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felder

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06.11.2003
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felder

„Es gab eine Zeit, in der bin ich früh schlafen gegangen“, habe ich gesagt. Es war September, vielleicht auch Oktober, ich stand in einem Supermarkt, ich wollte Obst kaufen, Mangos, Granatäpfel, Melonen. Ich stand vor dem Obst und du standest neben mir. Du hattest Toastbrot in der Hand. Ich habe dich angeguckt und du hast genickt. Ich habe dich angeguckt, du sahst erholt aus und fröhlich. Ich sah müde aus. Ich habe gesagt: „Ich bin jeden Abend früh schlafen gegangen, tut mir leid, ich war so müde.“, und habe gedacht, das ist eine Lüge und du wirst es wissen. Ich habe dort in diesem Supermarkt gestanden und habe gedacht: Und es interessiert dich nicht wirklich.

Ich habe lange Zeit auf dem Bett gelegen, überfüllter Aschenbecher, Wasser, Sirup. Ich habe dort gelegen und diesen Raum beschaut, ein Tisch stand da, Papier darauf, Fotografien hingen da, ein Spiegel. Ja, die Zeit war lang, in der ich auf dem Bett gelegen habe. Ich hatte nichts zu tun und ich wollte auch nichts tun. Ich wollte nur dort liegen und diesen Raum beschauen. Ich habe also auf diesem Bett gelegen, jeden Tag und auch die Nacht, ich habe immerzu Wasser mit Sirup getrunken und Zigaretten geraucht. Manchmal bin ich nach draußen gegangen um Sirup zu kaufen und Obst und manchmal habe ich auch einfach nur das Fenster aufgemacht. Ich habe keine Musik gehört, ich habe nichts gelesen. Ich habe nur auf diesem Bett gelegen und gedacht: Ihr beide in diesem Feld und es ist noch hell; ihr beide zwischen den Weizen.

In der Küche stehend erzählst du Anekdoten aus dem letzten Norwegenurlaub – wie du ins Tal gerannt, schwimmen gegangen bist, Himbeeren pflücken am Wegrand, all diese Dinge. Das Radio läuft und du lachst laut und holst immerzu irgendwelche Dinge aus dem Kühlschrank, gießt uns roten Wein ein und zeigst mir auf der Karte, wo du warst und legst Steine auf den Tisch, getrocknete Algen, Mitbringsel.
Ich backe Kuchen und mir tun die Beine weh. Ich verrühre Mehl, Milch, Wasser zu einem klumpigen Teig, schütte die Pampe in eine Form, 220°C, vorgeheizt und ich weiß nicht mehr, wann das Warten begann und wie. Du erzählst von den Fjorden und dass auch dort die Häuser rot angestrichen sind und in Oslo bekommt man am Hafen kein Bier unter umgerechnet vier Euro. Du erzählst von der Überfahrt, von den Bahnhöfen, trinkst den ganzen Wein alle, änderst ständig die Sender und fragst, ob ich die Briefe bekommen habe, ich sage: „Ja, danke“ und du gehst und ich lasse den Kuchen im Backofen verbrennen.

Ein Tag im Mai und du hast angerufen und du hast gefragt, ob sie dich mag und ob Norwegen ein schönes Land ist, für einen gemeinsamen Urlaub. Ich habe gesagt: „Denke schon.“ Und ob das wichtig ist. „Ja, das ist es.“, hast du geantwortet und ich habe aufgelegt. Ich habe in meiner Küche gestanden und das ganze Geschirr abgewaschen, ich habe den Kühlschrank saubergemacht, die Schubkästen der Kommode, den Boden gewischt. Ich habe in meiner sauberen Küche gestanden und gedacht: Dann fahrt ihr also dahin. Dann fahrt ihr also nach Norwegen und es wird nicht dunkel werden, dann fahrt ihr auf die Lofoten und lest immerzu Reiseführer und sitzt in den Zügen und die Seen ziehen vorbei.
Vielleicht begann das Warten schon da.

Als ihr dann dort wart, habe ich mich abgelegt zwischen weißen Laken in ein weißes Zimmer mit weißem Licht; es gab nur diesen Raum. Ich habe dort gestanden und die Wände angeguckt, ich habe die Fotogafien abgenommen und wieder hin gehangen. Ich habe dort gestanden und aus dem Fenster gesehen. Ich habe auf die Straße geblickt und auf dem Fensterbrett gesessen, ich habe die Nacht beobachtet und wie die Blätter von den Bäumen sich verfärben und wie die Blätetr von den Bäumen fallen und wie die Jacken immer dicker werden. Ich habe am Tisch gesessen und Papier beschrieben. Niemand kam zu Besuch, niemand rief an, manchmal ist ein Brief gekommen, vollgepackt mit Geschichten und Bildern. Ich habe in diesem Bett gelegen und euch immerzu gesehen, auf der Fähre stehend, im Zelt liegend. Das Herz hat die Fensterläden zugezogen.

Ja, vielleicht hast du sie geliebt und vielleicht hat sie dich auch geliebt. Ihr seid zurück gekommen und ich habe keinem von euch beiden die Tür aufgemacht. Ich habe im Bett gelegen und an die Decke gestarrt, ich habe Wasser mit Sirup getrunken, habe die Fotografien angesehen, zwei Silhouettenmenschen in einem Silhouettenland, habe in den Spiegel geschaut. Später habe ich dich auf der Strasse getroffen, du hast gefragt, wie es mir ergangen ist, ich habe gesagt: „Gut.“

 

Hallo Linne,

eine ambitionierte erste Geschichte hast du da gepostet. Als Leser hat man den Eindruck, das traurige Innenleben einer frustrierten Hausfrau zu erleben. Wenn du das wolltest, ist es dir gelungen. Melancholie, Selbstzweifel, vielleicht Liebeskummer.

Für meinen Geschmack hat die Geschichte zwar etwas wenig Handlung, das tut der geschilderten Atmosphäre aber keinen Abbruch.

Weiterhin viel Spaß beim Schreiben

knagorny

 
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Kritikerkreis

Hi

An deiner Geschichte habe ich nicht viel auszusetzen. Deshalb werde ich mal betonen, was mir daran gefallen hat.

Der Text wirkt auf mich wie eine Art in sich geschlossene Momentaufnahme. Kernsätze sind meiner Meinung nach: Ein Tag im Mai und du hast angerufen und du hast gefragt, ob sie dich mag und ob Norwegen ein schönes Land ist, für einen gemeinsamen Urlaub. Ich habe gesagt: „Denke schon.“

Und um diesen Kern kreist die Geschichte, Anfang und Ende gehen fließend ineinander über.
Sie trifft ihn, Monate später, nochmal im Supermarkt. Und er ahnt gar nicht, dass sie die ganze Zeit auf ihn gewartet hat.

Gerade dieses Warten beschreibst du ausgezeichnet. Ganz stark ist der zweite Absatz, das Sirup-kaufen als einzige erinnernswerte Handlung.
Den dritten Abschnitt würde ich zeitlich nach dem ersten einordnen, mit dem Präsens wird das ja angedeutet.

Der letzte Satz im dritten Abschnitt scheint mir die ganze resignierte Stimmung auf den Punkt zu bringen. Dieser verbrannte Kuchen, vielleicht als Symbol für ihr "Warten, bis man schwarz wird."

Wie die Protagonistin nun genau zu den beiden anderen steht, bleibt unklar. Sie scheint den Kontakt zwischen ihnen hergestellt zu haben, vielleicht als Freundin aller beider, vielleicht als Schwester der anderen.
Ist eigentlich auch nicht wichtig.
Die Beziehung der beiden anderen scheint ohnehin nicht lang gehalten zu haben, wie der erste Satz im letzten Abschnitt andeutet.

Die Poesie steckt in den schlichten Sätzen, endlich mal keine überschwängliche Herzschmerzorgie. Die Stilmittel kommen mir alle sehr bekannt vor: Viele Und-Konstruktionen, viele Wiederholungen und ein paar Zweideutigkeiten, wie hier z.b. "...und ich weiß nicht mehr, wann das Warten begann und wie." Bezieht sich vermutlich nicht nur auf den Kuchen.

"und wie die Blätter von den Bäumen sich verfärben und wie die Blätetr von den Bäumen fallen"
Hier stört mich die Wiederholung, bringt hier nichts. Sonst sind mir nichtmal Kommafehler aufgefallen. :)

Gruß
Christoph

 

Kritikerkreis


Hallo linne,

Deine Geschichte hebt sich von anderen Texten ähnlichen Inhalts ab. Dies geschieht auf sprachlicher Ebene und durch die Konstruktion der Beziehungen der beschriebenen Personen. (Den zentralen Punkt der Erzählung hat wolkenkind schon treffend herausgestellt).
Trotz der Langeweile des Wartens, die die Protagonistin aushalten muß, klingt sie gehetzt- kein Wunder, sehnt sie sich doch das Ende dieses Zustands herbei. Diese Angespannte Langeweile wird dem Leser gut vermittelt.
Die Spannung des Textes ergibt sich aus den Konstellationen der Personen, vieles wird geschickt angedeutet, die eigentlichen Handlungen und Ereignisse kommen eher harmlos daher. Dies macht den besonderen Reiz dieser Geschichte aus. Zwei konträre Welten werden gegenüber gestellt: Die glückliche Urlaubswelt und das durch ignorieren der Protagonistin hervorgerufene Warten. Beide Situationen sind an sich unspektakulär- doch die subjektive Wahrnehmung ergibt Leid durch Zurücksetzung, durch das Abgewiesen-Worden-Sein. Mit einem einfachen, aber gelogenen Wort versucht die Protagonistin ihr Erleben wenigstens nach außen hin nicht als Niederlage erscheinen zu lassen: Wie ist es ihr ergangen? „Gut“. So erscheint die Protagonistin nicht nur als Verliererin, sondern auch als sich wehrende Person. Eine wichtige Wendung für das Wirken der Geschichte.


(Eigentlich besteht kein Grund, den Titel klein zu schreiben. „felder“ allein ist vielleicht ein wenig knapp).


Tschüß… Woltochinon

 

Kritikerkreis

Ja, das ist beispielhaft. Hier gehen Inhalt und Stil eine harmonische Symbiose miteinander ein: Die Erzählweise erweist sich als genauso ruhig und unaufdringlich wie es die Ich-Erzählerin aufgrund ihrer Handlungen auch selbst zu sein scheint.

Die antichronologische Beschreibung der Geschichte sorgt für eine abwechslungsreiche Erzähldynamik des Hergangs. Dabei folgt sie auch einem natürlichen Prozess des Sich-Erinnerns: Angefangen von einem prägenden Ereignis (der Begegnung im Supermarkt) über die Beschreibung einer längeren, zurückliegenden Zeit bis hin zu vereinzelt eingestreuten Erklärungsfindungen darüber, was diese Ereignisse für sie miteinander verbinden mag (zu sehen in: "Und es interessiert dich nicht wirklich." (erster Absatz), "Vielleicht begann das Warten schon da." (vierter Abs.) oder "Das Herz hat die Fensterläden zugezogen."(fünfter Abs.) )

Im Gegensatz zu wolkenkind würde ich nicht von einer "Momentaufnahme" sprechen ("geschlossen" ist die Geschichte jedoch durchaus). Dafür beinhaltet der Hergang zu viel Progression: Der Geliebte fährt für längere Zeit weit weg, die Frau fällt damit in eine Art Loch der Sinnlosigkeit und des Phlegmas und nach dieser Zeit kehrt er wieder heim und sie begegnen sich schließlich im Supermarkt. Auch kann ich keinen "Kernsatz" ausmachen, um den sich alles kreist. Der von wolkenkind zitierte Satz gibt lediglich den Beginn der hier beschriebenen Tragik wieder. Der eigentliche Auslöser für ihren offenbar monatelang währenden, schwermütigen Gemütszustand dürfte, so denke ich, viel eher die auch zuvor schon empfundene Liebe zu ihm sein - deren Anfänge hier doch gar nicht beschrieben sind.

Ich habe überlegt, ob es sich bei der Ich-Erzählerin um die Mutter jenen Mannes handeln könnte. Der Text lässt das durchaus zu und damit auch verschiedene Varianten der Interpretation.

Als rätselhaft empfand ich diesen Satz im letzten Absatz:

Ich habe im Bett gelegen und an die Decke gestarrt, ich habe Wasser mit Sirup getrunken, habe die Fotografien angesehen, zwei Silhouettenmenschen in einem Silhouettenland, habe in den Spiegel geschaut.
Die durchgehend ungewöhnliche Kommasetzung (wie auch im gesamten Text) impliziert für mich, dass die verschiedenen Satzteile in einem sehr engen Verhältnis miteinander stehen. Aber in welchem Verhältnis stehen die empfundenen "Silhouettenmenschen in einem Silhouettenland" zu "in den Spiegel geschaut"? Empfindet sich die Erzählerin auch selbst als eine "Silhouette", also vielleicht als jemanden, die sie nur noch beobachtet, aber die eigentlich selbst gar nicht mehr richtig lebt? Sondern nur noch jemand ist, durch die hindurch andere leben? (dazu vor allem dritter Absatz: Sie hört den Geschichten von ihm nur zu, erträgt sie also nur, lässt aber selbst ihm gegenüber nichts ertragen)

Nicht ganz ausgereift finde ich zuletzt die Titelgebung: "felder". Es wird zwar im zweiten Absatz eine Beziehung dazu hergestellt. Allerdings im Singular und ohne, dass dieses Bild von "Feldern" später noch weitergeführt wird. Und warum diese Kleinschreibung?

Später habe ich dich auf der Strasse getroffen, du hast gefragt, wie es mir ergangen ist, ich habe gesagt: "Gut."
Man schreibt: "Straße".

 

Hallo!

Diese wenig beachtete Geschichte wurde im Kritikerkreis besprochen.
Vielleicht gibt es noch weitere Anmerkungen zu diesem Text.

Das Kritikerteam.

 

Hallo linne

erstmal herzlich Willkommen auf kg de. Deine Geschichte hat mich sehr gefesselt. Die leichte Beschreibung einer ersehnten Beziehung, die von deiner Prot. erzählt wohl in die falschen Bahnen gelaufen ist. Ich stellte mir eine Wohngemeinschaft, in der zwei Frauen und ein Mann wohnten, vor. Die Mitbewohnerin und der Mitbewohner gehen gemeinsam nach Norwegen in den Urlaub. Dein Prot., zog sich in ihr Zimmer zurück, stellte sich bildlich vor wie sie in den Feldern zueinander finden.
Gedemütigt, entäuscht zieht sie sich von den beiden zurück. Öffnet nicht mal die Türe, um den Verlauf des Urlaubes zu erfahren.
Zu guter Letzt, bei einem Treffen auf der Straße die Aussage, "mir gehts gut."

Wie oft in seinem Leben hat man Liebeskummer?

Einen schönen Abend wünscht

Morpheus

 

Hallo linne!
Auch von mir ein Herzliches Willkommen auf KG.de!!

Mir hat Deine Geschichte ebenso gut gefallen wie allen anderen. Kann mich nur anschließen und habe kaum noch was anderes dazu zu sagen :)

Das einzige was mich ein wenig beim lesen gestört hat, sind die Wiederholungen der Satzanfänge oder Worte.
(Ich habe, manchmal, vielleicht etc.)

Ansonsten eine sehr schöne Geschichte
Habe ich gerne gelesen!

Einen guten Rutsch!
LG Joker

 

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