Flirt
FLIRT
Nein, glaube mir, es ist so wie ich sage.
Du lernst sie kennen, ein kleiner Flirt, eine nette Unterhaltung, Gemeinsamkeiten werden isoliert, herausgearbeitet. Die gegenseitigen Augenkontakte, sie werden länger, etwas mutiger, verharrender, hungriger und suchender. Sie werden häufiger, begleitet von Lächeln, von Lachen, die Distanz verkürzt sich.
Urplötzlich betrachtest du ihren, auf dem Tisch liegenden Unterarm mit anderen Augen. Die dezente Bräune der Haut, die blonden kecken Härchen schimmern goldfarben.
Die lässig sich hin und wieder, gestenreich bewegende Hand, die grazilen Finger, sehnig, schlank, knochig.
Sie beginnen ihr Eigenleben vor deinen Augen zu entwickeln.
Sie erzählen, locken, betören, schmeicheln, öffnen und schließen sich. Du findest sie schön, nein nicht nur schön, weiblich, aufregend, verlockend und sexy.
Es ist doch nur eine Hand die sich bewegt und dennoch die Anmut der Bewegung, die Grazie, der Liebreiz, die Wohlgeformtheit, die Zartheit.
Es entsteht der Wunsch diese Hand mit der deinen zu umschließen, sie zu streicheln zu drücken sie zu betrachten, ihre Wärme in dir aufzunehmen, sie mit deinen Küssen zu verwöhnen, sie zu halten und nicht mehr freizugeben.
Sie scheint deine Begehrlichkeit zu spüren, deine Blicke zu beobachten und du bildest dir ein, dass sie, diese Hand von nun an nur noch für dich da ist, für deinen Überschwang der Gefühle, für den Zustand deiner Seele, deiner Gedanken deines Wollens, die du in diese Frauenhand hineininterpretierst.
Deinen Stuhl hast du zur Verkürzung der Distanz längst soweit zum Tisch herangezogen, dass die Tischkante bereits auf deinen Bauchnabel drückt. Auch dein Gegenüber das leuchtende Paar dunkler Augen, der leicht ironische Ausdruck ihrer Lippen, die zeitweise kurz bebenden Nasenflügel, all dies empfindest du als eine gewaltige Woge der über dir hereinbrechenden Gefühle.
Die allernächste Umgebung löst sich auf in unscharf skizzierte Bilder, der Geräuschpegel des an der Hauptverkehrsstrasse liegenden Cafes tritt zurück in das dämmerige Summen des Nachmittags. Zeit und Raum werden unwichtig. Was zählt ist der Moment und der nächste und noch ein weiterer.
Sie hat längst ihren rechten Ellenbogen undamenhaft auf die Tischplatte stützend deinem Annäherungsbestreben Rechnung getragen, in ihren Augen jenen unbeschreiblichen Glanz der Verliebtheit, deine rethorische Fähigkeit, auch die allerletzten Ecken ihrer Kleinmädchenseele auszuleuchten, verträumt, gerührt in sich einsaugend.
Ihr linker Arm liegt scheinbar unbewegt locker gelöst auf der Tischplatte. Es scheint dir, er läge nicht mehr so weit entfernt, wie vor wenigen Minuten. All dies erkennst du aus den Augenwinkeln, denn zwischenzeitlich hast du deinen Blick in den ihrigen vergraben und es ist sicher, du wirst diesen Blick in den nächsten dreißig Minuten nicht nachhaltig verändern.
Es geschieht mit der Macht der Ohnmacht. Die Fingerkuppe deines rechten Zeigefingers erreicht die sorgfältigst manikürte, gelackte Oberfläche ihres linken Zeigefingers.
Das überwältigende Gefühl, dein Ziel erreicht zu haben durchströmt deinen Körper.
Alles bleibt ruhig, sie zuckt nicht, zieht nicht zurück.
„Junge, bleib ruhig!“ Wenn du jetzt deine vermeintlich gute Kinderstube zum besten geben willst und ein“ Oh, verzeihen sie!“ herausquetschst, dann reihst du dich ein in die Gruppe der Hoffnungslosen, derer, die, die Liebe verraten, in die Gruppe der Tränensäcke und der Zerstörer sämtlicher hoffnungsvoller Frauenträume dieser Erde.
Aber nein, du scheinst begriffen zu haben. Sanft gleitet deine Fingerkuppe über den lackierten Nagel, klettert schon dreist den feingliederigen Zeigefinger entlang um mit Entschlossenheit die ruhende Hand zu umschließen.
Ströme wundervollster Gefühle durchpulsen deine Adern. Sieg! Triumph! Deine Augen suchen die ihrigen voll innigster Rührung. Deine Hand drückt, presst, spricht mit ihr und du spürst erstmalig, dass auch ihr die Sprache der Hände wichtig ist.
Du darfst jetzt bezahlen, mit ihr gehen, in das Land deiner Träume. Du wirst ihre Hand halten, drücken, sie sprechen lassen. Doch vergiss nicht – es ist nur der Anfang.
© Griffel