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Ferien am Meer

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04.08.2003
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Ferien am Meer

Herr Feddersen hastete die breite Treppe des Bürogebäudes hinunter, vorbei an dem erstaunten Portier, der ihm „guten Abend, Herr Feddersen“ nachrief. Wenn er sich nicht beeilte, würde er den Bus verpassen und wer weiß wie lange in der kalten Abendluft auf den nächsten warten müssen.

Warum musste ihn Mutter kurz vor Feierabend anrufen, um zu fragen, ob er mit ihr und Viktor und Katrin, seinen beiden Neffen, im Sommer ans Meer fahren wolle. Das hätte sie ihn auch am Abend fragen können, ohne ihn bei der Arbeit zu stören. Schließlich wohnten sie im gleichen Haus.

Schon von weitem sah er den Bus an der Haltestelle stehen. Er beschleunigte seine Schritte, aber seine Unsportlichkeit war geradezu einer seiner Charakterzüge, so wie sein Beruf als Buchhalter nicht einfach eine Arbeit war, sondern diese Tätigkeit in seinem Charakter begründet lag. Im Büro der Buchhaltung ging alles seinen geregelten Gang, die Buchungen liefen immer nach dem gleichen Schema ab und passten sich so in seinen sorgsam geregelten Tagesablauf ein. Er hasste es, wenn etwas seine Welt durcheinander brachte. Wie es sein würde, mit zwei Kindern ans Meer zu fahren, wagte er kaum zu denken. Er hatte seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, weil er sich im Urlaub nie wohl fühlte. Urlaub bedeutete, anders zu leben, anderswo zu leben, zu anderen Zeiten aufzustehen und schlafen zu gehen. Er hatte schon am ersten Tag seine Arbeit vermisst, das ruhige Büro an der schattigen Nordseite des Gebäudes und die leise surrenden Computer.

Mit kurzen ungeübten Laufschritten hastete er der Bushaltestelle entgegen.

Der Bus hielt noch an der Haltestelle. Die Türe stand offen, obwohl niemand mehr einstieg. Der Busfahrer Willi Nickmann, den Herr Feddersen durch die spiegelnde Scheibe undeutlich erkennen konnte, schien ihm zuzuwinken. Er würde warten.

Keuchend erklomm Herr Feddersen die beiden Einstiegsstufen.

„Guten Abend,“ sagte Willi, „sie sind heute aber spät dran.“

„Guten Abend,“ antwortete Herr Feddersen, lächelte dankend und außer Atem und setzte sich auf den freien Platz gleich neben der Tür. Ob Willi diesen Platz extra für ihn frei hielt? Es war noch nie vorgekommen, dass er sich auf einen anderen Platz hatte setzen müssen. Er musste Willi einmal fragen.

Die bekannten Haltestellen zogen vorbei. Herr Feddersen döste. Der kurze Sprint zum Bus hatte ihn erschöpft.

Goethe-Straße, der Bus hielt. Herr Feddersen kletterte die beiden Stufen hinunter und drehte sich kurz zu Willi um.

„Guten Abend, und vielen Dank,“ sagte er. Der Busfahrer winkte.

Die Türen des Busses schlossen sich, Herr Feddersen sah den Rücklichtern nach.

Dann blickte er sich um. Da waren keine Häuser und kein Bürgersteig, nicht einmal eine richtige Straße und der Bus war einfach im flirrenden Dunst verschwunden. Herr Feddersens Füße versanken in weichem, losem Sand, der sich erstreckte, so weit er sehen konnte. Über allem brannte an einem diesigen Himmel eine bleiche Sonne auf Dünen, die so gelb waren wie das Fell von Viktors Kater.

Herr Feddersen schwitze in dem dicken Wintermantel, den er trug.

Hinter ihm rollte ein weißblaues Meer in sanften Wellen heran. Dort, wo die Wellen sich in weißen Schaum auflösten, lagen bunte Strandtücher, auf denen sich Frauen im Badeanzug sonnten, die ölglänzenden Beine lang ausgestreckt. Zwischen den Strandtüchern war ein Netz gespannt und Kinder warfen sich einen Ball über das Netz zu. In der Brandungszone staksten kleine schwarze Vögel mit langen Beinen umher und pickten mit spitzen roten Schnäbeln eifrig im Sand. Etwas abseits stand eine kleine Bretterbude, die mit Palmen und bunten Paradiesvögeln aus Sperrholz verziert war. Die Farbe blätterte schon etwas ab, aber Herr Feddersen konnte die Bemalung noch gut erkennen.
Er fühlte sich verloren in dieser heißen sonnigen Landschaft. Wenn er bloß wüsste, wann der nächste Bus käme, den er nehmen könnte.

Ein kleiner krausköpfiger Junge mit aufgekrempelten Jeans über bloßen Füßen lief auf ihn zu. Von weitem hätte er ihn für Viktor gehalten, aber Viktor war älter, schon neun, und dieser Knirps war bestimmt nicht älter als fünf. Er zerrte mit dicken Kinderfingern an Herrn Feddersens Mantelärmel.

„Gib her, den brauchst du hier nicht,“ kommandierte er.
„Schon gut, schon gut,“ beschwichtigte Herr Feddersen und schlüpfte aus dem Mantel.

„Den Hut auch,“ sagte der Knirps und streckte befehlend die Hand aus.

Herr Feddersen schüttelte den Kopf.
„Nein, den Hut nicht, den brauche ich, damit mir die Sonne nicht auf den Kopf brennt.“ Er drückte den dunkelgrauen Filzhut fester auf sein schütter werdendes Haar.

„Okay,“ lachte der Junge und verschwand mit Herrn Feddersens Mantel im Innern der Barhütte. Herr Feddersen folgte ihm mit den Blicken und war froh, den warmen Mantel endlich los zu sein.

Vom Strand kam ein Mädchen gelaufen. Die langen blonden Haare wehten wie ein Schleier hinter ihr her. „Die sieht aus wie Katrin,“ dachte Herr Feddersen, um sich dann zu korrigieren. „Nein, Katrin ist erst sieben, dieses Mädchen ist bestimmt schon zwölf.“

Die Kleine nahm Herrn Feddersen an der Hand und zog ihn zu den spielenden Kindern. Das Gehen im tiefen Sand fiel ihm schwer, der lose Sand rieselte in seine Schuhe und drang durch seine Socken. Er folgte dem Mädchen über den Strand, seine Aktentasche fest an sich gedrückt. Sie bemerkte die Tasche, zog sie ihm sanft aus den Armen und trug sie lachend zu der Barhütte. Sie tauchte sofort wieder auf und blieb vor ihm stehen, die Arme in die Hüften gestemmt.

„Du bist nicht für den Strand angezogen,“ stellte sie fest, hockte sich vor ihn in den Sand und begann, Herrn Feddersen Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Er ließ sie gewähren, froh, die unbequemen Schuhe voller Sand endlich von den Füßen zu haben und überlegte, was sie ihm als nächstes abnehmen würde. Sie trug die Schuhe und Strümpfe ebenfalls in die Hütte.

In der Zwischenzeit hatten die anderen Kinder Herrn Feddersen umringt und hielten ihm ihren Ball hin. Er nahm ihn und hielt ihn ratlos in den Händen. Er drehte und wendete ihn, aber der Ball wollte kein Leben entwickeln.

„Wirf doch!“ schrien die Kinder und er schubste den Ball vorsichtig auf eins der Kinder zu, das ihn lachend fing und mit vollem Schwung über die Köpfe der anderen Kinder über das Netz warf.

„So geht das! Kannst du nicht Ball spielen?“ fragten sie.

Herr Feddersen schüttelte den Kopf.

„Hast du keine Kinder, mit denen du Ball spielst?“

Herr Feddersen schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollte ich es für Viktor und Katrin lernen,“ murmelte er.

Bevor er diesen Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, tauchte eine Gruppe junger Leute aus dem Wasser auf. Ihre Badekleider waren nass und aus den Haaren der Frauen tropfte das Wasser. Sie scheuchten die Kinder sanft auseinander und zogen Herrn Feddersen mit zu der Strandbar. Er folgte ihnen wie in Trance und die Kinder ließen ihn widerspruchslos ziehen.

Vor der Strandbar standen wackelige hölzerne Tische, denen verblichen bunte Sonnenschirme Schatten spendeten. Herr Feddersen setzte sich auf einen Klappstuhl und lehnte sich aufatmend an die sonnenwarme Wand der Strandbar. Seine Füße mit den bloßen Zehen bohrten sich tief in den weichen Sand. Er fühlte sich so ungekannt wohl und leicht. Er hörte den Wellen zu, die an den Strand plätscherten. Die kleinen schwarzen Vögel kreischten und es schien ihm das herrlichste Geräusch der Welt. Der Wind trieb kleine Sandwolken über den Boden und vom warmen Sand unter seinen Füßen strömte Behaglichkeit in seinen Körper. Mit einem pinkfarbenen Strohhalm schlürfte er ein fruchtiges Gebräu aus einem hohen Glas. Ihn überkam ein Gefühl vollkommenen Friedens und er döste auf seinem Stuhl ein. Der Hut rutschte ihm vom Kopf, er fühlte ihn auf seine Schulter gleiten und seufzte wohlig.

Jemand rüttelte ihn heftig an der Schulter.

„Wachen sie auf, sie müssen aussteigen,“ sagte Willi Nickmann und schüttelte ihn noch einmal.

Herr Feddersen schlug verwirrt die Augen auf.
„Ja, o ja,“ murmelte er und taumelte verschlafen aus dem Bus.

Da stand er in der kalten feuchten Luft des dämmrigen Novemberabends an der Haltestelle Goethe-Straße. Der eisige Novemberwind blies ihm ins Gesicht. Er zog den Mantel fest um die Schulter, drückte den dunkelgrauen Filzhut fest auf den Kopf und ging durch die Nord-Allee nach Hause.

Im zweiten Stock der Brahmsstraße 22 drückte er auf die Klingel zur Wohnung seiner Mutter. Erstaunt öffnete ihm die alte Dame. „Junge, du kommst doch sonst abends nicht vorbei, ist etwas passiert?“

„Nein, keine Sorge,“ beruhigte sie Herr Feddersen, „ich wollte dir nur sagen, dass ich gerne mit Dir und den Kindern im Sommer ans Meer fahren würde.“ Er küsste sie auf die Wange, umarmte sie kurz und stieg weiter die Treppe zu seiner Wohnung im 4. Stock hinauf. Seine Mutter sah ihm erstaunt, aber lächelnd nach. Und auch Herr Feddersen lächelte, als wäre ein Stückchen des blauen Himmels aus dem Traum in seinem Herzen zurückgeblieben.

Er schloss die Wohnungstür auf, stellte seine Aktentasche auf den Stuhl neben der Garderobe, hängte seinen Mantel auf und ging in die Küche, um sich Abendbrot zu machen. Nach dem Abendessen würde er abwaschen, die Nachrichten im Fernsehen anschauen und um 11 Uhr ins Bett gehen, wie er es jeden Abend tat.
Und im Sommer würde er mit Viktor, Katrin und seiner Mutter ans Meer fahren.

 

Hi merenhathor,

auf jeden Fall strahlt Deine Geschichte positiv aus, allerdings ist sie für mich nah an der Grenze zum Kitsch - ein Traum ändert nachhaltig die Einstellung eines Menschen? Gut, sowas passiert, aber allzu spannend oder dramatisch ist das nicht. Dein Prot ist im Grunde ein Klischee, da hätte ich mir ein bisschen Differenzierung gewünscht, vielleicht durch ein kurzes Gespräch mit dem Busfahrer über ein völlig unerwartetes Thema - das wäre dann auch eine Erklärung dafür, dass die beiden sich so gut kennen. Der Traum hätte (typisch für Träume) etwas bizarrer sein können, das hätte der Story vielleicht etwas Pepp gegeben. Dass es ein Traum war, war eigentlich sofort klar, schließlich schreibst Du sogar, dass Herr Feddersen döst.
Sprachlich habe ich nichts einzuwenden, Du hast routiniert geschrieben.

Fazit: Sprachlich in Ordnung, inhaltlich etwas flach, aber sehr lesbar erzählt.

Uwe

 

Hi Uwe,

hast du noch nie einen Traum gehabt, der etwas verändert hat? Herr Feddersen tut doch nichts Besonderes, er fährt nur in Urlaub.

Zugegeben, man könnte vieles dramatischer machen, aber genau das wollte ich ja nicht.

Woraus schließt du, dass sich Herr Feddersen und der Busfahrer "gut kennen"? Nur wegen des Namens? Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass die beiden sich unterhalten könnten. Schließlich muss der eine Bus fahren und der andere ist müde.

Aber vielen Dank für das "routiniert geschrieben". Es war die erste Geschichte, die ich jemals geschrieben habe. Bis ich etwas zustande bringe wie "der letzte Löffel" dauert es bestimmt noch ein Weilchen.

LG
merenhathor

 
Zuletzt bearbeitet:

Feddersen und der Busfahrer kennen sich gut, weil:

Der Busfahrer Willi Nickmann, den Herr Feddersen durch die spiegelnde Scheibe undeutlich erkennen konnte, schien ihm zuzuwinken. Er würde warten. Keuchend erklomm Herr Feddersen die beiden Einstiegsstufen. „Guten Abend,“ sagte Willi, „sie sind heute aber spät dran.“

Besonders die Verwendung des Vornamens des Busfahrers legt eine gewisse Beziehung nahe, obwohl es genaugenommen nicht Feddersen ist, der den Vornamen verwendet, sondern der Erzähler. Dieser Absatz wirkt so, also würde Feddersen den Busfahrer gut kennen, denn Du schreibst (wenn auch in der dritten Person) aus Feddersens Perspektive.

Ja, auch ich hatte schon einmal einen Traum, der viel verändert hat. Das ändert aber nichts daran, dass das in einer Geschichte relativ beliebig ist. Du kannst ihn träumen lassen, was Du willst, damit ist die Handlung konstruiert (deus ex machina). Es ist nicht das Geschehen, nicht das Leben, das etwas in Deinem Helden bewirkt. Es ist allein der Wille des Autors.

Du kannst natürlich argumentieren, dass er wegen des Anrufs überhaupt nur von dieser Sache träumt. Dann muss man sich aber fragen, warum er den Traum als positiv empfindet. Ich würde diesen Kritikpunkt insgesamt aber auch nicht zu sehr hochspielen, schauen wir einfach mal, was die anderen dazu meinen.

Wie dem auch sei: Für die erste Geschichte wirklich prima! :thumbsup:

 

Hi Uwe,
auf das Zitat bezogen, muss ich dir Recht geben. Ich werde also versuchen, die Stelle umzuformulieren.

LG
merenhathor

 

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