Flucht
Was war geschehen? Was hatte er gemacht die letzten 2 Jahre? Was war sein Lebensinhalt gewesen?
Marlik starrte auf den Bildschirm,auf dem der Irc-Client flackerte,neben sich hatte er die zerkratzte Counterstrike-CD liegen. Er war irgendwann Nachmittags aufgewacht, und hatte gleich zu spielen angefangen. Wollte er eigentlich nicht,aber er hatte sich gesagt, wie üblich, nur ein kurzes Spiel, dann um die Bewerbungen kümmern, die waren längst überfällig.
Aber wie üblich war aus dem Kurz der ganze Nachmittag und Abend geworden. Seinen Kumpel Malte, der ihn gefragt hatte ob er Abends mit in die Altstadt wollte, hatte er mit Irgendwas abgewimmelt, wie üblich.
Nun saß er vor den letzten 2 Jahren, die aus Computer und Counterstrike und Internetanschluß bestanden. Und nichts Anderes war mehr da.
Er hatte seine erste Ausbildung deswegen abgebrochen, nicht weil sie ihm keinen spaß machte, nicht interessierte, nur aus dem einen Grund, daß er sich um nichts in der Welt soviel Zeit stehlen lassen wollte, die er in seiner Zockerwelt verbringen konnte. Dort fühlte er sich wohl und geborgen, anerkannt, er leiste etwas, war einer der besten CS-Spieler.
Er wußte gar nicht, warum ihn das damals so gefangen genommen hatte. Er hatte eigentlich keine Probleme gehabt, vor denen er hätte flüchten müssen oder doch? Sicher damals hatten alle was mit Mädchen angefangen.
Er hatte irgendwie Angst vor Mädchen. Er wußte nicht was er in Gegenwart von Mädchen sagen sollte. Seine Kumpels hatten da keine Probleme. Sie machten einfach ne Menge Blödsinn, redeten was ihnen einfiel, waren im Großen und Ganzen ungehemmt.
Bei Marlik nahmen seine Ängste und Unsicherheiten gegenüber Frauen immer mehr zu, er begann regelmäßig so etwas wie einen Blackout zu haben. Irgendwann dann mußte es passiert sein, seine erste Begegnung mit Online-Spielen, ein Freund hatte ihm eine CS-Version mitgebracht und es hatte ihn sehr schnell fasziniert. Im Chat den er bald darauf regelmäßig besuchte, in dem sich alle regelmäßigen Onlinespieler von Egoshootern aufhielten, das Quakenet, fühlte er sich schnell heimisch, hier konnte er ohne Ängste über alles reden, auch über Frauen. Frei ist übertrieben, es war ja nie die Wahrheit was er erzählte, hier erfand er sich neu, ohne Ängste, ein starker Kerl den jeder mochte, vor allem die Mädchen. Und er bekam Anerkennung für sein Talent das er hatte. Das Zocken half ihn sich von seinem Minderwertigkeitsgefühlen und seinen Depressionen abzulenken, wenn er sah wie immer mehr seiner Freunde ihre erste Freundin hatten, es half ihn seine quälenden Gedanken abzuschalten.
Über die Zeit verlor er einige reele Kontakte im wirklichen Leben dadurch, kein Wunder er mußte verdammt uninteressiert gewirkt haben, er hatte ja nie die Wahrheit gesagt, das er lieber spielen wollte, er wollte ja nie das jemand den komischen Eindruck bekam, daß er irgendwie süchtig war und ein Computerspiel seinen Freunden vorzog. Er hatte sich immer Ausreden überlegt, um nicht aufzufallen, sollte ja keiner nen falschen Eindruck kriegen. Das er einige seiner Freunde verlor, weil sie den Eindruck hatten, daß er an Kontakt mit ihnen kein Interesse mehr hatte, störte ihn wirklich nicht, es fiel ihm kaum auf, er tauchte ja nur noch selten aus seiner virtuellen Welt auf, und wenn dann auch nur mit viel innerem Wiederwillen, wenn jemand tatsächlich so hartnäckig war, das es ihm zu auffällig erschien weiter auszuweichen.
Aber mit der Zeit kam auch die Motivationslosigkeit in jeder Hinsicht. Er konnte sich einfach zu nichts mehr aufraffen, nichts kam mehr aus ihm heraus, alles war eine reine Qual, selbst wenn es interessant war, war es nicht lange durchzuhalten, die Beschäftigung damit. Er hatte sich an seinen geistigen Leerlauf gewöhnt, an seine Sucht. Das er deshalb seine erste Ausbildung aufgegeben hatte war ihm damals noch nicht so bewußt gewesen, aber nun wo die Bewerbungsfristen für dieses Jahr bald ausliefen, und er noch keine einzige geschrieben, geschweige denn abgeschickt hatte, wurde in ihm die Verzweiflung immer größer. Irgendetwas passte da nicht mehr. Langsam aber sicher verdichtete sich die Ahnung, daß das Spielen ein echtes Problem geworden war, was alles andere verhinderte und vernichtete. Er fühlte sich dabei immer unzufriedener, das alte Geborgenheitsgefühl wollte sich einfach nicht mehr einstellen, seit seine zwei Absichten in direktem Wiederstreit standen, sich zu kümmern, um seine Zukunft, sich eine Ausbildungsstelle zu sichern, und der Drang zum Abschalten, nach gedankenlosem Spielen.
Als es dann Abend geworden war, er müde war, und wieder zu nichts gekommen war, brach er zusammen. Er fühlte in sich eine große Leere, in der nichts vorhanden war. Er löschte alles von seinem PC was mit dem Spiel zu tun hatte und zerkrazte wie ein Wahnsinniger die Spiele-CD mit seinem Taschenmesser ein paar dutzend Male. Es war eine unglaubliche Befreiung für ihn diese bewußte Zerstörung dessen, was sein Lebensinhalt die letzten zwei Jahre gewesen war, seine Sucht, sein Lebens- und Gefühlsersatz. Aber es blieb außer der Leere und tiefer Traurigkeit nichts Wirkliches, greifbares. Morgen nahm er sich fest vor würde er sich um die Bewerbungen kümmern, nichts würde ihn mehr aufhalten nun, alles würde sich ändern.
Aber heute Abend, diese schreckliche Leere mußte er irgendwie überstehen, sie ausfüllen.
Er schlich sich leise in den elterlichen Getränkekeller und nahm sich ein paar Bier mit. Im schlimmsten Fall würde er den neuen Tag halt am Nachmittag beginnen, er hatte sein Problem überwunden, nichts konnte sich ihm entgegenstellen..