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Fohlen-Mädchen

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21.08.2005
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Fohlen-Mädchen

Als ich in der siebten Klasse war, trennten sich meine Eltern, und meine Mutter zog mit uns Kindern zurück in ihre Heimatstadt.
Wir wohnten in einem Mehrfamilienhaus, das zusammen mit drei anderen einen Hof mit zwei Gärten bildete.
Es war Sommer, ich fuhr mit dem Rad zur neuen Schule, und unterwegs sah ich manchmal ein Mädchen, schlank, mit braunem, zu einem Zopf gebundenem Haar und braunen Augen. Sie war jünger als ich, aber groß gewachsen – sie erinnerte mich an ein edles Fohlen, das von seinem eigenen Wachstum überrascht ist und sich noch etwas ungelenk bewegt. Wenn sie mich wahrnahm, war ihr Blick abschätzig.
Ich sah sie in der Schule, zwischen anderen Mädchen herausragend, sie war also in einem unteren Jahrgang.
Doch die Schule war nicht unsere einzige Gemeinsamkeit.
Einmal schaute ich aus meinem Zimmerfenster hinunter in den Hof und sah sie dort in einem der Gärten. Sie trug ein weißes Top und eine kurze, beige Hose, die ihre langen Beine noch länger erscheinen ließ. Sie schlug barfuß Räder im Gras und spielte mit einem kleinen Kind, ihrer Schwester, nehme ich an, und ich beobachtete sie gebannt, sah ihr Lächeln, hörte ihr Lachen.
Als wir uns das nächste Mal sahen, wollte ich sie ansprechen, ihr sagen, dass ich sie gesehen und sie mich mit ihrer fröhlichen, liebevollen Art verzaubert hatte, doch da war wieder diese ernste Abschätzigkeit, ich fragte mich, ob ich denselben Mensch vor mir hatte, und konnte es nicht.
Mein Bruder beendete die Schule, zog aus, und meine Mutter und ich zogen in eine kleinere Wohnung.
Ich sah sie noch ein paar Mal in der Schule, bis auch ich fertig war.
Heute weiß ich, dass die Dinge manchmal anders sind, als sie scheinen, dass Abschätzigkeit Unsicherheit sein kann, und dass es Mut zum Leben braucht. Dass es einem Mädchen und vor allem einem selbst nichts bringt, wenn man nachts sehnsüchtig wachliegt, aber nichts unternimmt.
Dabei wäre es bei Lichte betrachtet so einfach gewesen: Wenn ich nur gesagt hätte „He, weißt du eigentlich, dass wir Nachbarn sind? Ich hab dich neulich im Hof gesehen“ – wer weiß, was vielleicht passiert, wie das Ganze weitergegangen wäre?

 
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Servus Maeuser,
nach deiner bezaubernden Tweety-Geschichte nimmst du dich hier eines sehr ähnlichen Themas an. Für mein Gefühl gelingt es dir diesmal allerdings nicht, auch nur annähernd so intensive Gefühle zu vermitteln, wie in der anderen Geschichte.
Beinahe wirkt mir dieser Text hier wie eine Skizze, eine Art Vorstudie zur anderen Geschichte. Als Idee hingeworfen, ohne sie richtig auszuarbeiten.
Und auch die Aussage letztlich:

Heute weiß ich, dass die Dinge manchmal anders sind, als sie scheinen, dass Abschätzigkeit Unsicherheit sein kann, und dass es Mut zum Leben braucht.
erscheint mir als Erkenntnis, die ja von einem offenbar erwachsenen, reflektierten, sich erinnernden Erzähler kommt, etwas, na ja, trivial.

Sprachlich empfinde ich den Text auch noch nicht wirklich optimal gestaltet. (Was bei so einer Miniatur natürlich umso mehr ins Gewicht fällt.)

Wir wohnten in einem Mehrfamilienhaus, das zusammen mit drei anderen einen Hof bildete. In ihm befanden sich ein Weg zu den Eingängen zweier der Häuser und die Gärten der beiden anderen.
Nicht nur, dass dieser Satz holpert, er schafft es auch nicht, mir ein stimmiges Bild zu vermitteln.

Ich sah sie in der Schule mit ihren Freundinnen, einen Kopf größer – sie war also in einem unteren Jahrgang.
Ist mir auch zu wenig eindeutig. Sind die Freundinnen einen Kopf größer?

Einmal schaute ich aus meinem Zimmerfenster runter in den Hof, [kein Komma] und sah sie dort in einem der Gärten.

Doch da war wieder diese ernste Abschätzigkeit, ich fragte mich, ob ich denselben Mensch vor mir hatte, und konnte es nicht.
Was konnte er nicht? Sich fragen? Okay, er schaffte es nicht, das Mädchen anzusprechen, versteh ich eh, aber es ist mir einfach zu unsauber ausgedrückt.

Dass es einem Mädchen und vor allem einem selbst nichts bringt, nächtelang an es zu denken, aber nichts zu unternehmen.
Ist natürlich korrekt, klingt aber überhaupt nicht gut.

Im Grunde hast du ein schönes Thema, Maeuser, allerdings machst du mir hier viel zu wenig daraus.

offshore

 
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Hey offshore,

ja, das ist ein ähnliches Thema wie bei Tweety, allerdings kleiner und ich finde auch belangloser (darauf deutet ja auch deine Kritik an der Erkenntnis hin). Deswegen war es für mich nicht so die Frage, ob ich daraus jetzt ne lange Geschichte stricke, dafür gibt's für mich gerade nicht genug her, sondern ich habe mich eher gefragt, inwiefern man auch bei Kleinigkeiten in dieser Kürze Emotionen transportieren kann. Hat jetzt bei dir nicht so gut funktioniert, was sicher auch in der Natur der Sache und an der Sprache liegt.
Danke für deine Hinweise in dieser Richtung, ich habe das meiste geändert.

Doch da war wieder diese ernste Abschätzigkeit, ich fragte mich, ob ich denselben Mensch vor mir hatte, und konnte es nicht.
Was konnte er nicht? Sich fragen? Okay, er schaffte es nicht, das Mädchen anzusprechen, versteh ich eh, aber es ist mir einfach zu unsauber ausgedrückt.
Hmja, ursprünglich war das mit dem Satz davor insgesamt ein Satz, der war mir dann zu lang, aber du hast schon recht, da fehlt dann natürlich ein bisschen der Zusammenhang. Hab's jetzt erstmal wieder zu einem gemacht und überlege noch, ob's da noch ne bessere Lösung gibt.

Vielen Dank für dein Feedback, offshore!

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hey, Maeuser
ernst offshores von mir immer geschätzer Meinung schließe ich mich an. Aber selbst, wenn auch ich etwas zur eventuellen Verbesserung vorschlagen könnte, würde ich es mir verkneifen. Denn Dein Text hat mich wirklich berührt mit seiner uneitlen, einfachen Sprache. Das ist eine Rarität, und obwohl ich gern mehr davon gelesen hätte, musste ich wie bei einer Praline die Kürze des Genusses akzeptieren.
War prima! Joséfelipe

 

Hey josefelipe,
ah, interessant und schön, dass dich diese Kürzestgeschichte berühren konnte - freut mich!
Danke fürs Feedback,
Maeuser

 

Hallo Maeuser,

für mich ist der Text ein Bruchstück einer netten Kindheitserinnerung. Mit eingestreuten Lebensweisheiten am Schluss. Ganz nett geschrieben.
Aber:
mir fehlt die Ausarbeitung der Charaktere und mir fehlt komplett die Spannung.
Der betuchliche was wäre wenn/ach hätt' ich doch-Schluss gefällt mir auch nicht.

sie erinnerte mich an ein edles Fohlen, das von seinem eigenen Wachstum überrascht ist und sich noch etwas ungelenk bewegt.
das finde ich unauthentisch. Das sind doch keine Erinnerungen eines Siebtklässlers.

Die Geschichte hat mich leider nicht berührt. Das Thema Kindheitserinnerungen finde ich ganz gut, Du könntest mit Sicherheit noch mehr aus dem Text rausholen, wenn Du Dir eine explizite Begebenheit mit diesem Fohlen-Mädchen rauspicken, und diese dann richtig ausarbeiten würdest.

Viele Grüße,
Kerkyra

 

Hallo Kerkyra,

danke fürs Feedback!

Ja gut, Spannung bei Alltag..

das finde ich unauthentisch. Das sind doch keine Erinnerungen eines Siebtklässlers.
Doch, und es ist die Formulierung des Älteren, Zurückblickenden.

Schade, dass es dir nicht so gefallen hat.

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo Maeuser,

muss mir mal deinen Tweety-Song vornehmen. Denn deine Schreibe gefällt mir - so viel schon mal.

ich habe mich eher gefragt, inwiefern man auch bei Kleinigkeiten in dieser Kürze Emotionen transportieren kann.
Interessante Frage. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass man als Autor schwer einschätzen kann, ob ein Text nun Emotionen beim Leser weckt oder nicht. Welche Indikatoren also kann sich der Schreiber zu nutze machen, um das Publikum zu rühren?
Was diesen Text ausmacht, ist auf jeden Fall der Bezug, den der Leser zur Hauptperson knüpfen kann.
wer weiß, was vielleicht passiert, wie das Ganze weitergegangen wäre?
Dieser Frage begegnen wir jeden Tag, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Wer wünscht sich keinen DeLorean, mit dem man bestimmte Situationen wieder und wieder durchspielen kann?
Auf emotionaler Ebene hat sich bei mir nicht viel getan. Warum? Schwer zu sagen. Gestern habe ich einen kurzen Artikel auf Welt.de gelesen, der mich echt berührt hat.
Hier der Link:
http://m.welt.de/vermischtes/articl...socialmedia.socialflow....socialflow_facebook
Der ist jetzt etwas länger als dein Text, aber ich war trotzdem erstaunt, was so ein kurzer Text schaffen kann. Klar, da tickt auch jeder anders. Ich kenn' Titanic nur als Trinkspiel (immer einen Kurzen bei "oh Jack!"), aber soll ja Menschen geben, die da wirklich heulen.
Authentizität ist ein großes Stichwort. Und ich will deinem Text nicht vorwerfen, er sei nicht authentisch, denn das ist er, aber man könnte auch da mehr machen. Die Unsicherheit und dieses fohlenhafte Verhalten des Mädchens kommen gut rüber. Der Prota im Gegenzug bleibt irgendwie konturlos. Wenn du ihm irgendeine verrückte Eigenschaft, etwas banal Außergewöhnliches anhaften könntest, dann könntest du noch mehr rauskitzeln. Das ist natürlich nicht leicht bei der Kürze.

Ein weiterer Nachteil bei kurzen Geschichten: kleine Schwächen fallen stärker auf.

und meine Mutter zog mit uns Kindern zurück in ihre Heimatstadt.
Kein schlechter erster Satz. Aber wieso Kindern? Klingt dann eher nach Großfamilie. Sind ja nur er und sein Bruder. Würde ich dann auch so schreiben.

Wir wohnten in einem Mehrfamilienhaus, das zusammen mit drei anderen einen Hof bildete. In diesem Hof befanden sich zwei Gärten.
Gegen den Satz habe ich nichts einzuwenden, aber er ist irgendwie deplatziert. Es reicht doch diese Ergänzung einzufügen, wenn die Szene im Garten folgt.

und unterwegs sah ich manchmal ein Mädchen, schlank, mit braunem, zu einem Zopf gebundenem Haar und braunen Augen.
Würde mich stärker auf die Szene beschränken. Wenn der Junge an dem Mädchen vorbeizieht, dann registriert er die schlanke Figur und auch den Zopf, der vielleicht beim Laufen ausschlägt wie eine Pendeluhr. Doch um die braunen Augen zu sehen, müsste er sich ja nach ihr umdrehen, was mehr als ein flüchtiger Blick wäre. Natürlich kennt er ihre Augen, da er ihren abschätzigen Blick kennt. Aber ihre Augenfarbe sollte erst verraten werden, wenn sie Blickkontakt aufnehmen.

Doch die Schule war nicht unsere einzige Gemeinsamkeit.
Diesen Satz mochte ich einfach nicht.

und ich beobachtete sie gebannt, sah ihr Lächeln, hörte ihr Lachen.
Schöne Formulierung!

dass ich sie gesehen und sie mich mit ihrer fröhlichen, liebevollen Art verzaubert hatte
Denkt so ein Siebtklässler? Denken vllt, aber sagen würde er das nie so. Eher so wie du es hier formulierst:
He, weißt du eigentlich, dass wir Nachbarn sind? Ich hab dich neulich im Hof gesehen“
Das kommt viel besser. Mir hätte hier eine Wortjon*g*lage gefallen: will ihr sagen - ja, was eigentlich? Hey, ich hab dich letztens beobachten - nein! -, zufällig gesehen. Du warst im Garten. Wir sind nämlich fast Nachbarn, weißt du? Nein! Besser zum Punkt kommen: Du schlägst Räder wie ein Weltmeister - äh - Weltmeisterin.
In der Art ... das würde das ganze lebendiger machen, denke ich. Das Problem liegt halt am Rahmen, dass das so rückblickend erzählt wird.
Ja gut, Spannung bei Alltag..
Warum nicht. Auch hier baute sich eine subtile Spannung auf, die sich in dem abschätzigen Blick begründet. Ich habe mich schon gefragt: Warum tut sie das wohl? Natürlich wurde das dann ganz schnell aufgelöst.
dass Abschätzigkeit Unsicherheit sein kann,

Viele Grüße,

Hacke

 

Hallo Hacke,

Auf emotionaler Ebene hat sich bei mir nicht viel getan.
Ja, es ist sehr schwierig, mit so kurzen Sachen Emotionen zu transportieren - ich denke, es funktioniert eher, sie zu wecken. D.h. die Kürzestgeschichte funktioniert so als Trigger für Erfahrungen, die der Leser schon gemacht hat. Hat bei dir offensichtlich nicht geklappt, ok. ;)

Einige deiner Anmerkungen sind m.E. aus Sicht der Kurzgeschichte-mit-normalerer-Länge geschrieben, daher habe ich nicht alles übernommen, denn so eine Geschichte ist das nun mal nicht. Klar könnte man jetzt beschreiben, wie der Erzähler an ihr vorbeifährt oder sie genau anspricht, aber das wäre halt normal-style, nicht so kurz wie hier, das ist ja eine Rückschau, eine Erinnerung.
Klar könnte man das Ganze ausbauen, aber dafür ist es mir wie gesagt zu dünn.

Vielen Dank fürs Feedback!


Viele Grüße,
Maeuser

 

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