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Firstborn

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21.04.2002
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Firstborn

Warum ist alles so schwierig ?

Es fällt mir schwer, etwas zu erkennen, wenn es auch nur ein wenig weiter weg ist. Und selbst das, was ich erkennen kann, die Gegenstände ringsum, die riesigen Menschen, die mich anstarren, alles, was um mich herum ist - nur wenig davon macht Sinn für mich.

Es ist alles so riesengross - und ich bin so klein.

Jedesmal, wenn ich den Himmel sehe und die Sonne auf mich herableuchtet, habe ich Angst. Beinahe nichts ist so vertraut, wie es früher einmal war, als ich, von allem beschützt, den ganzen Tag im Meer lag und keine Sonne da war, die alles in Weiss tauchte. Ich habe Angst vor dieser gleissenden Helligkeit.

Meine Hände und Füße funktionieren noch nicht richtig. Ich will nach etwas greifen, aber ich kann es nicht richtig festhalten. Meine Finger sind zu schwach dafür, als wären sie noch nicht fertig. Ich bin so schwach , und alles ringsum wirkt so unglaublich gigantisch. Es ist noch nicht genug Kraft in meinen Fingern, aber ich fühle, dass es auch besser wird. Ich habe sogar schon diesen Gegenstand in meine Hand nehmen und wirklich festhalten können, losgelöst vom Boden, und wirklich in der Gewalt meiner Finger. Es war ein seltsames Gefühl - aber schön. Aber alles dauert und ich bin ungeduldig.

Ich will verstehen lernen, will wissen, warum mich die Welt anstarrt, warum die Dinge sind und warum ich inmitten allem bin. Ich will ich selbst sein, mich bewegen können, wie es andere tun, Herr über mich selbst sein. Will wissen, warum ich Angst vor der Sonne habe und Angst vor der Finsternis. Will wissen, ob meine Mama immer da ist, wenn ich in der Nacht aufwache und alles dunkel ist und mich bedrängt. Ich will so unglaublich viel, denn ich weiß nichts, ich verstehe nichts von dieser Welt.

Und dann wiederum möchte ich einfach nur gehalten werden, mich verkriechen in der kleinen Welt, geborgen sein, bis ich soweit bin zu verstehen.

Es ist alles so schwierig.

Das Gras unter meinen Händen und Füssen fühlt sich eigenartig an. Irgendwie ist es so wie ich, klein, zerbrechlich irgendwie, ausgeliefert. Ich muss meinen Kopf ins Gras legen, habe nicht mehr die Kraft meinen Körper vom Boden zu stemmen.

Alles wirkt so unendlich. Ich liege im Gras und die Welt um mich herum hört niemals auf. Für den Augenblick habe ich sogar die Sonne vergessen. Ich halte Mamas Finger fest in meiner Hand, kann sie neben mir liegen spüren. Ich habe sie sehr lieb, ich brauche sie. Sie vertreibt die Angst, sie ist immer da, nie fort von mir, sie hilft mir ein wenig zu verstehen. Sie sagt mir die Namen all dieser merkwürdigen Dinge, die überall sind, die mich umgeben. Sie hält diese riesige monsterartigen Menschen von mir fern, die irgendwie so gigantisch sind wie Mama selbst und dann wiederum sind sie ganz anders, denn sie machen mir Angst, weil ich sie nicht verstehen kann.

Die Luft hier draußen greift sich anders an. Es ist etwas in ihr, etwas, dass ich gerne in die Hand nehmen möchte, aber es bleibt nichts in der Hand zurück. Irgendetwas Lebendiges ist in der Luft, ich kann es spüren. Alles bewegt sich in ihr, nicht steht jemals still. Alles ist in Bewegung, wie ein Meer, aber das Gefühl auf der Haut ist anders, schwächer, so als ob die Luft nicht die Kraft hätte mich zu berühren.

Geräusche umspielen mich, die ich nicht begreifen kann. Sie kommen von Dingen, die ich nicht kenne, von denen ich nicht einmal den Namen weiß. Nur Mamas Stimme rettet mich davor, verlorenzugehen in diesem Geräuschemeer. Das und Musik.

Musik erinnert mich an das Meer, als alles noch dunkel war , aber vertraut. Es gab nicht viele Geräusche dort, nur das pochende Herz von Mama, das immer da war und das Pulsieren des Meeres ringsum. Aber an manchen Tagen lag eine Melodie im Meer, ganz ferne klang sie, als ob sie von der anderen Seite der Dunkelheit kommen würde. Es war wunderschön zuzuhören und sich treiben zu lassen.

Musik gibt es auch im Licht - das war eines der ersten Dinge, die ich gelernt habe. Es ist beruhigend für mich, manchmal höre ich die Melodie von damals, die Melodie des Meeres, manchmal andere Melodien und Klangfolgen, aber ich liebe die geschwungene Farbe dieser Töne. Es ist nicht einfach nur Sprache, es ist wie das Singen von Meer und Luft, leise, beunruhigend, sanft. Alles bewegt sich wieder , aber ich habe keine Angst mehr.

Alles ist so schwierig.

Ich möchte reden können, aber die Sprache scheint in meinem Mund steckenzubleiben. Ich möchte es rausstossen, aber ich kann es nicht, bin nie erfolgreich. Kann nichts sagen, nur Laute bilden sich, die niemand versteht. Ich will Musik sprechen, aber ich kann nur lachen und weinen. Alles scheint gefangen in mir und ich möchte es freilassen, alles. Doch ich kann nur empfangen und möchte doch Musik sein.

Mama küsst mich und die Berührung fühlt sich gut an. Es ist, als ob das Meer zurückkäme und die Welt wieder endlich ist und ich wieder die Grenzen erkennen kann in der Ferne. Es ist, als treibe ich wieder im Meer und gleichzeitig, als ob ich zum Meer werde.

Mein Kopf liegt im Gras, ich spüre die Halme in meinem Gesicht , unter meinen Händen und Füssen. Ich atme die lebendige Luft, die ich nicht berühren kann und halte die Augen wieder geschlossen.

Ich höre wieder ein wenig das Meer, kann meine Mama riechen. Ich wickle mich ein in ein Blatt und warte auf den nächsten Tag.

Alles ist so schwierig, aber bald werde ich verstehen.

 

Hallo Elay,
und herzlich willkommen auf KG.de! :prost:

Die Idee zur Deiner Geschichte fand ich ziemlich gut, nur die Umsetzung gefällt mir noch nicht so.
Liegt vor allem an der Erzählperspektive:
Ein Neugeborener, Säugling mit solchen ausgefeilten Gedanken? Allerdings bin ich mir nicht 100%ig sicher, ob es sich wirklich um ein Menschenbaby handelt, da mich die ständigen Hinweise auf das Gras doch leicht irritiert haben und der Satz

wickle mich ein in ein Blatt
sein übriges dazu beigetragen hat.

Insgesamt ganz gut, könnte aber noch besser werden.

Ugh

 

Hallo Enay

Die Gedankengänge scheinen mir "zu reif" für ein Baby, wenngleich ich deiner Erzählperspektive durchaus etwas abgewinnen kann.
Geschrieben hast Du gut und flüssig mit der für mich angenehm"richtigen"Anzahl von Absätzen.
das "Handwerk" scheint Dir also zu liegen.

Ich könnte mir vorstellen, dass das ganze aus einer rückblickenden Perspektive eines Erwachsenen besser zu erzählen wäre...aber das ist nur eine Idee meinerseits.

Mach weiter so...ich glaube, dass in Dir viel Potential steckt, was mich neugierig werden lässt.

der Lord ;)

 

Schon ganz klar, dass ein Neugeborenes nicht diese Wortwahl hat.
Im Prinzip spricht das Baby mit den Worten des Vaters .
Rückblickend wollte ich das Ding nicht aufziehen. Das wär dann für mich eher ein Thema für ne surreale Geschichte. Obwohl, das bringt mich auf eine Idee ....

[ 28.04.2002, 18:04: Beitrag editiert von: Enay ]

 

Hallo Enay!

Auch ich möchte Dich auf kg.de willkommen heißen!

Ich finde die Wahl Deines Themas sehr schön!

In Teilen möchte ich mich meinen Vorkritikern anschließen. Es ist vor allem nicht die Wortwahl, die mir nicht zum Baby passen will (das ist schon klar, daß ein Baby nicht die Worte hat), sondern vielmehr das Gesagte selbst - natürlich nicht alles.

Die Teile, wo Du über die Musik schreibst oder das Riechen der Mama und das Meer, finde ich gelungen!

Wo ich nicht zustimmen kann: Ein Baby macht sich absolut keine Gedanken, warum.... Es ist selbstverständlich, daß es geliebt und versorgt wird - oder vielmehr: sollte selbstverständlich sein.
Es wundert sich auch nicht, warum die Leute auf es schauen, es ist einfach da und nimmt alles als gegeben hin.
Es fürchtet sich auch erst vor etwas oder jemandem, wenn es einen Grund dazu hat, wenn es sich in der Dunkelheit alleine und verlassen fühlt, dann liegt es nicht an der Dunkelheit, sondern daran, daß es alleine und verlassen irgendwo liegt.
Solange es keine negativen Erfahrungen machen mußte, kennt es keine Furcht.

Auch, was das Lernen betrifft: Ein Kind lernt, weil es Freude daran hat - solange sie ihm nicht verdorben wird. Es fragt sich nicht, warum ist das so schwierig. Bevor es Greifen lernt, hat es noch keine Erfahrung mit Greifen und so hat es auch nicht das Gefühl, etwas nicht zusammenzubringen, sondern vielmehr eines Tages das Aha-Erlebnis - "Ach, dafür sind die Hände gut!"

So, ich hoffe, Du fasst meine Kritik nicht falsch auf: Ist keinesfalls böse gemeint. Wollte Dir nur ein Denkanstoß sein... ;)

Liebe Grüße
Susi

 

Tx for the feedback.
Wie gesagt, da liegen in vielem natürlich die Worte des Vaters drin.

Nur mit einem Feedback gehe ich nicht konform.
Ein Kind , selbst ein sehr kleines, macht sich sehr wohl Gedanken, warum.
Das Warum-Alter kommt zwar erst im Kleinkindalter richtig raus, aber diese 'Warum sind alle so gross'-Frage ist vorher schon da. Wenn ein Baby auf dem Boden liegt und seinen Kopf in die Höhe drücken muss , damit er die "grossen" Menschen sehen kann, dann glaube ich doch, dass es die Frage gibt bzw. geben kann. Says my son :-)

Schliesse mich im allgemeinen dem auch an, dass das Warum im Kindesalter kaum ein verzweifelndes ist, sondern eines , um verstehen zu lernen.

Greetings from my son (3J) ::::enay

 

Ein Neugeborener, Säugling mit solchen ausgefeilten Gedanken?
Die Gedankengänge scheinen mir "zu reif" für ein Baby,
Schon ganz klar, dass ein Neugeborenes nicht diese Wortwahl hat.
Meine Meinung: Ein Neugeborenes hat überhaupt keine Wortwahl, da in seinem Kopf noch keine Worte existieren. Ich denke, daß Fühlen und Denken am Anfang des Lebens noch eins sind, Gedankengänge wie in der Geschichte beschrieben können für einen so kleinen Säugling überhaupt nicht existieren, der Text wäre auch nicht realitätsnaher, wenn eine naivere Form gewählt worden wäre.
Mir gefällt die Sprache und die Art und Weise, wie hier versucht wird, die besondere Gefühlswelt eines Babys zu beschreiben, ich halte sie allerdings teilweise für unrealistisch. Ich stimme Häferl in allen Punkten zu, ebenso wenn sie meint, daß ein Neugeborenes sich keine Gedanken über das Warum macht. Bin fest überzeugt, daß man nur dann "Warum?" fragen kann, wenn man das Wort und seine Bedeutung kennt. Rein gefühlsmäßig läßt es sich nicht erfassen.

Vor allem folgende Aussage finde ich wert, daß man sich mal Gedanken darüber macht:

wenn es sich in der Dunkelheit alleine und verlassen fühlt, dann liegt es nicht an der Dunkelheit, sondern daran, daß es alleine und verlassen irgendwo liegt.
Tatsächlich kennen Kinder, die diese Erfahrung nie machen mußten, auch später keine Angst vor der Dunkelheit.

Liebe Grüße

Sav

 

Hallo Enay,

Du hast da schön von Erfahrungen aus einer bestimmten Perspektive berichtet. Dann die Überraschende Wendung mit dem Blatt ... doch mit welchem Inhalt im Text steht sie im Zusammenhang?
Vorallem so, daß der Inhalt dann philosophisch wird?

 

Der Inhalt ist für mich als solches ein wenig philosophisch - das hat nichts mit dem Blatt zu tun.
enay

 

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