnaps, wer soll das bloß aushalten.
Ich will mit Frau Maus sprechen, das beschließe ich rasch, so traurig sieht das hübsche Mädchen jetzt aus und ich verstehe ja nun auch was vom Leben. Lossagen soll sie sich von dem Quatsch, lossagen, das will ich ihr raten, die Weiden zerreißen soll sie und gehen. Ob es den Herren nun gibt oder nicht, das wird doch einer verstehen nach fünfzig Jahren. Gleich auf der Stelle soll sie mir folgen, das Weitere werde ich schon in die Wege leiten. Nur bisschen aufmerksamer müsste das Fräulein noch werden, jetzt wo ich Interesse habe. So vor sich hinstarren, das sollte sie hurtig lassen, und dann machen wir es uns schön.
Es ist noch nicht Zeit, aber ich könnte schon gehen. Ich habe genug gehört und jede Menge gesehen. Wie still es bloß um uns geworden ist und die Luft wiegt grad auch recht schwer. Wären meine Beine nicht wie gebrochen, stünde ich schon bei Frau Maus oder besser noch in der Tür. Nur unter dem Tisch, da regt sich nichts, das muss wohl der Schnaps sein. Tückischer Schnaps, wenn auch von schöner Farbe, da hätte mich einer doch warnen sollen.
Wenn die Umstände mich nun aber zwingen, dann mache ich besser ruhig und höre mir die letzte Geschichte an, Geld zurück gibt’s ja nicht.
Was der Kapitän-Direktor noch für mich hätte, soll er es mir sagen, ich bin ja gespannt. Wie die letzte Geschichte denn sei, von der Schuld, von der Sühne oder vielleicht zur Abwechslung von beidem.
Fräulein Wunsch scheint ja auch aufregend zu sein, mit ihren Regeln und Schnäpsen. Wie käme denn die Wirtin zu einem solchen Lokal, davon ließe es sich doch hören.
„Ja das ist ungewöhnlich, aber Sie haben Zeit. Vom Fräulein persönlich werden Sie noch allerhand erfahren.“ Der Kapitän-Direktor wird lauter, dass es schallt, die Leute sind mucksmäuschenstill und glotzen, als gäb´s was umsonst. Fräulein Wunsch bringt noch Kerzen, tausende Kerzen in hunderten Farben, allesamt so dick wie ein Schiffstau. Immer länger wird der Raum, immer breiter, kein Ende ist mehr zu sehen, weder vorne, noch hinten. Ich blicke auf eine Stadt voller Kerzen, mit Bezirken und Straßen, mit Alleen und Plätzen, die alle flimmern und wabern, dass mich die Hast packt. Nur uns übersieht noch das Fräulein, zündet die Kerze nicht an, und so sitzen wir im Dunkeln vor den leeren Tassen.
„Die letzte Geschichte“, sagt mein Begleiter in zerplatzenden Silben, „Sie handelt von Ihnen, da haben Sie doch bestimmt Interesse.“ Die Seelen regen sich, es wird geflüstert, von Tisch zu Tisch werden die Worte weitergegeben, bis die Luft zischt, wie eine Schlangengrube.
An mir? Interesse? Na das, jederzeit. Aber da weiß ich schon alles und muss es denn hier sein?
„Ach, nur keine Scham, Herr Tourist, wir sind unter uns, bei Fräulein Wunsch hat man schon alles gesehen.“
Na wenn das jetzt so ist, dann sprechen Sie ruhig, ich habe ja nichts zu verbergen.
Da nickt der Kapitän-Direktor nun behäbig und reibt sich feste die Hände: „Sie, Herr Tourist, haben nichts zu verbergen, aber bleiben doch lieber im Dunkeln. Da trinkt sich das Schnäpschen auch wohler, und Schauen lässt´s sich viel unbeschwerter. Und die Geschichten erst, denen lauschen Sie gerne, nicht wahr? Stift der Ruinierten? Nehmen Sie mich mit Herr Kapitän-Direktor. Asyl der gramen Seelen? Was soll denn das kosten?“
Nichts habe ich mir vorzuwerfen, der schwere Blick ist nicht nötig, ich bin doch kein Gaffer, das glauben Sie mir. Soll ein Mensch etwa dumm bleiben, wo doch Dinge passieren und zwar so, vor der Nase? Helfen wollte ich doch sogar Frau Maria, wenn sie nur bisschen freundlicher dreinblicken würde. Was soll denn das Ganze, Sie haben ja Nerven.
Die Falten meines Begleiters legen sich einen Zug weicher, er streichelt über meinen Arm, lächelt auch ein wenig: „Und ich habe Verständnis, Herr Tourist, oh, ich habe Verständnis. Niemand soll dumm bleiben, wo kämen wir denn hin. Und sonst bei den Bürgern, da lebt es sich dröge, da kummert´s nur müde und kribbelt schon gar nicht. Da kann man doch mal schnuppern, wie es die anderen so machen. Ist ja wie Feuer und Wasser, weiß man doch, faszinierend ist das, wer schaut da schon weg.“
Unsinn ist das, blanker Unsinn, ob Kapitän oder Direktor, was fällt Ihnen ein. Ich protestiere entschieden, Sie haben kein Recht. Behalten Sie Ihre Geschichte und das Geld schenke ich Ihnen, ich möchte jetzt gehen, wo ist hier die Tür.
„Ja, das mit dem Gehen, Herr Tourist, das wird leider schwierig, ich hab wohl vergessen, es Ihnen zu sagen. Das Tischchen, Herr Tourist, das ist für Sie reserviert, da kann man nichts machen.“
Der Kapitän-Direktor steht auf, seine Zeit ist zu Ende, er packt auch den Stuhl ein, jetzt ist das Tischchen nur mir.
„Ich sag Ihnen Tschüss, aber Sie haben keine Eile. Schauen Sie sich ruhig noch um. Die Wirtin ist ganz reizend, am Schnaps soll´s nicht mangeln und machen Sie sich keine Sorgen, die Kerze bleibt aus.“
Er verschwindet im Schatten und ich bleibe alleine, sitze betrunken im Dunkeln, und hoffe jetzt bloß, dass Fräulein Wunsch mit mir tanzt.

 

Mensch Novak,
ich habe mich wahnsinnig über deinen Kommentar gefreut. Der ist so liebevoll geschrieben, und so begeistert, da ist mir echt das Herz aufgegangen. Dein Lob tut so gut, ganz ehrlich, wenn man eine solche Anerkennung bekommt, da läuft man doch den ganzen Tag mit geschwollener Brust herum. Das ist schon ein krasser Lohn für die Arbeit, jemand ganz fremdes mit einer Geschichte packen zu können, ihn in eine Welt eintauchen zu lassen, die du geschaffen hast, das ist tausend Mal besser als Geld oder so.
Ich habe das auch so stark gemerkt, seit ich angefangen habe zu schreiben, wie unglaublich es einen einnimmt, und wieviel gutes es mit einem macht. Na ja, ich bin auf jeden Fall seit Monaten total euphorisiert, und ein Kommentar von dir, vor allem da ich dich seit Frieda auch so als Autorin schätze, der befeuert meine eigene Begeisterung noch mehr. Puh.

Die wurde dann sehr schnell so, dass sie mich an russische Literatur erinnert hat.
Ja, da bin ich halt mit aufgewachsen, und diese Eindrücke die ich dabei gesammelt habe, die haben natürlich eine starke Wirkung auf mich gehabt, haben sie auf jeden Fall immer noch, und sicher ist meine Art zu schreiben grundlegend davon beeinflusst. Ich weiß nicht, Russisch ist auch so eine ausdrucksstarke Sprache, und viele russische Autoren haben so eine tiefgreifende, besondere Art die Welt zu sehen, ja, ich bin sehr froh, diese Sprache zu haben.
Ich finde, deine Geschichte ist ein super Beispiel dafür, wie das aussehen kann, wenn man viele Adjektive und Adverbien benutzt, und "trotzdem" toll schreibt. Das Trotzdem ist in Anführungszeichen gesetzt, weil moderne Autoren ja eher weniger Adjektive und Adverbien benutzen, manche wollen sie sogar gänzlich raushauen.
Ja, das ist auf jeden Fall richtig, viel von der modernen Literatur ist in diesem Zusammenhang eher minimalistisch, und da habe ich auch einige Sachen, die mir taugen, aber ich will das eben gerne anders machen. Also, ich nehme das Schreiben gerade sehr ernst, ich will da unbedingt besser werden, und träume natürlich davon, es eines Tages zu "schaffen", und da bin ich einfach fest davon überzeugt, dass der beste Weg dahin der eigene ist.
Dein Thema finde ich sehr philosophisch. Ein Thema, einen Kerngedanken, wie sühnen Menschen,
Ja, ich habe das den anderen Kommentatoren schon geschrieben, dass ich thematisch mich so zwischen Dostojewskij, Nietzsche und Kafka habe inspirieren lassen. Das Verhältnis von Schuld und Sühne wollte ich eigentlich ein wenig aus dem religiösen Kontext heben, ohne die Bezüge dazu wäre es natürlich nicht gegangen, aber dann ging es mir eher um ein alternatives Jenseits, oder was auch immer Fräulein Wunschs Gasthaus sein soll, wo das Gut und Böse, und das Gewissen und das Vergessen bzw. das Nichtvergessen sich in einem Spiel befinden, wo es keine klaren Regeln gibt.
Ich fand das sehr schön, diese Trennung in den Mausmann, der schuldet ohne zu sühnen. Und dann welche, die sühnen ohne dass sie je Schuld auf sich geladen hätten. Ich fand das ist auch so ein wenig ein Spiegel auf psychologische Reaktionsmuster. Es gibt ja Leute, die sich ewig und an allem schuldig sehen, auch wenn sie gar nichts gemacht haben.
Ja, das ist Wahnsinn, mir begegnen auch immer wieder Situationen, wo Menschen sich Vorwürfe für irgendwas machen, und dann so beladen sind von Schuldgefühlen, die sich bei näherer Betrachtung als reine Hirngespinster erweisen, aber machen kann man da nichts.
Und diese Geschichte mit Herrn Maus, die ist übrigens tatsächlich so ähnlich passiert. Über eine Ecke kenne ich eine Kommisarin, bei der ein Typ vorstellig wurde, und reinen Tisch machen wollte. Da er aber wegen dieser Sache vor fünfzehn Jahren wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden ist, ist der sogenannte Strafklageverbrauch eingetreten, und dann kann man keinen mehr anklagen bzw. verurteilen. Ja, ich fand das sehr beeindruckend, der Typ ist komplett abgestürzt, ist Alkoholiker geworden, hat sich von seiner ganzen Familie abgewendet, ist mit der Sache halt gar nicht fertig geworden. Das ist sicher richtig tragisch, aber natürlich auch faszinierend, wie böse es auch klingen mag.
Der Tourist und sein Schicksal, das so enden zu lassen, fand ich auch konsequent. Es wäre sicher auch möglich, ihn in das Familiendrama einzuflechten, da hat Quinn schon was zu geschrieben, aber irgendwie gefiel mir der Gedanke dieses Betrugs an ihm, dieser Verführung durch den Kapitän-Direktor, besser. Eine Schuld ist auf jeden Fall da.
Ja, ich finde dieses Thema mit Schuld und Sühne total packend, interessiert mich auch schon lange extrem, und - jetzt kommt ein bisschen was Privates - da ich gerade fertig geworden bin mit meinem Referendariat, werde ich als Strafverteidiger anfangen. Da gibts wohl in der Zukunft noch mehr Geschichten zu.
Zum Text nochmal kurz:
Er ist wirklich voller voller Bilder. Ich finde, man kann durch die Sprachgemälde und die Rhythmik, die dein Text gewinnt, hindurchspazieren.
Was ich mich in diesem Zusammenhang frage, ist, ob eine solche Galerie bei längeren Texten nicht zu anstrengend wird. Das ist ja alles irgendwie auf Eindruck aus, soll schon intensiv wirken, und ich habe die Befürchtung, dass es auf Dauer ermüdend werden kann. Das Ganze gilt natürlich auch für die Kunstsprache, keine Ahnung, ob man das auf längere Distanz als Leser ertragen kann. In einer längeren Erzählung müsste man es wahrscheinlich besser dosieren. Na ja, da denke ich auf jeden Fall gerade drüber nach.
So Novak, vielen, vielen Dank für deinen Kommentar, hat mir extrem viel Freude gemacht.
Wir laufen uns sicher bald wieder hier über den Weg.
lg, randundband

 

Hallo randundband

Toller Text! Aber keine Geschichte, die man mal eben so zwischen Tür und Angel lesen kann, wie ich selbst feststellen musste. Jedenfalls hatte ich Deine Geschichte schon länger im Blick (der Titel macht ja auch sehr neugierig) und bin dann erstmal bildlich gegen eine Wand gelaufen. Spontan kam mir auch die Frage in den Sinn: Darf der das? Gefolgt von: Was machen die ganzen Adjektive hier?
Der Fehler liegt beim Leser, der versucht hat die zehn Minuten bis zum Feierabend hastig mit einer Kurzgeschichte zu verkürzen; auch wenn das Hirn zu dem Zeitpunkt nur noch Fast-Food verträgt.
Die Antwort lautet jedenfalls: JA – natürlich darf der das. Und JA - den Adjektive sind nicht per se böse! Und diese Geschichte ist ein tolles Beispiel dafür, was Adjektive in der Sprache vermögen.
Überhaupt sprachlich ist das Ding schon ein Hammer! Da stecken Bilder und Ausdrücke drin, auf die man neidisch werden könnte. Allein schon dieses „Kapitän-Direktor“ – was für absurder, sonderbar Begriff; hat was von einer Karikatur ohne lächerlich zu wirken – echt toll, wobei ich natürlich hoffe, dass der Titel tatsächlich erfunden ist - aber davon gehe ich jetzt einfach mal aus.
Insgesamt finde ich den ganzen Einstieg in die Geschichte überaus gelungen. Sprachlich finde ich es sehr ausgereift. Hat was traumartiges, allerdings von der übleren Sorte und trotzdem lässt man sich gern von den Worten einfangen.

Nur an den Stellen bin ich gestolpert. Kannst ja mal gucken, ob und wie Du was ändern magst oder auch nicht.

Aus Beton und Verzweiflung zusammengezimmert
Mit “zusammengezimmert” assoziiere ich Holz und weniger Beton.

Das Dunkel erbricht sich mit dem Mief des Zerfalls in unsere Gesichter, ein würdiges Willkommen in das Asyl der gramen Seelen.
Hier blieb mein Auge hängen und ich musste den Satz dann geistig für mich so umstellen:
Das Dunkel erbricht sich mit dem Mief des Zerfalls in unsere Gesichter, ein würdiges Willkommen für grame Seelen, die Asyl suchen.
Oder einfach nur so:
Das Dunkel erbricht sich mit dem Mief des Zerfalls in unsere Gesichter, ein würdiges Willkommen für grame Seelen.

in schnarrende Tassen
Darunter konnte ich mir nichts vorstellen. Eine Maschine, so ein mechanisches Ding am Besten noch Dampfbetrieben, schnarrt. Aber Tassen? Hmm.

die nach Erde der Kriegsgräben schmecken,
Erst las ich Kriegsgräber. Dann richtig, wobei mich dann irgendwas anderes störte und dann las ich den Satz noch mal und noch mal und noch mal …
Fazit: Persönlich finde ich den Satz überladen und würde entweder was streichen oder umstellen: Irgendwie so vielleicht:
Sie schenkt uns saphirfarbenen Schnaps in Tassen ein, die nach Erde schmecken, blutigen Zeiten und Kriegsgräben.

Auf ein paar Sprachperlen, die mir besonders zugesagt haben, möchte ich auch noch hinweisen:
Das ist mein Favorit:

der Herr Advokat ist ein Bieger und Beuger von hohem Talent, falscher Eid wie gespuckt

Das hier fand ich auch hübsch:
Wir lehnen nach vorne und trinken, stoßen an, wie zwei schwarze Berge, die sich in die Hände klatschen

Also, alles in allem: Respekt vor soviel Wortgewalt und für diese hübsche Geschichte!
Ach ja, Kommentare habe ich nicht gelesen, falls sich was wiederholt o.ä.

Beste Grüße

Mothman

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mothman!
Wie schön, dass dir die Geschichte so zugesagt hat, und du dir Zeit für sie genommen hast. Und toll natürlich auch, dass du der Geschichte den Anspruch beimisst, den ich gehofft habe, ihr zu geben.

Spontan kam mir auch die Frage in den Sinn: Darf der das? Gefolgt von: Was machen die ganzen Adjektive hier?
Hehe, ich habe mich beim Schreiben auch paar Mal gefragt, ob man das eigentlich darf, hatte zeitweise das Gefühl, so wie ich das aufziehe, könnte es vielleicht in die Hose gehen. Das ist auch einigen Kommentatoren teilweise überladen gekommen, aber überwiegend doch sehr positiv aufgenommen worden.
Adjektive sind nicht per se böse!
Ja, das sehe ich genau so. Es war schon ganz erstaunlich zu beobachten, was das Arbeiten mit den Adjektiven und so vielen Bildern bei mir beim Schreiben für Register gezogen hat. Das hat sich teilweise wie Malen angefühlt, also ich stelle mir vor, das Malen sich so anfühlt. 7miles hat das so schön ausgedrückt, als er meinte:
Da bin ich schnell versucht mir das Ganze als animiertes Schwer-Ölgemälde zu imaginieren, haselnußbraun mit kontrastierenden, hellen Licht-Schimmern.
Und Novak trifft da auch das Gefühl, das ich nach mittlerweile zwei Wochen habe, wenn ich den Text nochmal lese, wenn sie sagt
Ich finde, man kann durch die Sprachgemälde und die Rhythmik, die dein Text gewinnt, hindurchspazieren.
Ich betrachte die Geschichte heute, und mir kommt es stellenweise vor, sie hätte jetzt ein Eigenleben.
Und das ist echt interessant, ich habe gestern mal versucht, an den Text anzuknüpfen, so diesen Ton wieder zu treffen, weil ich da eine, wie ich finde, ganz fetzige Idee habe, wie es weitergehen kann, und es ist zunächst mal was Schiefes herausgekommen. Ich habe da in der Zwischenzeit auch was anderes geschrieben, dachte aber nicht, dass mir das Wiederhineinfinden in diese Sprache, gar nicht so leicht fällt. Als würde ich versuchen, ein Bild weiterzumalen, das schon eingerahmt an der Wand hängt. Ich hoffe mal, das läuft bald.
Na ja, aber ansonsten natürlich einen riesigen Dank für dein Lob. Grade bei Leuten die sich auf der Seite (aktuell) rar machen, ist es natürlich ein tolles Komplement, wenn sie deine Geschichte zum Kommentieren herausgreifen.
Deine Anmerkungen werde ich mir noch durch den Kopf gehen lassen. Du hast schon nicht ganz Unrecht, jedenfalls mit dem "zusammengezimmert", aber im Moment möchte ich da nichts ändern. Irgendwie passen mir die Sätze, so wie sie da stehen, am besten in den Klang. Vielleicht werde ich später da noch mal was machen.
Ah ja, die Bezeichnung Kapitän-Direktor ist natürlich erfunden, ich find es halt immer ganz witzig, wenn Leute sich mehrere Titel geben, und hier hat das gut gepasst.
Schön Mothman, ich habe mich sehr gefreut.
lg, randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband,

sehr schöner Text, finde ich auch. Ich hab auch eine Weile gebraucht, um reinzukommen, der Text kommt schon ein bisschen überladen daher und gerade am Anfang, das ist was Häufiges mein ich, als Autor ist man gerade dann voller Ideen und Sprache, wenn man anfängt, und dann ist es vielleicht ein bisschen zu viel. Das tut niemand gern, aber das habe ich schon bei mir gemerkt und bei vielen Texten denke ich das: streich doch den ersten Absatz und dir fehlt doch nichts außer "Stimmung" und deine Leser kommen alle schneller in den Text rein. Musst du hier nicht machen, würde ich auch nicht, aber mir fällt das halt auf. Das ist so, als würden sich die Leute warm schreiben, bevor es dann richtig anfängt.

Sie schenkt uns saphirfarbenen Schnaps ein in schnarrende Tassen, die nach Erde der Kriegsgräben schmecken, und nach blutigen Zeiten.

Das ist schon ein heftiger Satz. Die schnarrenden Tassen schmecken nach Kriegsgräben (und nach blutigen Zeiten)? Kann man Tassen schmecken?

Das sind halt immer so Sachen, je nachdem wie man gerade drauf ist, wenn man abends online geht und sich kurz einen Text reinziehen will ...

Drei Geschichten habe ich meinem Fremdenführer abgekauft, ein properes Geschäft in lahmen Zeiten plus die Stimmung als Häubchen.

Der Satz kann für meinen Geschmack auch ein bisschen früher kommen im Aufbau. Das könnte meinetwegen auch der erste Satz der Geschichte sein, oder irgendwo dazwischen am Anfang. Dann hat man grob ne Ahnung, was da passiert, da wurde ein Geschäft abgewickelt, es geht um Geschichten, und jetzt passiert was ..

Aber wie auch immer, ich fand den Text sehr schön, das ist schon beeindruckend insgesamt, diese Sprache, interessant auch, hier mit "Schalk" und "Kittchen" und "dröge" und "gram", lauter so leicht veraltete Vokabeln und Sprachmuster, die ich fast nie höre, so hier in der Dichte, das ist ja wie Hausaufgaben für mich.

die Leute sind mucksmäuschenstill und glotzen, als gäb´s was umsonst.

Das ist irgendwie eine andere Sprachebene, als gäb's was umsonst, das passt für mich nicht so.

Ich fand die Geschichte in der Mitte richtig stark, als der Direktor erzählt, hier diese Idee Schuld ohne Sühne und Sühne ohne Schuld, die Auflösung ist jetzt nicht so der Hammer, ich finds dramaturgisch völlig okay, mir ist halt nicht so klar, wie man das in den Gesamtmoralkontext einbetten soll ... mit der Mausfamilie und so weiter ... wenn man es schon so betrachten will ich hab die Kommentare etwas überflogen, über Nietsche weiß ich leider auch nicht so viel ..
Ich les das ehrlich gesagt wie ein Märchen fast, mit einer verschollenen bösen Hütte im Wald, und dann war jemand zu neugierig und hat sich zu weit vorgewagt und unterliegt jetzt einem bösen Zauber, muss für alle Ewigkeit in Fräulein Wunschs Stube hocken und Brombeerschnaps trinken, und die Moral der Geschichte ist: Hör auf deine Eltern und halte dich vom Wald fern! :) Stoß mit deiner Nase nicht in fremde Angelegenheiten oder so ...

Ist eine sehr interessante Geschichte und ich hab sie gerne gelesen.


MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JuJu,
schön, dass du die Geschichte mochtest und dir Zeit genommen hast, sie zu kommentieren. Ich bin ein wenig überrascht, dass der Text dir zusagt, da ich auch einige deiner Geschichten kenne, und du ja eine ganz andere Herangehensweise hast. Dieses Orale ist bei dir ja sehr betont, und dieses mitten aus dem Leben heraus erzählt. Aber ja, das ist natürlich Quatsch, deinen Geschmack deswegen zu beschränken, zumal ich auch sehe, dass du gerade Brüder Karamasov liest, ja, ist eines meiner Lieblingsbücher.
Jedenfalls habe ich bei dem Text hier versucht, eine künstliche Sprachebene zu finden, mit diesen ganzen leicht veralteten Vokabeln und Sprachmuster. Das ist dann ganz erstaunlich gewesen, zu sehen, was passiert, wenn du so älteres Garn nimmst, und damit anfängst zu weben. Irgendwie waren schon ein paar Vokabeln am Anfang entscheidend, wie der gesamte Text von dem Ton und Klang sein muss. Ich meine, wenn man schon das Wort "Fräulein" benutzt oder "gram", stellt es Weichen für den gesamten restlichen Text. Und dann war es echt erstaunlich, wie viele tolle Wörter sich nur ganz leicht unter dem Teppich des modernen Wortschatzes verstecken. Echt schade, dass sie sich nur noch im passiven Wortschatz wiederfinden. Das hat mich nämlich wirklich überrascht zu sehen, wie viele Feinheiten sich dadurch wiedergeben lassen, wenn man eine solche artifizielle Sprache benutzt.

Ich hab auch eine Weile gebraucht, um reinzukommen, der Text kommt schon ein bisschen überladen daher und gerade am Anfang, das ist was Häufiges mein ich, als Autor ist man gerade dann voller Ideen und Sprache, wenn man anfängt, und dann ist es vielleicht ein bisschen zu viel.
Ja, ich habe gestern privat eine ähnliche Rückmeldung bekommen, und hier haben das schon ein paar Leute geschrieben. Ich weiß nicht, ich sitze gerade an etwas längerem, dass diese Geschichte als Ausgangspunkt nimmt, und man hat mir auch geraten, diese Bilddichte, und diese knallenden Adjektive etwas zu lockern, weil das auf Dauer so anstrengend ist (ich meine, Quinn hat das auch so ähnlich ausgedrückt). Ein wenig plätschern lassen, sozusagen, aber nicht dass es Längen bekommt, sondern, dass der Leser nicht sofort so überschüttet/gefordert wird. Ich habe es auf jeden Fall schon bei den nächsten Kapiteln umgesetzt, aber wenn ich an diese Geschichte rangehe, dann ist es jedes mal so, als würde ich in ein fertiges Bild, dass sich im Rahmen befindet, noch hinein- bzw. herauskritzeln. Aber das hier
Der Satz kann für meinen Geschmack auch ein bisschen früher kommen im Aufbau.
habe ich auf jeden Fall umgesetzt.
Ansonsten, klar, am Anfang sprudelt alles, hier hatte ich eigentlich bei der ganzen Geschichte keine, sagen wir mal, uninspirierten Momente, aber solche Sachen auf Dauer durchzuhalten, ich meine, ein richtiges Buch halt, das ist natürlich wesentlich schwieriger. Vor allem fällt mir auf, wie viele Anforderungen an den Autor die Entwicklung der Personen stellt, vor allem, wenn man sie vielschichtig, ambivalent und gleichzeitig authentisch gestaltet. Aber da hilft diese Sprache auch enorm, weil sie auch frische Verhaltensweisen irgendwie von selbst anstupst. Ganz interessant auf jeden Fall.
die Auflösung ist jetzt nicht so der Hammer, ich finds dramaturgisch völlig okay, mir ist halt nicht so klar, wie man das in den Gesamtmoralkontext einbetten soll
Inhaltlich ist das so, mit Nietzsche auch usw., dass ich die Geschichte aus einem allgemeinen Moralkontext heben wollte, eben ein unvoreingenommenes Jenseits (Zitat, 7miles), oder was auch immer schaffen wollte, wo es keine klaren Regeln hinsichtlich der Schuld und Sühne gibt. So plakativ gesagt, macht sich der Typ "schuldig" als konsumierender Elendstourist hergekommen zu sein, und der Kapitän-Direktor zusammen mit Fräulein Wunsch betrügen ihn ein wenig. Außerdem musste der Typ halt da bleiben, damit es weitergehen kann.;)
Aber so im Kern geht die Geschichte, insofern halt die Inspiration von Nietzsche, darum, wie wir Schuld auf uns laden, wie wir sühnen, und woher die bestehenden Moralkonzepte stammen. Innerhalb dieser Grenzen ist vieles Spielerei.
Das ist schon ein heftiger Satz. Die schnarrenden Tassen schmecken nach Kriegsgräben (und nach blutigen Zeiten)? Kann man Tassen schmecken?
Also es gibt so alte Blechtassen (ich glaube, das ist Blech oder vielleicht Emaille), solche werden auf jeden Fall immer als Requisiten genommen, wenn man irgendwas über den Feldalltag im 30-jährigen Krieg oder bei Napoleons Kriegen sieht. Im Theater, bei so klassischen Stücken, wie Mutter Courage oder so, da werden sie auch häufig verwendet. Und so eine Blechtasse, die hat schon einen leichten metallenen Eigengeschmack, ich finde, ein bisschen so, wie wenn man Blut im Mund hat. So jedenfalls war meine Assoziationkette.
Ich les das ehrlich gesagt wie ein Märchen fast
Ja, das ist interessant, das hat Novak auch gesagt. Das ist mir vorher nicht aufgefallen, aber das stimmt schon, die Geschichte hat sicher eine archetypische Erzählstruktur. Bin mir nicht ganz sicher, woher das bei mir kommt.
Also insgesamt JuJu, vielen Dank nochmal für deine Zeit, deine Anmerkungen und das Lob. Ist jedes Mal extrem beflügelnd zu hören, dass die Geschichte gut ankommt.
lg, randundband

 

Hallo randundband,
jetzt ist deine Geschichte ja nicht mehr neu. Aber ich lese hier einfach mal kreuz und quer.
Ja..wie ging‘s mir mit ihr? Am Anfang erschlug sie mich! So kann man auch schreiben, dachte ich. Da flogen mir, dem Fan der geradlinigen Einfachheit, der mit dem Schnörkellosen wirken will, die Bilder gerade so um die Ohren. Ich in Deckung. Aber nach einer Weile, beim tieferen Eintauchen in die Geschichte, merke ich….da passt ja was zusammen!
Das ist die genau die Sprache für genau diese Geschichte. Und dann fing ich an, zu genießen…

Dabei möchte ich’s belassen. Ok?

wander

 

Hallo wander,
danke für deinen Besuch. Mit der Sprache ist es definitiv Geschmackssache, und ich merke eigentlich auch selbst, dass ich hier hin und wieder über die Stränge geschlagen habe. Das ist auf jeden Fall die Geschichte von mir mit den meisten Bildern. Hier war es mir wichtig, die Sprache mit dem Inhalt in Harmonie zu bringen, dafür habe ich es natürlich auch in Kauf genommen, die Atmosphäre vollständig zu setzen. Schön, dass du diesen Zusammenhang entsprechend erlebt hast. Und solange du das genießen konntest, freut mich das natürlich sehr.
lg, randundband

 

Hallo randundband,

also in wem dieser Titel nicht nachhallt, nicht neugierig macht... Das ist schon ein starkes Stück und der Titel hält, was er verspricht. Wortgewaltig, sehr wortgewaltig. Ein Text, der jedes Wort auf die Goldwaage legt. Manchmal droht es, aus dem Gleichgewicht zu kippen, wei einfach zu voll, zu dicht an mancher Stelle, aber ein Genuss ist es allemale, bürstet es so wunderbar sprachlich verliebt gegen den schöden Einheitsbrei, der so oft serviert wird.
Bei solchen Sätzen halte ich inne, lese sie erneut, lasse sie mir auf der Zunge zergehen und erfreue mich an diesen plastischen Bildwelten:

Hochstrommaste krallen einander an den beißenden Tentakeln, zu einer blinden Lichterkette auf Jahrzehnte vereint. Am Horizont ragen Schlote mit eingefrorenen Pilzen aus Dampf in den Himmel. Zu ihren Füßen verneigen sich und bibbern knechtisch die Grashalme, der Rest ist tot.
Wow, also das hat schon echt richtig Klasse, liest man nur selten sowas.
Das ist jetzt natürlich nur bedingt ein Qualitätsmerkmal. Wenn die Verpackung schimmert, kann der Inhalt dennoch mumpfig sein. Aber auch hier komme ich, dem Voyeurismus wie dein Prot auf den Leim gehend, voll auf meine Kosten.
Am Ende hat das was richtig unheimliches. Hotel California lässt grüßen.
Habe die Geschichte vor ein paar tagen gelesen und sie hallt noch immer wohlig nach. Kompliment.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,
ach, da denkt man sich, irgendwann kannst du dich nicht mehr so sehr über das Lob freuen, mit der Geschichte hast du irgendwie schon abgeschlossen oder denkst sie an ganz anderen Stellen weiter, und dann kommt so ein schöner Kommentar, und das ist dann doch wieder fast wie am Anfang.

Ein Text, der jedes Wort auf die Goldwaage legt. Manchmal droht es, aus dem Gleichgewicht zu kippen, wei einfach zu voll, zu dicht an mancher Stelle
Ja, ich habe hier sprachlich etwas anderes versucht, irgendwie hatte ich da eine Phase, könnte gar nicht das Schlüsselerlebnis benennen, was mich in diese Richtung bewegt hat, aber auf einmal war dieser Ton einfach da. Hat auch verdammt viel Spaß gemacht, in diese Welt auf diese Art und Weise einzudringen. Und das Interessante ist, diesen Ton, Quinn nannte das Sing-Sang, den kriege ich irgendwie gar nicht mehr wieder los. Ich bin gerade diese Geschichte hier am fortschreiben, hab diesen Teil auch mittlerweile weniger dicht gemacht, ein paar Schrauben gelockert, damit es auf Distanz funktioniert, und dann wollte ich zwischendurch mal was anderes schreiben bzw. weiterschreiben, und ich habe überhaupt nicht mehr aus diesem Sprachmuster herausgefunden. Da saß ich bestimmt zwei Stunden vor einer leeren Seite, und habe keinen anderen Ton treffen können. Das war ein bisschen erschreckend sogar diese Dominanz, und anstrengend auch. Ja, da überlege ich gerade, wie man das lernt, wieder umzuschalten.
Ja, aber ich freue mich natürlich total, dass das bei dir funktioniert hat, und du auch inhaltlich was mit dem Text anfangen konntest.
Wow, also das hat schon echt richtig Klasse, liest man nur selten sowas.
Das ist natürlich ein ganz tolles Kompliment. Es macht mich stolz, und wenn man solche Worte liest, dann motiviert es auch extrem.
Also weltenläufer, auf jeden Fall sage ich dir vielen lieben Dank für deinen Besuch, ich habe mich sehr gefreut.
lg, randundband

 

Ein ungewöhnlicher Erzählstil, der sicher hier und da auf Unverständnis stossen wird und mir sehr gefällt.
Die Geschichte besticht aber vor allem durch Inhalt und Atmosphäre. Man kann auch viel hinein deuten. Ich denke an Dantes sieben Höllen und an Boschs Garten der Lüste.

Der Anfang hat mich allerdings nicht eingeladen. Diese kurze Beschreibung von Frau Wunsch erachte ich als unnötig.
Ich finde es ausserdem schade, dass die Geschichten des Fremdenführers, zweimal um das gleiche Ereignis kreisen. Ich verstehe, dass du zwei Seiten der Medaille zeigen wolltest und kann deine Entscheidung nachvollziehen. Es kann aber auch so wirken, als fehle da Einfallsreichtum. Mir hätte es besser gefallen, wenn das Thema "Sühne ohne Schuld" etwas anderes aufgegriffen hätte, als die Tat von Herrn Maus. Da saßen doch schließlich noch viele andere arme Seelen.
Das Wort "Idiotenecke" passt meiner Meinung nach überhaupt nicht in die Atmosphäre. Es klingt eher nach einer Bravo-Rubrik.
Beim Ende fehlt mir dann noch was (weiß noch nicht wie ich hier zitieren kann). Die Idee mit dem Tanz ist schön, aber es wirkt so abgestumpft. Vielleicht einen ticken zu kurz.


Wie aber bereits gesagt, bleibt eine Geschichte, die ich nur weiter empfehlen kann.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Michelrias,
ich habe deinen Kommentar gelesen, bevor er gelöscht wurde, und unabhängig davon, was ich über die ganze Situation denke, halte ich das für anständig, dir zu antworten.
Da der Tenor deiner Anmerkung doch sehr positiv und enthusiastisch war, habe ich mich natürlich total gefreut. Danke für deine begeisterten Worte. Die Sprache war mir auf jeden Fall ein großes Anliegen, und da sie bei doch recht vielen Leuten so gut ankommt, scheint mir, dass ich da mit dieser Richtung gar nicht so falsch lag.
Die Form ist für mich aber ganz sicher nicht alles, deswegen war es mir ziemlich unangenehm deine abschätzigen Bemerkungen zu dem Inhalt zu lesen. Ich weiß nicht, ob ich sie noch zusammen kriege, aber da fielen so Sachen wie belanglos, nervig und moralisierend. Ja, keine Ahnung was ich dazu sagen soll. Das sehe ich halt ganz anders. Belanglos und nervig ist jetzt eine persönliche Einschätzung, und hängt von den Ansprüchen ab, die man so an einen Text stellt. Deine scheinen da meinen Anspruchshorizont zu sprengen, aber gut. Nur mit moralisierend ist es schon objektivierbar, und da muss ich dir widersprechen. Der Text spielt sicher mit den herkömmlichen Konzepten von Moral, aber ich betrachte ihn viel mehr als antimoralisch. Er will eben zeigen, wofür die Leute Schuld auf sich nehmen, und wie sie Sühne verstehen. Und wenn einem Mann, nur um einen Aspekt aufzugreifen, die innere Bestrafung nicht ausreicht, und er sich nach der Bestrafung durch eine weltliche Institution sehnt, dann ist es für mich nicht moralisierend, sondern soll nur hervorheben, wie die Menschen in der Gesellschaft konditioniert sind. Ohne Wertung. Gleiches dann auch mit der Frau, die eben überhaupt keine Schuld trägt, außer dass sie sich wegen ihrem Leid umbringen wollte. Da die Religion aber Selbstmord im Grunde als Verbrechen betrachtet, sühnt sie wegen einem aufoktroyierten Hirngespinst. Das zeigt der Kern der Geschichte. In welche Richtung soll das moralisierend sein, das leuchtet mir nicht ein.
Gut, wie dem auch sei, insgesamt hat mich dein Kommentar sehr gefreut.
Grüße, randundband

Hallo Steffen,
auch dir danke ich vielmals für deine netten Worte und das günstige Gesamturteil. Ich bin mir auch darüber im Klaren, dass der Erzählstil bei vielen auf Unverständnis stoßen wird, aber ich will auch gar nicht allen gefallen. Das ist auch gar nicht möglich. Ich finde, es ist die Hauptsache, dass die Art in sich stimmig und konsequent ist und dass man als Leser die Handschrift des Autors erkennen kann.
Freut mich, dass dir der Inhalt zusagt, das war mir auf jeden Fall ein großes Anliegen. Schuld und Sühne sind für mich halt universelle und zeitlose Themen und die Auseinandersetzung damit fand ich schon immer sehr fordernd und anregend.

Diese kurze Beschreibung von Frau Wunsch erachte ich als unnötig.
Aiaiai, also Fräulein Wunsch ist quasi meine Muse für die gesamte Geschichte, sie ohne eine Beschreibung zu lassen, wäre für mich völlig undenkbar.
Ich finde es ausserdem schade, dass die Geschichten des Fremdenführers, zweimal um das gleiche Ereignis kreisen.
Da saßen doch schließlich noch viele andere arme Seelen.
Ja, verstehe ich, aber mir war es wichtig einen Zusammenhang herzustellen, das hat mit dem Einfallsreichtum wenig zu tun. Ich habe schon oben paar Mal geschrieben, dass ich die Geschichte gerade fortschreibe, und da kommen noch viele andere grame Seelen zu Wort. Ich überlege mir, das hier in der Romanrubrik einzustellen, bin aber einfach noch nicht komplett zufrieden.
Das Wort "Idiotenecke" passt meiner Meinung nach überhaupt nicht in die Atmosphäre. Es klingt eher nach einer Bravo-Rubrik.
Hmm... also das sehe ich auch anders. Idiot ist für mich ein Wort, das in jeden Kontext passt. Dostojewskij hat sich nicht gescheut einen seiner besten Romane so zu nennen. Soll auch den Hohn zeigen, der aus dem Konzept des Textes heraus Menschen entgegengebracht wird, die Schuld auf sich laden, weil ihnen dieses Gefühl durch die Religion vermittelt wird. Bravo? Ich weiß nicht, wäre das für Teenager nicht zu offensiv. Da geht ja so eine Prangerwirkung davon aus, ich kann mir vorstellen, dass das Magazin eher einen harmonischen Ton einschlägt.
Die Idee mit dem Tanz ist schön, aber es wirkt so abgestumpft. Vielleicht einen ticken zu kurz.
Schön, dass du die Idee mochtest, ich finde sie auch nach wie vor ziemlich hübsch. In der Arbeitsfassung war die Szene zwei-drei Sätze länger, aber ich fand, es hat den gesamten Textfluss gestört. "Abgestumpft" finde ich schade, das war für mich schon ein emotionaler Moment.
Na ja, danke auf jeden Fall für deine Zeit und das Lob. Hab mich gefreut.
Gruß, randundband

 

Hallo randundband!

Der Anfang ist total überfrachtet, Tonnen von Wortlametta erdrücken da jedwedes Textverständnis. Es blinkt und glitzert und funkelt und raschelt, dass es eine Freude ist, aber vom eigentlichen Inhalt kriegt man kaum noch etwas mit. Da wird eine Szene beschrieben:

Hochstrommaste krallen einander an den beißenden Tentakeln, zu einer blinden Lichterkette auf Jahrzehnte vereint. Am Horizont ragen Schlote mit eingefrorenen Pilzen aus Dampf in den Himmel. Zu ihren Füßen verneigen sich und bibbern knechtisch die Grashalme, der Rest ist tot.
Während ich mir knechtisch bibbernde Grashalme vorzustellen versuche, rutscht mir das Gesamtbild aus der Vorstellung. Irgendwann gebe ich es auf und gehe halt weiter, ohne etwas mitgekriegt zu haben. Zum Glück hast du später die richtige Mischung gefunden und ab dem Zeitpunkt, als das Asyl betreten wird, wird es richtig gut:

Nur dass Sie wissen, hier haben die Kerzen kein Ende.
Wunderbarer Satz!

Auf relativ engem Platz drängen sich da traurige Einzelschicksale mit wuchtigem Inhalt, am Anfang hört man noch genau hin, in der Mitte bei der Frau wird's dann zu viel und es bleibt nur noch so ein Gasthaushintergrundrauschen: Man hört zwar den Kapitän-Direktor sprechen, versteht ihn aber nicht mehr, weil die donnernden Details vom letzten Schicksal noch zu sehr nachwirken. Das macht aber nichts, das ist wahrscheinlich nur bei mir so. Die wörtliche Rede des Kapitän-Direktors hat mir überhaupt gut gefallen, da ist ein Klang drin, den man so nicht jeden Tag hört. Das Ende ist nicht wirklich überraschend, passt aber gut und rundet die Geschichte ab.

Insgesamt hat es mir sehr gut gefallen, so etwas liest man nicht allzu oft.

Viele Grüße
Blaine

 

Hallo Blaine,
danke für deinen Besuch.

Der Anfang ist total überfrachtet, Tonnen von Wortlametta erdrücken da jedwedes Textverständnis. Es blinkt und glitzert und funkelt und raschelt, dass es eine Freude ist, aber vom eigentlichen Inhalt kriegt man kaum noch etwas mit. Da wird eine Szene beschrieben:
:(
Ja, also gerade an dem Anfang scheiden sich wohl die Geister. Da habe ich jetzt viel Positives gehört, auch dieser Satz wurde als was Tolles zitiert, aber einige Stimmen sagen auch ganz klar, es wäre überladen. Du hättest das ganz am Anfang sehen sollen, da war es noch dicker. Ich habe es auf jeden Fall berücksichtigt. Den Text habe ich fortgeschrieben, kann man jetzt in der Romanrubrik bestaunen, und da habe ich bei dem Anfang ein paar Schrauben lockerer gemacht, und auch meine geliebten bibbernden Grashalme sind herausgeflogen. Aber ich werde dort wahrscheinlich mit der Zeit die Bilder noch mehr strecken, damit es nur dort glitzert und raschelt, wo man es angemessen wahrnehmen kann.
Auf relativ engem Platz drängen sich da traurige Einzelschicksale mit wuchtigem Inhalt, am Anfang hört man noch genau hin, in der Mitte bei der Frau wird's dann zu viel und es bleibt nur noch so ein Gasthaushintergrundrauschen: Man hört zwar den Kapitän-Direktor sprechen, versteht ihn aber nicht mehr, weil die donnernden Details vom letzten Schicksal noch zu sehr nachwirken.
Ja, ich verstehe diesen Einwand, obwohl der jetzt bisher noch nicht erhoben worden ist. Das ist sehr nützlich, danke. Mir war es halt wichtig, dass die Geschichte einen Zug bekommt, das sollte ein Rausch werden, der hineinzieht und einen auch nicht verschnaufen lässt. Auch das meiste in Präsens. Ja. Es ist dadurch natürlich sehr komprimiert geworden, und du magst Recht haben, lässt der Wirkung nicht genug Raum. Das werde ich auf jeden Fall bei dem Romanding berücksichtigen, danke für den Hinweis.
Sofern du die Sachen lobst, das will ich jetzt gar nicht zitieren, ich freue mich natürlich sehr, dass die Geschichte dir trotz der berechtigten Einwände gefallen konnte. Auch dass man so etwas nicht allzu oft liest, freut mich ganz besonders. Ich versuche da auf jeden Fall mich sprachlich an keinem Autor zu orientieren, das finde ich ganz wichtig, einen ganz eigenen Stil zu haben.
Also Blaine, danke für deine Zeit, die hilfreiche Kritik und das Lob.
lg, randundband

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom