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Formen der Eigenkündigung!
Ich war seit fast genau sechzehn Jahren in diesem Unternehmen tätig. Und in diesen vielen Jahren meiner durchaus gemütlichen Tätigkeit bin ich nicht ein einziges Mal als der Mensch aufgefallen, der ich eigentlich bin. Wissen Sie was ich gemacht habe? Ich arbeitete in der Buchhaltung, genauer gesagt, in einer ihrer Unterabteilungen. Wie Sie sich ja denken können, kommen in einem Unternehmen dieser Größe tagtäglich eine Vielzahl von Geldbeträgen an und die meisten können, dank korrekter Betreffsbezeichnung, direkt einem Vorgang zugeordnet werden. Es gibt aber auch zur genüge Überweisungen, die praktisch herrenlos dort ankommen, Beträge, auf die scheinbar kein Konto wartet, auf die keine Gegenbuchung passen will. Für diese Eingänge war ich zuständig. Bei mir landeten diese namenlosen Beträge und ich versuchte diese anhand verschiedenster Methoden ihrem Pendant zuzuordnen. In den ganz seltenen Fällen, in denen mir das nicht gelang, und es waren wirklich wenige, da ich im Laufe der Jahre mein System perfektioniert hatte, also in diesen Fällen buchte ich diese Beträge einem Sammelkonto zu, dessen Name „unerwartete Erträge“ lautet. Zurücküberwiesen wurde nie etwas, denn mein geheimes Motto lautete, wer etwas überweist, der wird wohl auch wissen warum. So viel zu meiner ehemaligen Tätigkeit, ich will sie damit nicht langweilen. Sie können sich garantiert vorstellen, dass es sich in den seltensten Fällen um eine Adrenalin produzierende Tätigkeit handelte. Aber wie sagte mein Vater früher, als er auf unserem Bauernhof die alljährlichen Jungkatzen in einen Sack steckte und sie danach fachgerecht ersäufte: Einer muss den Job ja machen!
Das ich in dieser Firma nicht gerade als Abenteurer galt, liegt ebenfalls auf der Hand. Aber all das machte mir überhaupt nichts aus, denn ich hatte meinen Weg gefunden, mein Dasein in diesem Hause ein wenig aufzupeppen, sicher versteckt hinter der Fassade des langweiligen Buchhalters. Zum Beispiel würde niemand auch nur im Traum auf die Idee kommen, ich hätte etwas mit dem damaligen Verschwinden der wichtigen Messner-Akte zu tun, ich, der Inbegriff für Integrität und gelebter Firmenethik. Aber wissen Sie, was ich gemacht habe, als meine damaligen Bürokolleginnen, es waren drei Frauen, das Büro zur Mittagspause verlassen hatten? Ich bin leise pfeifend zum Schreibtisch von dieser Frau Bertges gegangen, habe mir die ach so wichtige Akte genommen, um die schon den ganzen Tag so ein Aufsehen gemacht wurde, gelangweilt in ihr herumgeblättert und dann Blatt für Blatt in den Schredder geworfen. Zack! Erledigt. Als die Damen wiederkamen und den Verlust bemerkten, entbrannte eine hektische, von aufkeimender Panik überproportional angetriebene Suchaktion, an der ich mich natürlich eifrig beteiligte. Nach der endgültigen Verlustmeldung war dass dann für Frau Bertges eine die Karriere ziemlich ausbremsende Katastrophe. Ich muss nicht extra betonen, dass sie sich leichtsinnigerweise keine Kopie gemacht hatte. Für mich war es jedenfalls eine erfrischende Abwechslung im tristen Alltag, konnte ich diese langweilige Streberin doch noch nie leiden, in ihren schnuckeligen, auf Taille geschnittenen Damenjacketts. Furchtbar. Ganz heimlich und nur für mich nannte ich sie immer: Das Karrierefötzchen!
Vor vier Jahren habe ich ein mal ein eigenes Büro beantragt, es aber nie erhalten. Meine Tätigkeit war der eines eigenen Büros scheinbar nicht angemessen. Und als mein, eigentlich in Vertrautheit vorgetragenes Ansinnen, unter den Kolleginnen die Runde gemacht hatte, wie es wohl in jeder Buchhaltung üblich ist, war ich für ein paar Tage dem heimlichen Gespött der Buchhalterhyänen ausgesetzt. Ich sprach eine Woche kein Wort mit meinen Zimmerkolleginnen, so dass alle davon ausgingen, ich würde so meinen Kummer verarbeiten. Und als ich eine Woche später wieder, wie jeden Morgen, pünktlich um sieben Uhr fünfzehn die Bürotür mit einem fröhlichen „Guten Morgen die Damen“ öffnete, hielten alle den Vorfall für beendet. Dem kleinen Buchhalter wurde sein Platz in der Hierarchie aufgezeigt. Mir war klar, dass ich mich ein wenig abreagieren musste. Dahingehend nutze ich die nächste Mittagspause sehr produktiv. Ich schlich mich zum Schreibtisch der dicken Bachmüller und lockerte die Schrauben zweier Rollen ihres Bürostuhles. Sie können sich vorstellen, was das für einen Schlag gab, als das zweihundert Pfund schwere Weib rücklings auf den Boden aufschlug. Nachdem sie vom Krankenwagen abgeholt wurde, saß allen der Schock tief in den Knochen, und mir natürlich am meisten. Der Abteilungsleiter musste sich später ausgiebig für die marode Büroausstattung rechtfertigen und die Bachmüller war drei Monate krankgeschrieben. Die Arbeit mussten natürlich die Bürokolleginnen mitmachen, was zu einer angenehm betrübten Stimmung im Büro führte, die ich aber regelmäßig dadurch auflockerte, indem ich großmütig meine Hilfe anbot und hier und da mal ein Stündchen länger blieb, was mich gleichzeitig bei meinem Vorgesetzten gut aussehen ließ. Mein Vorgesetzter ist ein dürrer, knochiger Mittvierziger, der aber aussieht wie sechzig und nicht im Geringsten über Humor verfügt. Er trägt immer karierte Jacketts und schwitzt bei den geringsten körperlichen Betätigungen wie ein Schwein. Ich nannte ihn immer heimlich und nur für mich: Karo Arsch!
Ich habe großes Glück, dass meine Nase nicht gerade durch Überproduktivität gekennzeichnet ist, im Gegenteil, mein Geruchsvermögen ist fast nur rudimentär vorhanden. Genau deshalb ließ ich es mir nicht nehmen, die Büropflanzen meiner arbeitswütigen Zimmerdamen regelmäßig mit Milch zu gießen, so dass, vor allem in den Sommermonaten, das Büro binnen kürzester Zeit stank, als hätte man einen alten Aal hinter die Heizung geklemmt. Wie viel teures Grünzeug hat schon seinen Weg in unser Büro angetreten um kurze Zeit später, tiefbraun und unter der angewidert gerümpften Nasen einer der Buchhaltungshyänen im Müll zu landen!
Vor drei Wochen hatten wir einen Auszubildenden bekommen, achtzehn Jahre und so sterbenslangweilig, dass ich es kaum ertrug, ihn neben der Bertges sitzen zu sehen, wie sie beide auf den Bildschirm starrten und er regelmäßig wie ein demenzkranker Sack mit dem Kopf nickte. Zur Strafe habe ich ihn gestern ein paar Ordner kopieren lassen, was ihn gute drei Stunden gekostet hat. Die Kopien habe ich dann heimlich im Vernichtungscontainer verschwinden lassen, denn was soll ich mit Kopien alter Buchungsbelege anfangen?! Als ich später, pünktlich wie jeden Tag, um 16:00 Uhr die Firma verließ, nahm ich den kleinen Umweg über die Fahrradständer in der Tiefgarage in Kauf und zog, begleitet von einem kleinen Knall, beide Ventile aus den Reifen des Fahrrads unseres Auszubildenden und steckte sie ein. Am nächsten Tag kam er auch prompt zwanzig Minuten zu spät, da er mit dem Bus fahren musste. Unser Azubi, ich nannte ihn gerne heimlich und nur für mich: Die Pickelfresse!
Ach, was könnte ich alles erzählen. Erzählen, von den persönlich an meinen Chef adressierten Geschäftsbriefen, die ich immer mit nach Hause nahm, dem Kleingeld, welches ich von einer Kollegenschublade in die Nächste transferierte, um ein wenig Unbill zu streuen, von den gewaltigen Bremsspuren, die ich immer mal wieder gerne in der Toilette hinterließ, vom Spucken in den Kaffee, vom Lockern der Kabel an den Computern und dem Austauschen des normalen Kaffees mit koffeinfreiem.
Heute Morgen rief mich mein Chef in sein Büro und bemängelte die in letzter Zeit wohl etwas häufiger als sonst vorgekommenen, ich nenne sie mal, Flüchtigkeitsfehler. Es war ein nettes, kleines Kritikgespräch und ich hörte mir in Ruhe an, was er zu bemängeln hatte, stand, nachdem er das Gespräch beendet hatte, gemächlich aus dem Besuchersessel auf, nahm den faustgroßen Briefbeschwerer in Form eines Buddas in die Hand, lächelte ihm zu und schlug ihm daraufhin mit drei gezielten Hieben den Schädel ein. Er hatte nicht mal Zeit zu schreien, so verdutzt war er. Wie ein gelähmter Hund rutschte er aus seinem Sessel und klatschte auf den Boden. Danach strich ich mir den zum Glück nicht mit Blut oder Gehirnstückchen versauten Anzug zurecht und verließ zufrieden das Büro. Ich schloss die Tür hinter mir und spazierte mit einem angenehm leeren Kopf in unser Büro, sortierte die Unterlagen auf meinen Schreibtisch, fuhr den PC herunter und schob den Stuhl an den Tisch. „Einen angenehmen Feierabend wünsche ich.“, sagte ich noch.