Finsternis
ich weiß nicht, obs hier rein passt. es geht um liebe, aber obs romantisch ist?! na ja. besser als in alltag passts hier allemal
viel spaß...
Verschlafen rieb sich Joanne die Augen.
Die Uhr zeigte gerade mal kurz nach 5 Uhr an – verdammt, warum konnte sie nicht einfach mal durchschlafen? Nur eine Nacht.
Sie drehte sich zur anderen Seite, kuschelte sich tiefer unter ihre Decke und schloss wieder die Augen. Nichts. Sie war plötzlich hellwach.
Langsam richtete sie sich auf und machte Licht. Mit leicht zusammengekniffenen Augen stand sie auf und ging zum PC, um ihn einzuschalten.
Vielleicht hatte er ja wieder gemailt. Und hoffentlich hatte sie sich nicht gemeldet. Jo würde eh nicht wissen, was sie ihr schreiben sollte. Am liebsten würde sie ihr für die nächsten Tage, die nächste Woche gar nicht mehr schreiben. Was sollte sie ihr momentan auch schreiben?
Joanne konnte ihr ja schlecht sagen, wie sie sich wirklich fühlte, welches Geheimnis sie in sich trug.
Gebannt sah sie auf den Bildschirm, während ihr Mailprogramm nach neuen Nachrichten suchte.
Ihr Herz begann kräftiger zu schlagen, als sie seinen Namen im Posteingang las. Er hatte geschrieben! Er hatte sich wieder gemeldet!
Mit zitternder Hand öffnete sie die Nachricht und mit jedem gelesenem Wort steigerte sich das Kribbeln in ihrem Bauch. Ein inniges Glücksgefühl breitete sich in ihr aus, gefolgt von einem bittersüßen Schmerz.
Joanne seufzte. Warum jetzt? Warum traf sie diesen Mann erst jetzt?? Warum nicht ein halbes Jahr früher, warum, in Gottes Namen, nicht eher?
Sie begann ihm zu antworten, suchte nach den rechten Worten. Sie wusste, sie musste sich zurückhalten, musste sorgfältig auswählen, was sie ihm schrieb. Schließlich wollte sie ihm nicht unnötig weh tun, wollte keine Hoffnungen schüren, obwohl sie sich doch genauso in seine Arme sehnte.
Aber Joanne wusste auch, dass sie das nicht durfte. Sie hatte ihre Freundin, die Frau, mit der sie bald zusammenziehen würde, die Frau, die sie liebte und die ihr alles gab, was man sich nur in einer Beziehung wünschen konnte. Das konnte und wollte sie einfach nicht aufgeben.
Ihre Finger wanderten immer langsamer über die Tastatur, bis sie stillstanden.
Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Ihre Gedanken hatten sie wieder einmal eingeholt.
Er war so wunderbar, so voller Gefühl, Wärme, Zuneigung, er hatte Humor, teilte die meisten ihrer Gedanken und, hach, er war einfach fantastisch!
Jo lehnte sich zurück, starrte auf den Bildschirm, auf seine Worte. Nun liefen ihr die Tränen unaufhaltsam über die Wangen. Erst langsam, dann immer schneller. Schwer atmend wischte sie sich mit dem Arm übers Gesicht, doch kurz darauf war es wieder tränenüberströmt.
Ihr Herz weinte, sandte die Tränen zu ihren Augen, die nun ihr übriges taten.
Schluchzend sank sie in sich zusammen, biss sich auf die Unterlippe, damit dieser Schmerz endlich verging. Doch vergebens.
Mittlerweile schrie ihr Herz, und es machte keine Anstalten in nächster Zeit zu schweigen.
Joanne suchte nach Taschentüchern, putzte sich die Nase und trocknete ihr Gesicht, um Platz für neue Tränen zu schaffen.
Vorsichtig setzte sie wieder an, wie in Zeitlupe brachte sie die Worte heraus, immer darauf bedacht, sich so zurückhaltend wie möglich zu geben.
Wenn er nur wüsste, wenn sie nur könnte wie sie wollte.
Ihr Blick fiel auf das Foto ihrer Freundin, das neben dem Monitor stand. Joanne fühlte sich so mies. Sie liebte diese Frau, mehr als alles andere auf der Welt. Doch sie hatte nun einmal auch Gefühle für ihn.
Wie sollte sie nur daraus finden, wo war der Ausgang aus diesem Gedankenlabyrinth?
Und warum konnte sie nicht beide haben? Warum war es nicht gestattet mit beiden glücklich zu sein?
Es schmerzte sie, als sie daran dachte, dass sie ihm niemals so nahe sein konnte wie in ihren Träumen. Dass sie niemals erfahren würde, wie es sein würde ihn zu lieben, ihn zu küssen, seinen Körper zu erforschen, von ihm geliebt zu werden.
Und es schmerzte sie noch mehr, dass er so litt, dass er vor Schmerz sicher vergehen musste.
Sie wollte doch nicht, dass es ihm so ging. Er sollte doch glücklich sein.
Jo wünschte, sie könnte ihm all das geben, Glück, Geborgenheit, Zuversicht, Liebe. Doch alles was sie ihm geben konnte, war das Gefühl mit dem Schmerz nicht allein zu sein.
Zu falsch der Moment, es war einfach nicht ihre Zeit.
Sie konnte nicht mit ihm zusammen sein, sie durfte einfach nicht. Denn das hieße sie zu verlassen, das alles aufzugeben, was sie sich in den letzten Monaten mit ihr aufgebaut hatte. Es würde noch mehr Herzschmerz bedeuten und sie würde es ihr Leben lang bereuen.
Nein, ihr Entschluss stand fest, er stand schon immer fest.
Sie musste bei ihr bleiben, ihr blieb nichts anderes übrig, sie hatte keine Wahl.
Ihr Herz hatte entschieden, lange bevor sie wusste, was er wirklich empfand. Und auch seit sie es wusste, hatte Jo’s Herz ihr zu verstehen gegeben, dass sie nicht gehen konnte.
Aber sie wollte doch so gerne wissen wie er schmeckte, wie er sich anfühlte...
Wieder begann sie zu weinen, diesmal leiser, ganz still in ihr drin.
Dieser Schmerz, er würde vergehen, eines Tages. Er musste einfach vergehen.
Doch sie würde es ihr Leben lang vermissen, sie würde ihn ihr Leben lang vermissen.
Sie würde alles geben, um ihn jetzt hier zu haben – auch wenn sie nicht wusste, wozu das gut sein sollte. Trösten könnte er sie nicht, dazu war er zu sehr verletzt, dazu litt er selbst zu sehr. Und trotzdem...
Ob er auch gerade an sie dachte? Ob er auch wirklich wusste, wie es in ihr aussah? Ob sie ihm das überhaupt sagen sollte? Oder würde es ihn zu sehr schmerzen? Sie wusste keine Antworten auf all diese Fragen und sie würde sie sicherlich auch nie bekommen.
Sie griff zur Zigarettenschachtel und suchte nach dem Feuerzeug. Verdammt, sie rauchte zuviel. Viel zu viel in letzter Zeit.
Langsam schien sich Joanne wieder zu beruhigen. Sie atmete tief durch, ehe sie erneut ansetzte um auf seine Mail zu antworten. Seine geschriebenen Worte gaben ihr auf einer Hinsicht neue Kraft, schenkten ihr Mut, wusste sie doch, dass er zu verstehen schien, dass sie nicht allein mit diesem Schmerz war.
Aber was half das alles, wenn sich zwei Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlten, am Ende doch nicht in Armen halten konnten?
Sie klickte auf „Senden“ und sah zu, wie die Mail den Postausgang verließ. Dann schloss sie alle Anwendungen, fuhr den Computer herunter und ging zurück ins Bett.
Sie löschte das Licht und starrte in die Dunkelheit. Sie war angenehm, erinnerte sie diese doch an die Leere, die sie trotz allem – oder gerade deswegen – in sich trug.
Joanne seufzte und kuschelte sich unter ihre Decke.
Ein letzter Gedanke an ihn, bevor sie endlich einschlief.
© 14-15.05.2002 by Rottie