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Flattermann

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12.11.2016
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Flattermann

Gott gib, dass es nicht stehen bleibt!
Griff ans Handgelenk, im 30-Sekunden-Takt, als könntest du es nicht glauben.
Schlägt noch! Na bitte. Was auch sonst, bist kerngesund. Vielleicht der Stress.
Vorgestern sprang es mich an, wie aus heiterem Himmel, Blick auf den Bildschirm, mit den Gedanken zwischen den Zeilen, Kaffeetasse am Mund.
Die Vorstellung deutlich wie eine Vision: es hört auf zu schlagen, ein kurzer Schockmoment, dann wird’s auch schon dunkel um dich!
Unfug! Du bist fünfunddreißig, hast nie was gehabt. Mach dich locker! Alles ordentlich programmiert in der Brust, läuft ganz von selbst.

Die Leute gucken. Hast ne Schweißschicht auf der Stirn. Reiß dich am Riemen!
Was gibt’s draußen? Weiter Blick, Reichstag, Regierungsviertel, Hauptbahnhof. Viel los, auch ne Art Herzschlag, einer der nie aufhört. Schau hin, freu dich dran!
Kein Wunder, dass du kirre wirst, bei der vielen Arbeit. Und immer geht’s ums Ganze. Jeder Schritt, jedes Wort ist wichtig; ganz leicht, was zu übersehen; darf nicht passieren. Pflichterfüllung! Anstrengend ist das! Kann schon sein, dass da mal was aus dem Takt gerät in der Brust, dass der Organismus sagt: Leck mich!
Scheiß Krawatte sitzt wieder so fest! Hoffentlich halten die Arterien. Irgendwo eine kleine Verkalkung und ….

Westkreuz: von hier biste in 15 Minuten am Wannsee. Schöne Vorstellung! Ne Runde durch die Havel schwimmen und dann ne Sause am Grunewaldturm, Bier und Wiener Schnitzel, tief durch schnaufen.
Warum nur dieser kalte Schweiß auf der Stirn? So was kündigt einen Herzinfarkt an….
Handfester Streit dahinten. „Halt die Fresse Alter!“ hat der mit der Baseballkappe gesagt. Nicht zum Aushalten! Können die das nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit klären. Der andere gibt klein bei. Gott sei Dank! Hab gleich wieder Schnappatmung. Konzentrieren: drei Liter Luft rein, zwei Sekunden halten, drei Liter raus. Und noch einmal. Rein, halten, raus ….
Wieso steht der Zug? Nur noch zehn Minuten. Wird knapp am Ende. Dabei hatte ich nen Puffer drin, weil ich doch weiß, wie stressig….
Wieder dieses klamme Gefühl im Kopf, als hätten sie den Schädel von innen mit nassen Lappen ausgelegt! Und der Arm tut weh. Sind bestimmt nur Verspannungen. Beim Infarkt sitzt der Schmerz hinterm Brustbein, und ist so stark, dass du denkst, sie haben dich in eine Schraubpresse gezwängt.
Rollen in den Bahnhof ein. Endlich! In Berlin hat es sogar die S-Bahn eilig. Türflügel schieben zur Seite, dabei steht der Zug noch gar nicht. Und du springst natürlich sofort raus, als müsstest du durch feindliches Feuer laufen. Die Rolltreppe renne ich nicht hoch. Nicht schlecht die Empfangshalle, Gründerzeit, ist mir noch nie aufgefallen.

Das läuft gegen die Wand! Die wissen selbst nicht, was sie wollen. Musst es ihnen sagen, aber smart bleiben, nicht so offensiv! War nen Fehler, mit Kritik zu starten. Der Marketingfritze ist weiß vor Wut, schweigt, bleckt sich die Giftzähne, lauert. Der Chef ist nett. Aber die haben nur ein kleines Budget, sehe ich sofort.
„Also eine neue Webseite wollen sie nicht? Kein Problem; nehmen wir raus.“
Schon mal Mist, aber das stecke ich weg, Gefühle fest im Griff. Der Marketingtyp grinst. Lass ihn! Harter Arbeiter, fahle Gesichtsfarbe, Atem stinkt nach Magensäuere, der Schweiß nach faulem Fleisch.
„Was brauchen Sie denn konkret von uns?“
„………………?“
„Hört sich so an, dass Sie alles selber machen wollen.“
„……………………!!“
„Damit stelle ich gar nichts infrage. Es ist nur, wir benötigen eine klare Aufgabenbeschreibung.“
Schauen sich an, die Assistentin auch schon verhärmt wie eine alte Jungfer. Aber sie nickt.
„………….?!“
„Die Vergütungsfrage? Wir schicken Ihnen ein überarbeitetes Angebot.“
„…………?
„Bis wann?“
Sag „Ende der Woche“!
„ Morgen Abend haben Sie es!“
Scheiße!

Ganz mies gelaufen! Brauch nen Kaffee. Da der freie Tisch dort, den schnappe ich mir.
„………….?“
„Doppelten Espresso, bitte! Und haben Sie einen Ascher?“
Die Arterien enger machen und gleichzeitig mehr Blut durchjagen. Das sind die Momente, wo es passiert: Megastress, Spannungsabfall, Giftstoffe, Pfropfen im Herz, aus!
Krieg den Kopf einfach nicht frei von der Herzinfarkt-Kacke.
Erst mal die Krawatte lockern, dann obersten Knopf auf. Fühlt sich gleich entspannter an.
So geht’s nicht weiter. Ab sofort strenge Anwendung des Lustprinzips! Wie sie es im Seminar gesagt haben: Tu die Dinge gerne und nicht weil du sie tun musst! Der Atem, ein frischer Wind über dem weichen Strand bei Havanna. Sich aufgehoben fühlen im Großen und Ganzen, das Bewusstsein öffnen für die Sphären des Kosmos…..
Hört sich zwar bescheuert an, aber ein bisschen hilft es.
Handy? Ignorieren! Kann ich nicht, Scheiße!
„Torben, was gibt’s?“
„Der Termin? War in Ordnung. Erzähl ich Dir nachher.“
„Wann? Weiß noch nicht, mal sehen.“
„Bitte?“
„Nein, damit hatte ich noch nie was am Hut.“
„Warum soll denn gerade ich das machen?“
„Jaja, schon gut. Kannst Du nicht wissen.“

Ich bleibe jetzt so lange hier, bis ich Lust bekomme, etwas zu tun.
Wusste gar nicht, dass die Friedrichstraße so interessant ist. Fast bis zum Checkpoint Charlie kannst de gucken. Versuchs mal ohne Zigarette! Los, steck sie weg!
Das Handy wieder, hättste besser den Vibrierton ausgestellt.
Ganz schön schwarz der Posteingang. Schlingt sich die Anakonda wieder um die Brust.
Trau dich mal was. Alle Mails löschen! Statistisch gesehen erinnern 78 % der Mail-Schreiber innerhalb von 24 Stunden an das, was sie 24 Stunden vorher geschrieben haben.
Knopfdruck, Postfach leer, geht doch.
Die Luft schmeckt nach Frühling. Und nach Metropole. Die Linden, die Friedrichstraße, die Leipziger, rechts runter die Türme vom Potsdamer Platz. Weiter oben das Kanzleramt. Dort fallen die Entscheidungen, übers Große und Ganze. Die Touristen wuseln wie Ameisen über den Gendarmenmarkt. Und die Doppeldecker schwanken wie betrunkene Elefanten. Schon schön. Musst halt nur hingucken. Tunnelblick mal weiten. Sonst wirste wirklich krank.

Fühlt sich besser an: der Kopf frei, die Nackenmuskulatur entspannt, kein Gerumpel im Magen. Eine Erkenntnis hat gegriffen: Lustprinzip, alles nur noch nach Lustprinzip!
Bin regelrecht tiefenentspannt. Wie nach zwei Wochen Madeira.
Mein Herz? Alles bestens, pocht bis in die Zahnhälse. Herzinfarkt? So ein Blödsinn!
Und da bricht aus der Tiefe des Raumes ein Geistesblitz erster Güte durch! Ich strick einfach das HKB-Konzept ein bisschen um und schmeiß es den Deppen zum Fraß vor. Dann ist Ruhe, und alle sind glücklich. So löst man Probleme, schnell, effektiv und kostengünstig! In der Ruhe liegt die Kraft. In meinem Gehirn strömt das Blut wie Supersprit in einen Formel-1-Motor! Hoffentlich hast du kein Aneurysma …….
Haha, guter Witz, fall ich nicht drauf rein. Aneurysma, das ist doch echt scheiße!
Fühlt sich aber seltsam an da oben, wie angeschwollen. Kommen bestimmt noch mehr Ideen angeflogen. Kannste die Arbeit nebenher erledigen.
Könnte was zu essen vertragen. Aber nicht hier. Lass mal zahlen und woanders hingehen.

Was für eine Luft, frische Berliner Luft! Ein Hoch aufs Leben. Nieder mit der Hypochondrie! Könnten mal wegfahren, richtig weit. Sofort ne SMS raus!
Schatz, lass uns im Juli drei Wochen nach Kanada fahren. Den kleinen Drops schnallen wir uns auf den Rücken und dann ab in die Wildnis! ILD
Au, was ist das! Bombenhammer im Schädel! Als hätte jemand ein Messer reingestochen. Bleibt einem glatt die Luft von weg. Setz dich mal hier! Die Trattoria ist eh gut.
Ok, Schmerz lässt nach, ist weg.
Und jetzt? Ach, hat nichts zu bedeuten. Bist einfach überdreht, sonst nichts.
„………………?“
„Die Minestrone bitte, und Ravioli als Hauptgericht!“

Worüber habe ich gerade nachgedacht, ach ja Kanada.
Mist, jetzt zieht es sich zu. Das heißt nein: keine Wolke am Himmel. Seltsam, ist doch dunkler als eben. Egal, da kommt die Minestrone. Richtig schwindlig ist mir vor Hunger. Cooles Gefühl, ein wenig wie schwerelos.
„Danke! Vielleicht noch etwas Brot?“
„Ob es mir gutgeht? Weiß im Gesicht? Aha.“
Weiß im Gesicht? Wieso denn das?
Aber richtig, ich habe schon den ganzen Tag gedacht, dass….
Was war das gleich noch mal?
Irgendetwas Ungutes. Aber erinnere mich nicht. Sicher besser so.
Komischer Geschmack. Ist das Blut? In der Minestrone ist nichts.
Das kommt von meinem Gaumen …. eindeutig, mir wird …… total benebelt……
„Kommt bitte mal jemand.“
Bringst keinen Ton…..
Wieso liege ich unter …. Ooooooochh ………….

 

Hallo Borderless!

Dein Text hat einen sehr interessanten Stil: Schlag auf Schlag wird das Geschehen vorangetrieben, fast schon atemlos, was sehr gut zu deinem Protagonisten passt.

Mir ist aufgefallen, dass du zwischen Du- und Ich-Form hin und her springst. Mir persönlich würde die durchgängige Du-Form besser gefallen. Da der Protagonist generell sehr fremdbestimmt und getrieben wirkt, fände ich es passender, wenn auch seine innere Stimme permanent auf ihn einredet. Wobei mir der Wechsel in die Ich-Form im letzten Absatz, als er tatsächlich zusammenbricht, sehr gut gefällt.

Obwohl ich den Stil sehr kurzweilig finde, könntest du im Mittelteil vielleicht ein wenig Länge herausnehmen, z.B. indem du den Restaurantwechsel weglässt und den Text dazwischen etwas kürzt.

Dann hat mich die Zeichensetzung beim Telefonat mit Torben etwas verwirrt, weil du vor jedem Satz, den dein Protagonist sagt, Anführungszeichen machst:

„Torben, was gibt’s?“
„Der Termin? War in Ordnung. Erzähl ich Dir nachher.“
„Wann? Weiß noch nicht, mal sehen.“
„Bitte?“
„Nein, damit hatte ich noch nie was am Hut.“
„Warum soll denn gerade ich das machen?“
„Jaja, schon gut. Kannst Du nicht wissen.“

Besser fände ich es so: "Torben, was gibt’s? ... Der Termin? War in Ordnung. Erzähl ich Dir nachher... Wann? Weiß noch nicht, mal sehen... Bitte? ... Nein, damit hatte ich noch nie was am Hut... Warum soll denn gerade ich das machen? ... Jaja, schon gut. Kannst Du nicht wissen.“

Handfester Streit dahinten. „Halt die Fresse Alter!“ hat der mit der Baseballkappe gesagt.
Handfester Streit da hinten. "Halt die Fresse, Alter!", hat der mit der Baseballkappe gesagt.

Das Ende hat mir besonders gut gefallen, weil man die ganze Zeit denkt, dass er ein Hypochonder erster Güte ist, und dann bricht er doch unter seinem Alltagsstress zusammen. Sehr unterhaltsam und nah dran an der Realität - leider :-)

Gruß Jane

 

Hallo @Borderless,

eine flott geschriebene Geschichte über einen Hypochonder, der so gerne entspannen würde, wären da nicht die Symptome. Oder doch nur stressbedingt?

Du hast einen liebenswerten Charakter erschaffen, der von Anfang an meine Aufmerksamkeit hatte und dem ich sein Leid abkaufen konnte. Er hat mich mitgerissen in seine Welt des Leistungsdrucks/Getriebenseins und mitgenommen auf die Reise durch Berlin. Ich habe mich immer wieder über ihn amüsiert – sorry, bitte sag ihm das nicht.

„Also eine neue Webseite wollen sie nicht? Kein Problem; nehmen wir raus.“

Ich habe ab hier nicht kapiert, wer spricht. Müsste das "sie" nicht großgeschrieben werden?
Und später, beim Telefonat kam ich auch nicht mit. Spricht hier immer der Protagonist? Falls ja, dann dürftest du keinen Zeilenumbruch machen. Ich handhabe das so, wie es @janehumphries vorgeschlagen hat. Hintereinander geschrieben und Auslassungspünktchen. Zeilenumbruch in Dialogen nur, wenn der Sprecher wechselt.

Hier ist dir ein Ausrufezeichen hinter das Schlusszeichen gerutscht.

Sag „Ende der Woche“!

Apropos Ausrufezeichen. Davon hast du, wie ich finde viel zu viel. Seit man mir unter meine erste KG geschrieben hat, dass man die sparsam verwenden soll, überlege ich es mir immer dreimal, bevor ich eins setzte. Ja ich weiß, was im Duden steht. Aber ich finde, dass du das hier oft nicht nötig hast, weil durch die Panik des Protagonisten die Wichtigkeit der Aussagen schon deutlich gemacht wird. Also ich würde da nochmal drübergehen aber ich weiß, dass ich diesbezüglich etwas im Abseits stehe und vielleicht ist das auch nicht unbedingt richtig was ich sage. Aber diese Zeichen gehören eben dazu, wie alle anderen auch und da uns hier die Regel, wie ich finde, Spielräume lässt, kannst du dir ja deine eigenen Gedanken dazu machen.

Am Ende macht er dann doch den Flattermann. Schade – aber traurige Gefühle stellten sich nicht bei mir ein. Dazu habe ich ihn dann doch zu wenig gekannt. Ich hätte mehr über ihn wissen wollen, als nur die Hypochondrie. Über seinen Schatz, den kleinen Drops und den Plänen für Kanada zum Beispiel. Also falls du Mitgefühl wecken wolltest, hat es bei mir nicht geklappt. Tut mir Leid.

Übrigens, den Titel finde ich klasse. Flattermann – habe ich ewig nicht mehr gehört.

Willkomen im Club und
Lieber Gruß
Tintenfass

 

Liebe Wortkriegerinnen,

besten Dank für Euer Feedback. (ich hätte hier gerne ein Ausrufezeichen gesetzt, lasse es aber versuchsweise weg).

Zwei Dinge habe ich mitgenommen:

1) wie man die Zeichensetzung bei einem Dialog gestaltet, bei dem nur eine Person spricht; den Vorschlag von Jane fand ich sehr gut.

2) "den kleinen Drops und Kanada" herauszunehmen; das bedürfte einer tiefer gehenden Beschreibung des Protagonisten, was den gewollt abrissartigen Rahmen der Geschichte sprengen würde. Mit der Streichung kommt er dem, was ich mir vorgestellt habe, nämlich einem der vielen Namenlosen, die sich bei vollem Bewusstsein zu Tode arbeiten, näher; traurige Gefühle unerwünscht.

Die Geschichte noch weiter zu kürzen, wie Jane anregt, halte ich für kritisch, da der Stimmungswechsel des Protagonisten m.E. ein wenig Handlungshintergrund braucht. Aber ich werde es überdenken. Und die Ausrufezeichen zähle ich auch noch einmal :-)

Liebe Grüße
Borderless

 

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