Flaschendrehen
Keine Ahnung, wie ich hier hineingeraten war. Keinen blassen Schimmer, was ich hier überhaupt suchte. Warum hatte ich mich nur dazu überreden lassen – und vor allem: Wie hatte Chuck mich nur hierzu überreden können? Ich hatte es bereits geahnt und jetzt war es tatsächlich soweit: ich fühlte mich total fehl am Platz. Mein bester Freund, Chuck, hatte es nur gut gemeint, trotzdem hatte ich das starke Bedürfnis, wieder nach Hause zu gehen. Immer wieder suchte mein Blick wie von selbst den großen Durchgang, der in den Flur führte, wo sich die Tür nach draußen befand.
Ich atmete tief durch (so gut das bei der stickigen Luft hier im Wohnzimmer ging) und sah in meinen Becher hinab, in dem sich nur noch ein kläglicher Rest des furchtbaren Bieres befand, das mir Chuck in die Hand gedrückt hatte, kurz nachdem wir hier angekommen waren. Seitdem war er verschwunden, höchstwahrscheinlich auf der Suche nach Alyssa, einer der Cheerleaderinnen, auf die er einmal mehr ein Auge geworfen hatte. Sie war vermutlich auch der Grund, weshalb wir hier waren. Weshalb ich mich hier alleine an meinem Bier festhielt.
Eine Hand in der Hosentasche und den Blick durch das Wohnzimmer voller (voller) Partygäste schweifend, wog ich meine Optionen ab. Ich würde Übelkeit vortäuschen können, Chuck suchen und ihm sagen, dass ich nach Hause musste. Ich könnte auch einfach ohne ein Sterbenswörtchen gehen – Chuck würde dann wohl am Montag etwas sauer sein, aber das würde sich in den folgenden Tagen wieder legen. Oder ich könnte das Beste aus dem Abend machen – das hatte mir auch Julie geraten, die sich vor dem Abend hatte retten können, weil ihr großer Bruder Geburtstag hatte und über das Wochenende nach Hause nach Lima, Ohio gekommen war, um seine Familie zu besuchen. Jetzt waren sie irgendwo schick essen, während ich hier feststeckte.
Also: Welche Möglichkeit sollte ich ergreifen?
„Es ist wieder Wodka da!“, grölte plötzlich jemand triumphierend aus der Küche.
Ein Zeichen?
Ich holte tief Luft, schüttete den Rest Bier herunter, verzog angewidert das Gesucht und bahnte mir ein Weg durch die Meute in die Küche, wo sich ein paar Leute aus meiner Schule, die ich vom Sehen kannte, um die Kücheninsel versammelt hatten, auf der gerade Wodka in kleinen Gläsern nebst verschiedenen Sorten von Brause angerichtet wurde.
Das sah gefährlich aus!
Ich wollte schon wieder umkehren, als man mich entdeckte.
„Tristan?“ Ein Mädchen, das ich der Schülerzeitung zuordnete, hatte mich erkannt. Mir fiel ihr Namen nicht ein, aber ich wusste, dass sie gut mit Julie befreundet war. Trish? Tina? Irgendetwas mit T, aber ich stand auf dem Schlauch. Mit Namen konnte ich sowieso nicht so gut.
„Hey!“ Ich hob zur Begrüßung kurz die Hand, bereute es aber sofort, als man mir ein paar skeptische Blicke zu warf.
Wie gesagt: Fehl am Platz. Normalerweise fand man mich nicht auf solchen Partys. Schon dreimal nicht auf einer Party von Paige Green.
Tessa (?) winkte mich näher. „Wodka-Brause?“
Ich runzelte die Stirn und kam langsam näher. „Noch nie probiert.“
Der Typ neben Tanja (?) grinste mich an. „Dann wird es höchste Zeit!“
„Ich weiß nicht …“ Ich sah in meinen leeren Becher hinab. Eigentlich hatte ich es nicht darauf angelegt, mich heute zu betrinken. Gut, es war Samstag, ich war auf einer richtig großen Party, aber … Hoffnungsvoll sah ich mich nach Chuck um, aber von ihm fehlte jede Spur. Wäre ja auch zu schön gewesen, hätte er mich aus dieser Situation gerettet!
„Sei kein Frosch!“, meinte Tara (?) und schob mir ein Schnapsglas über die Küchentheke zu, gefolgt von einer Tüte mit Waldmeister-Brause.
Ich schluckte, stellte meinen leeren Becher ab und nahm die Tüte Brause in die Hand, um sie kritisch zu beäugen.
„Erst die Brause, dann den Wodka nachschütten!“, erklärte Tiffany (?) und öffnete ihre Tüte mit Himbeer-Brause.
Ich sah, wie die komplette Runde ihr Brause-Tütchen aufriss und sich ohne zu zögern die Brause in den Mund schüttete.
Was hatte ich zu verlieren? Ich lag höchstens den ganzen Sonntag verkatert im Bett. Ich würde mir womöglich einen Vortrag von meinen Eltern anhören dürfen. Ich …
Tori (?) bedeutete mir, die Brause zu öffnen, während die Gruppe, zu der ich mich wohl gerade zählte, schon dabei war, den Wodka hinterher zu schütten. Ich hatte also keine Zeit, weiter zu überlegen, seufzte leise und riss das Tütchen auf, schüttelte mir die Brause in den Mund und unterdrückte ein Husten und Würgen, als das Pulver mit meinem Speichel reagierte. Schnell den Wodka hinterher! Das Zeug vermischte sich und war am Ende gar nicht mehr so schlimm.
Ein paar meinten, sie müssten die ganze Aktion mit einem lauten „Whooo!“ besiegeln, doch ich kämpfte noch mit den Nachwirkungen; besonders mit dem Brennen des Alkohols. Ich war eigentlich kein Freund von Alkohol, also von dem heftigen Zeug. Ab und zu mal ein bisschen Wein oder so war ganz nett, aber die harten Sachen schlugen bei mir immer sofort ein.
„Noch eine Runde?“ Teresa (!) sah mich gut gelaunt an.
Keine Ahnung, woran es lag, aber ich lächelte. „Warum nicht?“
Die komplette Gruppe war dabei und mir nichts dir nichts hatten wir auch Runde drei und vier erfolgreich hinter uns gebracht – anschließend war jedoch der Wodka leer und man stellte fest, dass erst ein neuer Partygast kommen müsste, der gerade zufällig Wodka im Gepäck hatte. Bis dahin wollten wir uns aufteilen und noch ein bisschen feiern.
Also löste sich die Gruppe auf und ich durchstöberte die Küche, in der Hoffnung, etwas Antialkoholisches zu finden, mit dem ich meinen Rachen wieder etwas beruhigen konnte.
Chuck wäre so stolz auf mich! Vier Runden Wodka-Brause … Es sah so aus, als hätte ich entschieden, heute Spaß zu haben. Wenn ich schon nicht Spaß mit Chuck hatte, dann eben mit mir alleine. Ich würde schon das Beste daraus machen, bis er wieder zurückkam und mir erzählte, wie mies es einmal mehr mit Alyssa gelaufen war.
Seit Wochen verfolgte er sie inzwischen. Es war wie eine Berg- und Talbahn, was aber mehr an Alyssa lag. Mal ließ sie ihn ran, mal war sie abweisend. Wie beim Angeln – sie zog ihn näher, bevor sie ihm wieder etwas mehr Leine gab. Woran das lag? Keine Ahnung … Ich war nicht besonders erfahren in solchen Angelegenheiten. Bis heute hatte ich noch keine Freundin gehabt. Aber das war ein anderes Thema.
Gab es in diesem Haus und auf dieser Party keine Cola?
Irgendwann verlor ich die Geduld und bediente mich einfach am Wasserhahn. Ich stürzte einen kompletten Becher herunter, ohne abzusetzen. Beinahe atemlos ließ ich den Becher schließlich sinken.
„Durst?“
Ich fuhr erschrocken herum und erblickte Noah Watson, Captain des schulischen Baseballteams. Er lächelte mich freundlich an und hielt mir eine Flasche Cola entgegen.
„Zu spät“, entgegnete ich nur.
„Sicher?“ Er hob die Flasche etwas höher. „Wenn ich sie loslasse, ist sie in spätestens zehn Sekunden verschwunden! Paige sollte das nächste Mal für genug Getränke sorgen, wenn sie eine Party schmeißt!“
Ich konnte nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern, ehe ich meinen Blick durch die Küche schweifen ließ, die tatsächlich ausschließlich mit leeren Flaschen bestückt war. Fast jeder Gast hatte zwar etwas mitgebracht, aber das reichte lange nicht aus. Daher stürzten sich alle wie die Geier auf den nach und nach eintreffenden Nachschub, wie wir eben über die Flasche Wodka und die Brause.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schenkte er mir ein. „Sag Stopp.“
Mein gemurmeltes „Danke“ ging so gut wie in der lauten Hintergrundmusik unter, doch er schien es trotzdem zu hören, lächelte mich noch einmal an und wollte schon weiter, blieb dann aber doch stehen.
„Dich hab ich noch nie auf einer dieser Partys gesehen“, stellte er fest.
Irritiert blinzelte ich ihn an. Keine Ahnung, was ich von dieser Aussage halten sollte. Er klang irgendwie … verwundert.
„Tristan – richtig?“
Er kannte meinen Namen – woher kannte er meinen Namen? Gut, wir gingen zur selben Schule, aber wir hatten bis heute eigentlich noch kein einziges Wort miteinander gewechselt! Wir hatten keinen einzigen Kurs zusammen. Einmal hatten wir uns alle (alle Mitglieder der Sportteams der McKinley Highschool) für ein Foto versammelt und ich wusste noch, dass wir damals nebeneinander gestanden waren, aber seitdem waren wir uns nie mehr so nahe gekommen.
Ich brachte ein Nicken zustande, sah ihn aber immer noch verwirrt an.
Er sah gut aus – was man vom Captain des viel versprechenden Baseball-Teams der Schule wohl auch erwartete. Das Klischee eben. Aber so viel, wie ich von ihm wusste, war er gar keiner von diesen muskelbepackten Proleten, die eine Cheerleaderin als Freundin hatte, ein Stipendium für ein super College mit noch besserem Sportprogramm und die Krone des Abschlussballs förmlich schon in der Tasche. Er war Schülersprecher, hatte ein Anti-Mobbing Programm in unserer Schule ins Leben gerufen und kümmerte sich regelmäßig um den neusten Schülerjahrgang.
Sein schwarzes Haar trug er perfekt gestylt, seine grünen Augen funkelten und sein Hemd hätte ruhig eine Nummer größer sein können – da half es auch nichts, dass er oben rum ein Knopf mehr offen ließ.
Trotz allem: Selbst als Kerl musste ich eingestehen, dass er gut aussah.
„Du bist im Schwimmteam, nicht wahr?“
Wieder nickte ich. Das Schwimmteam war allerdings nur halb so berühmt berüchtigt wie das Baseballteam.
„Bei diesem riesigen Gruppenfoto … da bist du neben mir gestanden.“
Jetzt wurde es gruselig. Ich zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß“, sagte ich, merkte aber erst danach, dass ich ihm eben gestanden hatte, dass ich mich genauso daran erinnerte. An die paar lausigen Minuten, die wir nebeneinander gestanden waren. So viel dazu, cool zu wirken. Aber der Zug war abgefahren! „Noah“, nannte ich ihn beim Namen. „Wie kann ich dir helfen?“ Ich klang nicht lässig, ich klang genervt – darüber ärgerte ich mich.
Noahs Grinsen verblasste. „Wie auch immer! Ich … versteck dir hier mal!“ Er warf mir einen letzten Blick zu und wandte sich schließlich ab.
Ich sah ihm hinterher, unschlüssig, ob ich mich bedanken oder entschuldigen sollte, blieb dann aber doch ruhig. Eine merkwürdige Situation, in die ich womöglich etwas zu viel hineininterpretierte.
„Tristan!“, rief plötzlich jemand.
Ich fuhr herum und erblickte Teresa in der Tür stehen, die mir mit einer frischen Flasche Wodka winkte. „Schau mal!“
Ich schüttete mir das kühle Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, dass es mich wieder zur Besinnung brachte. Dass es mich befreite von diesem lähmenden Zustand, der gleichzeitig dafür sorgte, dass sich alles andere viel zu schnell bewegte.
Das war wohl ein Wodka zu viel gewesen.
Und Noahs Cola hatte da auch nicht mehr viel geholfen.
Ich hatte völlig das Zeitgefühl verloren. Keine Ahnung, wie lange ich schon hier war. Die Wodka-Brause-Shots hatte ich auch nicht weiter gezählt. Bei sieben hatte ich aufgehört. Sieben Stück … Das allein reichte normalerweise um mich völlig auszuknocken.
Ich holte tief Luft und schloss die Augen, woraufhin sich der Boden unter meinen Füßen zu bewegen begann. Sofort hielt ich mich am Waschbecken fest, was es ein bisschen besser machte.
Verdammt!
Ich musste Chuck finden … dringend. Ich musste nach Hause ins Bett. Weg von dieser Party. Weg von Teresa. Weg von Wodka-Brause …
Jemand hämmerte von außen gegen die Badezimmertür.
Verdammt – ich hatte gehofft, mehr Zeit zu haben. Zum Ausnüchtern hätte es mit Sicherheit nicht gereicht, aber ein paar Minuten mehr wären schön gewesen.
Ich richtete mich also auf und betrachtete kurz mein Spiegelbild, das sich ebenfalls bewegte. Hin und her und her und hin …
Ich biss die Zähne aufeinander und streckte den Rücken durch. Ich fuhr mir durch das braune Haar, das mir daraufhin wieder zurück in die Stirn fiel, und stellte einmal mehr fest, dass es viel zu schnell gewachsen war. Ich musste es wieder schneiden lassen! Julie würde mir dann bestimmt wieder den Hals umdrehen, weil sie doch fand (und ihrer Meinung nach auch alle Mädchen überhaupt), dass Jungs (und insbesondere ich) mit längeren Haaren wesentlich besser aussahen.
Schwachsinn.
Das Hämmern an der Tür weckte mich aus meinen Gedanken.
„Ja“, blaffte ich in Richtung Tür. „Gleich!“
„Ich kann auch vor die Tür pissen!“, kam die Antwort zurück.
„Mach doch!“, rief ich, und leiser: Mir doch egal.“ Ich strich über den Dreitagebart, der inzwischen tatsächlich auch wie ein richtiger Dreitagebart aussah, und machte einen Schritt zurück. Das weiße Shirt mit V-Ausschnitt saß auch noch, auch wenn Teresa die ganze Zeit behauptet hatte, der V-Ausschnitt wäre irgendwie schief, aber offenbar hatte sie aufgrund der vielen Wodka-Brause-Shots einen Knick in er Optik.
Wieder das Hämmern.
Es wurde wohl Zeit. Ich füllte noch hastig meinen Becher mit Leitungswasser auf (heute würde es nichts anderes mehr für mich geben), entriegelte die Tür und wurde sofort in den Flur hinaus geschoben, wo ich stolpernd zum Stehen kam, während die Badezimmertür bereits wieder lautstark ins Schloss fiel.
Ich nuschelte eine Beleidigung in Richtung Tür und machte mich wieder auf den Weg nach unten, um nach Chuck zu suchen, da sah ich, wie er mir die Treppe hinauf entgegen kam.
„Chuck!“, rief ich. „Ich bin so dicht!“
Ich war wohl eine Spur zu laut, denn just in diesem Moment wechselte das Lied und man konnte mich wohl im ganzen Haus hören. Man drehte sich zu mir um, besah mich mit einem abschätzenden Blick und wandte sich erst wieder ab, als das nächste Lied einsetzte.
Ich biss mir auf die Unterlippe und grinste Chuck schelmisch an, der mit Alyssa im Schlepptau nun das Ende der Treppe erreichte.
„Tristan!“ Chuck begrüßte mich mit einem Handschlag, als hätte er mich heute zum ersten Mal gesehen, dabei waren wir doch zusammen gekommen! Ich konnte ihm darauf nur einen irritierten Blick zuwerfen, ehe ich mich an Alyssa wandte.
„Hat er getrunken?“, fragte ich sie.
Sie presste die Lippen aufeinander; offensichtlich, um ein Lächeln zu unterdrücken.
„Offenbar nicht so viel wie du“, stellte Chuck sofort fest.
Ich presste die Lippen aufeinander und hoffte, nicht zu rot im Gesicht zu werden.
Chuck und Alyssa wechselten einen kurzen Blick, woraufhin sich Alyssa eine Hand vor den Mund hob und sich abwandte, während Chuck eine Hand auf meine Schulter legte. „Alles okay?“
Ich zögerte mit meiner Antwort, nickte dann aber. „Jap.“
„Wonach riechst du?“
„Brause!“, grinste ich. Erst da wurde mir klar, wie betrunken ich tatsächlich war. Ich biss mir wieder auf die Unterlippe. „Sorry“, sagte ich gleich und hielt mir den Kopf. „Ist wohl das Beste, ich …“
„Flaschendrehen!“, unterbrach mich jemand.
Paige Green streckte den Kopf aus einem angrenzenden Zimmer, eine leere Wodka-Flasche in der Hand. Sie grinste uns süffisant zu und bedeutete uns, ihr zu folgen. Erst eine Sekunde später wurde mir klar, dass sie wohl eigentlich nur Alyssa meinte, eine ihrer besten Freundinnen und ebenfalls Cheerleaderin.
„Kommst du mit?“ Alyssa nahm Chuck an der Hand und setzte sich bereits in Bewegung, um dem Ruf ihrer Freundin zu folgen.
„Klar!“ Logisch – so etwas musste sie Chuck nicht zweimal fragen.
„Hey!“, rief ich meinem Kumpel hinterher. „Was ist mit mir?“
„Warte einfach und trink Wasser“, riet Chuck mir, doch Alyssa winkte mich mit sich. „Komm!“, forderte sie mich auf und zwinkerte mir zu.
Keine fünf Minuten später fand ich mich im Schneidersitz auf dem Boden sitzend in Paige Greens Zimmer wieder. Zu meiner rechten Alyssa, zu meiner linken Paige selbst – wir hatten uns immer abwechselnd gesetzt, bis wir einen Kreis ergaben. Immer Junge, Mädchen, Junge, Mädchen … Mir gegenüber saß Noah Watson, der sich an seiner Falsche Cola festhielt, in der noch ein kleiner Rest übrig war. Als ich ihn da so sitzen sah, musste ich grinsen. Er erwiderte es trotz unserer merkwürdigen Begegnung vorhin.
Paige klatschte in die Hände. „Das ist so aufregend!“
Ich blinzelte. War ihre Stimme schon immer so schrill gewesen?
„Ganz ruhig“, sagte ein Kerl neben ihr.
Auf der anderen Seite hörte ich, wie Chuck sich räusperte und dabei so unauffällig wie möglich näher zu Alyssa rutschte, die daraufhin leise kicherte.
Ich sah mich Hilfe suchend um, fand aber nur Noah, der sich in diesem Kreis augenscheinlich genauso unwohl fühlte, wie ich – wenigstens war ich betrunken!
„Ich weiß nicht, wann ich das das letzte Mal gespielt habe!“, murmelte Alyssa neben mir.
„Und ich erst …“ Chuck wagte es nicht zuzugeben, dass er es noch nie gespielt hatte. Ich wusste das. Und ich war auch offen genug, es laut auszusprechen.
Alyssa tätschelte mir daraufhin aufmunternd das Knie. „Das ist lustig!“
Ich sah sie skeptisch an. „Wir sitzen hier in einem Kreis auf dem Boden, während unten getanzt, gefeiert und getrunken wird …“ Die Musik hier war nur ein dumpfer Bass, nach einer richtigen Feier wirkte die Stimmung hier drinnen auch nicht wirklich und Alkohol … Gut, Alkohol war da, aber davon wollte ich ja sowieso die Hände lassen. Für heute.
„Spielverderber!“, grummelte Alyssa.
„Kannst ja gehen“, schlug Chuck mir vor.
„Nein – sonst geht es nicht auf“, stellte Paige klar.
„Kann mir dann noch jemand die Regeln erklären?“, fragte ich ungeduldig in die Mitte hinein und bekam dafür teilweise schallendes Gelächter zurück. „Hey!“, unterbrach ich die Belustigung der anderen. „Es gibt durchaus mehrere Möglichkeiten, das zu spielen!“
„Na dann klär uns auf“, schlug Paige vor, bei der gerade die Flasche mit rotem Likör angekommen war, die man in der Runde herumgab und von der jeder jeweils einen Schluck nahm. Sie hatte bereits davon getrunken, sah mich herausfordernd an und hielt mit den Likör unter die Nase.
Ich nahm ihr die Flasche ab und räusperte mich. „Entweder wir spielen das klassische ‚Wahrheit oder Pflicht‘ oder wie spielen die verschärfte Version … in der nur geknutscht wird.“ Ich hielt ihrem Blick noch einen Moment stand, dann nahm ich einen großen Schluck (den ich sofort bereute) und reichte die Flasche an Alyssa weiter.
„Aber was ist, wenn ein Kerl die Flasche dreht und die dann auf einen anderen Kerl zeigt?“, wollte einer der männlichen Mitspieler wissen, den ich nirgends einordnen konnte. Ging er überhaupt auf unsere Schule?
„Deshalb sind es ja die verschärften Regeln“, stellte ich klar.
„Mir gefällt, wie du denkst“, bemerkte Paige.
„Danke“, erwiderte ich und deutete eine Verbeugung an.
Das gefiel ihr.
Ich musste lächeln und sah in die Runde, wobei mein Blick an Noah hängen blieb, der mich wohl schon eine längere Zeit gemustert hatte. Als sich unsere Blicke trafen, befeuchtete er sich die Lippen und wandte sich seiner Cola zu. Gleichzeitig kam der Likör bei ihm an, doch er gab die Flasche kommentarlos weiter. Niemand sagte ein Wort, dass er aussetzte, und die Flasche wanderte weiter.
„Kommt schon, Leute – lasst uns Spaß haben!“ Paige nahm gleich zwei Schlucke, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und gab die Flasche grinsend an mich weiter.
Eine Flasche ohne Boden, wie mir schien. Obwohl ich nicht sollte, nahm ich noch einen Schluck. Den Alkohol beziehungsweise meinen Rausch würde ich für dieses Spiel wohl brauchen.
„Also verschärfte Regeln?“, fragte Alyssa.
„Natürlich!“, rief ein anderes Mädchen.
„Ich weiß nicht …“ Wieder der Typ, der Bedenken hatte.
„Alles, was hier drin passiert, bleibt unter uns – klar?“, ergriff Paige wieder das Wort und sah in die Runde. „Keiner sagt auch nur ein Wort. Ich denke, das ist im Sinne von allen.“
Einvernehmliches Gemurmel und Nicken.
Paige klatschte wieder in die Hände. „Dann lasst uns beginnen!“ Sie war die Erste, die sich aufrichtete, die Flasche in die Hand nahm und sie schwungvoll drehte. Die leere Wodkaflasche in unserer Mitte drehte und drehte sich. Je langsamer sie wurde, desto schneller wurde mein Herzschlag.
Ich kam nicht umhin mich in der Runde umzusehen und zu analysieren, wen ich davon bedenkenlos küssen würde und wen nicht. Viele der Anwesenden waren es jedenfalls nicht.
Ich schluckte und fragte mich einmal mehr, was ich hier tat. Warum ich gerade jetzt hier saß. So war ich doch sonst auch nicht. Ob das alleine am Alkohol lag?
Ich atmete tief durch und beobachtete das weitere Geschehen. Wer wusste, ob ich überhaupt an die Reihe kam? Vielleicht war das Spiel auch schneller vorbei als gedacht, weil die anderen die Lust verloren oder spätestens, wenn ein Kerl einen anderen küssen musste, sich die Runde auflöste, weil sich niemand traute.
Paige musste Ross küssen – Ross war im Baseballteam und offenbar ein guter Freund von Noah, denn die beiden unterhielten sich mehrmals gedämpft hinter dem Rücken des Mädchens, das zwischen ihnen saß.
Ross küsste ein Mädchen, deren Namen ich nicht kannte.
Und so ging es ein paar Runden. Ich war alles andere als ein aktiver Mitspieler, aber meinen Spaß hatte ich trotzdem. Ich fiel in die „Uuuhs“ und „Aaaahs“ mit ein, lachte, applaudierte und nahm hier und da einen weiteren Schluck des Likörs; auch, wenn meine Schlucke immer kleiner wurden.
Je länger das Spiel andauerte, desto angespannter wurde ich.
Es gab noch etwas, was ich vielleicht in diesem Zusammenhang gestehen musste: Ich hatte bis jetzt nicht nur keine Freundin gehabt, sondern ich hatte bis dato auch noch kein Mädchen geküsst. Ich war zwar erst 17 Jahre alt, andererseits war ich in meinem Abschlussjahr der Highschool und um mich herum fielen Teenager ihren Hormonen zum Opfer, wechselten ihre Partner manchmal öfter, als ihre Unterwäsche oder machten ihre erste Erfahrungen in einer Langzeitbeziehung.
Bis jetzt war allerdings für mich nicht die Richtige dabei gewesen.
Julie dagegen behauptete, meine Ansprüche wären einfach zu hoch.
Julie meinte allerdings auch viel, wenn der Tag lang war.
Fakt war, dass ich sozusagen ungeküsst war. Ob ich mich dafür schämte? Nein, eigentlich nicht. Aber das bedeutete auch nicht, dass ich es jedem auf die Nase binden musste. Es war nun einmal so. Ich hatte mich damit angefreundet, dass es nicht so einfach und ich offenbar ein Spätzünder war. Alles gut – alles halb so wild.
Mein Blick ruhte auf der Flasche, die nun wieder langsam zum Stehen kam und zwischen mich und Alyssa zeigte. Eine heiße Diskussion entbrannte, die schließlich Alyssa als Siegerin kürte, die wiederum ein anderes Mädchen küssen durfte. Ich musste zugeben, ich hatte nur die Hälfte der Diskussion mitbekommen und mich deshalb auch nicht beteiligt – zu groß war auf einmal die Aufregung gewesen, dass ich eventuell gleich jemanden küssen musste … beziehungsweise durfte.
Jetzt saß ich da, die Lippen aufeinander gepresst und sah zu, wie Alyssa und das Mädchen (ich tippte, dass sie auch eine Cheerleaderin war) auf allen Vieren in die Mitte krabbelten und sich küssten. Und nicht nur flüchtig auf die Lippen. Nein. Nach dem ersten Kussversuch hatte sich die Mehrheit darauf geeinigt, dass die verschärften Regeln noch verschärfter sein sollten – die neuen Regeln schrieben also vor, dass der Kuss mindestens zehn Sekunden dauern musste – und wer nur die Lippen aufeinander presste, wurde bestraft. Bis jetzt kam es noch nicht dazu, aber ich würde es wohl auch nicht darauf ankommen lassen.
Während um Alyssa und das Mädchen herum applaudiert wurde und sich hauptsächlich die Jungs nicht an der Szene vor ihren Augen satt sehen konnten, wandte ich mich an Chuck, der riesige Augen bekommen hatte. Er rutschte ungeduldig auf seinem Platz hin und her und schien zu hoffen, dass die Flasche als nächstes auf ihn zeigte, damit er gleich Alyssa küssen durfte.
Ich atmete tief durch und versuchte weiterhin cool zu bleiben. Dass der Likör just in diesem Moment wieder bei mir ankam, war wohl ein Zeichen, dass ich noch nicht locker genug war. Also setzte ich die Flasche an die Lippen und trank den letzten Schluck.
Alyssa und das Mädchen lösten sich grinsend voneinander und kehrten auf ihre Plätze im Kreis zurück. Alyssa legte die Finger an ihre Lippen und schloss für eine Sekunde die Augen. Das Mädchen wusste, wie es geht. Inzwischen war mir auch etwas wärmer geworden.
Und schließlich drehte sie die Flasche.
Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Die Flasche rotierte und drehte sich und schien kein Ende zu finden, bis sie endlich langsamer wurde und letztendlich auf mich zeigte.
Ganz recht. Auf mich.
Mein Herz rutschte mir in die Hose, als ich aufsah.
Alyssa hatte ein Lächeln aufgesetzt, aber ich konnte förmlich spüren, dass Chuck mich in diesem Moment am liebsten töten würde. Wieder einige „Uuuhs“ und vorfreudiger Applaus.
Ich ließ die Schultern kreisen, um mich lockerer zu machen.
Ruhig bleiben.
Es war alles gut.
Mehr oder weniger eben (Chuck musste ich einfach ausblenden).
Ich sah zu Alyssa auf, die mich freundlich anlächelte. Nichts, wovor man Angst haben musste. Alyssa war ein bildhübsches Mädchen. Haut wie Zartbitterschokolade, langes, schwarzes Haar, große, dunkle, funkelnde Augen, volle Lippen. Ich hätte es wesentlich schlechter treffen können.
Man feuerte uns inzwischen schon an, doch ich zögerte noch. Zu sehr war ich mit meinen Gedanken beschäftigt.
Schließlich ergriff Alyssa die Initiative. Sie griff in den Saum meines T-Shirt-Ausschnitts und zog mich zu sich, ehe unsere Lippen aufeinander trafen. Ihre Lippen waren genauso weich, wie sie aussahen. Sie waren angenehm warm und noch etwas feucht – aber alles in allem war es ein schönes Gefühl. Mein Herz wollte mir zwar schier aus dem Brustkorb platzen, aber mein restlicher Körper bewegte sich kaum.
Ich war froh, dass ich wenigstes eine Hand heben konnte, um sie an ihre Wange zu legen, während sie damit beschäftigt war, meine Lippen zu liebkosen. Sie wusste genau, was sie tat – nur ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich hatte Hemmungen, den Mund zu öffnen; nicht nur, weil es mein erster Kuss war, sondern auch, weil Chuck direkt neben uns saß und uns zusah.
Ich hätte mitzählen sollen. Wie viele Sekunden waren schon vergangen? Waren es schon zehn? Es fühlte sich an, wie eine halbe Ewigkeit. Alyssas Lippen brachten meine schließlich dazu, sich zu öffnen und ich bereitete mich schon auf den nächsten Schritt vor, da applaudierte Chuck laut.
Auf ihn war Verlass – er ließ nicht zu, dass ich Alyssa auch nur eine Sekunde länger küsste.
Letztendlich fielen auch die anderen in den Applaus mit ein.
Alyssa löste sich von mir und sah mich ein klein wenig perplex an. So wie sie mich anschaute, war mir sofort klar, dass sie mich durchschaut hatte. Ihr war (natürlich) klar geworden, dass ich kein geübter Küsser war.
Ich presste die Lippen aufeinander und sah sie flehend an. Ich versuchte ihr alleine mit meinem Blick zu bedeuten, keine große Sache daraus zu machen. Von mir aus konnten wir später darüber reden, aber jetzt wollte ich nicht zum Gespött der Runde werden.
Und sie schien tatsächlich zu verstehen, nickte knapp, strich sich das Haar hinter die Ohren und lächelte in die Runde, als hätte ich meine Sache gut gemacht.
Ich entspannte mich wieder ein wenig.
Was ein Abend!
Mein erster Kuss … Da war er. Nichts Weltbewegendes (oh, ganz sicher nicht), aber es war ein Kuss gewesen.
Irgendwie fühlte ich mich ein bisschen besser. Erleichterter, obwohl ich genau wusste, dass für Alyssa das Thema noch nicht erledigt war. Sie würde noch darüber reden wollen, da war ich mir sicher.
„Worauf wartest du?“, fragte Paige mich schließlich.
„Mhm?“ Ich sah sie aus großen Augen an.
„Wir wissen alle, wie toll Alyssa ist, aber jetzt bist du dran!“
Ich runzelte die Stirn. Für einen Moment wusste ich nicht, wovon sie sprach. Wie toll Alyssa war?
„Dreh die Flasche!“ Paige zeigte auf die Wodkaflasche in unserer Mitte.
Verdammt!
Ich holte tief Luft, beugte mich nach vorne und drehte die Flasche. Einfach aus dem Handgelenk. Als würde ich das Spiel regelmäßig spielen.
Gott sei Dank gab es Alkohol!
Während die Flasche sich drehte, lehnte ich mich ein wenig zurück, Alyssas Blick von der Seite ignorierend. Stattdessen sah ich wieder in die Runde und überlegte, wen es treffen würde. Wen ich wollte, dass es traf.
Ich konnte es schlicht nicht sagen.
Ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob ich direkt für meinen zweiten Kuss bereit war. Und das gleich mit jemand anderem. Das war verrückt. Das ging alles so schnell! Das war gar nicht so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.
Da wurde die Flasche langsamer und passierte Paige, mich, Alyssa und auch Chuck.
Mein Herz raste – womöglich noch viel heftiger, als eben bei dem Kuss.
Wen würde es treffen?
Wen würde ich küssen dürfen/müssen?
Und dann hielt sie an.
Mit einem Mal herrschte absolute Stille im Raum, bis auf das Dröhnen der Musik von unten.
Ich schluckte und sah zu Noah auf, auf den der Flaschenhals zeigte.
Er hob die Augenbrauen und formte ein „Oh“ mit den Lippen.
Besser hätte ich es nicht sagen können.
Nach einigen Sekunden ertönte dann das erste „Uuuh!“, dicht gefolgt von einem leicht gehässigen Lachen.
Ich befürchtete, das gefiel den anderen.
„Kommt schon, Jungs!“, sagte jemand, doch ich konnte nicht ausmachen, von wem es gekommen war. Mein Blick haftete an Noah.
Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne und wartete …
Tja, auf was eigentlich? Dass er den ersten Schritt machte? Dass ich bewies, dass ich cool war und zu den Regeln stand, die ich zu Beginn des Spiels erklärt hatte?
Mein zweiter Kuss … und das mit einem Kerl.
Der Applaus wurde stärker, die „Uuuhs!“ lauter. „Macht schon!“, rief jemand. „Stellt euch nicht so an!“, meinte jemand anderes.
Ich schluckte wieder und suchte bereits fiebrig nach einer Ausrede, als Noah mit der Zunge schnalzte, seine inzwischen leere Colaflasche zur Seite stellte und sich aufrappelte. Er stand auf, zog sein Hemd zurecht und stellte sich in die Mitte, ehe er mich zu sich winkte.
Ich zögerte, ehe mir Paige auf die Schulter klopfte.
„Na los!“
„Heute noch!“
„Uuuhh!“
Ein Paar Hände schob mich nach vorne und mir blieb bald keine andere Wahl, als nachzugeben und ebenfalls aufzustehen. Ich stellte mich Noah direkt gegenüber. Dass ich stehen konnte, war gerade alles. Meine Beine waren wie Wackelpudding, mein Herz schneller als ein D-Zug und mein Hirn absolut leer.
„Bereit?“, fragte Noah und ich konnte mich nur fragen, wie er das machte. Wie er dabei immer noch so lässig war, als machte er das jeden Tag.
Ich schüttelte den Kopf.
„Bringen wir es hinter uns“, schlug Noah vor und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als er eine Hand an meine Wange legte und sich ohne jedwede Hemmungen zu mir beugte. Nur eine Sekunde später spürte ich seine Lippen auf meinen.
Direkt schloss ich die Augen.
Er fühlte sich ganz anders an als Alyssa – logischerweise. Aber es war nicht nur ein anders-anders, sondern ein … besser-anders. Er war irgendwie zärtlicher, nicht ganz so stürmisch wie Alyssa. Seine Lippen waren ebenfalls weich und schmeckten ein bisschen nach Cola.
Da stand ich – um mich herum war alles verschwunden. Da war nur Noah, dessen Daumen über meine Wange strich, während er es bestimmt, aber dennoch sanft schaffte, meine Lippen zu öffnen. Der Kuss wurde intensiver. Leidenschaftlicher, mochte ich fast sagen.
Meine Beine wurden noch weicher, weshalb ich mich bald an ihm abstützen musste. Beide meiner Hände lagen schließlich auf seiner Brust und krallten sich förmlich in den Stoff seines Hemdes. Gott sei Dank konnte ich mich an ihm festhalten, denn als er plötzlich behutsam in meine Unterlippe biss, war es völlig um mich Geschehen.
Na DAS war ein Kuss, wie man ihn sich vorstellte. Das hätte mein erster Kuss sein sollen. Unabhängig davon, dass Noah ein Typ war, aber er verstand wesentlich mehr von dem Werk, als Alyssa.
Während er mich küsste, gab es nur ihn – ich vergaß ganz, dass wir „nur“ zehn Sekunden hatten. Erst, als es einen lauten Knall gab, kehrte ich ins Hier und Jetzt zurück.
Mit einem Schlag war ich wieder bei Bewusstsein. Hellwach, zu 100 Prozent nüchtern. Aus großen Augen sah ich Noah an, sah direkt in seine funkelnden grünen Augen und spürte nichts anderes, als mein Herz und seine Hand, die noch immer auf meiner Wange lag.
Es gab weder Applaus, noch weiter „Uuuhs“, denn von unten drangen Flüche, Schreie und lautes Klirren nach oben.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Paige aufsprang, fluchte und aus dem Zimmer stürmte.
Die Musik war verstummt und für einen Moment war es ein bisschen zu still für meinen Geschmack.
Noahs Zunge glitt über seine Lippen.
Ich wagte es nicht zu atmen.
War das eben tatsächlich geschehen?
Sein Blick hielt meinen noch einen ganzen Moment fest, dann ließ er die Hand sinken und wandte sich laut ausatmend ab.
Befreit von seinem Blick, konnte auch ich wieder tief Luft holen.
Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass sich die Runde beinahe komplett aufgelöst hatte. Ich sah zwei Mädchen tuscheln, als sie meinen Blick jedoch bemerkten, kicherten sie. Ich sah zu Alyssa, die sich mit Chuck unterhielt und ich sah zu Noah, der inzwischen am anderen Ende des Raumes stand und mich mit funklenden Augen beobachtete.
„Sorry, Leute“, rief Paige von unten. „Aber die Party ist vorbei - irgendein Idiot meinte, er müsste die Anlage meiner Eltern schrotten!“
Ich sammelte mich. Okay – cool bleiben.
Erst einmal den Blick von Noah lösen und ihn nicht so gruselig anstarren. Also sah ich zu Chuck, der nun alleine da stand.
„Wo ist Alyssa?“, fragte ich mit belegter Stimme.
„Paige helfen“, erklärte Chuck, alles andere als gut gelaunt.
Die Nebenwirkungen des Alkohols kehrten langsam wieder zurück und der Raum begann zu schwanken.
„Lass uns gehen“, schlug Chuck vor.
„Gute Idee!“, stimmte ich zu und folgte ihm. Bevor ich jedoch den Raum verließ, konnte ich es mir nicht verkneifen, noch einmal zurück zu schauen. Noah hatte allerdings sein Handy gezückt und tippte gerade darauf herum, nahm also keine Notiz mehr von mir.