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Flucht in die Ewigkeit
“Guten Morgen”, Adam begrüßte seinen Verwandten mit großer Herzlichkeit. Vielleicht zu herzlich. Will fühlte sich wieder mal verspottet und reagierte energisch .
„100 Jahre lang wünschst Du mir jeden Morgen das gleiche“, knurrte er missgelaunt.
„Wie könnte es nach so langer Zeit noch irgend etwas Gutes an einem Morgen oder sonst einer anderen Tageszeit geben?“
Die Feindseligkeit wäre sicherlich körperlich zu spüren gewesen, wenn man nur einen Körper besessen hätte. Und genau das war auch die Ursache sämtlicher Übellaunigkeit. Adam, Will und der erst kürzlich vor 50 Jahren verstorbene Petar waren körperlose Poltergeister in der Burgruine von Faith Hills.
Will versuchte den Verwandten etwas aufzuheitern;
„Heute Abend treffe ich wieder den Schlüsselmeister in unserem geheimen Brandy Keller. Komm einfach mit. Das wird lustig!“
„Wenn das mal nicht wieder ein Gelage gibt“, murrte Will.
„Na und! Hast Du etwas Angst, Du könntest einen Kater kriegen?“ Der ältere Geist lachte.“ Also, wir treffen uns so gegen Mitternacht. Abgemacht?“!
„OK“, meinte Will und war nicht mehr ganz so brummig.
Schuld an der Misere war ihr Vorfahre Tom Argyle, der ehemalige Lord des Anwesens Faith Hill, zu dessen ausschweifenden Ländereien auch das angrenzende Moor gehörte.
„Mußte er unbedingt die Hexe aus dem Moor vor fast 600 Jahren einfach ausräuchern?“ Der missmutige Poltergeist haderte mit dem Schicksal zum bestimmt tausendsten Mal.
„Sie hat die Kinder des Torfstechers nicht mal angefasst. Es gab niemals einen Beweis.“ Will stellte sich vor, wie ihm die Zornesröte ins nicht vorhandene Gesicht stieg.
„Zumindest hätte Tom verhindern müssen, dass sie noch diesen Fluch aussprechen konnte.“
Als das Feuer die Hexe ergriff, hatte sie noch schnell die Familie der Argyle auf alle Zeiten hin verflucht. Sämtliche erstgeborenen, männlichen Nachkommen der Familie starben auf mysteriöse Weise noch bevor diese ihren dreißigsten Geburtstag erlebten. Kurz darauf tauchten die Verstorbenen als Poltergeister in der Schlossruine auf.
Glücklicherweise war die Familie nicht sehr zahlreich, sonst würde es mittlerweile auf Faith Hills nur so von Geistern wimmeln. Die älteren Spukmänner hatten ohnehin vor langem schon renommiertere Gegenden für ihr Unwesen aufgesucht. Geblieben waren nur Adam, Will und Petar.
Als Will den geheimen Keller des Geisterschlosses aufsuchte, fand er seine Gefährten und den Schlüsselmeister, den Herren über die Tore zum Jenseits bereits in angeheiterter Stimmung vor..
„So ein Fluch ist schon eine miese Geschichte“, lallte Tesh, der Schlüsselmeister. “Dabei seid ihr drei für Poltergeister gar nicht mal so übel.“ Sein Kopf hing schon in heftiger brandylastiger Schräglage über dem alten Tisch, bereit jeden Moment aufzuschlagen.
„Gerne würde ich Euch einfach rüber lassen, in das Jenseits,
aber der Fluch verhindert das!“ Dann knallte sein Kopf schwer und endgültig auf die Tischplatte. Die Illusion körperlich zu sein war ihm trotz Trunkenheit perfekt gelungen. Auch ein Geisterwesen war eitel.
„Was hat er da gemurmelt?“, wollte Petar wissen. Die letzten Worte des Pförtners waren ihm entgangen.
Will lachte auf:“ Das Übliche! Tesh glaubt, es gibt einen Weg für uns nach drüben.“
„Und du hälst das für Quatsch“, hielt der jüngere Geist seinem Verwandten vor, „Falls Tesh Recht hat, müssen wir den Weg finden! Ich habe die Nase gestrichen voll vom Geisterdasein. 50 Jahre Spuk sind für mich mehr als genug.!“
„Es ist immer dieselbe Leier“, klagte Adam, “stirbt jemand auf natürliche Weise, dann sind meistens die himmlischen Heerscharen oder, seltener, die Anderen sofort zur Stelle, um die vom Körper befreiten Seelen mit sich zu nehmen. Nur, falls sich ein Tod plötzlich ereignet, dauert es zehn Minuten, bis die Zuständigkeit im Jenseits geklärt ist.“
„Ts“, zischte Petar, „die Bürokratie kennt wirklich keine Grenzen. Aber, was hat das mit uns zu tun?“
„Nun, in dieser Zeit sind diese frisch gebackenen Seelen hilf – und orientierungslos. Der Schlüsselmeister schickt dann seine Helfer aus, damit sich diese armen Wesen nicht verirren und versehentlich zu Geistern werden!“
„Wirklich interessant!“ Petar schmunzelte.
„Schon“. Lächelte Will zurück, „aber was soll aus diesen Seelen denn werden wenn…?“
„Glaubst Du, sie hätten Skrupel, wenn es umgekehrt wäre?“
„Die Sache hat nur einen Haken“, gab jetzt Adam zu bedenken,“ es hat seit Jahren hier keine unerwarteten und plötzlichen Toten gegeben.“
„Vielleicht ändert sich das. Wer weiß!“, sagte Petar, trank seinen Brandy aus und verließ die Gefährten Er hatte einen Plan, den er in Ruhe überdenken wollte. Da kam ihm der anbrechende Spukdienst gerade recht.
Unerwartet bot Tesh einige Zeit später, es war ein Mittwoch, die Lösung für Petar´s Überlegungen.
„Wisst Ihr schon, dass der alte Argyle unten im Dorf im Sterben liegt? Es hält sich das Gerücht, dass seine drei jüngeren Schwestern ihn vergiftet hätten um an sein Geld zu kommen. Dabei sind sie alle drei schon weit über achtzig.“
Petar sah seine Verwandten bedeutungsvoll an. Er wartete noch etwas, bis Tesh seinen Level an Geister Brandy intus hatte und selig schnarchend über dem Tisch hing.
„Hört zu, ich habe einen Plan“, tuschelte er und zog seine Mitgeister näher an sich heran. “Fragt nicht warum, aber ich weiß, dass Argyle bereits morgen um diese Zeit vor seinen Schöpfer tritt. Seine Schwestern, diese bösen Mädels, haben in der Tat mit etwas Gift hantiert um ihren widerspenstigen Bruder den rechten und baldigen Weg ins Jenseits zu weisen.“ Dann beugte er sich nach vorne und flüsterte seinen Verwandten den geheimnisvollen Plan zu.
Der nächste Sonntag war ein trüber und regnerischer Tag, an dem es nicht wirklich hell wurde.
Die Trauergemeinde hatte sich in der kleinen Kirche des Ortes versammelt, um dem alten Argyle die letzte Ehre zu erweisen. Der verschlossene Sarg war vor dm Altar aufgebaut und mit weißen Lilien, den Lieblingsblumen des alten Mannes verziert. Der Priester begann gerade mit dem wirklich herzzerreißendeb Nachwort für den Verblichenen, während die drei Schwestern ununterbrochen weinten und hier und da in ihrer vermeintlichen Trauer von den Anwesenden getröstete wurden.
Plötzlich geschah etwas sehr eigenartiges in dem halbdunklen Kirchenraum.
Grelle Blitze erhellten das Dämmerlicht. Gleichzeitig war ein Knirschen zu hören, als würden schwere Nägel aus massiven Holz gezogen. Dann sprang unvermittelt eine schaurige Gestalt aus dem Sarg empor. Die Kirche hallte wider von schrecklichem Heulen und schaurigen Klagerufen. Die Anwesenden, flohen alle ins Freie.Nur die betagten Schwestern standen zu sehr unter Schock.
Zwei weitere Schatten erschienen und eilten gemeinsam, mit dem Geist aus dem Sarg auf die Schwestern zu.
„Ich weiß, was ihr getan habt!“ Petar ahmte die krächzende Stimme des Verstorbenen unheimlich gut nach. „ die Hölle erwartet Euch Schlangenbrut!“
„Huhuhuhu,“ untermalten Will und Adam die Atmosphäre mit hohlen Stimmen. Die Gesichtsfarbe der Schwestern wechselte von blass in kalkweiss.
„Mörder, Giftmischer“, brüllte Petar aus Leibeskräften, “der Leibhaftige brät Euch in seiner schlimmsten Hölle !“
Dann, wie auf ein verabredetes Zeichen hin, stöhnten die verängstigten Schwestern und taten ihren letzten Atemzug als Menschen, nur um sogleich als Seelen schutz – und hilflos, ihrer menschlichen Hüllen beraubt mitten im Kirchenraum zu stehen. Petar veränderte sein Erscheinungsbild sofort, und trat den verängstigten, toten Schwestern als hell strahlende Lichtgestalt entgegen.
„Schnell, ihr Seelen“, sprach er die drei Schwestern an, „folgt diesem Pfad bis Ihr auf die Schlossruine trefft, dort gibt es einen Weg ins Licht und wenn ihr schnell seid, könnt ihr dem Teufel entfliehen.“ Verwirrt und ängstlich folgten die Seelen diesen Anweisungen und schwebten so schnell sie konnten in die angegebene Richtung davon.
Knapp 15 Minuten später trafen Tesh´s Helfer ein und geleiteten die, als undedarfte Seelen getarnten, Poltergeister in einen freundlichen, hellen Warteraum.
Da das verabreichte Gift Argyle nicht getötet hatte, wurde den Seelen, zur unermesslichen Erleichterung der immer noch getarnten Poltergeister, der Aufenthalt im lichten Jenseits gestattet.
Will begrüßte als erster die Familienmitglieder, die sich um die Neuankömmlinge scharrten. Alle lachten und freuten sich, nach so langer Zeit, endlich vereint zu sein.
Auch Tesh gratulierte seinen Freunden.
„Ihr Halunken“, brüllte er freundschaftlich und anerkennend, „mit wem soll ich jetzt meinen Brandy trinken?“
Die drei grinsten unverschämt: “Du hast doch die drei Mädels!“
„Die vertragen doch nur Tee!“ gab Tesh zurück. Und ihr Lachen hallte noch lange im lichten Jenseits wider.