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Flucht
Den ganzen Tag schon hatte er sich geärgert. Die Schüler hatten ihn nicht respektiert, die Verkäuferin hatte ihm den freundlichen Gruß nicht erwidert. Als wäre er gar nicht da. Schnellen Schrittes ging er weiter. Es gab noch viel zu tun. Ersatzteilte abholen, das Vorstandstreffen planen, Projekte den richtigen Leuten vorstellen, den Wochenend –Trip bezahlen, Kinder von der Ex Frau abholen, die Frau zu Hause unauffällig überreden, das Wochenende auf die Kinder aufzupassen. Dies alles brauchte Überlegung und Fingerspitzengefühl. Sein Ärgernis über die ihm bevorstehenden Aufgaben wuchs. Er bräuchte dringend eine Auszeit. Von allem. Zu viel verschwendete Zeit.
Ungeduldig stand er an der Ampel, als er ihn plötzlich gegenüber über den Bürgersteig gehen sah. Er rief seinen Namen, weil er ihn erkannte. Den Klassenkameraden aus der Schule. Früher. Sie hatten sich gut gekannt. Er rief ihn nochmal und lief über die Straße, um ihn anzuhalten.
Da drehte sich der Junge aus der Schule um. Jetzt war er ein großgewachsener Mann. Damals nannten es die Lehrer hänseln. Gequält mit Worten, mit Witzen, die wie messerscharfe Pfeilenspitze des Hohns seine Seele getroffen hatten. Der Junge war jeden Tag schwerverletzt nach Hause gekommen. Niemand hat es gesehen. Seine Wunden waren unsichtbar. Und jetzt ging der Bogenschütze von einst gerade über die Straße und rief seinen Namen. So schnell er konnte lief er davon. Weg von dem Rufenden, vor der Vergangenheit, die plötzlich Gegenwart war, und vor sich selbst.
Der Bogenschütze hörte auf zu rufen. Er stand da und sah ihm nach. Dann ging er weiter; es gab noch viel zu tun. Flüchtig kam ihm in den Sinn, wessen Wesen Mensch er wohl sei.