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Feuer
Ich liebe sie.
Ich schaue zu wie sie langsam verbrennt.
Nach Atem ringend, riss er die Augen auf. Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper. Rasch richtete er sich auf, sah sich panisch um. Der Mond schien durch das gekippte Fenster und tauchte das Zimmer in ein gespenstisches Blau.
Die Bettdecke lag zusammengesunken auf dem Fußboden.
Eine warme Nachtbrise kitzelte seinen Nacken.
Die leere Wodkaflasche stand auf dem Nachttisch.
Sein Blick verharrte ein Moment lang auf der unbesetzten linken Bettseite. Misstrauisch, Schlimmes erwartend. Aber … nur ein Traum.
Er wischte sich übers Gesicht und verließ das Bett. Warf einen Bademantel über und ging barfuß nach unten.
Die Türklingel läutete, als er auf der Treppe stand. Vor Überraschung wäre er fast die letzten Stufen herunter gefallen. Konnte das Gleichgewicht jedoch noch halten, indem er das Geländer anpackte.
Verdammt!
Er beruhigte sich allmählich und schaltete das Licht ein.
Als er schon vor der Tür stand, läutete es noch einmal. Nervös, gleichzeitig dringend.
Er drückte auf den Schalter für Außenlicht, doch die Lampe blieb dunkel. Verflucht, er hatte vergessen sie auszutauschen.
Zögerlich machte er die Tür einen Spalt auf. Eine zierliche Gestalt stand draußen auf der Treppe. Die Arme um den Körper gelegt.
„Ja!“ Er musterte die Besucherin argwöhnisch.
„Entschuldigung, ich hatte einen Autounfall …“ Sie klang jung. Verängstigt.
„Wo?“, fragte er und ließ in seiner Stimme Zweifel vernehmen.
„Ich, … äh …“ Ihre Stimme zitterte.
„Haben Sie die Polizei gerufen?“ Die Situation war mehr als seltsam. Er warf einen Blick hinter die Unbekannte, doch konnte nichts erkennen.
„Nein, … das Handy hat hier keinen Empfang.“
„Ein Stück weiter ist eine Tankstelle, in zwei, drei Stunden werden die öffnen. Sie haben ein Telefon und …“
„Bitte!“ Sie trat näher.
Ihr Gesicht wurde vom Flurlicht erhellt, die Nase und die Lippen waren blutbeschmiert. Die blonden Locken …
Sein Atem stockte.
Feuer. Blondes Haar blutgetränkt.
Er schluckte krampfartig. Der Traum flammte in seinem Kopf wieder auf.
„Ich wollte meinen Vater anrufen“, sagte sie hoffnungsvoll.
„Ja …“ Seine Stimme klang auf einmal heiser. Er hüstelte in die Faust und schritt nervös zurück, krachte dabei mit dem Rücken gegen die Wand, spürte aber kaum Schmerzen. „Natürlich, kommen Sie rein.“
„Danke.“ Ihre blauen Augen, rein wie der Himmel, streiften im Vorbeigehen seine.
Unsicher, dankend.
Ein stummer Schrei. Bittender Blick.
Die Bilder blieben bestehen. Er machte die Augen zu und versuchte an etwas anderes zu denken.
Heißes Metall, abblätternde Farbe.
„Hallo!“ Die sanfte Stimme, wie aus weiter Ferne.
Er öffnete seine Augen. Schaute sie an.
Eine Pause entstand. Alles schien in diesem Moment still zu stehen, sogar der Zeitfluss.
„Könnte ich vielleicht zuerst ins Bad?“
Er räusperte sich und zeigte mit dem Finger auf die entsprechende Tür.
„Kein Problem!“
Sie nickte nur.
Der Mond verschwand hinter einer Wolke.
Er wartete, bis sie ins Badezimmer ging, machte dann die Eingangstür zu und setzte sich aufs Sofa.
Ihre Augen weit geöffnet, ihr Mund verzerrt in einem Schrei geht unter im hungrigen Knistern.
Ihm wurde übel. Seine Hände zitterten.
Auf dem Couchtisch lag eine Zigarettenschachtel. Er griff danach, wie ein Wolf nach dem Hasen schnappt. Bis eine Zigarette den Weg in den Mund fand, fielen mehrere auf den Teppich. Das Feuerzeug rutschte durch seine Finger wie ein nasser Fisch. Als es anging, fixierte er unwillkürlich die kleine Flamme ohne dabei zu blinzeln.
Aaahhhh …
Als ob man ihm eine glühende Nadel in die Seite gestochen hätte, sprang er vom Sofa auf. Das Feuerzeug landete auf dem Teppich.
Aaahhhhr … Grlrlrl …
Der Schrei ging in ein Gurgeln über und verstummte abrupt.
Er sprintete los und baute sich vor dem Badezimmer auf. Doch bevor er sie öffnen konnte, spürte er etwas Nasses unter seinen Füßen.
Sein Blick wanderte nach unten.
Blut.
Ohne sich bewegen zu können, musterte er die klebrige rote Flüssigkeit. Die Pfütze unter ihm floss langsam in den Flur hinein. Er konnte genau sehen, wie sie unter der Tür hervorkam; konnte spüren, wie dabei entstandene kleine Wellen, gegen seine Zehen schlugen, sich zwischen ihnen kräuselten.
Ihm fröstelte.
Die Eingeweide verknoteten sich zu einem Knäuel.
„Ist … bei dir alles okay?“
Was für eine bescheuerte Frage.
Keine Antwort.
„Hallo!“
Nichts.
„Soll ich reingehen?“
Das ist dein Haus.
Einen Moment lang stand er völlig regungslos da.
Dann entschlossener. „Ich komme rein!“
Seine feuchte Hand legt sich auf die Türklinke. Er drückt sie nach unten, es entsteht ein Geräusch wie bei einer verrosteten Metallfeder, die angespannt wird.
Das Herz bringt die Rippen fast zum Splittern. Der Kopf explodiert gleich. Die Luft in den Lungen besteht aus Eiskristallen, die sich bei jedem Atemzug in seine Kehle schneiden. Das Blut weicht aus dem Gesicht.
Die Klinke ist jetzt ganz unten.
Er atmet tief ein und aus. Befeuchtet seine spröden Lippen mit der Zunge.
Er lehnt seinen Körper gegen die Tür. Sie geht aber nicht auf – von innen abgeschlossen.
In seinem Kopf bricht ein Chaos aus, Bilder von verbranntem Fleisch, umher rennenden menschlichen Fackeln, blutüberströmte zuckende Körper, … Brandblasen auf ihrem Gesicht.
Er kann nicht weiter gehen, gibt auf; ist wie festgefroren im Blut auf dem Fußboden. Unkontrolliert, wie eine Marionette, schüttelt er dann seinen Kopf. Doch die Erinnerung – mit dem Traum zu einer Symbiose verwachsen – klebt an ihm wie eigene Haut.
Plötzlich erbebt die Tür von heftigen Schlägen.
Er springt vom Badezimmer weg, rutscht auf dem Blut aus und landet mit einem Krachen auf dem Hintern. Der Schmerz hallt in seinem ganzen Skelett wieder, treibt ihm Tränen in die Augen, verzerrt das Gesicht zu einer Fratze.
Ein lautes Knurren kommt aus dem Bad, gefolgt von weiteren Schlägen. Das Holz hält es nicht länger aus und knirscht. Unten in der Tür bildet sich eine Wölbung, die von mehreren Rissen umgeben ist. Erneute Tritte reißen ein faustgroßes Loch. Splitter fliegen umher, treffen ihn im Gesicht. Er hebt seine Arme zum Schutz.
Unverständlicherweise ist im entstanden Loch kein Licht zu sehen, sondern Dunkelheit. Schwärzer als der Nachthimmel.
Verkohlte nagellose Finger erscheinen in der Dunkelheit und ziehen sich, einer mutierten Pflanzenwurzel gleich, ihm entgegen. Langsam strecken sie sich aus dem Loch, kommen zusammen in einer Hand, die wiederum zu einem Unterarm wird. Die Haut schneidet sich an den spitzen Rändern, löst sich vom rosa Fleisch ab und zerstreut sich wie schwarzer Schnee über dem Blut.
Ungläubig starrt er auf das irreale Bild. Die Gedanken kommen durcheinander, fallen in eine Art Zeitschleife. Kreisen ums Feuer, öffnen das Tor zur Vergangenheit.
Ihm wird heiß.
Er riecht Rauch, schmeckt ihn. Er hustet.
Die Haut blättert wie alte Farbe vom Körperglied ab, wird von einem Durchzug aufgenommen und in seine Augen gepustet.
Er kreischt vom stechenden Schmerz auf.
Versucht seine Augen mit den Ärmel des Bademantels zu säubern. Vergebens.
Er kehrt der Tür den Rücken zu und versucht blindlings auf allen Vieren zu entkommen. Schlägt mit dem Kopf gegen die Wand, gleichzeitig gleiten seine Hände im Blut auseinander, und er knallt mit dem Gesicht auf die Bodenfliesen. Seine Nase bricht mit einem lauten Knacken.
Für einen Augenblick verschwimmt sein Denken.
Im Wohnzimmer beginnt es zu brennen. Das Feuer leckt hungrig am Teppich, springt auf die Möbel über, frisst sich durch das Holz. Dicker Qualm deckt den Raum zu, grenzt ihn von der Außenwelt ab.
Der Arm fällt auf den Flurboden wie ein nasser Lappen und schlängelt sich zu ihm. Dabei dehnt es sich aus wie Teer. Knochenlos, weich, heiß. Als es ins Blut landet, fängt es an zu dampfen.
Im Loch zeigt sich ein Gesicht, makellos schwarz, in dem weiße pupillenlose Augen stecken. Es quetscht sich durch die enge Lücke, dabei entsteht eine Art Schaben. Das Holz stöhnt, wie ein Verwundeter, gibt aber nicht nach. Der Kopf bleibt kurz stecken, verformt sich, beginnt zu zittern wie Gelee, zieht sich in die Länge. Die Augen treten aus ihren Höhlen, blähen sich auf und zerplatzen geräuschvoll, wie heißes Popcorn. Weiße dickflüssige Substanz läuft raus, bildet eine breite Linie die Wangen runter, tropft auf den Boden, vermischt sich mit Blut und dem Arm. Ein Zischen erfüllt den engen Raum.
Knochen bersten, am Scheitel entsteht ein Riss, der Schädel platzt auf, wie ein reifer Kürbis. Dünne Rauchschwaden entweichen. Der Hinterkopf klappt nach unten auf, schlägt gegen den Nacken und zeigt das Hirn. Es fällt raus und zerbricht in Stücke.
Der halbe Kopf stößt gewaltsam durch die Öffnung vor.
Die verkohlten Lippen verbreiten sich in einem Lächeln, die sofort aufspringen und abfallen, wie Staub zerfallen. Dahinter keine Zähne, keine Zunge. Nur tiefe Dunkelheit.
Er kommt zu sich.
Würgt Rauch.
Die gebrochene Nase pfeift, als wäre sie verstopft. Seine Augen tränen.
Dann eine Berührung. Kalte Finger auf seinem Fuß.
Er winselt etwas um Gnade. Jammert etwas von Verzeihung.
Die Finger kriechen sein Bein hoch, umfassen seine Wade. Und hinterlassen Brandblasen, rissiges Fleisch, … stechenden Schmerz.
Die Schwärze verteilt sich mit rasender Geschwindigkeit über seinem Körper, erstickt seinen Willen zum Überleben.
Und dann eine Stimme, so vertraut, so nah, so sanft.
Sieh mich an …