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Florentine schaukelt

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10.04.2013
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Florentine schaukelt

Florentine sitzt auf der Schaukel, in der Hand ein Eis. Kaum, dass sie schaukelte. Nur ein leichtes Hin und Her.
Florentine ist ein Kind, ja, sie ist fünf oder sechs. Es ist heiß, zwischen all den Hochhäusern stapelt sich die Hitze.
Ihr Eis schmilzt. So schnell kann sie ihr Eis gar nicht schlecken, dass nicht ein guter Teil davon, vielleicht 30 Prozent, sich schon unterhalb befindet.
Unterhalb wovon?
Unterhalb der ursprünglichen Position, einer gedachten Linie, waagerecht gezogen am Ansatz der Eismasse, dort wo der Holzgriff scheinbar endet.
Der Stiel ist kaum mehr zu erkennen; das Eis tropft zudem herab auf Florentines Knie.
Fürchterlich zerschrammt sind ihre Knie, Schürfwunden haben Krusten hinterlassen, aber so ist das nun einmal.
Ob das Eis, das ihr auf die Knie tropft, den Prozess der Heilung begünstigt?
Sven fragt sich das.
Sven hat sonst auch nicht viel zu tun, und so schaut er aus dem Fenster, dort oben im 6. Stock, schaut durch seinen Feldstecher hinab in die Schlucht, zum Spielplatz, zur Schaukel, zu Florentine, auf ihre Knie.
Oft schon hat er sie beobachtet beim Spiel mit anderen Kindern, er kennt sie gut. Die Wunden auf ihren Knien, er kennt ihren Ursprung, und stets, wenn sie diese raufigen Spiele spielen und Florentine stürzt, da verzieht sich sein Gesicht und er wird von Schmerz erfüllt, der Sorte Schmerz, die irgendwie auch helfen möchte, den Schmerz des anderen -Florentines Schmerz- durch Mitfühlen zu lindern.
Klar, er weiß, es wird heilen. Wie rasch Kinder doch heilen! Florentine wird sich auf die Lippen beißen, kurz und lebendig den Schmerz ertragen und einfach weiterspielen. Sven weiß das, doch seinem Gefühl ist das einerlei.
Florentine schnippt den Eisstab weg, sie ist fertig mit ihrer kleinen Leckerei. Mit einer Bewegung, die ahnen lässt, das Florentine sich dieser kaum bewusst ist, wischt sie sich die weißen Eiskleckse von den Knien und nimmt Schwung.
Und immer mehr, und noch mehr, hoch und runter ihre kleinen Beine, allen Schwung der Welt ... und springt!
Wo landet sie?
Das ist ungewiss, denn sie befindet sich noch immer in der Luft.

 

Hallo 7miles,

hm...ich bin mir noch nicht so im Reinen, wie ich deinen Text finden soll.
Irgendwie hat er seinen Reiz und doch wieder nicht, da ist er spröde und zugepackt mit Füllmaterial.

Den Titel finde ich gut. Das Ende finde ich klasse.
Und den zweiten Teil der Geschichte, in welchem Svens Gedanken geschildert werden, finde ich deutlich wertiger als den ersten Teil.

Im einzelnen:

Ihr Eis schmilzt. So schnell kann sie ihr Eis gar nicht schlecken, dass nicht ein guter Teil davon, vielleicht 30 Prozent, sich schon unterhalb befindet.
dieses "vielleicht 30 Prozent, sich schon unterhalb befindet" finde ich sehr spröde formuliert. Ich vermute, dass du das bewusst so formuliert hast, aber es wirkt nicht richtig.

Auch gleich nachfolgend:

Unterhalb wovon?
Unterhalb der ursprünglichen Position, einer gedachten Linie, waagerecht gezogen am Ansatz der Eismasse, dort wo der Holzgriff scheinbar endet
Genauso spöde und umständlich wirkt das auch mich. Wozu diese abweisenden Formulierungen?

Wie wäre es mit:

Ihr Eis schmilzt. So schnell kann sie ihr Eis gar nicht schlecken, dass nicht ein guter Teil davon abrutscht. Der Stil ist kaum mehr zu erkennen; das Eis tropft zudem herab auf Florentines Knie.
Alles, was dazwischen liegt, weglassen. Das wäre mein Vorschlag.
Bitte Stil mit e wie Besenstiel, Eisstiel, Blumenstiel, aber Schreibstil.


der Sorte Schmerz, die irgendwie auch helfen möchte, den Schmerz des anderen -Florentines Schmerz- durch Mitfühlen zu lindern.
Auch diesen Satz finde ich sperrig.

Wie rasch Kinder doch heilen!
Bei diesem Satz stutze ich. Wieso ein Ausrufezeichen? Wieso Kinder heilen? Wovon? Muss ich hier an Missbrauch denken? Willst du versteckt damit etwas andeuten? Oder sollte ich in deinem Text nicht hinter jedem Baum einen Räuber sehen?

zwischen all den Hochhäusern stapelt sich die Hitze.
gut beschrieben


dort oben im 6. Stock, schaut durch seinen Feldstecher hinab in die Schlucht, zum Spielplatz,
Schlucht finde ich gut gewählt

allen Schwung der Welt
auch das hat mir gefallen.


Insgesamt gefiel mir, wie du Stimmung erzeugt hast. Aber, wie du ja siehst, bleiben irgendwie noch ein paar störende Dinge und Fragezeichen bei mir zurück. Bin bespannt auf deine Antwort.


Lieben Gruß

lakita

 

Hallo 7,
Dein erster Satz legt nahe, dass es sich bei dieser Schaukelei um eine Geschichte zwischen Gegenheit und Vergangenwart handelt.
Irgendwie schwer zu glauben, dass Du dich da bloß vertippt hast.

sitzt auf der Schaukel, in der Hand ein Eis. Kaum, dass sie schaukelte.
Schöne Atmosphäre in unschöner Umgebung. Ich sehe einen Spielplatz zwischen lauter Plattenbauten. Viel Gras scheint’s hier nicht zu geben, auf einer Wiese kann man sich die Knie nicht so aufschürfen. Viel heiße Luft. Irgendwie hört man sogar das Quietschen der Schaukelketten.
Das ist alles sehr anschaulich beschrieben, dass tropfende Eis, die verkrusteten Schrammen, das Schwungholen, der kleine Bengel, der Florentine mit dem Fernglas beobachtet. Sind gerade Ferien? Und wenn er nichts zu tun hat, warum rennt er nicht runter, um mit ihr zu spielen? Aber im Grunde schreibst Du ja, dass er sie immer nur beim Spielen beobachtet; mitleidet, wenn sie mal stürzt etc. Vielleicht ist er krank, an die Wohnung gefesselt?
Sehr interessant fand ich Svens Vermutung
Ob das Eis, das ihr auf die Knie tropft, den Prozess der Heilung begünstigt?
Was aber soll die gedachte Linie, waagrecht gezogen? Sehr seltsam.
Ich erdreiste mich, folgendes überflüssig zu finden:
Mit einer Bewegung, die ahnen lässt, das Florentine sich dieser kaum bewusst ist,
Sechsjährige sind sich ihrer Bewegungen im Allgemeinen nicht bewusst, behaupte ich mal. Einfach: ‚Sie wischt sich … und nimmt Schwung‘.
Als Florentine dann abhebt, hab ich mir tatsächlich eingebildet, dieses Kribbeln im Bauch zu spüren, wenn man die Ketten loslässt und die Schwerkraft für eine Sekunde aussetzt.
Gut möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass alles eine Metapher ist; aber um das aufzudröseln, gibt’s Berufenere als mich.
Der letzte Satz ist wunderbar.
Schöne Grüße
Harry

 

Hallo lakita,

da bin ich schon wieder - und vielen Dank für deinen Besuch!

Oder sollte ich in deinem Text nicht hinter jedem Baum einen Räuber sehen?

Hohoho, natürlich nicht!
Ich glaube, dieser Text, ich verbiete mir selber, diesen als Werk zu bezeichnen, ist wohl mein, vom Umfange her, bei Weitem der kürzeste. Das, was sich da begibt, ist nicht so viel, noch dazu etwas, das sich wohl tausendfach jeden Sommertag an den entsprechenden Peripherien einer Grossstadt begibt, ein KInd auf der Schaukel, ein schmelzendes Eis, ein Voyeur droben an einem der vielen Augen dieser Schluchten, weswegen ich als Kategorie ja auch den 'Alltag' erwählte.

Dir gefällt (vom Titel abgesehen) das Ende dieser kleinen szenischen Miniatur, und somit gefällt Dir ein schwebender Zustand, Florentine Sprung, dessen Landung auszubleiben scheint, was natürlich die sog. Pointe des Stücks ist. Sven, ich nenne ihn mal 'das Auge', der Schmerz und Unschuld durch sein Fernglas saugt, betrachtet diese Situation. Im Grunde ist Sven der Leser, der ja immer auch Voyeur ist, dieser Leser. Ist er etwa ein Pädophiler? Das wäre ja so ein Räuber-Gedanke, Kind, blosse Knie, weisse Flecken ...

Ja. Nein.

Gruß
7

(Harry: noch ne Weile ple.a.se, die Eierschaukeln der Gegenwart, du weißt...)

 

Hallo 7miles

eine Miniatur hast du vorgelegt, eine Miniatur eines blühenden Mädchens, dessen Jugendblüte auf einer Schaukel sie in Luft befördert und, so nehmen wir einmal an, auch den Sprung schadlos übersteht, wie ja auch Katzen manchen Fall unverletzt erleiden, sich schütteln und weitergehen. Ein schönes Bild für die Unbekümmertheit von Kindheit und Jugend.
Auch ich hegte den Verdacht, dieser Sven mit dem Fernrohr wäre ein peeping Tom, auch dachte ich, irgendetwas in dieser Richtung müsste kommen. Es kam Gottseidank nichts. Wer ist aber Sven, welche Funktion hat er? Ein alter Rentner der.

sonst auch nicht viel zu tun,
hat, dessen Sehnsucht nach Jugend durch die Beobachtung gestillt wird? Sechster Stock ist sehr weit weg. Seine Funktion? Ein zweiter Blick des Lesers auf das Mädchen? Warum? Dieser Perspektivenwechsel bricht mit dem Erzählstrang und schafft dem Leser eine Distanz, von wo er das Mädchen erneut beobachten kann.
Die Hitze ist kurz und vorstellbar dargestellt.
Das Eis? Je, nun: Das Eisessen beherrscht die Sechsjährige nicht, es zerfließen Teile ungenutzt wie die Zeit des Glücks (?), als die das Schaukeln oft gesehen wird. Blühen, schmelzen, schaukeln, vergehen, schweben.
Vielleicht bleibt Florentine doch in der Luft und lebt so leicht und lustig wie in dieser Miniatur.
Stilistisch scheint mir die Leichtigkeit etwas beschwert durch 30 Prozent und die waagerechte Linie, während die Schramme die Dimension des Heils und der Heilung mit sich bringt.
Für manches Mädchen könnte diese Geschichte ein Geschenk sein.
Klein und fein, auch rätselhaft, deine Miniatur.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

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