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Feierabend

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21.04.2002
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Feierabend

Dieser Text entstand ursprünglich als Schulaufgabe

8. Stock.

Es war schon weit nach Feierabend. Die Flure des achtgeschössigen Bürogebäudes lagen still und verlassen da, friedlich in das Licht der bereits untergehenden Sonne getaucht. Sie sah auf die Designer-Funkuhr, die auf ihrem Schreibtisch stand, ein häßliches, grünes Etwas nebenbeibemerkt, das eine Stilisierung von Michelangelo’s David darstellen sollte. Kurz nach Acht. Sie würde noch diesen Brief schreiben, noch diesen einen, dann würde sie nur noch zum Kopierer gehen müssen und morgen früh würde sie mit Jeffrey nach Toronto fliegen, ein ganzes Wochenende lang würde sie bei Jeffreys Eltern ausspannen und am Montag würde sie wieder in alter Frische anfangen zu arbeiten. Sie hätte gerne länger Urlaub machen wollen, aber der Chef hatte gesagt, das man sie nicht entbehren könne. In der Tat, der Chef wäre ohne sie aufgeschmissen gewesen. Deshalb saß sie noch hier. Die Briefe waren ihre Aufgabe. Und dieser hier war der letzte. Nur dieser eine noch. Entschlossen beugte sie sich über die Schreibmaschine. Minutenlang unterbrach das Hämmern der Tasten die Stille, dann war sie endlich fertig. Sie riß das Blatt aus der Maschine, die dabei ein laut surrendes Geräusch von sich gab. Der Kopierer, dachte sie sofort, nur noch der Kopierer. „Nur“ noch der Kopierer? Hatte sie da vorhin wirklich „nur“ gedacht? Die Sonne war inzwischen ganz hinter dem Horizont verschwunden. Sie haßte den Kopierer. Das Ding. Wie ein böses Tier lauerte es in einem der hinteren Kellerräume, immer in seiner düsteren Nische, als ob es Pläne schmiedete. Aber irgendwann würde das Ding aufhören müssen, Pläne zu schmieden und dann würde es hungrig sein. Sie schauderte. Weg mit diesen Gedanken. Jeffrey. Toronto. Mit einem Ruck stand sie auf, wobei sie fast den breiten Bürosessel umschmiß. Mit einer grotesken Verrenkung schaffte sie es gerade noch, den Stuhl bei der Lehne zu packen und aufzurichten. Mit einem durchdringenden Geräusch landete der Stuhl wieder auf seinen Rollen. Dann ordnete sie die Briefe auf dem Tisch auf einen Stapel. Jetzt wandte sie sich jedoch erst ihren Blumen zu – ihre schönen Petunien sollten ja nicht über das Wochenende verdursten – und füllte die kleine gelbe Gießkanne mit Wasser aus dem Waschbecken im Büro des Chefs. Dann ging sie zurück, um die Blumen zu gießen. Mit einem schmatzenden Geräusch ergoß das Wasser sich über den von der Sonne ausgetrockneten Topfboden. Sie sah, wie der Boden aufquoll, und auch die Blumen erschienen ihr frischer und lebendiger als zuvor, sie selbst kam sich weniger frisch und lebendig vor. Ein Schauer überkam sie, für eine Sekunde glaubte sie zu sehen, wie das piepende, schmatzende Monster auf sie losschoß. Alles Unsinn. Das schmatzende Geräusch des Wassers in der Kanne hatte ihre Gedanken wieder auf den Kopierer gelenkt, und die Sonne und ihre Phantasie hatten ihr einen Streich gepielt. Keine Sonne. Es ist aber keine Sonne mehr da. Sie würde sich beeilen. Hastig warf sie die Kanne in die Ecke, mit einer fahrigen Bewegung griff sie den Stapel Zettel, der kopiert werden sollte; dabei fielen ihr mehrere Zettel aus der Hand. Sie raffte sie zusammen, nahm sie auf, hielt inne und legte die Zettel wieder beiseite, auf ein Bord neben der Tür. Dann griff sie nach Jacke und Tasche. Sie hatte das Gefühl, das sie nicht wieder hinaufkommen würde. Sie wollte nicht länger mit dem Ding in einem Gebäude sein als nötig. Sie zog die Jacke über, nahm die Tasche und klemmte sich die Zettel unter ihren Arm, öffnete die Tür und betrat den Flur. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloß. Dann ein Klirren. Das Messingschild mit dem Schriftzug „Armanda Davidson“ lag auf dem Flurboden. Sie verdrehte die Augen. Wie oft hatte sie zu Rivera, dem Hausmeister – ein Hausmeister der sechzig Kilometer von seinem Arbeitsplatz entfernt wohnt, etwas unsinnigeres gab es in ihren Augen nicht – zumindest hatte sie dem Hausmeister gesagt, das er die Schrauben an dem Schild einmal nachziehen müsse. Tausendmal hatte sie ihm das gesagt. Sie rollte den Papierstapel sorgfältig zusammen, drückte ihn dann aber irgendwie in die Jackentasche. Obwohl nicht mehr von der Sonne beschienen war es im Gang stickig heiß, die Hitze hatte sich den ganzen Tag über gestaut. Der Luftstoß ließ sie fröstelten. Das Klacken ihrer Absätze durchschnitt abermals die Stille. Sie fing an immer schneller zu gehen, dann fing sie an zu rennen und sie rannte bis zum Fahrstuhl und drückte panisch auf den Knöpfen herum. „Jeffrey. Toronto.“, sagte eine beruhigend rationale Stimme in ihrem Kopf. „Der Kopierer! Das Ding! Das Tier!“ kreischte eine andere, panische Stimme in ihrem Kopf. Endlich war der Fahrstuhl auf ihrer Etage angekommen. Sie drückte Erdgeschoß. Jeffrey. Toronto. Sie schloß die Augen und versuchte, diesen Gedanken festzuhalten. Mit einem Ruck hielt der Fahrstuhl.

Erdgeschoß.

Das Foyer im Erdgeschoß war gänzlich verspiegelt. Als sie aus dem Fahrstuhl trat, sah sie sich selbst aus allen Ecken hervorkommen, teilweise bizarr verzerrt oder gnomenhaft, und wiederum glaubte sie für einen Moment, sich selbst im eigenen Blut liegen zu sehen. Sofort fingen die Stimmen in ihrem Kopf an zu hämmern wie der Bass in einer dieser Technodiscos, die sie und Jeffrey so gerne besuchten. Sie mußte irgendwas falsches zum Mittag gehabt haben, der Salat war bestimmt mit illegalen Pflanzengiften besprüht gewesen oder jemand hatte die Cola vergiftet. Du bist schon im Erdgeschoß – lauf weg, lauf weg, solange du noch kannst. Das Ding ist im Keller. Diesmal kommst du nicht mehr weg. Der Drang wegzulaufen überkam sie mit geradezu brachialer Gewalt. Die Tür ist nur fünf Meter entfernt. Geh! Nein, sie konnte nicht gehen. Sie hatte ihre Pflicht zu tun. Ein paar halbgare Halluzinationen würden sie nicht davon abhalten, schon gar nicht, wenn sie aus einer Salatschüssel oder einer Cola-Dose stammten. Sie versuchte, ihren Schritt zu festigen, und schritt, nein, schlich, auf die große Stahltür zu, die in einer dunklen Nische lag. Sie ließ die Tasche in der Mitte des Raumes stehen. Sie würde das Papier nur noch kopieren und den Stapel dann am Montag mit sich nehmen. „Nur“ noch kopieren. Die schwere Stahltür war dick genug, um das Feuer der Hölle hinter sich parat zu halten. Sie schob den Gedanken beiseite und drückte die klebrige Klinke herunter. Die Tür kam ihr heute schwerer vor als sonst, als sie sie unter einem kreischenden Quietschton aufzog. Sie atmete ein wenig auf, als auf ihr Tasten hin die Neonröhren im Kellergang ansprangen. Langsam tastete sie sich die feuchte Treppe hinunter.

Keller.

Hier war sie nun. Dort hinten lauerte das Ding in seinem Versteck. Das Neonlicht leuchtete kaum die Gänge aus, Nischen und Kellerräume blickten ihr trotzig und dunkel entgegen. Sie spürte, das etwas da war. Jemand. Etwas.
Plötzlich legte sich eine kalte Ruhe über ihre aufgewühlten Gefühle. Wenn da etwas war, war es jetzt sowieso zu spät. Sie zog das Papier aus der Tasche. Ihre Hand krampfte sich daran fest. Mit ruhigem, festem Tritt schritt sie den Gang hinunter. Mit jedem Schritt wurde ihr gewisser, das sie nicht alleine war. Sie spürt Augen, die sich an ihren Rücken heften. Rasch blickte sie sich um und versuchte, jemanden im Schatten der Kellertreppe ausfindig zu machen. Nichts zu entdecken. Sie ging weiter, Schritt um Schritt, es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie endlich am anderen Ende des Kellerganges angelangt war.
Vor der hintersten Tür blieb sie stehen. Sie sog tief Luft ein und drückte die Klinke herunter. Gleich würde sie dem Kopierer gegenüberstehen. Seine Lichter würden aufblinken und er würde schmatzend und surrend auf sie losschießen. Die Tür war nur angelehnt, sie konnte sie leicht nach innen drücken. Mit einem blinden Schlag traf sie den Lichtschalter. Der Raum füllte sich mit gleißendem Halogenlicht, und sie stand wenige Sekunden geblendet im Raum. Panisch kauerte sie sich zusammen. Warum mußte der blöde Hausmeister ausgerechnet heute die Birne im Kopierraum austauschen und sie in dieser Situation auch noch mit einem weiteren Hindernis zu konfrontieren? Sie beschloß, diesen Mr. Rivera gleich am Montag loszuwerden. Der Chef würde das schon für sie regeln. Endlich konnte sie wieder sehen. Das Biest hatte sie nicht angegriffen. Es konnte nicht angreifen. Es stand nicht in seiner Ecke. Es war weg. Ein zufriedenes Lächeln verbreitete sich über ihr Gesicht, von den Augen über die Wangenknochen zum Mund, wo es sich in einen wilden Triumphschrei verwandelte. „Jaaaaa!“ Das Ding war weg. Es mußte kaputt gewesen sein oder sonst etwas. Unwichtig, solange das Ding weg war. Völlig unnötige Panik, die sie sich da gemacht hatte. Jeffrey. Toronto. Ausspannen und das blöde Ding vergessen. Am Montag würde sie dem Chef sagen, daß das Kopiergerät an einen anderen Platz gestellt werden müsse, wenn dieses von der Reparatur komme. Oder ein neues, leiseres Gerät. Ja, das wäre viel besser. Plötzlich durchschnitt ein Piepsen die Luft. Ihr Lächeln erstarb. Sie sah ins Dunkel, und die Lichter leuchteten ihr vom anderen Ende des Ganges entgegen.

[ 01.05.2002, 10:21: Beitrag editiert von: Mad Scientist ]

 

Diesmal 'ne richtige Horrorgeschichte, krankt aber an derselben Krankheit wie "Das erste und das letzte Mal". Leider konnte mein gesamter Deutsch-Leistungskurs keine Verbesserungsvorschläge machen, ich würde den Text aber gerne optimieren!

 

Hi Mad Scientist!
Diese Geschichte hat mir nicht so gut gefallen. Die eigentliche Grundidee mit dem "Ding im Keller", die ja alles andere als neu ist, verpackst Du ja noch in einer atmosphärischen Handlung - aber der Schluß ist einfach scheiße. Banaler ging´s nicht mehr, oder?

Außerdem sind mir in dieser Geschichte die massenhaften Wortwiederholungen aufgefallen. Einige nutzt Du als Stilmittel, wie zum Beispiel am Anfang der Geschichte:

Der Kopierer, dachte sie sofort, nur noch der Kopierer. „Nur“ noch der Kopierer? Hatte sie da vorhin wirklich „nur“ gedacht?
Ist mir trotzdem ein bißchen zuviel.

Andere Wiederholungen hast Du - denke ich - unbewusst eingebaut:

Sie raffte sie zusammen, nahm sie auf, hielt inne und legte die Zettel wieder beiseite, auf ein Bord neben der Tür. Dann griff sie nach Jacke und Tasche. Sie hatte das Gefühl, das sie nicht wieder hinaufkommen würde. Sie wollte nicht länger mit dem Ding in einem Gebäude sein als nötig. Sie zog die Jacke über, nahm die Tasche und klemmte sich die Zettel unter ihren Arm, öffnete die Tür und betrat den Flur. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.
Also Junge, noch mal hinter den PC klemmen, Wortwiederholungen rauswerfen, dafür ein paar Absätze mehr einfügen und vor allem einen gescheiten Schluss überlegen, ja?
Dann bekommst Du von mir auch ein BonBon.. :D

Ugh

 

Das mit den Wiederholungen ist eigentlich durchgehend Absicht. Jacke, Tasche und Tür sind in meinen Augen in dem genannten Abschnitt unverzichtbar. Das hin und her mit diesen beiden Gegenständen gehört zur unterschwelligen Nervosität der Person.
Das mit dem ausgelutschten Ende geb' ich zu, ich finde aber, es würde schon gewaltig gewinnen, wenn man simplerweise nur den letzten Satz streicht, weil der nun absolut überflüssig ist. :D :confused:

Ich probier's mal! :teach:

Die Geschichte ist, wie gesagt, eine Schulaufgabe.
Der Kopierer steht deshalb im Keller, weil mir die Idee in der Schule kam, wo er ebenfalls im Keller steht. Außerdem stand der Kopierer bei der Firma, bei der ich Praktikum gemacht hab', auch im Keller. Das Ding könnte genauso gut im zweiten Stock stehen. :p Ist also nicht als typische "Kellerangst-Geschichte" gedacht gewesen.

[ 01.05.2002, 10:18: Beitrag editiert von: Mad Scientist ]

 

Hallo Mad Scientist,

was ich nicht ganz verstehe: Warum sollte die Sekretärin ausgerechnet vor einem Kopierer, einem ganz normalen Alltagsgegenstand, der nun wirklich nichts Unheimliches an sich hat, Angst haben? Gegruselt habe ich mich deshalb beim Lesen nicht so wirklich, ich musste eher schmunzeln. Was hat es mit diesem Kopierer auf sich? Diese Frage wird leider auch zum Schluss nicht beantwortet, dabei hätte ich mir gewünscht, dass das Gerät noch irgendwie in Aktion tritt, z.B. die Frau anfällt oder explodiert oder dass es skurillerweise mit ihr zu sprechen beginnt - irgendwas Verrücktes ...

Viele Grüße
Cat

 

;) Pssst! Nicht so laut!
Aber du hast Recht, im Grunde weist nichts darauf hin, woher die Angst der Frau stammt. Da müßte ich vielleicht noch ein Schlüsselerlebnis einbauen :read:

Naja, der Kopierer steht in der Ecke und will sie an der Wand zerquetschen - oder sie zumindest zu Tode erschrecken. Wat anneres fällt mir nicht ein - eine Explosion wäre so selbstmörderisch, und das Böse wäre gleichzeitig mit der Hauptperson ausgelöscht - das soll aber nicht so sein :)

Den Schlußsatz "Niemand hörte ihre Schreie" habe ich nach berechtigter Kritik beseitigt.

:teach:

[ 01.05.2002, 14:08: Beitrag editiert von: Mad Scientist ]

 

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