Flecken
„Ich liebe dich.“
Es rauscht. Die Welt rauscht. Meine Ohren dröhnen. Die Welt rauscht und meine Augen brennen. Warum sieht meine Decke so uneben, so fleckig aus? War sie nicht gestern noch glatt und weiß? Ein kleiner Fleck, der sich ausbreitet und irgendwann werde ich meine Decke nicht wiedererkennen können. Die Verfärbung wird nach links stärker, je näher man zur Tür kommt. Sie versperrt den Weg nach draußen. Ich schaue nach rechts. Die Wand hier ist noch weiß, aber das Fenster schließt nicht richtig. Das kann ich ganz deutlich spüren, weil es sich manchmal so anfühlt, als würde sich die Kälte durch meine Kleidung hindurch in meinen Körper drängen. Auf meinen Knochen absetzen und mich nach unten drücken. Unter das Wasser – das Dunkle – die Verfärbung. Dabei mag ich den Winter doch und die eisigen Winde. Wenn die Luft beißt und man seinen eigenen Körper spürt wie niemals sonst. Aber diese unabdingliche Kälte als konstanter Begleiter… trotzdem, der Winter ist besser als der Sommer. Weil man weniger Verpflichtungen hat – niemand erwartet ein Lächeln, geschweige denn irgendeine Form von körperlicher Aktivität, wenn draußen Minusgrade herrschen. Kinderlachen im Schnee. Genug. Ich habe viel gelacht, als ich noch Schlitten gefahren bin und meine Geschwister im Draußen gejagt habe.
Letzte Woche hatte er mit mir Plätzchen backen wollen. Aber ich weiß nicht, ob wir welche gemacht haben. Dabei bestand ich drauf, dass er sich die Zeit nehmen und mit mir Weihnachten genießen würde. Immer und immer wieder. Ich plagte ihn mit Fragen. Ich bestand darauf, dass er sich Zeit nehmen würde und forderte mein vermeintliches Recht ein. Jetzt habe ich vergessen, ob ich es tatsächlich bekommen habe. Bei dem Gedanken fühle ich mich leer. Schuldig. Wie kann man sich schuldig fühlen, wenn man bekommen, wonach man sich sehnte? „Er ist zu gut zu dir“, antwortet die Stimme in meinem inneren. Sie zu ignorieren fällt mir schwerer, je fortgeschrittener der Tag ist.
„Hast du mich gehört?“
Er liegt neben mir und ist schön warm. Ich kann nicht verstehen, wie er so warm sein kann, wenn er doch von der Kälte draußen kommt. Man kann es noch an seinen Backen sehen, denn sie sind gleichbleibend rosig und weiß. Und jetzt lächelt er mich an und für einen Moment vergesse ich die Flecken an der Decke und konzentriere mich auf die kleinen dunkelblauen Punkte in seiner Iris. Er ist wunderschön mit seinen roten Lippen und den Haaren, die in die Stirn fallen, wenn er am Lesen ist. Manchmal schaue ich ihm zu, wie er redet oder kocht oder putzt und dann denke ich, wie gut ich es habe ihn in meinem Leben zu haben. Und wie selbstverständlich er in meine Welt passt. Ich will meine Hand ausstrecken und ihn berühren, seine Wärme durch die Haut in meine Knochen fließen lassen. Aber dann richtet sich mein Blick wieder nach oben und da ist dieser dunkle Fleck. Dunkelgrau auf meiner weißen Decke. Gestern war er noch nicht da, dessen bin ich mir sicher. Er macht Musik an und summt leise mit. Es klingt sehr schon, beinahe friedlich. Ich erkenne das Lied. Wir haben es früher oft gemeinsam gehört während wir uns unterhalten haben – das perfekte Hintergrundlied hat er mal gemeint. Ich versuche mich von der Musik tragen zu lassen, die Töne sollen mich leiten. Aber bald vermischen sie sich, überlappen und kommen schief an. Die Melodie geht verloren. Die Musik ist zu laut dafür. Und die Töne lassen alles andere verstummen, fordern Aufmerksamkeit. Die Welt rauscht. Sie rennt und bleibt plötzlich stehen. Ich will ihn fragen, ob er es leiser schalten könnte, aber kann nicht. Stattdessen schaue ich ihn nur an. Er sieht auf die Decke. Sie ist weiß und glatt und ich denke daran, dass sie wieder so aussieht wie gestern. Er dreht die Musik auf. Mein Kopf rauscht. Er schaut mich an, seine Augen wirken dunkelblauer als sonst und fleckiger. Ich will ihn fragen, ob der die Musik leiser schalten könnte doch ich kann nicht. Stattdessen verknotet sich mein Bauch.
„Ich liebe dich auch.“