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Flattern im Dunkeln

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29.06.2018
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Flattern im Dunkeln

Beide sitzen wir im selben Raum. Er ist hell, die Wände sind schneeweiss und von Licht beschienen. Dabei gibt es keine Fenster. Ich stehe auf, gehe ein paar Schritte vor und drehe mich zu ihm. Seine Augen glänzen im Licht. Er hat meerblaue Augen, die je nach Wetter das Tor zu seiner Seele öffnen oder verschliessen. Vor einer Woche, als ein Regenschauer seinen Weg in unser Dorf fand, kam die Eisenmauer zum Vorschein. Ich hatte keine Chance, etwas zu erkennen. Der blaue Himmel in den Tagen danach brachte eine Weide in seinen Augen zum blühen. Ich wusste ihn in Sicherheit.

Er sitzt noch, sein Blick verfolgt etwas auf dem Boden. Wahrscheinlich nimmt er die Gegenwart gerade anders wahr als ich. Sein zuckender Blick ist vermutlich nur das Resultat verknüpfter Hirnfelder, in die er seine Gedanken ablädt. Steh auf. Den Kopf hebend atmet er tief aus. Er sieht nicht wütend aus, seine Mimik wirkt neutral, aber seine Augen sind ein wenig feuchter als gewohnt. Sieh mich an.

Je näher er kommt, desto besser sehe ich sein Gesicht. Es liegt mir fern, seine vertieften Falten zu interpretieren, das würde unnötig Zeit vergeuden. Als er mir zu nah kommt, drehe ich meinen Kopf weg. Zwischen uns liegen noch gut zwei Schritte; auch er wird mein Gesicht immer besser erkennen können. Das möchte ich nicht. Die Wand hinter mir ist beige. Der Name dieser Farbe auf meiner Zunge hilft mir zu merken, wie viel Zeit seit meinem letzten Gedanken vergangen war. Bestimmt drehe ich meinen Kopf zurück und sehe ihn – hell beschienen vom Licht – die Wand hinter ihm beige. Ich weine nicht. Viel zu viel Zeit ginge verloren. In einer fliessenden Bewegung wandern meine Hände nach vorne, bis meine Arme voll ausgestreckt sind. Meine Handflächen sind offen und zeigen nach oben.

Seine Haut ist warm, ein wohliges Gefühl breitet sich in mir aus. Ich weiss, dass er mich liebt und ich weiss, wie sehr. Ich wünschte, ich könnte die Schmetterlinge aus meinem Bauch befreien. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich das nicht kann; sie würden alle sterben. Es gibt in diesem Raum keinen nahrhaften Boden, auf dem Blumen für sie wachsen könnten. Auch das Licht scheint zu dämmern, so könnte man die hübschen Dinger nicht mehr lange sehen – höchstens noch das Flattern ihrer Flügel hören, bis ihre Stunde käme. Ich blicke direkt auf seinen Brustkorb, der sich mit jedem Atemzug hebt. Sein Schlüsselbein zeichnet einen Abdruck auf seinem Shirt. Ich finde, er hat ein schönes Schlüsselbein. Seine Schultern sind viel breiter als meine, sie haben während einer schwierigen Zeit ihre Dienste geleistet und meinen Kopf gehalten.

Mein Blick streif sein Kinn. Es lässt mich daran denken, wie ich ihm, als er krank war, die Spuren seiner Milch weggewischt habe. Ich lächle. Bei jedem Gedanken fühle ich mich sehr bei mir. Ich kann sehen, dass auch er bei sich ist. Das ist ein schöner Moment. Wann hat es das zuletzt gegeben? Einen Moment der Reinheit, ohne Masken und Waffen, keine Schleier oder Eisenmauern, welche die Wahrheit verdecken oder bekämpfen könnten. Ich erinnere mich daran, wie ich vor vielen Jahren höchstens fünf Sekunden lang in seine Augen sehen konnte, bevor mir meine Verlegenheit einen Schlussstrich zog. Nun verweile ich seit einer Ewigkeit in den Tiefen seiner Pupillen. Auch wenn ich so viel über diesen Menschen weiss, dort wo ich gerade hinblicke liegen Geheimnisse, die – ich weiss nicht, ob zum Glück oder zum Unglück – unzugänglich geworden sind. Wir schweigen, wir haben uns nichts zu sagen, was Worte beschreiben könnten. Wir waren noch nie abhängig von Worten. Sie beanspruchen Zeit, während der man sich mit Gefühlen viel umfangreicher austauschen kann.

Die Wände sind schwarz geworden. Das helle Licht beleuchtet uns wie eine Kugel. Wir stehen in der Mitte, rundherum kann man nichts mehr erkennen. Ob er krank sei, fragt er mich. Geduldig ziehe ich seinen Körper näher an meinen und vergrabe mein Gesicht in seiner Brust. So verweile ich einen Augenblick. Ich lasse seine Hände los, ich brauche meine für seinen Kopf. Mit geschlossenen Augen nehme ich ihn in die Hand und drücke ihm einen Kuss auf. Als ich die Augen öffne, ist es dunkel. Das einzige, was ich sehen kann, ist ein Lichtfleck auf Höhe meines Herzens. Mir wird warm.

 
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Hallo atTheSummit,

sehr interessanter Text. Ich mag seltsame Geschichten die seltsame Bilder erzeugen. Auch deinen Stil finde ich nicht schlecht. Ein paar Fehler habe ich gefunden:

Vor einer Woche, als ein Regenschauer seinen Weg in unser Dorf fand, kam die Eisenmauer zum Vorschein, die mir keine Chance gab, etwas zu erkennen, während der blaue Himmel in den Tagen danach eine Weide in seinen Augen zum blühen brachte.

Dieser Satz gehört eindeutig geteilt, er ist zu lang und das stört den Fluss.

Wahrscheinlich nimmt er die Gegenwart gerade anders war als ich und sein zuckender Blick ist nur das Resultat verknüpfter Hirnfelder, in die er in eines, das auch für die Sehmotorik zuständig ist, seine Gedanken ablädt.

Hier das gleiche.

Steh auf.
Sieh mich an.

Das solltest du kursiv setzen.

Zwischen uns liegen noch gut zwei Schritte, aber auch er wird mein Gesicht immer besser erkennen können.

Das aber finde ich unpassend.

Auch das Licht scheint zu dämmern, so könnte man die hübschen Dinger nicht mehr lange sehen, höchstens noch das Flattern ihrer Flügel hören, bis ihre Stunde käme.

Wieder ein zu langer Satz, wenngleich er sehr schön ist.

Mein Blick zeigt geradeaus.

In diesem Fall ist der Blick zeigt nicht möglich. Eher sowas wie "Mein Blick ist gerade aus gerichtet."

Mit einem leichten Lächeln denke ich daran, wie ich ihm einmal, als er krank war, die Spur seiner Milch, die er getrunken hat, vom Mund weggewischt habe, nachdem mein Blick sein Kinn streift

Zu lang.

Nun zu einigen Perlen, die ich besonders gelungen finde:

Der Name dieser Farbe auf meiner Zunge hilft mir zu merken, wie viel Zeit seit meinem letzten Gedanken vergangen war.

Genial absurd, und doch wirkt es im Kontext so ernst. Wirklich gut!

Wir schweigen, wir haben uns nichts zu sagen, was Worte beschreiben könnten. Wir waren noch nie abhängig von Worten gewesen, sie beanspruchen Zeit, während der man sich mit Gefühlen viel umfangreicher austauschen kann.

Das ist einfach nur schön. (Wenngleich ich den zweiten Satz teilen würde :P)

Die Wände sind schwarz geworden. Das helle Licht beleuchtet uns wie eine Kugel. Wir stehen in der Mitte, rundherum kann man nichts mehr erkennen. Ob er krank sei, fragt er mich. Geduldig ziehe ich seinen Körper näher an meinen und vergrabe mein Gesicht in seiner Brust. So verweile ich einen Augenblick. Ich lasse seine Hände los, ich brauche meine für seinen Kopf. Mit geschlossenen Augen nehme ich ihn in die Hand und drücke ihm einen Kuss auf. Als ich die Augen öffne, ist es dunkel. Das einzige, was ich sehen kann, ist ein Lichtfleck auf Höhe meines Herzens. Mir wird warm.

Den gesamten letzten Absatz finde ich sehr gelungen! Es ist dunkel und traurig, und trotzdem ist da Hoffnung.

Zusammengefasst: Dein Stil gefällt mir sehr, leider wird er von den langen Sätzen des öfteren gebrochen. Ich denke, wenn du daran arbeitest, kannst du dein Potential voll entfalten!

Danke für teilen und LG,
Alveus

 

Hallo Alveus Jekat

Lieben Dank für deine Rückmeldung, ich habe mich sehr gefreut.
Ich habe versucht, die meisten deiner Kritikpunkte umzusetzen und hoffe, der Lesefluss ist jetzt weniger gestört.

Das solltest du kursiv setzen.
Das hier habe ich stehen gelassen, weil mir in diesem Fall die unauffällige direkte Rede besser gefällt. Kursiv wirk es auf mich zu "laut".

Danke nochmals und Lg
atTheSummit

 
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Hallo atTheSummit,

mit deinem Nick legst du die Latte ja ziemlich hoch. :D
Willkommen bei den Wortkriegern.

zunächst ein bisschen Textkram:

Er hat meerblaue Augen, die je nach Wetter das Tor zu seiner Seele öffnen oder verschliessen
Das finde ich ein wenig zu plakativ. Ist seine Laune wirklich wetterabhängig?

verschliessen
verschließen. Später auch: "In einer fliessenden Bewegung" (fließenden), "ich weiss" (weiß). Die Regel dazu ist easy: Wird der Vokal vor dem S-Laut lang gesprochen, folgt ein ß, wird er kurz gesprochen ein ss.
Gerade erhielt ich den Hinweis, das könne an deiner schweizer Herkunft liegen, ist dem so?

Sein zuckender Blick ist vermutlich nur das Resultat verknüpfter Hirnfelder, in die er seine Gedanken ablädt.
Das ist ein reiner "Tell"-Einschub, der Distanz schafft.

Er sieht nicht wütend aus, seine Mimik wirkt neutral, aber seine Augen sind ein wenig feuchter als gewohnt. Sieh mich an.
Ein Perspektivwechsel aus dem Nichts. Erst schreibst du über ihn, dann sprichst du ihn direkt an (da fehlt am Schluss das !).

Der Name dieser Farbe auf meiner Zunge hilft mir zu merken, wie viel Zeit seit meinem letzten Gedanken vergangen war.
Name der Farbe auf Zunge, hä?

ich könnte die Schmetterlinge aus meinem Bauch befreien.
Die Metapher ist spätestens seit Grönemeyer und Olli P. ausgelutscht.

Seine Schultern sind viel breiter als meine, sie haben während einer schwierigen Zeit ihre Dienste geleistet und meinen Kopf gehalten.
Bodychange?

Mein Blick streif sein Kinn.
… streift.

Auch wenn ich so viel über diesen Menschen weiss(ß), dort wo ich gerade hinblicke(,) liegen Geheimnisse, die – ich weiss(ß) nicht, ob zum Glück oder zum Unglück – unzugänglich geworden sind.
Das liest sich grausig, würde ich begradigen.

Wir waren noch nie abhängig von Worten gewesen.
Wenn du im Präsens schreibst, reicht die einfache Vergangenheit. "Wir waren noch nie abhängig von Worten."
Das Plusquamperfekt ist unpassend.


Mein rein subjektives Feedback zum Inhalt:

Mir ist deine Geschichte zu kryptisch, zu unscharf. Immer wenn du die Chance ergreifen könntest, etwas Konkretes zu erzählen, weichst du aus mit Hinweisen auf nicht vorhandene Zeit oder Worte, die nicht reichen würden, etc..
Durch die Ansammlung von Andeutungen, Seitensträngen aus einem Halbsatz, nicht ganz passender Metaphern und ausufernden Körperbeschreibungen packst du mich nicht. Ich stelle mir nach dem Lesen die Frage: Worum geht es eigentlich? Und ich muss dir sagen: Ich weiß es nicht. Es gibt kaum Handlung, nichts wird wirklich auserzählt und so gewinne ich den Eindruck, dass deine Story mehr sein will, als die erzählerische Substanz zulässt.

Peace, linktofink

 

Liebe maria.meerhaba

Im Grunde passiert absolut nichts
du hast recht, es gibt nichts, was in der Geschichte passiert. ich finde aber den Ausdruck "viel zu viel Selbstinterpretation" falsch, ich finde so etwas gibt es nicht. Entweder man mag viel Selbstinterpretation oder man mag lieber konkrete Handlungen mit geschlossenen Schlüssen. es tut mir natürlich leid, wenn dich meine Geschichte nicht angesprochen hat, weil du so in Zukunft vermutlich einen grossen Bogen um meine Texte machen wirst; ich schreibe selten klar und deutlich die Handlung einer Geschichte auf. ich kann dir aber gern den Hintergrund dieser Geschichte zeigen, wenn dir das evtl. weiterhilft.

die beiden haben keine Zeit, weil der Mann in der Geschichte krank ist. in meiner Vorstellung war diese Krankheit Schizophrenie, aber es könnte eine beliebige bewusstseinsverändernde Krankheit sein, das lässt sich aus dem Text nicht erschliessen.
die beiden lieben sich, aber der Mann lässt die Liebe an seiner Krankheit ersticken. in ihren letzten gemeinsamen Momenten blenden sie alles um sich herum aus. es gibt nur noch sie, alles rundum verschwindet (hier der helle Raum). dieser Raum wird immer kleiner, die Krankheit stärker, bis am Schluss die Frau alleine ist. der Mann ist tot - geistig oder körperlich.

sondern ist nur irgendwas, das großartig zu sein versucht und einfach an der Detaillosigkeit scheitert
die Geschichte versucht nicht, grossartig zu sein. sie versucht, Gefühle zu verarbeiten.
Der geschilderte Moment hat in der Realität nur wenige Sekunden gedauert, jedoch ist alles Beschrieben während dieser Zeit passiert. mehr Details gibt es leider nicht. vielleicht kann nur ich den Text geniessen, weil ich dabei war. dann stellt sich nun die Frage :muss man Texte verstehen, um sie gerne zu lesen? ich kann mir gut vorstellen, dass auch das meinungsabhängig ist. vielleicht aber auch nicht.

lg atthesummit

 

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