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Flammenritt
Corona stand auf der Mauer aus Glas und starrte auf den Sumpf herab. Die Klippen unter ihr fielen jäh ab, und an ihrem Fuß dampften die Nebelschwaden. Die Soldatin war klein und zierlich. Ihrem Schöpfer hatte es gefallen, ihr rotes Haar und milchweiße Haut zu geben. Eine Magierin hätte sie werden sollen, eine mächtige Hexe in den Reihen der Thorns. Doch sie hatte nie die Macht entfesseln können, die laut Anasáthar in ihr schlummerte.
Ihr auffälliges Äußeres zog den Neid der anderen Frauen auf sich, und die Bewunderung der Männer. Sie umrandete ihre grünen Augen schwarz, ihr Meister wünschte es. Wenn sie nicht auf den Zinnen stand, hatte sie ihm zu Diensten zu sein. Sie war nicht unglücklich über ihre Existenz, denn es gab in der Feste Wesen, die es wesentlich schlechter hatten als sie.
Aufmerksam behielt sie den Sumpf im Auge. Wenn der Feind sich während ihrer Schicht den schmalen Pfad hinauf schleichen würde, würde sie nicht auf die Bestrafung durch die Thorns warten müssen. Der Tod würde auf vielen Beinen kommen, und er würde schmerzhaft sein.
Brevin hatte die Strafe für Versagen erfahren müssen. Tagelang hatte er in den Eisenfesseln über dem Wehrgang gehangen. Sein Stöhnen hatte viele ihrer Wachperioden begleitet, aber es war verboten worden, sich ihm zu nähern. Sie selbst hatte nie das Bedürfnis dazu verspürt, aber sie hatte gemerkt, dass andere es getan hatten, Thorns, Angehörige der Garde. Brevins Wimmern war dann für kurze Zeit verstummt. Alle anderen verbargen sich mit ihrer dunklen Haut in der Nacht. Nicht so Corona, die in jedem Lichtstrahl leuchtete.
Brevin... Sie hatte ihn nicht gemocht, er hatte immer ein gewisses Unbehagen bei ihr ausgelöst. In seiner Nähe hatte sie sich gefühlt als sei sie klebrig und er bliebe mit seinen Augen an ihr hängen.
Sie schauderte, als die Ketten ihren Blick festhielten. Sie würde nicht versagen.
Die Wachablösung kam. Corona nickte dem Geflügelten zu und trat durch die Tür, die in den kleinen Turm führte. Der Stein der Wendeltreppe war kalt und dunkel unter ihren Füßen, aber je weiter sie herabstieg, desto wärmer wurde es, bis sich ihre Haut eiskalt in der Hitze anfühlte.
Sie kam auf der Balustrade entlang. Unter ihr lag die riesige Haupthalle, an ihren Wänden standen Liegen für die Besucher der Feste.
In der Halle stand Ka’indhar im Kreise jener, die sich für das Armbrustschießen interessierten. Aufgespießte Insekten hingen an einer Art Regal, ein toter Sklave daneben. Die volle Stimme des Thorns hallte bis zu ihr hinauf.
“Wenn das Insekt einen gepanzerten Kopf hat, schießt ihr auf die Beine. Wenn es Flügel hat, auch. Wenn es viele Beine hat, schießt ihr auf den Kopf.“
„Thorn Ka'indhar?“, fragte einer der Schüler zaghaft.
„Was ist?“
„Was ist, wenn ein Insekt viele Beine und einen gepanzerten Kopf hat?“
„Dann schießt du gar nicht, mein Kind. Dann läufst du, so schnell du kannst.“
Von ihrem Beobachtungsposten aus sah sie, wie die zart besaiteteren unter den Schülern zusammenzuckten.
"Ihr habt noch nie gegen sie gekämpft - lasst mich euch etwas über sie erzählen. Was sie von uns wollen, wissen wir nicht. Nur unseren Tod, den können wir in ihnen sehen. Sie kommen, in allen Formen, die es gibt, in großen Horden gegen die Feste gebrandet. Manchmal gelangen einzelne Exemplare sogar hinein! Wirklich gut kämpfen können sie nicht. Es gibt einige von ihnen, Elitekrieger, die beinahe aussehen wie wir. Aber ihre eigentliche Gefahr liegt in ihrer Masse..."
Corona ging die Galerie entlang, ein heller Punkt vor dem schwarzen Stein. Ka’indhar wandte den Kopf nach ihr. Sie lächelte, im Bewusstsein, dass sie schön war.
Nackt, wie Anasáthar sie geschaffen hatte, betrat sie seine Kammer und kniete sich vor ihn, die Schwingen gespreizt, den Schwanz um ein Bein gewickelt. Er bedeutete ihr mit einem Wink seiner Hand, sich zu erheben.
Sie gehorchte, setzte sich dann mit übereinander geschlagenen Beinen auf ihren Platz in der Ecke.
“Nun, Corona, was hast du heute gemacht?“, fragte er leise. Seine Stimme war ausdruckslos, seine Miene ohne Bewegung. Aber sie wusste, dass er ein liebender Vater war, der für seine Schöpfungen sorgte, als seien es Kinder.
„Ich hatte Schicht auf dem Wehrgang, Herr. Vorher habe ich in der Halle Wache gestanden.“
„Macht Wache stehen dir Spaß, mein Kind?“
„Ich tue, was getan werden muss, Sati.“
„Wache stehen für meine schöne Corona? Ist das alles, was du dir erhoffst? Was ist mit einem Posten als Leibdienerin der Herrin?“
„Ihr beliebt, zu scherzen, Sati.“
Er lächelte. „In der Tat. Du bist mir zu schade für den Verschleiß in ihren Gewölben.“
Corona hatte von den Gemächern der Herrin gehört. Orgien sollten dort stattfinden, Gelage seien an der Tagesordnung. Oft wurden die zerschlagenen Körper von Sklaven heraus getragen und über den Wehrgang gekippt wie der Abfall, der sie waren.
Sie lächelte Anasáthar zu. Ihr Herr legte eine schwarze Hand auf ihre Schulter. „Für dich habe ich etwas Besonderes geplant, Corona. Trotz deiner… Behinderung… bist du viel mehr für mich, als es je eine meiner Kreaturen war.“ Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Beinahe schlich sich Trauer in seinen Blick.
Sie lag auf einer der Pritschen und trank Wein aus einem Becher. Ein Soldat stand Wache, Sachet, rechte Hand der Herrin, durchquerte die Halle.
Bitterkeit stieg bei ihrem Anblick in Coronas Kehle auf. Sie hätte ein Mitglied der Garde sein können! Aber es stand ihr nicht zu, Anasáthar zu kritisieren, indem sie unglücklich war.
Sie schluckte schwer an Eitelkeit und Stolz, während sie eine Drachenfrau beobachtete, die sich von einem Sklaven mit Öl einreiben ließ.
Die Feste war mehr als nur eine Grenzburg. Sie war das Reich der Herrin, sie bot Reisenden Obdach und Schutz vor den eisigen Winden des Abgrundes. Sie war eine wichtige Bastion im Kampf gegen die Insekten. Und sie war Heim vieler Wesen, die hier lebten, liebten und starben.
Ein Flügelloser näherte sich ihr. Sie nahm den Teller mit dem duftenden Braten entgegen, wandte sich dem Essen zu. Als der Sklave wieder ging, fiel ihr Blick auf die Stümpfe auf seinem Rücken, wo einst seine Schwingen gesessen hatten, und sie erkannte Brevin.
Niemand, der Flügel hatte, durfte anderen Geflügelten als Sklave dienen. Also hatte die Herrin dafür gesorgt, dass Brevin die seinen losgeworden war. Er war einst ein Thorn gewesen, ihr Vorgesetzter, manchmal auch ihr Bettgefährte. Aber er hatte versagt. Und damit sein Geburtsrecht verwirkt.
Während sie aß, spürte sie seine hungrigen Blicke auf sich ruhen. Ekel erfüllte sie bei der Vorstellung, dass das, was jetzt ein Flügelloser war, in Gedanken an die Nächte schwelgte, die sie gemeinsam verbracht hatten. Bei dem bloßen Gedanken an seine hungrigen Blicke fuhr ihr ein Schauer über den Rücken. Mit einer Handbewegung verscheuchte sie ihn.
Die Soldatin riss das letzte Fleisch vom Knochen, leckte sich gerade das Fett von den Fingern, als Ka’indhar die Treppe herunter kam. Er winkte er sie zu sich.
Als sie neben ihm stand, lächelte er ihr zu. “Corona, bitte geh in mein Zimmer und warte dort auf mich.“
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein Sklave – Brevin, vielleicht - aus der Küche gehuscht kam und den Teller griff.
Sie setzte ihren Fuß auf die Treppe und holte tief Atem. Ka’indhar…
Ka’indhars Raum war groß, das war das Erste, was ihr auffiel. Die Feste war von Sklavenhand aus dem schwarzem Glas der Klippen gemeißelt und Platz war kostbar. Der Boden war bedeckt mit weichen Teppichen, das Bett riesig und einladend. Vorsichtig nahm sie darauf Platz, freute sich darüber, wie weich es war.
Waffen lagen in Regalen. Der Raum schien groß genug für Übungskämpfe, und Corona fragte sich kurz, ob der Thorn auserwählten Schülern Einzelunterricht gab. Das sie deswegen hier war, konnte sie sich allerdings nicht vorstellen, und so nutzte sie die Zeit, um ihre wilden Locken mit den Fingern hastig zu kämmen.
Es dauerte eine Weile, bis die Tür sich wieder öffnete und Ka’indhar den Raum betrat.
“Warum bin ich hier, Thorn?“, fragte sie, als er keine Anstalten machte, sie zum Sprechen aufzufordern.
„Zwei Dinge. Das erste – Nahkampfübungen. Und das zweite…“ Er trat an sie heran und beugte sich über sie, wie sie es erwartet hatte, „Nahkampfübungen.“
Als er sie küsste, kribbelte ihr ganzer Körper. Und als er seine dunklen Hände in ihrem Haar vergrub, vergaß sie die Kälte, die draußen auf den Zinnen auf sie wartete.
Danach lagen sie nebeneinander, sie auf dem Bauch, in die zerwühlten Decken gekuschelt, er auf der Seite neben ihr. Seine gespreizten Schwingen verbargen die Tür vor ihren Blicken.
Seine langen Finger fuhren über ihr Gesicht. „Du bist schön, Corona.“
Sie lächelte. „Was soll ich dazu sagen, mein Thorn.“
„Vielleicht nichts?“ In seinen blauen Augen stand eine unausgesprochene Frage.
Sie schwiegen. Dann sagte er: „Es hat einen Grund, warum ich dich zu mir geholt habe, Soldatin.“
Eine Locke fiel ihr vors Gesicht, als sie den Kopf zu ihm drehte.
„Ich habe erfahren, dass die Insekten einen neuen Schwarmstock gebaut haben, nicht weit von hier. Ich brauche jemanden wie dich – jemanden, der fliegen kann, und jemanden, der klein ist…“
„Jemanden, der entbehrlich ist, vielleicht?“
Seine Augen wurden dunkel. „So sieht die Herrin es.“
„Natürlich, mein Thorn. Ihr müsst es wissen.“
“Sage du zu mir. Immerhin werden wir beide sterben.“
„Wie du willst.“ Sie schwiegen. Dann: „Warum du? Warum der Favorit der Herrin?“
Er schnaubte. „Politik. Der Favorit der Herrin ist nicht mehr – jetzt ist nur noch Ka’indhar.“ Dann schenkte er ihr ein Lächeln. „Aber bevor wir beide sterben werden, Soldatin, ist es an der Zeit, deine Kampfkenntnisse ein wenig aufzupolieren…“
Ka’indhar schulte sie systematisch. Er begann mit kurzen Schwertern, um ihre Geschwindigkeit zu verbessern. Dann kamen lange Waffen. Ihre Handgelenke wurden kräftiger. Sie wurde schneller und konnte härter schlagen.
Aber eine Kriegerin konnte er nicht aus ihr machen, obwohl das graue Dämmerlicht vieler Tage sie bei ihren Übungen gesehen hatte.
„Die Insekten sind verwundbar“, schärfte er ihr immer und immer wieder ein. „Du musst nur ihre Köpfe treffen, am Besten ihre Augen…“
Sie wurde nie gut mit dem Langschwert oder gar dem schweren Beidhänder, den Ka’indhar mit solcher Mühelosigkeit schwang. Aber sie wurde besser mit kurzen Waffen und Wurfsternen, gut genug, wie der Thorn sagte, um die Insekten wenigstens eine Weile zu überleben.
„Wir dringen in den Schwarmstock ein und suchen den Weg zur Brutkammer. Dann musst du hineinkriechen – die Öffnungen sind sehr schmal, sie sind für die Insekten gemacht, nicht für meinesgleichen. Aber ich werde draußen auf dich warten. Du legst diese Morgenjuwelen zwischen die Eier, und dann verschwinden wir. Und sobald es dämmert, ist der Schwarmstock vom Angesicht der Welt getilgt.“
„Ein narrensicherer Plan.“ Sie sagte nicht, was offensichtlich war – dass sie es vielleicht lebend hinein, aber niemals lebend hinaus schaffen würden.
„Ja. Aber wir sollten bald gehen – der Tag neigt sich dem Ende zu, und wir haben die ganze Nacht.“
„Ich möchte erst etwas essen.“
“Natürlich, wie du möchtest.“ Er zog an einer Klingelschnur, drei Mal.
Es war Brevin, der ihnen das Essen brachte.
„Setz dich zu uns, alter Gefährte“, sagte Ka’indhar. Brevin kauerte sich auf einen Schemel zu
seinen Füßen.
Der Thorn riss eine Keule von dem Tier, das auf dem Tablett lag, reichte sie Corona. Die zweite nahm er selbst, den Rest überließ er großzügig Brevin. Corona aß hungrig, Ka’indhar langsam. Der Flügellose verschlang die Mahlzeit, als würde jemand versuchen, sie ihm wegzunehmen. Corona warf ihrem Ausbilder fragende Blicke zu.
Als von der Mahlzeit nichts mehr übrig war, räumte Brevin die Platten zusammen und hob sie an. Corona starrte ihm in die Augen, bis er den Blick abwandte.
„Geht es dir gut, Freund?“, fragte der Thorn. „Gibt es irgendetwas, was ich noch für dich tun kann, bevor mich das Gericht der Herrin ereilt?“
Der Flügellose machte ein Geräusch, und der Krieger nickte. „Dann geh, und gib gut auf dich Acht. Ich sage dir Lebewohl, weil ich nicht weiß, ob ich wiederkomme…“
„Sachet – sie wird ihn töten, wenn sie hiervon erfährt!“ Sie war hin und her gerissen zwischen ihrer Loyalität zu dem Thorn und dem Ekel vor dem Flügellosen. Die vernarbten Stümpfe an seinen Schultern weckten jedes Mal die Erinnerung an den Albtraum, der sie regelmäßig aus dem Schlaf schrecken ließ, den Traum, der ihr die Flügel nahm.
„Nein, Kleines, sie tötet mich…“ Er lächelte traurig. Brevin warf ihm einen langen Blick zu, die beiden umarmten sich wie Brüder, und dann war der Flügellose fort. Die Tür schwang in den Angeln hin und her.
„Sie hat ihm die Zunge herausgeschnitten, die Foltermagd der Herrin.“ Seine Lippen waren ein schmaler Strich. „Sachet… Sie sagte mir, wenn er den Tod fände, würde die Herrin mir wieder ihre Gunst schenken.“
Sie erschrak vor dem Hass in seiner Stimme. „Thorn, lässt du mich gehen und Anasáthar einen letzten Gruß erbieten? Er war immer freundlich zu mir.“, bat sie hastig.
„Natürlich, Corona.“, sagte er nach einer Weile dumpfen Brütens. „Du bist vollkommen frei, zu kommen und zu gehen wie du möchtest.“
Er küsste ihre Hand, als sie den Raum verließ, und begann, seine Rüstung anzulegen.
„Herr, ich werde Ka’indhar zum Schwarmstock begleiten.“
Anasáthar blickte auf seine Schöpfung, die sich in den letzten Wochen verändert hatte. Aus der geduckten Soldatin war ein Sukkubus geworden, wie er im Buche stand, stolz, herrisch und schön. Wie ein Thorn schien sie ihm, und er lächelte.
“Geh, Kind, geh. Wenn dein Schicksal in deinem Tod liegt, dann musst du es dort suchen gehen.“
Sie stand vor ihm, ein wenig unsicher, was nun geschehen würde. Dann nahm sie seine Hand und lächelte traurig, als sie den Raum verließ, in dem sie das erste Mal erwacht war.
Sie flogen hoch über dem Sumpf in der Luft. Ihre Schwingen trugen sie, und viel zu bald kam das Nest in Sicht.
Sie waren leicht gerüstet, denn die riesigen Flügel vermochten nicht viel mehr als ihr Eigengewicht zu tragen. Aber sie hatten Waffen, und Corona hatte einen Gürtel umgebunden, an dem in kleinen Säckchen die Morgenjuwelen baumelten.
Das Nest war ein pulsierendes Gebilde aus Dingen, die Corona gar nicht näher betrachten wollte. Bei seinem Anblick stieg Übelkeit in ihr hoch.
Die beiden Geflügelten landeten außer Sichtweite. „Wir müssen dich noch tarnen“, sagte der Thorn. „Hier, nimm dir Schlamm, es liegt genug herum.“
„Komm!“, zischte er und kroch durch das Loch. Sie folgte ihm, das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie über den krustigen Rand kletterte.
Der Boden des Nests war schleimig und weich. Ka’indhar musste sich bücken, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen. Es war nicht ganz dunkel im Nest, von irgendwoher kam ein diffuser Glanz, in den Wänden gähnten Höhlungen, in denen Insekten lauern mochten.
Ka’indhar schien den Weg zu kennen, irgendwoher, die Soldatin folgte ihm mit schnellen Schritten. Dann waren sie da, die Brutkammer lag vor ihnen. Ein kleiner Schlitz war der Eingang, zu klein für Ka’indhar, vielleicht gerade groß genug für sie.
Sie lächelte ihm zu, faltete dann die Schwingen so eng wie möglich neben den Körper und schob den Kopf durch den Schlitz, dann die Schultern, und dann steckte sie fest.
Ka’indhar schob, und sie rutschte durch den schleimigen Eingang und purzelte beinahe in ein Nest mit Insekteneiern.
„Wir haben Glück“, hörte sie seine Stimme von draußen. „Das Nest ist nicht verteidigt! Hier sind gar keine Insekten, Corona! Keine Himmelfahrtsmission!“
Sie lächelte erneut, verbarg dann die glimmenden Juwelen zwischen den Eiern der Feinde. In ihrem Schein konnte sie kleine Embryonen erkennen, die sich in den durchsichtigen Bällen bewegten, und sie schüttelte sich.
Plötzlich erhaschte sie eine Bewegung im Augenwinkel, und als sie herumwirbelte, erhellten die Juwelen mit ihrem schwachen Leuchten eine sprungbereite Gestalt. Corona schrie auf und riss zwei Schwerter aus dem Gürtel, gerade schnell genug, um den Angriff abzuwehren.
Sie sah ein Zerrbild ihrer Selbst, gekleidet in Chitin. Das Gesicht war umschlossen von einem Helm aus Knochenplatten, die Augen leuchteten als zwei riesige Halbkugeln aus Facetten. Ihre eine Klinge prallte an der Brust des Insekts ab, die zweite blieb darin stecken. Ein Knacken ertönte.
Sie zerrte daran, schaffte es schließlich, sie aus dem Gegner zu befreien. Er taumelte nicht einmal, nur aus der Wunde in seiner Brust sickerte es grün.
"Seine Augen, Corona! Seine Augen!", brüllte Ka'indhar. Seine Silhouette war zweiein dunkler Schatten im noch dunkleren Spalt nach draußen.
Corona gehorchte blind, warf sich herum, um den Schlägen des Feindes zu entgehen. Eine Klinge aus irgendetwas, die aus dem Arm des Gegners wuchs, prallte mit einem hellen Geräusch gegen ihre.
Aber sie war schneller, ihr Schwert war kürzer, und so stach und schnitt sie, auf Kopfhöhe ihres Gegenübers. Obwohl der Gegner versuchte, auszuweichen, gelang es ihr, die Klinge in eines seiner Augen zu bohren.
Das Insekt reckte den Kopf aus den Knochenplatten und kreischte in Agonie. Corona lachte, als sie seinen weichen Hals sah, geschützt nur durch Knorpelplatten. Ihr Schwert war scharf, und sie trennte dem Biest den Kopf von den Schultern.
Rotes und grünes Blut spritzte heraus, im Takt der Schläge eines Herzens. Insekten hatten kein Herz, das wusste Corona. Sie hatte genug von ihnen seziert.
"Ka'indhar - das war mal einer von uns!" Sie musterte den kopflosen Leichnam, sah seine Form, die Schwingen auf seinem Rücken, alles in schweres Chitin gepanzert. "Sie... sie nehmen uns und verwandeln..."
Ihr wurde schlecht.
"Dann verstreu schnell die anderen Juwelen und dann lass uns hier verschwinden", drängte der Thorn. "Wenn hier noch andere Insekten sind, dann hat das Geschrei dieser Kreatur sie sicher angelockt."
Ihre Füße trugen sie beinahe gegen ihren Willen zur Königin. Sie saß auf einem Hautsack, der aussah wie eine widerliche Blume, ihr Haupt ruhte auf einer Brustplatte, darunter waren vier kurze Beinchen. Sie sah nicht aus, als könne sie sich bewegen. Die Soldatin legte ihr das letzte Juwel vor ihre rudimentären Füße. Die Kreatur zuckte.
„Corona, komm jetzt!“, rief Ka’indhar sie. „Wir haben nicht mehr viel Zeit – es dämmert bald, und wir müssen noch das Nest verlassen!“
Sie eilte zum Ausgang, legte sich flach auf den Boden und versuchte, sich hindurchzuquetschen, aber irgendwann konnte sie nicht weiter, ihre Flügel behinderten sie.
„Das ist gar kein Problem“, beruhigte der Thorn sie, „steck einfach deine Arme durch das Loch, ich ziehe dich hinaus!“
Sie ekelte sich vor dem weichen Boden des Nests, gehorchte widerstrebend, aber als er an ihren Armen zog, schrie sie laut auf vor Schmerz. „Ich kann nicht, es zerreißt meine Flügel!“
Sofort ließ er sie los.
„Aber Corona, wie bekomme ich dich jetzt da heraus? Es dämmert gleich!“
„Dann flieh, du Narr, und rette wenigstens dich!“
“Die Herrin wird mich nicht leben lassen, solange ich nicht Brevin getötet und die Schmach in ihren Augen getilgt habe!“
„Dann töte ihn, aber flieh! Ich werde nach einem anderen Weg suchen!“
Sie hörte, wie er fluchte, dann, wie er floh. Nach kurzer Zeit hörte sie Kampfgeräusche, die abrupt abbrachen. Sie hoffte, dass er es geschafft hatte.
Fieberhaft tastete sie die Wände ab nach einem weiteren Ausgang, aber erfolglos. Die Dämmerjuwelen glommen immer heller, bald musste sie die Augen zusammenkneifen. Die Königin war erwacht und hatte zu kreischen begonnen. Ein großer, ekliger Käfer schob sich durch das Loch und drängte sich gegen die riesige Königin.
Dann plötzlich ließ die Helligkeit nach, als das unerträgliche Gleißen in Flammen explodierte. Corona fühlte sich empor gerissen, herumgewirbelt, aber sie fühlte keinen Schmerz. Erstaunt öffnete sie die Augen, die sie vor Schreck geschlossen hatte, und nahm ein blaues Glühen wahr, das ihren Körper einhüllte.
Die Wände der Brutstätte platzten auf, und sie wurde hoch über das Land gewirbelt. Die Flammen hatten sie mit Energie gefüllt, auf der sie hoch in den Himmel trug. Sie ritt das Feuer, wie sie einen Drachen reiten würde. Einen Drachen! Sie würde ihn unter ihren Willen zwingen, denn in ihr war Macht, und sie war Macht.
Als sie sich wieder gefangen hatte, trugen ihre Schwingen sie fort von den Ruinen des Nests, heim, in die Feste.
Anasáthar musterte sie. „Ka’indhar war gerade hier, er berichtete mir von deinem Tod.“
„Ich bin nicht verbrannt.“
“Du hast Magie beschworen?“
Sie nickte.
„Dann komm zur Herrin!“ Seine Augen glitzerten, endlich eine Regung in seinem steinernen Gesicht, so lange hatte sie gewartet. „Du wirst nun Thorn Corona sein.“
“Herr, ich würde gerne zuerst ein Bad nehmen.“
„Möchtest nicht schmutzig vor die Herrin treten? Eitles kleines Ding. Aber meinetwegen, dein Wunsch sei dir gewährt, geh und reinige dich. Du riechst nach Insektenschleim.“ Zu dem Schlamm sagte er nichts.
Corona rappelte sich in der Badewanne hoch und griff nach der Klingelschnur, zog daran. Dann ließ sie sich wieder ins warme Wasser gleiten.
Drei Sklaven betraten den Raum, begannen unaufgefordert, sie zu umhegen. Die Frau wusch Corona die Haare, der eine Mann kümmerte sich um ihre Hände und der dritte Flügellose massierte und schrubbte ihr Rücken und Flügel.
Als sie fertig waren, stieg die Soldatin aus der Wanne. „Schickt mir Brevin“, befahl sie, und verscheuchte die drei mit einer Handbewegung. Dann umrandete sie ihre Augen mit schwarzem Stift.
Brevin kam, als sie fertig war, und sie befahl ihm, ihr zu folgen. Sie lenkte ihre Schritte auf den Wehrturm, zu den Ketten, an den Abgrund, hin zum Sumpf.
„Brevin, geht es dir gut in dem Leben, das du jetzt führst?“
Er schüttelte den Kopf, entspannte sich ein wenig. Offenbar hatte man ihn geschlagen, seine Wange war bläulich verfärbt.
„Möchtest du, dass es nicht mehr weh tut, Brevin? Ich bin jetzt eine Magierin!“
Er nickte, kam einen Schritt näher.
Er mochte argwöhnisch gewesen sein, aber sie war schneller, und stärker. Seine Flügelstümpfe ruderten hektisch, als er über den Brustwall stürzte und in der dunklen Tiefe verschwand.
Corona verschwand im Turm, auf dem Weg nach unten nickte sie dem Wachhabenden freundlich zu.
Die Herrin war eine zierliche Frau, mit riesigen Schwingen, schwarzer Haut und weißem Haar. Ihr Gesicht war unter einer Maske verborgen. An ihrer Seite kauerte Sechet, der mit silberner Farbe überall auf ihrer Haut das Zeichen der Garde eintätowiert war.
Die Herrin winkte der Thorn mit der Hand, und Sechet nickte. Corona sah zu Anasáthar, dann zu Ka’indhar, die an ihrer Seite standen.
„Du wirst in den Rang einer Thorn erhoben, Soldatin Corona Anasáthar“, sagte die Gardistin ruhig. „Aber erst – kennst du die Pflichten?“
Corona nickte.
“Dann schwöre.“
„Ich schwöre, der Herrin zu dienen, ihr zur Seite zu stehen, im Frieden wie im Krieg. Ich schwöre der Garde meine Treue, ich werde ihr zur Seite stehen, im Frieden wie im Krieg. Ich schwöre ewige Geschwisterschaft, ich schwöre, dass ich niemals einen Angehörigen der Garde töten werde.“
Sechet nickte, die Herrin winkte Corona zu sich.
Die Frau kniete vor dem Thron nieder und sah zu ihrer Gebieterin auf.
Wie ein Windhauch erreichten sie drei Worte, die unter der Maske hervordrangen, gesprochen von einer Stimme süß wie Met.
“Ich weiß es“, sagte die Herrin.
Sie zog sich einen Ring von einem der schmalen Finger und steckte ihn der Gardistin an.
Corona küsste die Hand ihrer Gebieterin. Ihr rotes Haar verbarg ihr Lächeln. Jetzt würde alles besser werden.