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Feststellung
Du öffnest die Tür und blickst in ein dunkles Chaos, mit dem Blick auf den Schreibtisch. Es wirkt nicht gerade einladend und am liebsten würdest du die Tür wieder schließen, aber das tust du natürlich nicht. Du betätigst den Lichtschalter und das Chaos erhellt sich. Es ist immer noch schrecklich ungemütlich, im brutalen Licht der Deckenlampe, und du trittst ein. Die Rolläden am Fenster sind heruntergelassen, deshalb ist es dunkel. Es ist ein ziemlich großes Fenster, scheinbar blitzblank geputzt, soweit man das bei heruntergelassenen Rolläden beurteilen kann. Wenn du in der Tür stehst, blickst du auf den Schreibtisch, auf dem sich Schulsachen, Papier, eine Schreibtischlampe, Skateboard-Zeitschriften und anderer Kram stapeln. Es ist kein Zentimeter freie Schreibfläche vorhanden. Die Schubladen des Schreibtisches sind geschlossen und sehen irgendwie abweisend aus. Du traust dich nicht, sie zu öffnen. Das Zimmer hat einen königsblauen Teppich, der in der letzten Zeit scheinbar nicht gesaugt worden ist. Es liegen überall Krümel herum, scheinbar von Chips oder Erdnüssen. Außerdem fliegen im ganzen Zimmer Kleidungsstücke herum, meist in grellen Farben oder in schwarz. Es ist ziemlich unordentlich und ungemütlich. Links neben dem Schreibtisch steht ein großes Holzregal, in das nichts eingeräumt ist. Nur in Griffhöhe siehst du ein paar Blätter, Bücher, Kram, offensichtlich im Vorbeigehen hineingelegt. Du näherst dich dem Regal und nimmst eines der Bücher in die Hand: „Formeln, Tabellen, Wissenswertes“.
Schule. Du drehst dich um und erblickst direkt hinter der Tür eine große Matratze auf dem Fußboden. Offenbar ein Bett. Ungemacht, mit hellblauer Kinderbettwäsche, auf der kleine bunte Bärchen abgebildet sind. Das Bett ist zerwühlt und das braune Bettlaken passt kein bisschen zur Decke und dem Kopfkissen, auf dem ein kurzer, bunter Schlafanzug liegt. Neben der Matratze auf dem Boden liegen ein aufgeschlagenes Buch und eine Postkarte. Du gehst in die Hocke und hebst das Buch auf: „Island Sagas“ – die Geschichten um die alten Götter der Wikinger, Thor, Odin usw. Lächelnd legst du das Buch wieder hin und nimmst die Postkarte in die Hand. Fotos von Berliner Sehenswürdigkeiten. Auf der Rückseite nur die Worte „Ich vermisse dich“, quer über die Karte geschrieben. Keine Adresse, nichts. Offenbar ist die Karte nicht verschickt worden, stellst du fest. Ächzend setzt du dich auf die Matratze und betrachtest das Zimmer im Sitzen. Vor dir, nicht weit entfernt, steht eine Musikanlage. Sie sieht brandneu aus und neben ihr stapeln sich unzählige CDs. Du nimmst – unter einigen Anstrengungen, weil du den Arm so weit strecken muss – eine davon zur Hand. Selbstgebrannt, Aufschrift: Offspring, Americana. Die nächste ist original: Bloodhound Gang – One Fierce Beer Coaster. Die Titel sagen dir nichts, du legst sie wieder zurück. An der Wand, auf die du blickst, ist eine Glastür, vor der ebenfalls die Rolläden heruntergelassen sind. Du vermutest einen Balkon dahinter. In der Ecke stehen zwei Sessel, einfarbig schwarz. Der eine ist zugeschmissen mit Klamotten, auf dem anderen stehen zwei große Kartons. Du stehst auf und setzt dich auf den eigentlich bequemen Schreibtischstuhl, der in der Mitte des Zimmers steht. Von dort aus bemerkst du auch das Skateboard neben dem Bett. Du lächelst – es sieht aus wie ein Kuscheltierersatz. Direkt daneben steht ein dunkelblaues Telefon, auf das mit schwarzem Edding eine Telefonnummer gekritzelt ist.
Du betrachtest die Wand über dem Bett. Wie alle anderen im Zimmer, ist auch sie grellorange gestrichen. Direkt über dem Bett hängen drei Fotos, normale Größe, mit Heftzwecken angepinnt. Du gehst näher heran und betrachtest sie.
Das erste Bild zeigt einen Mann, eine Frau und einen Jungen. Es wurde an einem Strand aufgenommen. Der Mann, ungefähr 40 Jahre alt, grinst frech. Die Frau, ungefähr genauso alt, lacht vergnügt in die Kamera. Vor ihnen sitzt der Junge, ca. 15-16, und blickt stolz zu ihnen hoch. Alle drei scheinen glücklich, der Mann umarmt die Frau und der Junge sieht aus, als würde er vor Stolz und Glück fast platzen.
Auf dem zweiten Foto ist eine Gruppe von Jugendlichen abgebildet, ungefähr 13-17, Jungen und Mädchen, und ein Hund. Auch der Junge vom ersten Bild ist dabei. Alle tragen diese silbrigen Pappbrillen gegen die Sonnenfinsternis, meist in die Stirn geschoben, auch der Hund. Sie scheinen vergnügt, stehen auf einer Wiese und lachen in den Fotoapparat. Der Junge hat ein Mädchen im Arm, das ihn verliebt anlächelt. Er selbst hat eine Hand auf den Kopf des Hundes gelegt.
Auf dem dritten Bild sind der Junge und der Hund, ein schwarzer Labrador. Sie spielen und toben zusammen vor einem Haus auf einer Wiese. Es ist ein guter Schnappschuss. Der Junge und der Hund zerren an einem Seil oder Stock, du erkennst es nicht genau. Der Junge, schon total nassgeschwitzt, lacht und beachtet die Kamera überhaupt nicht. Vielleicht hat er sie nicht einmal bemerkt.
Langsam stehst du auf und gehst zur Tür. Du drehst dich noch einmal um und betrachtest traurig den Raum. Er sieht irgendwie trostlos aus. Du wohnst hier, stellst du fest. Du bist der Junge auf den Fotos. Du warst einmal er. Jetzt bist du wie dein Zimmer. Trostlos, langweilig. Aber das kannst du ändern. Es liegt an allein an dir.
[ 01.05.2002, 16:08: Beitrag editiert von: extrafruity ]