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Feuersturm
Das rote Licht der tiefstehenden, untergehenden Sonne taucht den Raum in ein kühles Orange. Durch das offene Fenster strömt die frische Abendluft herein. Ein kleiner Stich hebt ihn hinfort aus seiner Welt.
Alles wird leicht, nichtig.....unbedeutend. Während er in das gleißende Licht sieht, spürt er wie sich seine Haut in kleinen Fetzen vom Fleisch schält. Völlig regungslos sitzt er an eine Wand gelehnt da, betrachtet seinen Arm, die weißen fast durchsichtigen Membranen, die sich ablösen und wie kleine Federn sacht zu Boden schweben. Bedächtig streckt er seinen anderen Arm aus, formt eine hohle Hand. Mit ihr fängt er die kleinen Flocken auf, hält sie vor den Mund und bläst sie wie Löwenzahnsporen zärtlich in den leeren Raum hinein. Lange sieht er ihnen nach, beobachtet wie sie in ihrem unkontrolliertem Flug durch die heiße Luft schwirren, wie sie auf ihren dünnen Körpern das Licht spiegeln, wie sie langsam auf seine Beine herabschweben und dort leblos-schwer liegen bleiben. Als er sich mit der Hand neugierig über die offene Wunde fährt, spürt er keinen Schmerz. Mit den Fingernägeln schabt er über das offene, rote Fleisch. Blut sickert aus der Wunde, läuft ihm über den Arm, zerplatzt mit einem hohlen, monotonen Tropfen auf den blanken, hellgrünen Boden. Plopp..........plopp.........plopp. Mit seinem Daumen beginnt er im blutigen Gewebe herumzustochern, benetzt ihn über und über mit Blut. Als er mit dem Fingernagel seinen Knochen berührt, kichert er durch das Kitzeln kurz auf. Er zieht seinen Finger vorsichtig wieder aus seinem Fleisch heraus, betrachtet ihn eine Weile im weißen, strahlenden Licht. Dann beugt er sich leicht vor, führt die Hand zum Mund, fährt langsam mit seiner Zunge durch die rote Flüssigkeit, schmeckt ihren unvergleichlich, einzigartigen und intensiven Geschmack. Roter Wein. Noch ein Mal schleckt er mit seiner Zunge über seinen blutigen Finger, versucht das Blut in seinem Mund zu kauen, verteilt es über den ganzen Gaumen, atmet tief ein. Er schließt die Augen, genießt wie sich das Blut über die kleinen Knospen an seiner Zunge verteilt. Als sich sein Mund mit soviel Speichel gefüllt hat, dass er droht in die Lunge hinunterzurinnen, schluckt er genießerisch den roten Saft hinunter. Als der mit dem warmen Blut vermischte Speichel langsam seine Speiseröhre hinuntergleitet, beginnt er die Musik zu hören. Zuerst leise, sanft lauter werdend, dringen die hellen Töne aus seinem Magen, in dem sich nun sein rotes Blut sammelt. Er schaut in das gleißende Licht, lässt die weiße, himmlische Melodie in sein Gehirn rieseln. Dann erklingt ganz leise, aber sehr klar, eine helle Stimme. Sie singt ihm ein Lied aus Feuer und Wind, das ihm mit sanften, warmen Flügelschlägen ins vernebelte Bewusstsein dringt. Er fühlt die Hitze der orange-gelb leuchtenden Flammen, spürt den wütenden Sturm, der das Knacken der Glut herüberträgt. Süßer Schweiß bricht auf seiner kalten Haut aus, während das Feuer durch seine Venen züngelt. In großen Tropfen tritt er aus den dunklen Poren seines Körpers, vermischt sich auf seinem Arm mit rotem Blut, läuft in kleinen Bächen der Erde entgegen. An seinen Fingerspitzen treten die Rinnsäle ineinander, formen sich zu klaren Tropfen, in denen sich das helle Licht in den Farben des Regenbogens bricht. Während die Tropfen größer werden und das Feuer durch seine Adern brennt, starrt er auf die schillernden Farben. Mit seiner Fingerkuppe fühlt er wie das königliche Blau langsam verblasst, sich in ein strahlendes Grün verfärbt. Die engelsgleiche Stimme in seinem Inneren singt von Liebe und Geborgenheit als das immer heller werdende Grün in ein leuchtendes, feuriges Orange übergeht. Im Flackern der Farbe spiegelt sich sein hageres, blasses Gesicht. Eingebettet im süßen Wasser wird es von den zuckenden Flammen zerfressen. Dann beginnt das Feuer langsam im aufkommenden Rot zu versiegen und sowie das Wasser den Farbton seines jungen Blutes erreicht hat, löst sich der Tropfen in Zeitlupe von den tiefen Rillen seiner Fingerspitze, schwebt langsam zu Boden, zerstäubt mit einem hohlen Krachen in tausende, funkelnde Diamanten. Noch lange sieht er den glitzernden Wasserperlen nach, wie sie zerlaufen, wie sie in den tiefen Ritzen des glatten Bodens verschwinden.
Mit seinem Schweiß verrinnt seine Zeit und mit ihr verlässt das Feuer und der Sturm seinen Körper. Die himmlische Melodie wird leiser, verstummt schließlich ganz. Eine tote Ruhe breitet sich aus im schwächer werdenden Licht.
Langsam legt sich die Dunkelheit über ihn, umarmt ihn mit ihren schwarzen, weichen Händen. Mit den langen, dünnen Fingern streicht sie ihm verzeihend über die weißen Wangen, trocknet liebevoll die Tränen in seinem ängstlichen Gesicht.
Als sein Ende naht, schließt sie ihm barmherzig die starren, glassigen Augen.
Als die Polizisten die Tür zur Wohnung aufbrechen, sitzt er auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gegenüber dem Fenster gelehnt. Sein Kopf hängt schlaff zur Seite herab. Um seinen Arm, kurz oberhalb der Armbeuge ist ein brauner, alter Gürtel geschnürt, zu seinen ausgestreckten Füßen liegt ein rostiger Löffel, ein Feuerzeug, ein kleines, leeres Päckchen und die Spritze. Ein frisches Grind bedeckt den letzten Stich in seiner Vene.
Als die Männer vom Bestattungsinstitut den kalten, steifen Körper aufheben und ihn in einen einfachen Holzsarg legen, leuchten im Licht des neuen Tages die kleinen, rot-braunen Flecken auf dem hellgrünen Boden.
[ 16.06.2002, 15:36: Beitrag editiert von: Morticinus ]