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Flucht

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19.08.2001
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Flucht

Flucht

Er war jetzt also wieder alleine. Ja, da war er sich ganz sicher. Die Stimmen waren doch leiser geworden, immer leiser, bis er sie fast nicht mehr hören konnte und dann im Dunkel verschwunden. Aber sein Herz. Es schlug, schlug so entsetzlich laut, sie mußten ihn doch bemerkt haben. Sollte er es wagen sein Versteck wieder zu verlassen? Aber sie waren doch fort, endlich fort. Also nahm er allen Mut zusammen und öffnete die Augen und... Ja, wie ein Stein fiel es ihm vom Herzen. Er war allein. Ganz allein auf der Welt. Langsam wuchs sein Mut und nach einiger Zeit die er damit verbrachte seinem sich langsam wieder beruhigenden Herzen zu lauschen da wagte er es seinen Kopf zu drehen, ganz langsam zu drehen in die Richtung in die die drei Schatten gelaufen waren die ihn finden, ihn stellen, ihn verletzen, ja, ihn töten wollten. Er lauschte, lauschte so angestrengt er nur konnte. Es war ihm als müßten seine Ohren jedes noch so leise Geräusch ansaugen aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts, gar nichts hören. Auch wenn er glaubte er lausche mit einer solchen Konzentration daß er das Atmen der Blätter der Ihn umgebenden Bäume hören müsse. Nun war er sich ganz sicher, seine Verfolger waren fort. Er hatte sie abgeschüttelt. Langsam wechselten die Gefühle in seinem Innersten. Die Todesangst die er noch eben verspürte, nein, nicht nur die Angst, das sichere Wissen um seinen nahen Tod wechselten langsam in ein Gefühl des Triumphes. Er hatte es geschafft. Ja, das wußte er jetzt. Er war sich sicher, endlich wieder frei, den Stacheldraht hinter sich gelassen und sie hatten ihm nicht folgen können. Ein großes Glücksgefühl machte sich in ihm breit und er wußte er würde nie wieder, niemals wieder dorthin zurückkehren – so oder so. Nun fiel ihm auch wieder die Zigarette ein die noch neben der Schachtel Streichhölzer in seiner Manteltasche verborgen war. Es war seine letzte Zigarette aber seine erste seit 73 Tagen. Er hatte sie aufgehoben, bewahrt für diesen Augenblick. Es sollte seine erste Zigarette seines neuen Lebens werden, seines Lebens in Freiheit. Er wollte diesen Moment mit ihr feiern. Sie sollte der Start in sein neues altes Leben werden. Er steckte sie in den Mund. Es war nach der langen Zeit nicht mehr viel von ihr übrig, sie war mehr ein zerknülltes Symbol seiner Freiheit. Nun entzündete er das Streichholz mit einem kleinen Feuerball entzündete es sich und spendete für den Bruchteil eines Momentes sein warmes Licht bis er es fallen lies. Angewidert spuckte er die Zigarette aus und fing an zu weinen, er wollte jetzt nur noch weinen. Weinen und sich in den Boden vergraben. Er hatte es in der Erregung völlig vergessen, aber als das Streichholz seine blutbefleckten Hände beleuchtete fiel Ihm der Posten wieder ein. Er wollte es doch nicht. Nie als er seinen Plan so unendlich oft durchführen wollte war er dagewesen nur an diesem Abend. Er hatte ihn nicht gesehen, erst als es zu spät war, als er den Draht durchschnitt mit der alten Drahtschere der Lagerwerkstatt hatte er ihn gesehen. Doch dann war keine Zeit mehr zum nachdenken, blitzschnell schlich er sich von hinten an den Posten bevor er sich zu ihm drehte, bevor er Alarm schlug, bevor der Scheinwerfer ihn finden würde, bevor, ja bevor ihn seine Kugel treffen würde und erschlug ihn mit seinem Werkzeug. Er fiel, fiel einfach um. Auf den Rücken und er sah in sein Gesicht – er war noch so jung gewesen, viel zu jung. „Warum?“, fragte er sich, warum mußte er gerade heute dort sein, und warum so jung, höchstens siebzehn? Aber er hatte keine Wahl gehabt, wollte nicht sterben. Einen Moment starrte er noch auf den jungen Soldaten, sah in sein Gesicht, sah auf den im letzten Sonnendämmer blitzenden Totenkopf auf seiner Mütze und dann sagte er leise „Entschuldigung“ bevor er anfing zu rennen nur noch zu rennen, alle Vorsicht vergessend zu dem Loch im Zaun, seinem Loch. Seinem Weg in die Freiheit. Er hörte vor Furcht und Aufregung kaum das Geschrei hinter ihm, die Sirene des Lagers, das Bellen der Hunde er rannte nur noch hierher, in sein jetziges Versteck doch was war das? Er spürte etwas noch nie vorher empfundenes, ein leichter Klopfer auf seinem Rücken und dann wie ihm etwas warmes den Rücken herunter lief. Er dachte noch: „Ja, das Licht des Streichholzes, es hat mich verraten...“ Und es wurde immer friedlicher in ihm und plötzlich wurde ihm alles so gleichgültig und er begriff, daß er erst jetzt die Freiheit erreicht hatte. Die endliche Freiheit die ihm keiner mehr nehmen konnte und er legte sich auf den kühlen, feuchten Waldboden und schlief erfüllt von Frieden und Glück ein...

 

Erschreckend nahegehender Text, der ruhig etwas länger hätte sein dürfen.
Ich wohne übrigens in der Nähe eines sehr "berühmten" KZs bzw. zweier Außenlager. Ich war schon ein paarmal dort und man kann sich einfach nicht vorstellen, dass dort, wo es jetzt so friedlich ist, jemals etwas so grausames geschehen konnte.

Es ist natürlich sehr unbequem, so etwas zu lesen, noch dazu hier, wo wir eher "lockere" Texte gewohnt sind, aber ein wenig "Besinnlichkeit" schadet keinesfalls.
Ich weiß nicht ob man das sagen soll, aber mir hat dein Text "gefallen".

 

Tach,

also ich habe eigentlich nix auszusetzen.

Nur eines würde mich interessieren: Ist der Mann aus einem KZ geflüchtet? Ich vermute es zumindest.

Poncher

 

Sic est... Das ist so ein furchtbares Thema, dass man eigentlich gar nicht darüber nachdenken möchte. Vermutlich, weil es bei uns geschah. :rolleyes:

 

Ja, die Geschichte ist gut. Ich hab nur ein paar Absätze vermißt - aber ansonsten; RESCHPECKT! ;)

Griasle
stephy

 

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