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Flucht
Schritte.
Hastige Schritte, die ab und zu durch ein Stolpern in ihrer Regelmäßigkeit unterbrochen wurden. Schnelles, ungleichmäßiges Atmen.
Es war mehr so ein >Nach – Luft – schnappen<.
Vor ihr lagen unzählige dunkle, kalte Gassen – welche sich in ihren Gedanken, ihrer Einbildung, als riesige, hungrige Mäuler gebaren.
Sie hatte Angst. Wollte nach Hause.
Schlafen.
Vergessen.
Angela war ziemlich spärlich bekleidet, obwohl es bereits Mitte November und damit auch schon ziemlich kalt war. Sie trug gerade mal ein ärmelloses Top, einen Minirock, welcher unmittelbar unterm Po abgeschnitten war, somit auch sehr viel Bein zeigte und vollkommen kitschige und geschmacklose Stöckelschuhe.
Ihr Haar war vom Schweiß verklebt und hing ihr wirr ins Gesicht. Ihr Make-up war durch Schweiß und Tränen vollkommen verwischt. Schwarzer Lidschatten bildete dünne Streifen, welche über die Wangen liefen.
Angelas linkes Knie war aufgeschlagen. Sie war gestolpert und unglücklich gefallen. Blut rann immer noch heraus. Nicht mehr so viel, aber doch.
Ein stechender, pochender Schmerz begleitete sie auf ihrer Flucht. Ab und zu schrie sie regelrecht vor Schmerz.
Alles um sie war so dunkel und düster. So beengend. Fast, als ob die Häuser immer näher zusammenrückten, um Angela zu zerquetschen.
Alles schien so eng.
Sie hatte Angst.
Fühlte sich Alleinegelaßen.
Sie bog in eine weitere Gasse ein. Sah sie vor sich. Bettler. Obdachlose. Sie kauerten unter Kartons, welche sie als >Decken< benutzten, versuchten sich gegenseitig Wärme zu spenden. Viele von ihnen würden den Winter nicht überstehen.
Aber Angela sah nicht Bettler, sah nicht Obdachlose.
Angela sah Monster.
Durch gespenstische Nebelschwaden verzerrte Wesen.
Monster, wie jene, von denen sie als Kind immer geträumt hatte. Häßliche Monster. Alle wollten ihr Schmerzen zufügen.
Waren alle so gemein zu ihr.
Sie lief schneller. Versuchte es zumindest. Doch die anhaltenden Schmerzen ihres Sturzes und Seitenstechen verhinderten den schnellen Lauf.
Es wurde schier unmöglich…
Fahles, schummriges Licht fiel allmählich in die Gassen. Straßenlaternen!
Allmählich kam sie in die Nähe der Hauptstraße. Dort waren bestimmt keine Monster mehr.
Sie erinnerte sich an ihre Kindheit. Hatte ein Nachtlicht. Ohne dieses ging sie niemals schlafen. Es hielt die Monster von ihr Fern.
Sie konnten im Licht nicht sein. Dort konnten sie erkannt werden. Auch wenn es nur ein schwaches Licht war. Aber es bot Schutz.
Endlich erreichte sie die Hauptstraße.
Hier war Licht. Doch die erwartete Freundlichkeit blieb aus. Es war kalt und bedrohlich.
Kein freundliches Mickey Maus – Licht.
… und es gab auch hier Monster.
Bedrohliche Monster.
Gespenstische Nebelfetzen.
Heulen des Windes.
Nur der silberne Schein des Mondes fiel in den dunklen Dachboden eines alten, abbruchreifen Hauses. Kalter Wind pfiff durch die morschen Dielen. Einige Kinder - so um die zehn Jahre, saßen dort im Dachboden beim Schein von Tascheblampen zusammen und erzählten sich Gruselgeschichten - glaubten sie zumindest. Ahnten nicht, dass Angelas Geschichte wirklich und wahrhaftig passiert war.
Vielleicht nicht unbedingt mit häßlichen, menschenfressenden Monstern.
Dennoch.
Es war vor sechs Jahren, als die grausam verstümmelte Leiche der jungen Frau von spielenden Kindern gefunden wurde.
Gefoltert. Vergewaltigt.
Kein Täter.
Kein Motiv.
Nichts.
... als Kulisse nur ein altes abbruchreifes Haus...