Filmriss
Ein leichter Nieselregen tropfte ans Fenster, als ich an diesem Sonntagmorgen erwachte. Puh, mein Schädel dröhnte aber kräftig. Lag das nun an dem einen Drink - oder vielleicht auch zwei Drinks - zuviel? Und überhaupt, wie viele Drinks hatte ich denn gestern abend eigentlich?
O weh, ich hatte es wohl wirklich ein wenig übertrieben auf der Party. Aber man soll die Feste schließlich feiern, wie sie fallen, nicht? Also, dann werde ich auch einen kleinen Brummschädel ertragen können. Immerhin war das gestern das so ziemlich beste Klassentreffen überhaupt gewesen. Junge, Junge, zehn Jahre soll das jetzt schon her sein, dass wir alle an dem einen großen Abend vorn auf der Bühne standen und unser Zeugnis entgegen nahmen?
Ich ließ meine Gedanken noch ein bisschen durch die letzten Monate meiner Schulzeit treiben, angefangen beim Prüfungsstress bis hin zu der 13-Stunden-Marathon-Layoutsitzung für die Abizeitung, während ich nur einfach so aus dem Fenster starrte und den feinen Tröpfchen zuschaute, wie sie sich auf der Scheibe niederließen.
Wie spät war es eigentlich? Ich versuchte meinen Kopf in Richtung Nachtschrank zu drehen, um einen Blick auf meinen Wecker zu werfen, aber irgendwie gehorchte mir mein Körper noch nicht so richtig. Ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Okay, dann waren es wohl mindestens vier Drinks zu viel. Das heißt, vielleicht sogar fünf, denn ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie ich zu Hause angekommen war, geschweige denn, wie ich in mein Bett gekommen sein sollte.
Autsch. Von irgendwo an meinem Rücken zog sich ein stechender Schmerz in Richtung Schultern hinauf. Was hatte ich denn gestern auf der Party nur angestellt? Und überhaupt fiel mir gerade auf, dass doch eigentlich gar kein Baum vor meinem Fenster stand. Oh, oh, war ich etwa gar nicht in meinem Bett, sondern am Ende bei jemand anderem gelandet? Und das musste ausgerechnet jetzt passieren, wo ich mich doch erst vor zwei Wochen mit Tina verlobt hatte.
Meine Güte, wie komme ich denn aus dem Schlamassel wieder heraus? Verzweifelt ließ ich meinen Blick hin und her wandern, versuchte meine Umgebung so gut es ging auszukundschaften. Leider war das nach den vielleicht doch sechs Drinks zu viel keine gute Idee, denn jetzt brummte mein Kopf wie das Düsentriebwerk eines Jumbojets.
Eine Sache erschien mir aber doch seltsam: Wer hat denn ein Armaturenbrett als Dekoration in seinem Schlafzimmer? Oh, so langsam dämmerte es mir. Ich war gar nicht erst nach Hause gefahren, sondern hatte es mir in meinem Auto bequem gemacht. Das würde auch erklären, warum denn ein Baum vor dem Fenster steht. Erleichtert stieß ich einen Seufzer aus. Genauer gesagt, wollte ich einen Seufzer ausstoßen, aber der Sicherheitsgurt war wohl ein wenig zu eng; ich konnte gar nicht so tief Luft holen.
Halt mal, Sicherheitsgurt? Ich muss ja wirklich völlig besoffen gewesen sein, dass ich mir einen Sicherheitsgurt angelegt hatte. Peinlich, peinlich. Da stehe ich nun mitten auf dem Parkplatz vor der Stadthalle, liege völlig verquer auf meinem Sitz und habe mit angelegtem Sicherheitsgurt geschlafen. Mentale Notiz: In Zukunft lasse ich meine Finger von allem, was auch nur eine Spur Alkohol enthält.
Vor allem, da ich so einen seltsam metallischen Geschmack im Mund hatte. Widerlich. Nein, das war das erste und letzte Mal. Wenigstens war ich noch nicht so besoffen gewesen, dass ich mit meinem Auto losgefahren war. Aber so langsam sollte ich mich dann doch auf den Weg nach Hause machen, denn meine Klamotten stanken nach Schweiß und Zigarettenrauch. Eine Dusche konnte also absolut nicht schaden, zumal es mir auch langsam ein wenig kalt wurde.
Aber so richtig wollte mir mein Körper immer noch nicht gehorchen, ich konnte mich einfach nicht aufsetzen, geschweige denn, dass ich überhaupt einen Finger hätte rühren können. Na, dann werde ich vielleicht einfach noch mal die Augen zu machen und noch ein kleines bisschen schlafen. Die Uhr im Armaturenbrett zeigt ja auch erst halb sieben. Und wirklich munter war ich ja nun nicht gerade.
Gesagt, getan, ich schloss meine Augen wieder und fühlte, wie sich die wohlige Wärme des Schlafs in mir ausbreitete. Nur ganz am Rande nahm ich wahr, wie von fern das Geheul eines Martinshorns durch die Straßen hallte.
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