Feigling
Notizen eines inneren Disputs.
„Feigling“ sagt der Wirtschaftler in mir – „Feigling“!
„Das muss ich mir nicht sagen lassen“ entgegnet mein Denkling, während der Schreiberling dazu nur meint „Nö, das muss ich mir nicht anhören! Du denkst doch, kaum, dass das ich was geschrieben habe, dann doch schon wieder ganz was anderes und wenn wir nicht so ein komisches elektronisches Teil vor uns hätten, das uns alle Drei gehörig nervt, dann wüsstest Du doch gar nicht mehr, was ich Dir gerade da aufgeschrieben habe, Du ……..chh!“.
Entrüstet stöhnen alle drei gleichzeitig ein ccchh in den Raum, was meine anwesende Göttergattin zu der unnötigen Frage inspiriert, was denn nun schon wieder los wäre. Lass sie, meinen die drei in mir und die anderen Kollegen in mir pflichten mit stillem Kopfnicken bei. „Und hör endlich auf, mit dem Kopf zu wackeln“ sagt die Göttergattin im Nachsatz – doch der Disput in mir ist wieder einmal eröffnet.
Der Wirtschaftler erwähnt fast beiläufig, man habe eben doch gerade gesehen, dass ein – oh der Name war schon vergessen, der da schon nach wenigen Texten (bei deren Lektüre Du dich doch schon ob des schlechten Stils und inhaltslosen Worten heftig fremdschämtest) von den erfolgreichen Veröffentlichungen hatte leben können. Und auch die Autorin, für die man – mein innerer Kreis spricht mit „man“ so von sich - einige Veröffentlichungen vorab Korrektur gelesen habe, wäre auch nicht gerade das Gelbe vom Ei aber in kurzer Zeit pekuniär äußerst ertragreich – was der Dichterling in mir gleich relativiert, er hätte die Story und das Sujet bei ersten mal ja durchaus in Verbindung mit gewissen testosterongesteuerten Anderen anregend empfunden, aber bereits – da unterbricht der Denkling mit „genau – hab ich damals gleich gesagt, zu flach, zu lall immer wieder das Gleiche rein raus mit neuen Begriffen zu beschreiben bringt nichts“. „Aber die hat es wenigstens geschrieben! Siehst Du“ merkt der Wirtschaftliche an.
„Klar seh ich das“, meint Denkling wie auch der Dichterling zeitgleich – „sind ja nicht dumm“ führt Ersterer weiter, der die parallele Äußerung bewusst mit Bedacht gewählt hat. „Weißt du, wisst ihr,“ der Dichterling begann etwas stockend – „es ist doch so:“
Du denkst einen Gedanken an und formulierst ihn dann in Begrifflichkeiten, die in einem Zusammenhang stehen. Lässt Du den Prozess nun nicht mehr Gedanke sein, sondern gibst diesen Worten auch Zeichen, indem du diese anzeigen lässt oder niederschreibst, so steht da etwas, fest – zunächst so wie es ist.
Und das ist gut so – und nein, das ist nicht gut so, oder etwa doch? Oder?
Sagt es das, was Du dachtest bevor du es schriebst, oder schriebst Du überhaupt das, was Du gedacht hast? Oder gar hast Du das gelesen, was da geschrieben stand oder last Du das, was Du dachtest geschrieben zu haben überhaupt so, wie es da geschrieben stand?
Es sind so viele Facetten allein in dem Prozess des Denkenden, die rechten Begrifflichkeiten zu denken, zu erahnen, zu ertasten, zu erfühlen, zu denken, anzufassen und wieder zu verstoßen, umzudenken, neu zu formulieren, dass jedes Wort so schwer erarbeitet wird, bevor es an den Dichterling weitergeht, der aus den gefundenen Bausteinen ein Wort-Gefüge bildet, bevor es an Schreiberling weitergeht, der wiederum eben die gleichen Prozesse durchlebt – was meinte er, was will er denn, passt dass denn so überhaupt und wie schreibt sich das jetzt. Jeder Moment wird mehrfach durchlebt, dass keiner bzw. jeder sich vielleicht gar nicht sicher ist, ob er denn alles mitbekommen hat, was der Denkling mir dem Dichterling andachte und der eben formulierte. Dein Auge blickt zurück über die letzten Zeichen und bemerkt – da fehlt was, da ist was zu viel, das Wort gibt es nicht, die Grammatik stimmt nicht, zumindest wenn die Interpunktion nicht korrigiert würde und moment, das, was da steht, ist nicht das, was da stehen sollte – da steht wieder ganz was anderes.
Nun gut, daran hast Du Dich nun in den Jahren, in denen Du so für Dich hin schreibst, bereits gewöhnt- dieses innere Auf und Ab, eben das Geniale formuliert zu haben, das im nächsten Moment komplett jegliche Genialität verliert und zum unmöglichen Text wird. Und Du hast Dich daran gewöhnt, Deine innere Kritik fast höhnisch selbstzerstörerisch selbst zu kritisieren. Sätze, deren geniale Konstruktion so genial ist, dass deren Konstruktion der Knotentheorie der Mathematik entsprechen könnte, die zur mathematischen Beschreibung eines Knotens diesen mathematisch flach klopft und die dritte Dimension entfernt. So zerschlägt Dein innerer Kritiker und der Denkling das eben Geschriebene, denkt bessere Formulierungen und der Dichterling wertet zwischen gut, besser und schlecht, der Schreiberling zögert, worauf der Gedanke doch neu formuliert und neu durchdacht wird. Ein in sich nicht endender, sich wiederholender Vorgang des Suchens, Findens, Verwerfens – ist es nicht so?“
Erwartungsvoll heischt der Dichterling nach Zustimmung zu seiner Wertung.
„Feigling“ wirft der Denkling ein – Deine moralische Instanz des gut, besser, böse verlässt den Mut des ursprünglichen Gedankens und macht ihn wohlfeil für den, der ohne sich die Zeit zu nehmen, einen Text konsumieren aber nicht nachdenken möchte.! „Feigling“ – ruft der Schreiberling dazwischen – „würde ich das schreiben, was Du, Denkling denkst, wäre das“ – „was wäre das?“ unterbricht ahnungsvoll der Denkling.
Plötzlich stutzen alle weil sie gemeinsam etwas zu bemerken scheinen – Es ist nicht der Magen, der da vor sich hinbrummelt und endlich wieder etwas gefüllt werden möchte. Es sind die Arme und die Hände, die den inneren Disput zum Einhalt bringen, indem die Finger nach dem halbbeschriebenen Blatt auf dem Bildschirm nun auf Steuerung, Umschalt und Pos1 drücken, während der kleine Finger der Hand die Entertaste betätigt – „Nichts da mit Feigling“ – meint der Denkling und ist schon wieder in völlig anderen Gedanken.
„Was bin ich froh, dass dafür kein Papier notwendig ist – das würde den Kerl ja arm machen!“ denkt sich der Wirtschaftler.