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Flambierte Augen
Im Garten zwitschern die Vögel. Die Knospen strecken sich dem wolkenlosen Himmel entgegen. Es ist einer dieser ersten warmen Frühlingstage, an denen sie ihre guten Freunde jährlich zum Essen einladen.
Auf der, mit dem Dampfstrahler frühjahrsgeputzten Terasse wurde - wie immer - alles bestens hergerichtet. Die Gedecke sind fein säuberlich in Reih und Glied ausgerichtet. Weisse Kerzen strecken sich wie bleiche Hände aus dem Tisch. Gekühlte Getränke stehen griffbereit zur Verfügung. Die blütenweisse Tischdecke bewegt sich im Wind wie die Flügel eines Rochens. Aus dem nahen Wald duftet es nach Tannen. Ein weisser und schwarzer Hase hoppeln im Freigehege auf den ersten grünen Gräsern. Der Familienhund döst in der Sonne und beobachtet blinzelnd das Geschehen.
Die Hausdame richtet noch ein paar Haare hin. Da klingeln auch schon die ersten Gäste. Freudig werden sie vom Hund begrüsst. Jeder hat ein kleines Geschenk dabei und Süsses für die Kinder.
Während sich die Gäste mit der Dame des Hauses im Garten angeregt unterhalten, beginnt der Herr des Hauses sein Werk.
Natürlich hat er wieder ein paar wunderschöne Rezepte ausgesucht. Noch wirkt er etwas nervös, aber diesmal - so glaubt er - könnte er weit in den Himmel hinein - oder sogar etwas darüber hinaus - gelobt werden.
Es wird einfach bombastisch werden.
Als erstes wird die Küchentür verschlossen. Konzentration ist angesagt. Die geschälten und fein gehackten Schalotten werden leicht angeschwitzt und mit einem Hauch von Mehl eingestäubt. Ein am Vortag kreierter Fischfond dient zum Ablöschen.
Hochkonzentriert arbeitet sich der Meister durch das Rezept. Gehackte Mohrrüben und zwei Fischfilets, Sellerie, Petersilie, Knoblauch werden gemeinsam in die gusseiserne Pfanne geschoben. Ein Schuss Cognac steht schon zum Flambieren bereit.
In einer Fritteuse beginnt ein Liter feinstes Pflanzenfett seinen Siedepunkt zu erreichen. Verschiedene Meeresfrüchte werden kurz darin geschwenkt und im vorgewärmten Ofen weiter erwärmt. Schnell und korrekt führt der Hausherr sein Handwerk aus. Fast hätte er den Zeitpunkt des Flambierens übersehen.
Mit einer extravaganten Handbewegung verteilt der Meister der Küche den Cognac über dem Fischsösschen. Er entzündet ein unbehandeltes Streichhölz an der Reibefläche der Zündholzschachtel und entflammt den Cognac. Bläulich und leichtfüssig züngeln die Flammen auf der Sossenoberfläche entlang, nähern sich immer mehr dem, zur Fritteuse geneigten Rand. Dort herausspritzende Öltröpchen verleiten die Flamme - wie ein olympisches Feuer - zum überspringen.
Ungläubig verfolgt der Hausherr diesen - nicht im Rezept erwähnten - Vorgang und greift automatisch zu einer Flasche Mineralwasser, um zügig dem Treiben ein Ende zu setzen. Natürlich weiss er, dass man Wasser nicht in brennendes Öl schütten darf, aber bevor seine Gedanken zu Ende sind, beginnt er zu handeln.
Ein dumpfer Feuerball quillt hoch und taucht die Küche in das romantische Licht eines Sonnenuntergangs.
Kurz darauf verdampft die Hitze die Augen des Küchenchefs. Verbrannte Hautfetzen seines Gesichts schweben auf die weisse Anrichte und wirken wie geröstete Mandelplättchen. Die Küchenschürze steht in Flammen. Die vom Friseur so hingebungsvoll geschnittenen weissen Haare lösen sich in beissenden Geruch auf.
Die Küchentür hält dem Druck des Feuerballs stand. Entlang der Decke sucht das geschmeidige Inferno nach einem weiteren Ausweg aus der Küche. Hungrig kriecht es an den Wänden herab, verschlingt alles Brennbare, um auf dem Boden erneut nach Nahrung zu suchen. Auf den weissen Fliessen bilden sich Risse. Der Kunststoff auf den Küchenmöbeln krümmt sich zu einem bizarren Narbenmuster. Schwarzer Nebel füllt die Küche aus.
Der Hausherr hört noch aus dem Nebenzimmer die Frage, ob etwas angebrannt sei. Mit einer grazilen Verbeugung, fast wie ein Schauspieler im Theater - das Mineralwasser in der verkrampften Hand - kippt er vornüber, in das noch immer brennende Öl. Nur kurz frittieren, kommt ihm in den Sinn.
Dann schwindet auch dieser.