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Feuerwerk

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04.11.2003
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Feuerwerk

Am zweiten Samstagabend im August hockten Martin und ich auf unserem Stammplatz neben dem Schornstein und warteten auf das Feuerwerk. Unsere halbe Kindheit hatten wir auf diesem Flachdach verbracht, gespielt, uns versteckt und auf die Stadt zwischen den beiden Flüssen heruntergesehen, die im Dunklen selbst wie ein Fluss aussah, ein Strom aus Lichtern, der um uns herum brandete.
„Schöner Polterabend war das gestern“, sagte ich, „hab‘ nur etwas viel getrunken.“
Martin griff hinter sich und zog zwei Flaschen Bier hervor. „Macht nichts. Ist noch was übrig geblieben.“
„Cool“, sagte ich, nahm eine Flasche und trank einen Schluck.
„Hast du die Ringe?“
„Klar“, antwortete ich und legte zum Beweis meiner Zuverlässigkeit als Trauzeuge die zwei goldenen Ringe in Martins Hand. „Ich will doch Petra nicht enttäuschen.“
„Ja, Petra“, sagte er gedankenverloren, stand auf, schlenderte ein paar Schritte nach vorne und schaute nach unten.
Als ich zu ihm ging, sah ich eine Holzkonstruktion aus Bodenbrettern und hüfthohen Seitenwänden, einen Kasten der an Seilen vor der Fassade hing.
"Was soll das?" fragte ich, als Martin in den Kasten kletterte.
"Hey, das Ding gehört den Fensterputzern. Sie lassen sich damit an der Hauswand herunter. Komm her, von hier aus haben wir das Feuerwerk noch nie gesehen."
"Ich weiß nicht", sagte ich und schaute neben meinem Freund in die Dunkelheit, "ist das nicht gefährlich?"
"Vielleicht“, antwortete Martin, „aber heute ist unser letzter Junggesellenabend. Komm schon!“
Obwohl mir dieses Argument nicht einleuchtete, nahm ich seine Hand und sprang auch in den Kasten. Im gleichen Moment ging ein Ruck durch die Bodenbretter. Ungefähr einen halben Meter fielen wir nach unten, bis wir von den Halteseilen aufgefangen wurden. Martin lachte lauthals, und ich hielt mich an dem Seil auf meiner Seite fest. Dann begann das Feuerwerk.
Lichtfontänen spritzten aus der Festung, die hell erleuchtet auf der anderen Rheinseite lag. Die Ausflugsschiffe voller Tagestouristen hatten angehalten, und die Menschenmassen in den Rheinanlagen, die eben noch in Bewegung waren, standen still, rot erleuchtet durch eine Batterie von Feuersternen. Martin jubelte, nahm mir meine Flasche ab, die ich noch verkrampft in der Hand hielt, und trank daraus. Alle Fenster in dem Hochhaus hinter uns waren dunkel. Irgend jemandem da drinnen versperren wir die Sicht, dachte ich.
Dann drückte Martin auf einen Knopf des Bedienbretts, und wir rutschten ein Stück nach unten. Bunte Lichtblumen blühten am Himmel auf, es roch nach Pulverdampf. In meinem Magen schwappte Bier.
Plötzlich wurde es hinter uns hell. In dem Fenster, vor dem wir hingen, stand Petra. Sie öffnete und schien kein bisschen verwundert zu sein, uns zu sehen. Ihr langes schwarzes Haar glänzte im gelb-roten Licht der Feuerwerksraketen. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und ein orangefarbener Feuerregen brachte es zum Strahlen, sodass ihre Stupsnase einen kleinen Schatten warf. Sie lächelte Martin verliebt an, lächelte mit ihrem großen Mund und ihren grünen Augen, so als müsse sie ihn wieder verführen, wo er doch längst ihr gehörte. Sie schien mir in diesem Augenblick die schönste Frau der Welt zu sein.
Martin griff tief in den Raum hinter dem offenen Fenster, schlang seine Arme um ihre Taille und hob sie mühelos zu uns nach draußen.
Petra schien die Höhe gar nicht zu bemerken. Sie gab mir einen Begrüßungskuss auf die Wange und umarmte dann ihren Martin. Die beiden standen auf ihrer Seite des Fensterputzerkastens und küssten sich im flackernden Licht. Ich stand daneben und konzentrierte mich schließlich auf das Geschehen am Himmel.
Ein weißer Lichtblitz zerriss die Dunkelheit, und im gleichen Augenblick kippte unser Fensterputzerkasten auf meiner Seite etwas nach vorne. Reflexartig duckte ich mich, klammerte mich an die Vorderwand und schaute mich um. Eines der Halteseile war gerissen. Petra sah mich mit weit geöffneten Augen an und hielt sich an Martin fest, der die Bierflasche fallen ließ. Einen Aufprall hörte ich nicht, weil eine Rakete über uns hinweg pfiff. In ihrem blauen Licht sah ich zu meinem Entsetzen, dass auch das hintere Halteseil auf meiner Seite reißen würde. Ich versuchte mit meinen schweißnassen Händen einen Halt zu finden, bekam aber nur die Holzplanken der Seitenwand zu greifen, auf denen ich kauerte. Als das Seil riss, pendelte der Kasten weiter nach unten. Ich verlor den Halt unter meinen Füßen, hing plötzlich in der Dunkelheit und klammerte mich mit beiden Händen an das Holz. Ich hing an einer Balkenwaage, und Martin und Petra waren das Gegengewicht. Aber alle zusammen waren wir zu schwer, denn der Kasten war nur für einen oder maximal zwei Fensterputzer gedacht. So war es nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten Seile reißen und wir alle nach unten fallen würden. Wie die Funken der Feuerwerksraketen.
Ich brüllte, schrie meine ganze Hilflosigkeit in die Nacht, aber meine Panik wurde von einem Sturm aus Chinaböllern verschluckt. Meine Fingergelenke schmerzten und würden bald ihren Dienst versagen. Voller Angst sah ich Martin an, meinen Freund, der immer Rat wusste, wenn ich in Schwierigkeiten gewesen war. Er hielt Petra fest und wirkte hilflos, als auch auf seiner Seite ein Seil riss. Erfolglos hackte er auf die Knöpfe des Bedienpults ein, schaute nach oben zu Petras offenem Fenster, das in unerreichbarer Höhe lag, sah dann zu mir und schließlich zu seiner Frau. Martin, der stark war wie ein Bär, sah ratlos aus. Bestimmt konnte er eine Person halten und sich mit ihr am Seil nach oben ziehen. Aber zwei Personen waren selbst für ihn zu schwer. Wieder schaute er mich an, wie jemand, der eine schwere Entscheidung treffen muss. Er musste etwas tun, denn weder ich noch Petra konnten uns aus eigener Kraft aus dieser Lage befreien. Und das nächste Seil würde bald reißen.
Er griff in seine Tasche, nahm einen der Ringe, die ich ihm gegeben hatte, und steckte ihn Petra an. Dann küsste er sie, nahm sie auf seinen Arm und warf sie in die Tiefe. Ihr Schrei war lauter, als die Höllenpfeifer, die in diesem Augenblick abgeschossen wurden und ich hörte ihn noch, als Martin uns beide schon längst durch das offene Fenster in Sicherheit gebracht hatte.
Es geht doch nichts über einen Freund.

 

Hammer!
Die Gedanken an den TÜV, der ja solche Gondeln abnimmt, Stahlseile, die nicht reißen, Idioten, die auf solch ein Ding klettern, waren in den letzten Sätzen weg.
Wie kann man sich solch ein Ende ausdenken.
Mies, dreckig und übel!! Wirklich!!
Aber geil!
Du schreibst gut und dann das Ende...!
Willkommen bei kg.
Gruß
Manfred

 

Hallo knagorny

Auch von mir willkommen auf Kg.de

Ich muss Dreimeier zustimmen, die Geschichte ist ein Hammer. das Ende trifft einen völlig unerwartet. Flüssig geschrieben und beim ersten durchlesen konnte ich auch keine gravierenden Fehler erkennen.

das einzige Hindernis war meine eigene Vorstellungskraft, ich hatte nicht vor Augen, wie diese Menschen jetzt an dem Ding hingen, dass sich eine solche Situation ergeben konnte. Aber die Frage der Entscheidung war klar, entweder deine Braut oder sein Freund. Was mich zur Frage bringt...

...möchte ich einen solchen Menschen zum Freund haben?

Porcupine

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Porcupine, hallo Dreimeier,

vielen Dank für eure Kommentare, die mich richtig aufgebaut haben. Das Ende der Geschichte, also die Frage Freund oder Frau, hatte ich eigentlich zuerst vor Augen. Danach habe ich mir überlegt, wo dieses Problem wohl zum Tragen kommen konnte. Naja, so bin ich halt auf die Gondelgeschichte gekommen.

Dass man die Situation nicht richtig vor Augen hat, liegt vielleicht daran, dass ich selbst noch nie in so einem Fensterputzkasten war. Ich habe die Dinger nur öfter vor meinem Fenster. Vielleicht sollte ich mal reinklettern, dann könnte ich auch realistischer schreiben.

Ob man generell einen sochen Freund haben möchte, weiß ich nicht. In der Situation aber sicher! ;)

Beste Grüße
knagorny

 

Wirklich ein überraschendes Ende. Mit schwarzem Humor könnte man jetzt auf Englisch ergänzen: To fall in love;)

Wirklich gelungen.

Gruß
Jan

 

Das einzige was ich mich jetzt Frage ist,was für eine Weltansicht mus sman haben um so einen Geschichte schreiben zu können. Allein meine optimistische, "Wenn man will kan man alles schaffen" Einstellung würde mich daran hindern so etwas zu schreiben.
Was mir auch ein Rätsel bleibt: Wenn er mit Frau auf der einen Seite und de rFreund auf der andere Seite war, in einem an zwei Seilen gerissenen Festerputzerkasten, wie kam er so schnell zu seinem Freund?
Aber ich denke das das die Logik bei dieser Geschichte zweitrangig ist, schließlich ist hier, denke ich, die Botschaft wichtiger.
ALso ganz ehrlich, mich schüttelst allein bei dem Gedanken an solch eine Situation. Ich bin wohl doch ein heimlicher "Happy End" Fan.
Aber, das muss ich sagen, super Geschichte, auch wenn sie mir allein von der Botschaft, der Handlung und meiner Einstellung her, nicht ganz mein Geschmack war.
gruß Simon

 

Hallo Simon,

deine Einstellung ehrt dich zweifellos. Du bist ein Gentleman, der nie auch nur an eine solch abartige Behandlung von Frauen denken würde, wie ich sie hier beschrieben habe. Ich glaube aber, dass ich mich für die Geschichte trotzdem nicht entschuldigen muss.

Ich müsste mich verantworten, wenn ich als Martin so gehandelt hätte, wie ich es beschrieben habe. Das ist klar. Aber als Autor ist das anders. Als Autor (zumal im Thread Spannung) muss ich dafür sorgen, dass meinen Figuren möglichst viele entsetzliche Dinge geschehen. Ich muss sie unlösbaren Konflikten aussetzen, aus denen es mit normalen Mitteln kein Entrinnen gibt. Und wenn sie dabei von einem Hochhausdach geworfen werden, haben sie eben Pech gehabt. Hänsel und Gretel hat auch keiner gefragt, ob sie gerne einer Hexe begegnen wollen. So ist das nun mal in Geschichten. Steven King läßt seine Carrie mit Schweineblut übergießen. Das entspricht nicht meiner Weltsicht (denn eigentlich halte ich mich im wirklichen Leben auch für einen Gentleman). Wahrscheinlich entspricht es auch nicht der Weltsicht von Steven King. Es musste halt sein. Genauso wie es in meiner Geschichte sein musste. Martin war in einem unlösbaren Konflikt, der nur tödlich enden konnte. Ich bin verdammt froh, dass ich nicht in seiner Haut steckte, aber als Auto konnte ich ihm (und Petra) das Schicksal nicht ersparen. Mit meiner Weltsicht hat das nichts zu tun.

Beste Grüße und vielen Dank für den Kommentar

knagorny

 

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