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Fleischbällchen am Donnerstag
Fleischbällchen am Donnerstag
Sie fühlte sich unwohl. Nur ein wenig, denn es war ja für einen guten Zweck. Aber wieder und wieder wanderte ihr Blick zu der kleinen Tüte, die neben dem Rezeptbuch lag. Sie hatte vorhin schon daran gerochen. Ein absonderlich saurer Geruch, den sie von Kräutern nicht erwartet hatte. Jetzt verstand sie, warum sie sie in Fleischbällchen mische sollte. Die würde er ohnehin mit Sauce essen und scharf angebraten. Das konnte den Geruch sicher überdecken. Er sollte ja keinen Verdacht schöpfen. Es wäre mindestens erforderlich, dass er zwanzig Prozent davon essen sollte. Also, wenn sie zehn Fleischbällchen machen würde, dann musste er nur zwei davon essen. Das würde er sicherlich von selbst tun. Schließlich griff sie nach dem kleinen Tütchen und mischte den Inhalt in die Hackfleischmasse.
Beim Anbraten stieg ihr wieder der säuerliche Geruch in die Nase. Irgendwie unangenehm. Und die Kräuterstücke wirkten noch unnatürlich grün. Schnell riss sie die Fenster auf und wedelte mit den Topflappen herum. Aber nachdem die Bällchen ein paar Minuten im heißen Öl herumgerollt waren, konnte sie nichts Auffälliges mehr feststellen. Sie rochen sogar appetitlich.
Sechs Uhr zwanzig. Sie hörte seinen Wagen über den Kies knirschen und in die Garage rollen. Pünktlich wie immer. Er betrat das Haus durch die Garagentür, lächelte herüber und stellte erst mal die Aktentasche auf den Flurtisch. Die Schuhe darunter. Dann kam er zu ihr in die Küche, trat hinter sie und küsste sie auf den Nacken. Schuldbewusst drehte sie die Fleischbällchen ein letztes Mal um.
Sie sprachen wenig, während sie die Bratkartoffeln und Fleischbällchen auf die Servierteller und die Sauce in die Sauciere füllte. Er saß schon am gedeckten Tisch, als sie mit dem Tablett aus der Küche kam.
"Das riecht aber verführerisch!" Sie nickte und eilte in die Küche zurück, um die Flasche Wein zu holen. Alkohol sollte die Wirkung verstärken, hieß es. Verführerisch. Das war lange her. Gehörte einer anderen Zeitrechnung an. Leider. Aber vielleicht würden sich auch diese Zeiten ändern. Bald. Sehr bald. Der Korkenzieher lag obenauf in der Schublade. Schon heute morgen zurechtgelegt. Nur um sicherzugehen. Sie setzte ein unverfängliches Lächeln auf und ging wieder hinüber ins Esszimmer, wo er bereits die Portionen auf die Teller ausfüllte.
Auf ihrem Teller lag eines der knusprig braunen Fleischbällchen, umrahmt von Bratkartoffeln. Sie schluckte und beschäftigte sich mit der Weinflasche, um sich abzulenken.
"Seit wann gibt's denn bei uns Wein an einem Donnerstag Abend? Und das zu Fleischbällchen?" Er hatte ja Recht. "Ach, nur so. Das ist die Flasche, die Doris letzte Woche mitgebracht hat und jetzt hat sie mich schon drei Mal gefragt, wie er denn geschmeckt hätte. Da dachte ich, wir könnten uns mal was gönnen." Es war nur halb gelogen, aber ansehen konnte sie ihn trotzdem nicht. Doris hatte ihn mitgebracht, und auch gefragt. Der Grund war es natürlich trotzdem nicht.
"Prost", sie stießen an und er machte sich über das erste Fleischbällchen her. Unsicher zerlegte sie ihres mit der Gabel. Absolut harmlos für sie, hatte es geheißen. Sie könne, solle sogar, mitessen. Schon, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Denn das konnte alles zerstören.
Er sah von seinem Teller hoch und lächelte sie an. "Ist alles in Ordnung, Schatz? Die Dinger waren noch nie so gut! Alle Achtung!" Er nickte ihr aufmunternd zu. Mit Todesverachtung schob sie den ersten Bissen in den Mund und war selbst überrascht. Nichts von dem Sauren, das sie erwartet hatte. Und auch sonst kein Nachgeschmack. Nur exzellente Kräuter in zartem Fleisch. Wirklich besser als je zuvor. Ja, klar, etwas ganz Besonderes! Warte auf die Wirkung. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und den Abend nicht vor dem Dessert. Wir werden sehen.
Er hatte die erste Portion schon aufgegessen. Nur noch ein Bällchen, dann würde die Wirkung einsetzen. Also nimm Dir noch mal, Schatz. Aber stattdessen lehnte er sich zurück.
"Das war phantastisch, Schatz. Vielen Dank!" Sie musste wieder schlucken. "Wie? Du bist doch nicht etwa schon fertig? Nimm Dir!" Ihre Stimme klang ein wenig zögerlich, aber sie verlieh ihrem Angebot Nachdruck, indem sie den Servierteller zu ihm herüberschob.
"Danke, ich bin satt." Das konnte, durfte nicht wahr sein. Er aß immer zwei. Oder mehr. "Bist Du sicher?" Er nickte und nahm noch einen Schluck Wein.
Gut, wenn Angebote nichts halfen, dann Plan B. Sie setzte eine betrübte Miene auf. "Na gut. Ich weiß ja, dass sie heute nicht so schmecken, wie sonst. Ich weiß auch nicht, was heute anders ist." Er sah sie erstaunt an: "Aber, Schatz, die waren ausgezeichnet!" "Ach, das sagst Du nur so." Ein betrübter Blick nach unten. Energisch schüttelte er den Kopf. "Komm, ich beweis es Dir! Ich esse noch eins. Mehr schaff ich aber wirklich nicht." Erleichtert, aber schuldbewusst atmete sie aus.
Nach dem Essen ging er zum Fernseher hinüber, schaltete ihn ein und ließ sich auf die Couch fallen. "Vorabendprogramm?" Sie sah ihre Felle davonschwimmen. "Naja, sonst läuft ja nix." "Kannst Du mir wohl einen Gefallen tun?" "Sicher", er drehte sich zu ihr herum. "Ich hab da doch dieses Kleid gekauft. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das jemals irgendwo tragen kann. Was meinst Du?" "Welches Kleid?" "Das schwarze", sie sah ihn nicht direkt an. "Das kenne ich gar nicht, oder?" "Oh, ich dachte, Du hättest es am Schrank hängen sehen, oder so." Er schüttelte den Kopf.
"Naja, es ist so, bis morgen kann ich es noch zurückgeben. Man hat da eine Woche. Kannst Du es Dir wohl mal ansehen? Dann zieh ich's schnell mal an." Er schaltete den Fernseher wieder aus, stand auf und folgte ihr ins Schlafzimmer. Während er sich auf das Bett fallen ließ, nahm sie das Kleid aus dem Schrank, ging damit ins Bad und schlüpfte hinein. Es war schwarz, eng, reichte bis zu den Knöcheln und war am Hals hochgeschlossen. Es nickte anerkennend, als sie das Zimmer betrat. "Sicher kannst Du das tragen. Das ist doch keine Frage!" "Ach ja?", sie hatte jetzt ein schelmisches Grinsen auf den Lippen. Betont langsam drehte sie sich herum.
Auf der Rückseite beider Beine war der glatte, seidige Stoff geschlitzt, bis beinahe hinauf an ihren Po. In den Schlitzen war eine voluminöse Falte schwarzer Spitze eingenäht, die mehr offenbarte, als verhüllte.
Als wäre das nicht schon genug, war mit derselben Spitze der ganze Rückenausschnitt bis hinunter an die Taille gefüllt. Das Kleid bestand hinten aus beinahe nichts, als den dekorativen Löchern der Spitze.
Sein anerkennender Pfiff brachte sie zum Lachen. Genauso wie vor zwanzig Jahren. So hatte er gepfiffen, als sie zu ihrem ersten Date erschienen war. In einem knappen Sommerkleidchen und mit zuviel Make-up. Sie hatte diesen Pfiff in den letzten Jahren vermisst. Aber er schien die Welt wieder in Ordnung zu bringen.
Vielleicht war es das Kleid. Vielleicht hätte sie es erst nur mit dem Kleid versuchen sollen, nicht gleich das Essen kochen. Vielleicht hätte das ausgereicht. Aber dann wiederum, hatte es all die Jahre nicht gereicht, derartige Dinge zu tun.
Er stand vom Bett auf und ging auf sie zu. Wie damals legte er eine Hand auf ihre Wange und küsste sie zärtlich auf die Lippen. Dann zog er sie zum Bett.
"Schatz, ich glaube, wir haben etwas zu feiern", dabei sah er ihr tief in die Augen. Fragend gab sie den Blick zurück. Er deutet an seinem Körper nach unten. "Es geht wieder, wie es scheint. Ich weiß nicht, vielleicht war es dieses Kleid...." Mit einer Träne im Augenwinkel sank sie neben ihm auf das Bett.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte und ihn neben sich liegen sah, war sie froh, es getan zu haben. Sein Gesicht wirkte so friedlich und entspannt. Und auch sie fühlte sich gelöst. Wie von einer Last befreit. Sie stand leise auf und ging in die Küche. Wie jeden Tag packte sie ihm ein Lunchpaket zusammen. Heute legte sie auch zwei der Fleischbällchen von gestern dazu. Vielleicht war es das Kleid, vielleicht auch nicht. Das würde sie dann heute Abend erfahren.
Zu gerne würde sie ihm von ihrem Experiment erzählen, aber das konnte sie nicht. Das würde alles zerstören. Sie erinnerte sich zu gut an seine Reaktion auf den Vorschlag, mal zum Arzt zu gehen, deswegen. Nein, er würde niemals zugeben, dass er ein Problem hatte. Also konnte er auch nichts dagegen tun. Aber sie konnte jetzt. Für eine Weile würde es eben häufiger Fleischbällchen geben. Und vielleicht konnte sie ihm irgendwann davon erzählen.