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Feierabend
Der silberfarbene Audi setzt ein Stück zurück und fährt dann auf die Straße.
Feierabend.
Mark schaltet das Radio an, während er die Straße hinunter nach Hause rast. Wie heisst dieses Lied nochmal?
Sein Kopf ist seltsam leer, eben haben ihn noch tausend Dinge beschäftigt, doch schon eine Minute später schaltet er seinen Computer aus, zieht den Mantel an und geht. Auf dem Weg zur Ausgangstür hat er halb damit gerechnet, seinem Chef zu begegnen, der dann so etwas wie „Herr Asmussen, Sie wollen schon nach Hause? Können Sie diese Zahlen bitte vorher noch mal durchgehen?“ sagen würde. Aber glücklicherweise kam es nicht so. Er weiss nicht wieso, aber selbst wenn er korrekterweise um siebzehn Uhr Feierabend machte, hatte er fast immer ein schlechtes Gewissen, wenn er Dr. Cordts begegnete.
Na ja, es könnte schlimmer sein. Er muss nicht um Gehaltserhöhungen betteln, und wenn man Marks Boss erst einmal kennt merkt man, dass er eigentlich so etwas wie ein verhinderter Gentleman ist. Er möchte ja nett sein, aber schliesslich habe er ein Unternehmen zu führen – so in etwa seine Argumentationsweise.
Und seine Kollegen sind in Ordnung. Anke meckert zwar hin und wieder – und das obwohl sie nur eine unqualifizierte Halbtagskraft ist - aber Sabine ist wirklich lustig. Sabine ist eigentlich nicht zum Arbeiten hier, jedenfalls sieht sie das so. Sie kann schon einmal eine halbe Stunde über sinnloses Zeug quasseln. Dass sie dafür bezahlt wird, nimmt sie als angenehmen Nebeneffekt zur Kenntnis. Das meiste bleibt also an Mark hängen. Aber Mark bekommt dafür ja auch am meisten Geld; glaubt er. Denn laut Arbeitsvertrag darf er nicht über sein Gehalt sprechen, wie auch alle anderen Mitarbeiter. Vielleicht verdient Mark doch nicht am meisten Geld. Axel ist schon 35 Jahre dabei, und weil Dr. Cordts ja auch schon ein wenig älter ist, ist er möglicherweise Auffassung, die alten Hasen sollten am Meisten Geld kriegen, Erfahrung sei wichtig. Die Realität ist aber eventuell, dass Axel zwar hin und wieder einen Apfel ausgibt, aber eben jenen nicht mehr von einer Birne unterscheiden kann.
Auf jeden Fall hat Mark ein schönes Büro. Axel meint zwar immer, das sei einmal eine Besenkammer gewesen, aber es ist sehr gemütlich. Und wenn der Putz nicht ständig von der Decke rieseln würde und die Heizungsrohre nicht ausgerechnet hier durchliefen und der Junge vom Wasserwerk nicht regelmässig hier vorbeischauen würde um den Wasserstand abzulesen und er wenigstens ein Fenster hätte, dann wäre es mit Sicherheit ein tolles Büro.
Schliesslich ist er nicht wegen einem tollen Büro hier oder guten Kollegen, sondern nur um Geld zu verdienen. Um sich und seine Familie zu ernähren.
Ach ja, seine Familie. Armer Mark.
Er hatte sich vorgenommen die Zwanziger zu geniessen, aber noch ehe die Hälfte davon herum war, hatte er sich in eine schöne junge Frau verliebt. Und wer schon einmal verliebt war, weiss zu was für Blödsinn man plötzlich fähig ist. Jedenfalls hat er diese zugegeben bildhübsche Frau ein Jahr später geheiratet, doch als sich die Liebe verdrückte war alles was übrig blieb eine bildhübsche Frau, die von Marks Freunden liebevoll Kratzbürste genannt wurde.
Dafür musste Mark diesen Freunden die Freundschaft kündigen, denn Kratzbürste schwang jetzt das Zepter zuhause und sie ließ keine Kritik an ihrer Person zu, möglicherweise. Kratzbürste war übrigens schwanger und schon wenige Monate später brachte sie ein ziemlich hässliches Baby zur Welt, das in Mark die schwache Hoffnung weckte, die Kleine wäre vielleicht etwas weniger kratzbürstig. Die Hoffnung starb so schnell wie sie aufkeimte, Mumy Kratzbürste hat Baby Kratzbürste ganz schön verzogen, zwei Jahre später brachte Mum noch ein Brüderlein zur Welt, welches wohl in die selbe Richtung tendiert.
Kratzbürste und Mark haben eine riesige Verwandschaft, als die beiden ihren fünften Hochzeitstag feierten liess sich Mark die Personalausweise zeigen, weil sich ein paar aufmerksame Passanten kurzum für verschollene Tanten, Onkel, Enkel oder sonstwas ausgegeben hatten. Kratzbürste gibt gerne Familienfeste. Kratzbürste liebt es wenn man ihr sagt wie unglaublich fantastisch ihr diese Torte gelungen ist und wenn sie erst einmal mit der Selbstbeweihräucherung anfängt, stoppt sie nichts mehr; denn Kratzbürste hat Ahnung von allem und Kratzbürste weiss das.
Mark denkt nicht an Scheidung, wirklich nicht. Er hatte fast dreißig Jahre Zeit um mitzukriegen, wie der Hase läuft. Es ist seine Bestimmung solange mit Kratzbürste in einem Haus zu leben bis Kratzbürste ihn wegwirft. Denn Kratzbürste weiss was sie will und Mark resigniert, hat das Träumen aufgegeben; tödliche Konstellation.
Kratzbürste hat tolle Freundinnen, sie streiten sich nie. Das liegt vor allem an ihrem perfekten Freundschaftssystem, das in etwa dem von Adam Smith schriftlich fixierten System von Angebot und Nachfrage entspricht. Kratzbürstes Freundin braucht ein Kompliment also schmeichelt Kratzbürste ihr und meint sie könne dies und jenes ganz toll. Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu überprüfen wäre völlig sinnlos, es kommt auch nicht darauf an die Wahrheit zu sagen. Die Hauptsache ist, Kratzbürstes Freundin wird geschmeichelt. Denn dann wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zurückgeschmeichelt – wenn nicht sofort dann bei passender Gelegenheit – schliesslich wollen alle schuldenfrei bleiben. Sollte es jemand wagen, sich diesem Kreis zu entziehen, schlimmstenfalls ohne die Verbindlichkeiten vorher auszugleichen, hat die Gruppe ein neues Gesprächsthema, nämlich über die betreffende Person zu lästern. Das geschieht in einem Ton, der Mark – sollte er mal anwesend sein – manchmal glauben lässt, Kratzbürstes Freundinnen wären tatsächlich schockiert. Aber das gibt es nicht in einer professionellen Gesellschaft. Emotionen zeigen heisst Schwächen zeigen und wer Schwächen zeigt sollte dem anderen nicht mehr den Rücken kehren.
Mark bastelt gerne an seinem Motorrad. Da hat er die Kontrolle und kann sich stundenlang mit Problemen und deren Lösungen befassen. Er versteht sein Motorrad. Er weiß, welche Wirkung auf welche Art und Weise erzielt wird. Ja, sein Motorrad, das ist wirklich verlässlich. Und überschaubar.
Manchmal geht er auch gerne mit Kratzbürste auf Spießerparties. Da sind dann Kratzbürstes Freundinnen und auch deren Männer. Die verdrücken sich ganz gerne und reden über Geld und Blödsinn. Hauptsächlich versucht jeder dem anderen klar zu machen, dass sein Leben am Lebenswertesten ist. Die Gruppe wirkt nicht ganz so gekünstelt, angeblich liegt das Blendergewerbe den Männern ja im Blut.
Mark stellt seinen Wagen vor dem Schild ab, auf dem sein Autokennzeichen steht. Dann greift er nach hinten und nimmt seine Aktentasche.Schliesslich steigt er aus, schliesst die Tür ab und geht die drei Stufen hinauf zur Wohnungstür. Heute Abend will Kratzbürste mit Mark auf eine Spießerparty. Kratzbürstes Freundin wird 29. Mark freut sich schon sehr.