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Flops
Die Bar war relativ klein und exklusiv genug, um sich die schäbige Atmosphäre leisten zu können. Es gehörte einfach dazu, fand Rehmann, als er seine Füße von der unbeschmutzbaren Lotos-Oberfläche des Bürgersteigs auf den verfilzten Teppich setzte. Diese kleine Insel der Verruchtheit, kaum mehr als ein langer Holztresen mit einigen Barhockern und ein paar strategisch verteilten Polstergarnituren, war einer seiner Lieblingsplätze geworden.
Man muss schließlich einen gewissen Stil wahren, wenn man schon seine Seele verkauft hat.
Rehmann sah sich um. Um diese Zeit war nicht hier nicht viel los. In der ehemaligen Raucherecke war der örtliche Escortservice, diesmal ausnahmsweise in Gestalt einer brünetten Lolita dabei, sich seinen Anteil am Vermögen von Joseph Gillings Erbtante zu sichern. Gilling war in letzter Zeit dazu übergegangen, den Schallschutz zu aktivieren, aber Rehmann kannte die Prozedur. Eigentlich war er ganz dankbar nicht mitanhören zu müssen, wie der selbsternannte Meister des Smalltalks seinen minderjährigen Matratzenschmuck vorbereitete.
Sie verbieten uns das Rauchen, aber senken das Mindestalter für offizielle Prostitution auf sechzehn. Ich liebe dieses Land!
Er erklomm einen der Zweimeter-Hocker, Sekunden bevor der Barkeeper das erste Glas Sunburn vor ihm abstellte. Markus grinste sein bestes Shaker-Grinsen. „Na Rehmann, wie läuft’s?“
Er schüttete die scharfe Syntheol-Mischung in seine Kehle. „Tja Markus, es ist wieder einer dieser Tage…“
„… von denen man nur sagen kann, das es einer dieser Tage ist. Schon klar. Das Übliche?“
„Das Übliche.“, nickte er und schob das leere Glas zurück.
Ehefrauen, Anwälte und Aktiencrashs - für sich allein konnte ein einzelner Mann damit fertig werden, zusammen bildeten sie Murphys unheilige Trinität, die jedes noch so geregelte Leben in einen scharfkantigen Scherbenhaufen verwandeln konnte. Und in so einem Scherbenhaufen stand Rehmann vor zwei Jahren.
Kaum war die Asche des XanaMec-Aktienkataklysmus auf sein Konto gelegt, präsentierte ihm sein über alles geliebtes Eheweib zahlreiche eindeutige WebCam-Mitschnitte seiner „Dienstreisen“, erwirkte eine Scheidung mit großzügiger Abfindung, um gleich darauf mit ihrem Anwalt in die Karibik zu verschwinden. Wie sein Chef Wind von der Sache bekommen hatte, wusste er nicht, jedenfalls fand sich Rehmann bald mit einem beachtlichen Schuldenberg und mehreren Hypotheken auf das Haus in einer schwarzen Pfütze aus Selbstmitleid wieder.
Das Lokal füllte sich dann doch noch schneller als er. Rehmann lauerte auf seinem Hocker und überwachte sein Jagdrevier. Der eine oder andere Stammgast tauschte ein paar flüchtige Worte mit ihm.
„Na Rehmann, was macht die Verdrahtung?“
„Könnt’ nicht klagen, Otto. Wie geht’s Eltraud? Hat sie’s gut verkraftet?“
„Hah!“ Ein Schnauben aus den tiefsten Tiefen seiner Nebenhöhlen. „Die Schlampe schmollt auf Mallorca. Kann sie sich abschminken, dass ich die Konferenz absage und ihr hinterher renne. Da nehm’ ich mir doch lieber eine von diesen minderjährigen Nutten.“
Rehmann deutete mit dem Kopf nach hinten. „Frag Gilling, ob er dir eine abgibt.“
„Herrgott, lass mich stark sein!“ Otto hob die Hände und ließ die Kontinentalplatten seiner Augenbrauen kollidieren. „Sag mal mein Lieber, haben sie dir wieder die Farbsicht abgedreht, oder ist dieser Aufzug Absicht?“
Rehmann lächelte. Er hatte seinen Mantel abgelegt und damit neben einer neongrünen Weste auch seine jüngsten Erfolge im Fitnessstudio enthüllt. Er wusste dass Otto neidisch darauf war, denn er hatte nicht die Zeit, seine Nachmittage in hormonbesprühten Ganzkörpertrimmern zu verbringen.
„Lass gut sein Otto, das ist das Auffälligste, was ich besitze. Und außerdem bin ich vertraglich verpflichtet, meinen Körper in Schuss zu halten.“
Der Wolkenkratzer von Allthink war auch dann kaum zu verfehlen, wenn man nicht verzweifelt war. Farbige Logodrohnen und Holo-Slogans umschwirrten ihn wie kleine Monde einen Gasgiganten.
Irgendwie fehlt jetzt nur noch, dass sich der Himmel teilt und das Licht des Allmächtigen auf den Laden hernieder scheint, dachte Rehmann säuerlich, während er sich von der Straßenbahnstation auf den überfüllten Bürgersteig drängte. Mit seinem Leasingvertrag hatten sich irgendwie alle Annehmlichkeiten der Stadt in Luft aufgelöst.
Die Eingangshalle war weniger schwülstig, dafür glamouröser als das Äußere des Gebäudes. Schwerer Marmor und Gold oder wenigstens gutes Imitat. An einer großen Säule in der Mitte hing eine ebenfalls goldene Holo-Anzeige:
391 930 312 274 124
Noch während er hinsah, verschwamm die Zahl und erhöhte sich um mehrere Hunderttausend.
Ein prächtiges Gefühl, mit ansehen zu können, wie der erste KI-Konzern der Welt floriert.
Weitere Aufschriften verkündeten: „Sei ein Teil davon!“ oder „We want you for AI-Army!”
In einem unerklärlichen Anfall von Stolz straffte er seine Gestalt und hielt auf den Empfangstisch zu.
Synthehol wurde als größte Erfindung des Jahrhunderts gepriesen, schließlich sollte die sogenannte „perfekte Droge“ nicht nur der feuchte Traum jedes jugendlichen Partysäufers werden, sondern auch den volkswirtschaftlichen Schaden mehrerer Hunderttausend Vollräusche pro Tag beseitigen und einige wenige Chemie-Multis sehr, sehr reich machen.
Rehmann hielt ihn für den größten Mist, den Regierung und Wirtschaftsärsche jemals verbrochen hatten. Kein Kater, keine Schäden keine Abhängigkeit, es war ein verdammter Beschiss.
Synthetische Aromen, synthetischer Suff, wie gut das passt! , wälzte sich durch sein Hirn, als er den Rest des Coca-Whiskeys aus seinem Glas lutschte.
Das Zeug machte einen eher high wie diese altmodischen Pillen, eine ziemlich miese Parodie der gelassenen Schwere eines Originalbesäufnisses. Rehmann bestellte einen weiteren Sunburn mit doppelter Limone und lehnte sich auf das glatte Holz des Tresens.
Und dann sah er sie.
Sie war schon an mehreren Tagen zuvor hier gewesen. Diese Frau wirkte auf den ersten Blick wie ein perfektes Klischee: Es war die Sorte Frau, die in Filmen eine Zeitlupenszene bekommen, nur um das spontane Flattern ihrer langen, roten Mähne im Luftzug der geöffneten Tür einzufangen oder einen genaueren Blick auf die Massenträgheit ihres Ausschnitts zu zeigen. Doch irgend etwas in ihren Augen gab ihm zu verstehen, dass damit noch lange nicht alles über sie gesagt war.
Sie ging an ihm vorbei, wie die letzten Male auch und mischte sich mit dem Hintergrund.
„Nicht schlecht.“, zwinkerte der Barkeeper, während er ein volles Glas vor ihm abstellte.
„Das beste, was ich in dieser Kaschemme gesehen habe!“, gab Rehmann heiser zurück. „Ist sie bestellt?“
Markus zuckte mit den Schultern. „Das ginge über das Hausbudget. Ich glaube, sie ist auch immer wieder alleine gegangen.“ Er klopfte ihm scherzhaft auf die Schulter. „Komm schon Rehmann, man kann nicht alles kaufen!“
Rehmann grunzte verächtlich. „Doch, man kann.“, sagte er und nahm einen großen Schluck
„Guten Tag, Herr Rehmann. Ich bin die körperlich-rechtliche Vertretung der Allthink-KI, die Ihnen zugeteilt wurde. Mein Unterprogramm trägt die Bezeichnung Marionette 27.9b, aber Sie können mich Marion nennen.“
Auf der anderen Seite des Tischs kämpfte Rehmann gegen die Bequemlichkeit des Silikonformsessels. Er hatte von den KI-Marionetten gehört, aber noch nie eine gesehen. Trotzdem meinte er das Gesicht des Frau-Dings aus einem alten Film zu kennen. Dann erinnerte er sich an den Fall: Vor ein paar Jahren hatte eine pleite gegangene Schauspielerbrut erfolgreich das genetische Erbe ihrer Mutter an Allthink verscherbelt.
Rehmann konnte ihnen keinen Vorwurf machen.
Immer noch besser, als das, was ich vorhabe. Er zwang sich zu einem Lächeln.
Die Marionette ließ die Blätter eines Stoßes Datenfolien durch ihre langen Finger gleiten. „Der ärztliche Befund ist in Ordnung. Sie sind kerngesund. Laut unserem Doktor haben Sie eine Lebenserwartung von 98,4 Jahren. Meinen Glückwunsch, Herr Rehmann. Das kann nicht jeder von sich behaupten, besonders heutzutage nicht.“
„Vielen Dank … Marion.“ Er bemerkte, dass er schwitzte.
„Aber das ist ja erst die halbe Miete. Rein körperlich geeignete Probanden haben wir genügend.“
Sie griff nach einem anderen, weitaus dünneren Folienstapel. „Ihr NP-Test.“, sagte sie und blätterte in den Ergebnissen, obwohl sie zweifelsohne alle Daten in Nullzeit aus dem Speicher von Allthink abrufen konnte. Rehmann zwang sich ruhig zu atmen.
„Das menschliche Gehirn ist ein erstaunliches Konstrukt.“, fuhr die Marionette fort, ohne ihn direkt anzusehen. „ In Japan und Amerika baut man fabrikgroße Anyon-Konverter, um ein erbärmliches Häuflein Bits in unscharfe Quanten zu pressen. Dabei liegt der perfekte Computer doch direkt hinter ihrer Nasenscheidewand. Und trotzdem nutzt der Mensch nur einen kleinen Teil der realen Kapazität seines Gehirns, das wusste schon Einstein.“
Sie kicherte leise und Rehmann fragte sich, ob das auch nur ein Teil des Hallo-ich-bin-fast-wie-ein-Mensch-Theaters war. Dann sah sie plötzlich auf.
„Herr Rehmann, ich freue mich Ihnen mitteilen zu können, das Sie ein vollkommen geeigneter Kandidat sind. Die Chancen, dass bei der erforderlichen Nano-Formatierung von einem Fünftel ihres Großhirns Ihre kognitiven, sensorischen und emotionalen Fähigkeiten nahezu vollständig erhalten bleiben, liegen bei über 95 Prozent.“
Erhalten bleiben… erhalten bleiben…, hallte es durch seinen Verstand. Er nickte.
Die Marionette legte die Fingerspitzen aneinander.
„Allthink bietet Ihnen einen Lebenslangen Kontrakt. Die Spezifikationen sind folgende…“
Und Rehmann unterschrieb.
Irgendjemand hatte Markus dazu gebracht, den zerschrammten Plasmafernseher über der Theke anzuschalten. Rehmann protestierte halbherzig, aber der Barkeeper hatte nur das Gesicht verzogen und ein neues Glas vor ihm abgestellt. Bei einem Blick in den hinteren Bereich der Bar sah er den roten Schopf der Frau am Tisch zweier Banker, die er nur flüchtig kannte. Missmutig drehte er sich um. Einer jener Tage schien sich zu einem richtig miesen Abend auszuwachsen.
„… hat der KI-Konzern Allthink die japanische Konkurrenz im letzten Quartal mit knapp 400 TerraFLOPS regelrecht abgehängt. Die Allthink-Aktie gewann gegenüber dem Vormonat um sechzehn Prozent und zog die gesamte IT-Börse…“
„Verdammt, wenn die Kiste schon an sein muss, dann schaltet wenigstens auf den Porno-Kanal um!“, rief jemand von hinten und erntete prompten Beifall seines Tisches. Rehmann prostete ihm zu.
„… ließ die Allthink-KI über ihren Pressesprecher Mario verlauten, sie sei ,sehr stolz’ auf den Erfolg und alle Menschen, die daran beteiligt seien, sollten es auch sein.“
„Oh, keine Angst, ich bin Stolz, so was von Stolz!“, murmelte Rehmann.
„Stolz auf was?“
Er hätte sich beinahe an seinem GinTonic verschluckt.
Neben ihm zog sich die rothaarige Frau mit einer eleganten Bewegung auf einen Barhocker.
„Stolz auf Allthink? Machen Sie da mit?“
Es war nicht gerade das Thema, mit dem Rehmann normalerweise ein Gespräch begann, aber in diesem Fall hätte er auch liebend gern über biologische Abfallentsorgung geredet.
„Ja.“ sagte er und rang sich ein Lächeln ab. „Mein Beitrag. Zwanzig Prozent von dem hier oben.“ Er tippte an seine Schläfe.
„Rehmann“
„Rehmann… Haben Sie auch einen Vornamen?“
„Ja. Haben Sie einen?“
Sie blickte ihn an, fast tadelnd, dann lächelte auch sie. „Marie.“
„Darf ich ihnen etwas zu trinken ausgeben, Marie?“
„Synthehol? Ich hasse Synthehol!“
Fast wäre ihm die Kontrolle über seinen Gesichtsausdruck entglitten. Scheiße, das darf doch…
Sie lachte hell auf und schlug kokett die Beine übereinander. „Aber wer tut das nicht. Sie dürfen. Hätte ich mich denn sonst hier hergesetzt?“
Es war viel zu einfach. Man bohrte winzige Löcher in seinen Schädel und füllte den Flaschengeist ein. Dann tackerten sie ihm einen Breitband-Netzkontakt an die Nackenwirbelsäule und schickten ihn nach Hause. Sauber, ambulant und unter lokaler Betäubung.
Und alles war einfach. Seine Geldsorgen lösten sich in Wohlgefallen auf. Ob das monatliche Geld von einem Menschen oder einer KI überwiesen wurde, pecunia non olet…
„Sechs Stunden am Tag stehen im Vertrag. Ich leg’ mich in mein Bett, und es ist wie Einschlafen. Na ja fast. Eher, als ob jemand den Stecker zieht. Und dann kann Allthink die ganze Kapazität nutzen. Ich merke davon ja nix. Und dann, sechs Stunden später wache ich auf, schlucke so viele Pillen wie mein Opa in der Krebsklinik, Regeneration von Serotonin, Acetylcholin und der ganze Kram. Und davon lebe ich nicht schlecht. Und ob ich nun von Neun bis Fünfzehn im Büro sitze oder Hardware für eine KI spiele…?“
Rehmann ließ seinen Monolog mit einer dramatischen Handbewegung ausklingen, dann lehnte er sich in die Polster zurück. Sie hatten sich in eine Sitzecke zurückgezogen, ab einem bestimmten Syntheholpegel war es einfach nicht mehr ratsam, zwei Meter über dem Boden auf dünnem Holz zu hocken. Schräg gegenüber hatte Marie ihren Kopf in die Hände gestützt und gewährte ihm damit einen äußerst einladenden Blick in den Ausschnitt ihres Kleides. Von ihrem Mundwinkel führte ein Glimmer-Strohhalm zu einem großen Glas Martini Sour.
„Und den Rest des Tages? Was machen Sie da?“
Trumpfkarte.
„Ich male. In Öl.“ Er betonte jedes Wort sehr sorgfältig, bevor er noch ein bescheidenes „Manchmal.“ anhängte Es war ein teurer und endlos langweiliger Kurs gewesen, aber er hatte sich bereits mehrmals ausgezahlt. Der melancholische/exzentrische Künstler kam immer gut an.
„Na sieh mal an!“ Er wurde mit einem einladenden Funkeln in ihren Augen belohnt. „Rehmann malt.“
Ihre Finger spielten an ihrem Strohhalm.
„Und was malen Sie so? Hunde? Katzen? Blumenvasen?“ Pause. „Frauenakte?“
Jackpot!
„Nur wenn eine wunderschöne Frau mir Modell steht.“, säuselte er.
Wieder lachte sie, dann winkte sie ihn mit dem Zeigefinger zu sich heran.
„Wir gehen jetzt zu Dir.“, flüsterte sie und streifte sein Ohr mit ihren Lippen. Er bekam eine Gänsehaut. „Und dann tun wir das, was Du wirklich willst. Und vielleicht darfst du mich danach auch malen. Also?“
Rehmann brachte ein Nicken zustande.
„Seht gut.“, sagte Marie und stand auf. „Aber zuerst besorgen wir uns noch etwas echtes. Von dem Zeug hier kommt doch keiner in Stimmung!“
Sie stieß mit einem Finger ihr noch halbvolles Glas um. Rehmann beobachtete fasziniert, wie die helle Flüssigkeit über die Tischplatte rann und über den Rand tropfte. Seine Gedanken drehten sich jedoch weniger um den Spaß, den Markus mit diesem Fleck haben würde, sondern um den Spaß, der ihm mit Marie bevorstand.
Nach anderthalb Jahren war er versucht gewesen, den Begriff „Unvorhergesehenes“ aus seinem Wortschatz zu streichen. Sein Leben lief so automatisch wie die Stunden, in denen sich Allthink in seinem Kopf bedienen konnte.
Und dann wachte er eines Tages auf und sah die Welt auf antikem Zelluloid. Tristes Schwarz-Weiß. Er schluckte seine Pillen und duschte eiskalt, aber die Farben blieben weg. Rehmann lief den ganzen Tag wie ein Geist umher und zum ersten Mal seit langem hatte der wieder das Gefühl, mehr als ein paar Zellen verkauft zu haben.
Die Erklärung folgte am nächsten Tag. Eine freundliche Marionette entschuldigte sich für die außerplanmäßige Kapazitätserweiterung, das Verteidigungsministerium hatte dringend eine Komplettsimulation der Folgen des strategischen Kampfgaseinsatzes in Kongo-Becken benötigt. Eine zusätzliche Prämie flatterte auf sein Konto.
Der Einzige, der je etwas davon erfuhr war Otto, der ihn an jenem Abend davor bewahrte, sich in volltrunkenem Zustand vor der Bar auf die Straße zu schmeißen.
Rehmann unternahm bereits im Taxi einen Versuch über sie herzufallen. Marie ließ ihn eine Weile an ihrer Halspartie knabbern, wischte dann sanft aber bestimmt seine Hand vom Verschluss ihres Kleides.
„Nachher!“, sagte sie und streichelte sein Kinn.
Vorbeizischende Lichter und sein nicht unerheblicher Syntheholspiegel ließen Rehmann schon bald die Orientierung verlieren. In einer dunklen Seitengasse stieg Marie dann kurz aus. Er erkannte ein paar sich bewegende Schatten durch die Heckscheibe, dann war sie auch schon wieder da und zog die Tür geräuschlos zu. Sie hielt ihm eine braune Tüte unter die Nase. Darin befand sich…
„Ist das…?“
„Echter Whisky, ja.“
„Wow.“ Mehr viel ihm nicht ein.
„Er ist nur noch sehr schwer zu bekommen.“, haucht Marie. „Und wenn du wüsstest, was er für eine Wirkung auf mich hat…“ Sie fuhr mit der anderen Hand ihren Ausschnitt entlang.
Rehmann konnte dem Fahrer gar nicht schnell genug seine Adresse sagen.
Alkohol, KIs und Marionetten - für sich allein konnte ein einzelner Mann damit fertig werden, zusammen bildeten sie den Hammer, der das gekittete Scherbenkonstrukt seines Lebens zu feinem Tonstaub zermalmte.
Das letzte, was er durch verklebte Augenlider von der Marionette 100x.3 sah, waren eine lässige Handbewegung, mit der sie die Mini-WebCam von der Staffelei neben seinem Bett ablöste, ein schelmisches Zwinkern und ihre schlanken Finger, die die Tür geräuschlos ins Schloss zogen.
Der Rest ging sehr schnell.
„Herr Rehmann, als körperlich-rechtliche Vertretung der Allthink-KI, die Ihnen zugeteilt wurde, sehe ich mich leider gezwungen, Ihnen mitzuteilen, dass wir uns entschieden haben, in anbetracht Ihres einwandfrei dokumentierten Vertragsbruchs, gemäß Paragraph 37, Absatz 2 ihres Vertrages zu verfahren.
Die von uns erbrachten Beweise zeigen Sie ganz eindeutig beim Konsum einer illegalen und nervenschädigenden Droge.“
Die Marionette hinter dem Schreibtisch verzichtete dieses Mal auf jede erkennbare, menschliche Regung. Unnahbar und perfekt thronte Allthink hinter dem Schreibtisch, als wäre alles, was geschehen war, nur eine verpatzte Formalität.
Du hast mit mir geschlafen, Du dreckige KI.
Welch ein Trost!
„Nach geltendem Recht, ist Allthink befugt, für den Rest Ihres biologischen Lebens die volle Kapazität ihres zentralen Nervensystems abzuschöpfen. Für lebenserhaltene Maßnahmen kommen wir auf. Wollen sie zivilrechtlichen Widerspruch einlegen?“
„Nein.“, sagte Rehmann und fügte sich in sein Schicksal, wie er es eigentlich immer getan hatte
401 385 074 284 002
FIN