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Finis coronat opus

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12.12.2001
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Finis coronat opus

Auch die Tatsache, daß es noch mitten am Tag war, hinderte die Sonne nicht daran, unterzugehen. Langsam verschwand sie hinter dem Horizont, die blühende, nach Sonnenstrahlen verlangende Landschaft mit schwachem, rotem Licht überflutend. Die brennende Scheibe schien dunkler und feuriger zu sein als sonst, und es war als stünde die Welt für kurze Zeit in Flammen, so intensiv tobte das seltsame Lichtspiel über die Wiesen, die Wälder und die Städte. Und so mag es kaum mehr verwundern, daß sich dabei eine ungeheure Hitzewelle über die Welt ergoß, so als würde eine unsichtbare Feuerzunge sich von außerhalb in die Realität fressen. Die Gräser begannen zu zittern, die Blumen, in bester Frühjahrsblüte stehend, fingen an zu wanken und die Bäume, selbst die stärksten Eichen krümmten sich vor Schmerz. Blätter und Blüten, Äste und Stämme begannen zu schmelzen, zu verkohlen. Dann wich das Grün aus allem Grünen und das Braun aus allem Braunen und alles ward zu farblosem, tieftraurigem Schwarz. Da hing das verfaulte Blattwerk leblos an Busch und Baum und die Erde ward überdeckt von Asche und ein Geruch von Verbrennung und Verwesung zog über das Land.
Traumtänzer lugte verängstigt unter dem alten Traktor hervor, unter dem er sich versteckt hatte, als die Dunkelheit über ihn herein brach. Es stank nach geschmolzenem Gummi, ein unerträglicher Geruch, der von den riesigen, blasenschlagenden Reifen zu ihm herüber geschlichen sein mußte. So blieb es ihm wenigstens erspart, den noch ekelhafteren Gestank seines verkohlten Felles in der Nase haben zu müssen. Soweit er sehen konnte, sah er nur Schwärze. Wenige Schatten und verschwommene Schemen durchbrachen hier und da die Dunkelheit, ohne daß er sie irgend etwas zuordnen konnte. Nachdem die Sonne nun völlig verschwunden war, gab es außer einigen funkelnden Punkten, die vereinzelt am Himmel zu sehen waren, keine Lichtquellen mehr. Scheinbar hatte die Sonne ihren mittäglichen Ausflug nicht mit dem Mond abgesprochen gehabt. Traumtänzer bebte am ganzen Leib vor Furcht, und starrte mit weit aufgerissenen Augen um sich. Er hätte bittere Tränen geweint, wenn die Tränen, die er vergoß, nicht sofort in der brennenden Luft verdampft wären. Und hätte er nicht solch furchtbare Angst, die ihm den Verstand raubte, so hätte er sich zweifelsohne gefragt, warum er noch am Leben war.
Dann hörte er ein schrilles Kreischen über sich und sprang reflexartig zurück, als ein kleines, schwarzes Etwas aus den Himmeln direkt vor seine Füße fiel. Das Ding wand sich wie im Todeskampf in dem Aschehaufen neben dem Traktor, der Sekunden zuvor ein Blumenbeet gewesen war. Ein leises Krächzen gab es von sich und Traumtänzer erkannte in dem verkohlten Ding einen Vogel. Ihn mußte die mysteriöse Hitze mitten in der Luft in eine fliegende Leiche verwandelt haben. Nun, eigentlich in eine Leiche, aber offensichtlich schien der Vogel zu leben. Ebenso wie Traumtänzer selbst. Verbrannt, rußverschmiert und totes Fleisch, aber dennoch lebendig. Er bewegte sich und er gab grausige Laute von sich, die einem die Ohren zu zerreißen schienen. Nur Sekunden später tropfte etwas auf sein Fell, das er nur für geschmolzenes Metall halten konnte. Es grub sich tief in seinen Körper, doch kam es seinem geschundenen Leib weniger schmerzhaft vor, als es das eigentlich müßte.
So saß Traumtänzer einige Zeit unter dem großen Fahrzeug, das ihm so schützend vorkam, als dasselbe plötzlich anfing einen höllischen Lärm zu machen. Es zischte so ohrenbetäubend laut, daß er noch verängstigter zusammen schreckte. Seinen zu kleinen Öffnungen verbrannten Ohren war jedes Geräusch ein tödlicher Schmerz von so hoher Intensität, daß er jedes Mal zu würgen begann und Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten.
Dann tat es über ihm einen gewaltigen Knall, daß er geschockt hervor sprang und mehr taumelnd als laufend einige Meter zwischen sich und das metallene Ungetüm brachte. Mit einem letzten Zischen brach dieses zusammen und verwandelte sich in einen stinkenden Haufen Schrott und Gummi, den man zwar ob der Finsternis nicht sehen, aber erahnen und um so mehr riechen konnte. Der kleine Vogel, der so verzweifelt um sein Leben gerungen, hatte jetzt sicher verloren.
Ganz zu Boden gedrückt, in unnatürlichster Haltung, als lägen die Reste des Traktors nicht hinter, sondern auf ihm, schob sich Traumtänzer durch die Schwärze in die Richtung, in der er das Haus vermutete. Ständig mußte er die feine und ebenso heiße Asche, die überall um ihn herum den Boden bedeckte, aus seinem Mund würgen, nur um das ekelerregende Zeug wieder und wieder Mundraum und Rachen verbrennen zu lassen. Doch im Moment schmerzte ihn am meisten seine Nase, die ein einziges Glühen zu sein schien. Er versuchte sich aufzurichten, um die vermeintlich schützenden Mauern schneller erreichen zu können, doch er brach sofort wieder zusammen. Sein zu einem Stummel verkohlter Schwanz und all die anderen Wunden, die brannten und stachen und ihm nie gekannte Schmerzen brachten, machten es ihm unmöglich, das Gleichgewicht zu halten. Vielleicht waren auch seine Beine zu schwach, sein Gewicht noch zu tragen. So ging es denn langsam weiter, allen lebensfeindlichen Umständen zum Trotze.
Die Stille breitete nun ihren barmherzigen Schleier über das Land und deckte den Tod und eine seine Kinder ein letztes Mal zu. Wenn Traumtänzer nicht dem Wahnsinn nahe, sondern noch völlig bei Sinnen wäre, würde er sich den Schlaf herbei wünschen und ihn um Gnade bitten. Doch so trieb ihn sein Instinkt nach Hause, wo er, ob bewußt oder unbewußt, Sicherheit und Schutz vermutete. Vielleicht hatte er sich auch schon aufgegeben, seinen Geist längst schlafen gelegt und zur letzten Ruhe gebettet, und hieß nur seinen Körper durch die schwarze Wand kriechen, um die Trauer, die Verlorenheit inmitten all des Sterbens mit Hoffnung zu enttäuschen.
Doch was immer noch übrig war von unserem Traumtänzer, was immer sich da durch den Dreck schob, es hielt plötzlich wieder inne und horchte. Da war wieder ein Zischen, und es sprudelte, es kochte. Der Teich lag wohl vor ihm, der bei dieser Hitze inzwischen fast vollständig verdampft seien mußte. So versuchte er sich daran zu orientieren und änderte die Richtung leicht, um den schnellsten Weg zur vermeintlich rettenden Terrasse zu finden. Während er sich schleichend langsam weiter vorwärts bewegte, vernahm er weitere leise Geräusche von dem Punkt, an dem er das letzte Rinnsal des Teiches vor sich hin kochen vermutete. Es waren, das erkannte er nur zu gut, Fische, die im Todeskampf zappelten, sich vermutlich wundernd und fragend, wo ihr kühles Wasser geblieben war. Wenn Traumtänzer diesen Umständen noch Bedeutung hätte beimessen können, er hätte sich geärgert, wie ungeschützt seine Beute an diesem Tage vor ihm lag. Der Vogel. Die Fische. So leichte Beute. Doch es ist ungewiß, ob die verbrannten Reste seines Magens überhaupt noch Hunger verspüren konnten.
Da blieb Traumtänzer liegen und schloß die Augen. Ungekannte Schwäche überkam ihn und seine Glieder erschlafften. Da, als er seinen Körper so leblos, so tot im Schmutz liegen sah, dahingestreckt auf allen Vieren, den Kopf tief in die Asche gegraben, da hatte sein Geist Mitleid mit ihm und kehrte wieder zurück, aus dem jenseits oder wo immer er gewesen sein mag. Wie konnte das sein, fragte er sich. Wie konnte er bei all dem Elend, all dem Feuer, das die Luft verbrannte, all der Schwärze, die die Welt verschlang, soweit noch gekrochen und überhaupt noch am Leben sein? Wo ist er, der Tod?
Dann spürte er Stein unter seinem Körper. Er hatte nicht gemerkt, daß er sich weiter geschoben hatte, doch mußte er nun auf der Terrasse angelangt sein. Traumtänzer befahl seinen Beinen, weiter zu machen, mit was immer sie ihn soweit getragen hatten. Und da stach ihm ein neuer Geruch in die Nase, ein undefinierbarer, eine Mischung aus Gummi und Holz und Metall und Glas. Da lag das Haus, sein Haus vor ihm.
Doch er erreichte das Zimmer darin nicht mehr. Statt dessen spürte er eine rauhe Menschenhand auf seiner fast nackten Haut. Die Finger gruben sich sanft zwischen seine schmutzigen Fellreste, die wie Fetzen an ihm herab hingen, unter verkrustetem Blut und hart gewordener Asche verborgen. Traumtänzer öffnete vorsichtig die Augen und versuchte seinen Kopf zu drehen. Aus den Winkeln erkannte er einen kleinen schwarzen Schatten, nur die Umrisse einer verzerrten, menschlichen Gestalt, die neben ihm auf den Steinplatten lag. Wie schade, dachte er, daß er das liebe Gesicht, die sorgenvollen Züge nicht mehr erkennen konnte in all der Schwärze. Was er nicht wußte, selbst wenn es hell, wenn es Licht gewesen wäre, er hätte nichts als ein verkohltes, dunkles Etwas von grober Menschengestalt zu Gesichte bekommen.

Das Ende flüsterte es. Das Ende. Gott weiß, ich hätte alles dafür gegeben, es kommen zu sehen. Doch ist es besser, daß es so plötzlich kam, was glaubst du? So plötzlich, bei Tage. So heiß. Es muß die Meere kochen gemacht haben, weißt du. Verdampft sein müssen sie, verdampft. Im Frühling, mitten im Frühling. Es brach durch die Blüten, durch das Aufblühen. Das Ende, weißt du. Mein Kleiner, was kannst du dafür. So schön bist du, mein kleiner. Was hat es auch dich versengt. Alles. Alles ist vergangen. Ich sehe nichts mehr, spüre nur noch. Jetzt fühle ich. Ich glaube, alle fühlen jetzt, was meinst du? Nun hat er seine Schöpfung gekrönt. Diesmal hat er es richtig gemacht, hörst du, richtig gemacht. Diesmal hat er uns verbrannt. Nicht ertränken wollen. Keine rettende Arche diesmal. Nein, kein Noah, niemand hat eine Arche gebaut. Diesmal nicht, dieses Mal ist es endgültig. Jetzt hat er sein Werk beendet, weißt du, mein kleiner Liebling, beendet. Für immer.

Traumtänzer schloß wieder die Augen, tanzte langsam und verloren seinem Ende entgegen und schlief ein. Für immer.

 

Tag, Falk.

An Deiner Geschichte, die ja eigentlich mehr eine kurze Erzählung ist, sind mir einige Dinge aufgefallen.
Zum Einen haben wir so gut wie keine Handlung – aber Beschreibung, und zwar in einer Weise, die leicht ermüden kann. Es wird viel vermutet, was wäre, oder was sein könnte, wenn. Ich gehe mal davon aus, dass es sich bei Traumtänzer um einen Hund handelt.
«Wie konnte das sein, fragte er sich» Interessante Denkweise für einen Hund.
Tip: Stephen Kings «Cujo» enthält ne Menge gute Beispiele, wie ein Hund denken und wahrnehmen könnte.
«Es stank nach geschmolzenem Gummi, was von den riesigen, blasenschlagenden Reifen zu ihm herüber geschlichen sein musste» Eine nicht ganz geglückte Formulierung, find ich.

Darüber hinaus verstehe ich den letzten, großen Absatz nicht ganz:
Handelt es sich um einen Monolog des Menschen?
Sollte dem so sein, ist es der unnatürlichste, den ich jemals gelesen habe.
Die Sprache, selbst wenn sie sich in den antiquiert biblischen Grundton der Geschichte einfügen soll, ist arg gestelzt.
Ich denke, eine normale Sprache hätte gerade im letzen Absatz gut getan.

Nix für Ungut!


Jack

 

Hallo Falk,

wenn ich richtig informiert bin, sind Vögel und Fische gern gesehene Nahrungsmittel für Katzen. Dein Endzeitszenario war recht düster und wenig hoffnungsvoll, allerdings auch nicht spannend oder überraschend. Aber nicht jede Kurzgeschichte dient der simplen Unterhaltung, nicht wahr? Trotzdem haben mir deine anderen Kurzgeschichten besser gefallen.

 
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Hi Falk,

ich mag deine Sprache wirklich gerne! Sehr Bildgewaltig und ausgeschmückt. Ich kann mich meinem Vorredner nicht anschließen. Der letzte Dialog hat mir sehr gut gefallen. Es ist eine Interpretationsmöglichkeit zu sagen, dass dieser Mensch in einer solchen Situation sehr unnatürlich redet. Wissen wir denn, was das für ein Mensch ist? Vielleicht ein Zeuge Jehovas :D
Und eventuell denkt er nur, dass es sich hier um das Weltende handelt. Könnten ja auch ein paar Ammis gewesen sein, deren Bomben mal wieder total falsch runtergekommen sind :)

Aber genug der Erklärungsversuche.

Ich fand die "Geschichte" ganz ordentlich! Dein Stil ist angenehm anders und gefällt mir richtig gut.
Das Ende der Welt hat hier schonungslos eingeschlagen! Der Vergleich zur biblischen Arche hat mir gut gefallen.

Ich glaube übrigens auch, dass es sich bei Traumtänzer um eine Katze handelt. Anfangs denkt man sofort an Hund, aber an der Stelle mit dem Fisch war es für mich klar.

Also wie gesagt, ich fands gelungen! :thumbsup:

mfg
*Christian*

 
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Habt Dank für die Kritiken! :)
Beim Schreiben hatte ich tatsächlich eine Katze vor Augen, was daran liegt, daß mir die kleinen Plüschtiger lieber sind als Hunde. Es stimmt aber, daß der einzige Hinweis darauf Fisch und Vogel sind. Davon abgesehen könnte es auch ein Hund sein. Das macht aber keinen wirklchen Unterschied, finde ich. Es war zwar zugegebenermaßen nicht beabsichtigt, aber so kann sich jeder Leser sein Lieblingstier raussuchen. Auch schön.

Ich hatte die Geschichte eigentlich für den Challenge angefangen, aber irgendwie kam ich dann ganz wo anders hin als ich dachte. Die ganze Handlung mit dem Tier war gar nicht beabsichtigt, sondern spontan. ;) Jedenfalls paßte die story dann nicht mehr zum Challenge.

Zur Interpretation sag' ich nicht soviel. Ich glaube, daß man die story einfach so lesen oder etwas hineininterpretieren kann. Jedenfalls hoffe ich das.

Die von Jack angemerkte Stelle habe ich leicht umgeschrieben. Nun macht sie mehr Sinn.

 

Hallo Falk!

Der Titel hat mich auf deine Geschichte aufmerksam gemacht (Was bedeutet er eigentlich übersetzt?) und mir persönlich hat sie recht gut gefallen. Gut, die Handlung mag ein wenig zu kurz kommen, aber die Beschreibungen sind dir wieder einmal gut gelungen und du hast das Endzeitszenario gekonnt dargestellt.

Auf die Katze bin ich allerdings nicht gekommen, ich habe zum Hund tendiert. Aber wenn du meinst, dass sich eh jeder sein Lieblingstier raussuchen darf, macht das ja nichts. :)

Was mich ein wenig störte, waren im vorletzten Absätze die direkten Ansprachen (glaubst du / meinst du / weißt du), die prinzipiell einen Text zwar sprachlich auflockern können; in diesem Fall hier kamen sie mir allerdings ein wenig zu häufig, fast schon nervig, vor. Ist aber nur mein persönliches subjektives Empfinden.

Ein paar Anmerkungen noch:

Die brennende Scheibe schien dunkler und feuriger zu sein als sonst, und es war als stünde die Welt für kurze Zeit in Flammen, so intensiv tobte das seltsame Lichtspiel über die Wiesen, die Wälder und die Städte.
Müsste es nicht "über den Wiesen, den Wäldern und den Städten" heißen?
Dann wisch das Grün aus allem Grünen und das Braun aus allem Braunen und alles ward zu farblosem, tieftraurigem Schwarz
wich
Wenige Schatten und verschwommene Schemen durchbrachen hier und da die Dunkelheit, ohne das er sie irgend etwas zuordnen konnte
dass

Viele Grüße,

Michael :)

 

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