- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Fees Reise
Fees Reise
Langsam kroch sie aus dem Gehölz, in dem sie die Nacht verbracht hatte, hinaus in eine blasse Morgensonne, die jedoch schon die Androhung der Hitze enthielt, die bald schon wieder gnadenlos das Land überziehen würde. Ihre Zunge hing trocken, nach Feuchtigkeit lechzend, aus ihrem Maul, das einstmals glänzende, rotbraune Fell der kleinen zierlichen Mischlingshündin war nun stumpf, voller Kletten und Ungeziefer und spannte über den abgemagerten Rippen. Um ihren Hals lag noch das Halsband, das sie nun schon seit zwei Jahren trug, und daran hing noch der Rest der Leine, mit der der große Zweibeiner, der ihr immer zu essen gegeben hatte, sie an einem Baum festgebunden hatte.
Sie erinnerte sich.
Freudig sprang sie aus dem heißen Inneren der rollenden Kiste, denn sie musste sich dringend erleichtern. Außerdem war die Stimmung der drei Zweibeiner, zu denen sie gehörte, seit ihrem Aufbruch am Morgen immer bedrückter geworden, und besonders das Junge mit dem langen blonden Fell hatte immer wieder geweint, weshalb die Hündin ihr tröstend das Gesicht und die Pfoten leckte, doch das Junge weinte daraufhin nur noch mehr. Die Hündin - Fee wurde sie genannt, weil sie so klein und zierlich war- verstand die Traurigkeit des Menschenkindes zwar nicht, spürte jedoch, dass es irgendwie mit ihr zusammenhing.
Jetzt war sie froh, sich ein wenig bewegen zu können, und sie sprang und rannte um den einzelnen Baum und durch das hohe trockene Gras, bis sie hörte, wie der große Zweibeiner nach ihr rief. Sie setzte sich erwartungsvoll und schwanzwedelnd vor ihn hin und war erstaunt, als er die Leine hinter seinem Rücken hervorholte und an ihrem Halsband festmachte, wobei er ständig beruhigend auf sie einredete. Das musste ein neues Spiel sein. Aber wieso weinte das Junge dann noch einmal umso heftiger los und warf sich dem großen Zweibeiner flehend um die Beine, als dieser Fee an dem Baum festband?
Ein ungutes Gefühl überkam Fee, und sie sprang auf, bellte empört und stemmte sich gegen die Leine, während der Große sein sich wehrendes, jammerndes Junges zum Wagen trug. Das große Weibchen, das sonst immer so gut zu Fee gewesen war, hatte den ganzen Morgen schon nichts gesagt und auch keinen Blick auf Fee geworfen, seit diese aus dem Wagen gesprungen war. Jetzt saßen sie alle wieder darin und fuhren fort, nur Fee nicht, die noch lange dem Wagen hinterher bellte, in der Hoffnung, er möge zurückkommen.
Schließlich hatte sie es aufgegeben. Die Zweibeiner würden nicht zurückkommen. Die Sonne brannte heiß und unerbittlich vom Himmel, und obwohl sie ja im Schatten des Baumes saß, wurde ihr Durst mit der Zeit immer quälender. So machte sie sich daran, ihre Fessel durchzubeißen, um zu überleben, um vielleicht ihre Zweibeiner wiederzufinden. Es war eine feste Lederleine, und sie ging ihre Befreiung nur zögernd an, denn auf der Leine kauen war ja verboten. Doch mit wachsender Verzweiflung vergaß sie die alten Verbote, und sie biss, zog und zerrte, doch erst als der Mond schon lange wieder am nachtdunklen Himmel stand, riss auch die letzte Faser, und sie war frei.
Das war nun schon mehr als einen Mond her, und Fee hatte, alleine in einem fremden Land, ihre ehemalige Schönheit und Wohlgenährtheit verloren. Auf der Suche nach ihren Zweibeinern war sie zuerst dem dunklen, harten Streifen gefolgt, auf dem die rollenden Kisten hin- und herrasten, doch nachdem sie zwei- oder dreimal um ein Haar überfahren worden war, war sie dazu übergegangen, auf dem staubigen Streifen Erde daneben herzutraben. Ihr Hunger wuchs mit jeder Meile, die sie zurücklegte, aber als sie endlich einen Ort mit Zweibeinern erreichte, wurde sie überall, wo sie sich von den Zweibeinern Nahrung erhoffte, fortgejagt, sei es nur mit lauten, bösen Worten oder geworfenen Steinen. Sogar von einem Brunnen hatte man sie verjagt, als sie dort ihren Durst löschen wollte, und so wurden die Zweibeiner in ihren Augen mehr und mehr von Beschützern und Freunden zu Feinden, mit denen es um Nahrung zu kämpfen galt. Sie fühlte sich schrecklich allein und verlassen. Ihr Rudel, die Zweibeiner, die immer für sie gesorgt hatten, waren fort, hatten sie einfach allein gelassen.
Sie begann, in Mülltonnen nach Essbarem zu suchen, wie sie es bei anderen abgemagerten Hunden gesehen hatte, von denen jedoch keiner wie sie ein Halsband trug. Manchmal musste sie mit diesen anderen Hunden um die Rechte an den Abfällen kämpfen, manchmal verjagten auch die Menschen sie sogar dort, an ihren Mülltonnen, und so wurde der Hunger zu ihrem ständigen Begleiter. Sich kleine Tiere zu jagen und diese dann zu fressen kam ihr gar nicht in den Sinn, denn seit sie als kleiner Welpe von ihrer Mutter getrennt worden war, hatte sie ihr Futter immer von den Zweibeinern erhalten, die sie nun verlassen hatten.
Aber als sie an diesem Morgen noch schlaftrunken aus dem Gehölz kroch, spürte sie, dass etwas Besonderes geschehen würde. Am Horizont sah sie einen grauen Steinturm, und dorthin wandte sie sich.
Die Sonne hatte gerade den Zenit überschritten, als die Hündin, die man einst Fee genannt hatte, in den kleinen Ort trabte. Es war kein Zweibeiner zu sehen, und hoffnungsvoll lief sie durch die leeren Straßen auf der Suche nach viel versprechenden Mülltonnen.
Sie kam schließlich auf einen Platz, der von hohen Bäumen und Palmen umstanden war und an dessen einem Ende sich ein hohes Gebäude mit Treppen davor erhob. Der Turm war der, den sie von Ferne schon erblickt hatte, und sie wusste, dass die Menschen diese Art von Gebäude Kirche nannten, denn dort
durften Hunde nicht hinein. Doch so leer der Rest des Ortes auch erschien, dieser Platz war nicht leer - nicht ganz. Auf den Stufen der Kirche saß ein junges Zweibeiner-Weibchen mit rötlichem Fell, das die Hündin sofort bemerkte und von seinem Buch aufblickte.
Die Hündin war auf der Stelle wachsam, und noch mehr, als das Zweibeiner-Weibchen sich erhob und unter leise gemurmelten Worten der Beruhigung auf sie zukam. Zuerst sträubte sich Fees Fell und sie wich vor der ausgestreckten, leeren Hand der Zweibeinerin zurück, doch sie spürte, dass von dieser Zweibeinerin hier, anders als von allen anderen, die sie in den letzten Tagen und Wochen gesehen hatte, keine Bedrohung ausging, dass diese hier ihr nichts zuleide tun wollte. So ließ sie es zu, dass das Zweibeiner-Weibchen sie anfasste und streichelte. Oh, und es war so schön, wieder Zuwendung zu erhalten, wo sie doch in der letzten Zeit nichts als Bosheit und Schlechtigkeit erlebt hatte!
Als die Zweibeinerin ihr Halsband und das abgekaute Ende der Leine berührte, zuckte die Hündin ob der schlechten Erinnerung zusammen, doch sie spürte auch das Erstaunen und die Besorgnis in der Zweibeinerin, und hier wusste sie, dass dieses Wesen mit so rotbraunem Fell wie dem ihren ihr Schutz und Nahrung geben konnte.
Und so erhob sich denn die Hündin, die einst Fee gerufen worden war, als die Zweibeinerin aufstand, und sie folgte ihr, ohne dass sie aufgefordert werden musste, an einen Ort, wo viele andere Hunde mit ähnlichen Schicksalen einer besseren Zukunft entgegen sahen:
Ins Tierheim von Tacoronte auf Teneriffa.