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Faust, Mephisto und der Schreiblehrling

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08.09.2010
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Faust, Mephisto und der Schreiblehrling

Faust, Mephisto und der Schreiblehrling

Sie haben mich verspottet.
Meine eigene Familie hat mich verhöhnt und der Lächerlichkeit preis gegeben.
Ich sei ein Dilettant, sagten sie, während mich ihre Blicke, in denen ich abscheulichen Sarkasmus und Niedertracht lesen konnte, durchbohrten.
Jedes ihrer vernichtenden Worte schnitt wie die Klinge eines geschärften Dolches durch meinen Leib und ließ ihn sich im Schmerz des Misserfolges winden.
Während meine kleine Welt in sich zusammen stürzte, konnte ich die Symphonie des Triumphes in ihren Augen funkeln sehen.
Ein schwarzes, vernichtendes Glitzern, das etwas in mir zerbrechen ließ.
Ich kann nicht in Worte fassen, was es genau war, das sie mir durch ihre seelische Ausweidung aus dem Leib schnitten und verzehrten.
Doch von jener Stunde - jener fürchterlichen, zersetzenden Minute an, war ich nicht mehr derselbe.
Jener Mann, der sich wie Phoenix aus den dampfenden und stinkenden Überresten der eigenen Asche erhob, war ein gänzlich anderes Wesen als das, welches meine Familie in ihrer Orgie der Erbarmungslosigkeit zu ihren Füßen zurück ließ.

Nie hätte ich auch nur mit dem letzten Winkel meines Verstandes in Erwägung gezogen, dass man in mittelalterlichen Sagen wahre Worte zu finden vermag. Trotz meiner Passion, was das Niederschreiben purer Phantasie betrifft, wähnte ich mich bisher doch als ein Mann, der an handfeste Beweise und wissenschaftliche Tatsachen glaubte. Zudem wage ich die Behauptung, dass ich sehr wohl zu unterscheiden wusste zwischen der grauen Realität unseres Lebens und den Gespinsten der Phantasie, welche ihren Weg aus meinen Gedanken auf leeres Papier fanden. Eben jene Phantasien, die nun zum Schlachtopfer der Selbstdarstellung meiner bis dato geliebten Familie geworden waren.
Und doch wurde ich in einer stürmischen Nacht des Jahres 1986 eines besseren belehrt, was meinen festen Glauben an die unumstößlichen Wissenschaften dieses Planeten betraf.
Heute, vierundzwanzig Jahre nach jener schicksalsträchtigen Nacht, vermag ich mich nicht mehr an jede einzelne Minute zu erinnern, die ich damals in meiner kleinen Dachkammer im Hause meines Vaters erlebt hatte.
Doch weiß ich sehr wohl der grauenvollen Bedeutung dieser einen Stunde nach Mitternacht.
Wie gut entsinne ich mich des Augenblickes in der Nacht nach einem weiteren schrecklichen Tag voller Spott und Hohn aus den Reihen meines eigenen Blutes.
Dieser eine Moment, als der träge Schein meiner Nachttischlampe plötzlich von einem Schemen verdunkelt wurde, der sich langsam in einer Ecke meines kleinen Zimmers erhob. Glaubte ich zunächst an eine Täuschung meiner übermüdeten und frustrierten Sinne, so wurde mir schnell bewusst, dass ich mich nicht mehr alleine in der Kammer befand.
Der Schatten in der Ecke wuchs schnell heran und wandelte sich, sehr zu meinem Entsetzen, zur Gestalt eines Mönches in grauer Kutte. Das Antlitz meines nächtlichen Besuchers lag tief in der Schwärze der Kapuze verborgen. Doch glaubte ich, als die Gestalt langsam aus der dunklen Ecke vor mein Bett trat, den süßen und schweren Duft von Rosen zu riechen, der drückend den kleinen Raum erfüllte.
Vor Erschütterung starr blickte ich dem Mönch entgegen. Nicht einmal ein Schrei drang über meine Lippen, der meine Familie herbeigerufen und mit Sicherheit mein Leben, und auch das ihre, in eine völlig andere Richtung dirigiert hätte.
Ich saß einfach nur da, mit dem Rücken gegen das harte Holz des Kopfendes meines Bettes gelehnt, meine Hände in die wärmende Zudecke verkrampft, und starrte der merkwürdigen Gestalt entgegen, die scheinbar aus unermesslicher Höhe auf mich herabblickte.
Zu damaliger Zeit, als ich mich erst seit einigen Jahren dem Schreiben zugewendet hatte, war ich ein glühender Verehrer urtümlicher Sagen gewesen. Und so war es nicht verwunderlich, dass mein erster klarer Gedanke, den ich fassen konnte, der mittelalterlichen Erzählung des Johann Faust galt, die seit jeher zu meinen Lieblingswerken zählte. Aus welchem Grund ich gerade in diesen Minuten dieser mehr als merkwürdigen Begegnung einen Gedanken an diese alte Sage, die schon Goethe aufgegriffen hatte, verschwendete, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Doch sollte ich Recht behalten mit meiner intuitiven Vermutung.
Erschien der Teufel dem einfachen Bauernsohn Johann Faust nicht ebenfalls als ein in grau gekleideter Mönch, als dieser ihn in einem Waldstück bei Wittenberg herauf beschwört?
Voller Unglauben starre ich auf die seltsame Gestalt, die still und bewegungslos vor mir steht, einem Alptraum gleich, der mich nach dem Erwachen nicht loslassen wollte.
Doch war diese Nacht weder Ausgeburt meiner Phantasie noch das verzerrte Bild eines Traumes, die mich nicht selten des Nachts in all ihren schrecklichen Gestalten heimsuchen.
Meine letzten Zweifel schwanden, als das Wesen erste Worte an mich richtete.
Seine Stimme klang tief und dumpf. Gerade so, als dringe sie aus harter, kalter Erde zu mir. Eine lauernde Ruhe lag in ihr. Nicht selten erinnerten mich die Worte an das brütende Knurren eines finsteren Ungetüms.
Die Worte waren profan. Und doch spürte ich wie mein zitternder Leib von einem kalten Schaudern ergriffen wurde.
Die Gestalt fragte nach meinen Wünschen. Nichts weitere. Und doch fühlte ich einen unheimlichen Atem, der plötzlich meine abgedunkelte Kammer erfüllte.
Ich zögerte, denn der Sinn der Worte fand nur schwerlich Zugang zu meinem rasenden Verstand. Ich blickte mich in meinem Zimmer um, suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Dann wanderte mein Blick zu der hoch aufragenden Gestalt zurück. Das Gefühl, dass sie mich mit ihren in den Schatten der Kapuze verborgenen Augen bannte, war fast übermächtig.
Mein Traum sei das Schreiben, flüsterte ich nach einer ganzen Weile mit einer Stimme, die nicht die meine sein konnte.
Ich wolle ein bedeutender Schriftsteller werden, so wie einst Hemingway oder Mann.
Doch reiche mein Talent bei Weitem nicht an meine literarischen Vorbilder heran. Ebenso stehe mir meine angeborene Ungeduld im Wege.
Die Gestalt nickte nur, ohne etwas auf meinen Wunsch zu erwidern.
Dann zog sie sich plötzlich von meinem Bett zurück und tauchte in die Schatten in den Ecken ein, aus denen sie geboren worden war.
Die Konturen des Wesens verschwammen. Es verschmolz mit der Schwärze der Nacht, bis ich nur noch etwas Dunkles und Finsteres erkennen konnte, das sich in den düsteren Schatten der Kammer niederkauerte und schließlich vollends verschwand.
Mit ihr ging auch der schwere Rosenduft dahin.
Doch konnte ich letzte Worte hören, die wie ein fernes Echo zu mir drangen und mir das Blut in den Adern gefrieren ließen.
Diesmal hatte ich das bizarre Gefühl, dass die Stimme direkt aus den Tiefen einer uralten, stillen Gruft in meine Kammer drang.
“Ich komme wieder“, lauteten diese Worte.
Und als ich ihren geisterhaften Sinn erfasste, fiel ich in eine tiefe Bewusstlosigkeit.

Als ich wieder zu mir kam, fiel Sonnenlicht in dünnen Streifen durch die Fenster der Dachkammer und zeichnete ein groteskes Muster auf den zerschlissenen Teppich.
Meine Lider fühlten sich schwer und fiebrig an, und das helle Tageslicht blendete meine Augen. Ich stöhnte, als ich mich aufsetzte und mit zu Schlitzen verengten Augen durch mein Zimmer blickte. In den ersten Momenten meines Erwachens hatte ich den schrecklichen Eindruck, dass die Gestalt erneut vor meinem Bett stand.
Doch schnell verblasste der Schemen und ich stellte erleichtert fest, dass ich mich alleine in der Kammer befand.
Ganz langsam drangen nun auch die morgendlichen Geräusche eines neuen Tages in meinen Verstand. Der Gesang der Vögel in den hohen Bäumen vor meinem Fenster und die Schritte meiner Familie im Erdgeschoss, die mich an rastlose Gespenster erinnerten, brachten mich in das triste Grau meiner Realität zurück.
Nichts zeugte mehr von dem namenlosen Schrecken, der mich in der Nacht heimgesucht und fast meines Verstandes beraubt hatte.
Staubflocken tanzten in den wärmenden Strahlen der Sonne, und wenn ich den Kopf zur Seite drehte und aus dem Fenster blickte, konnte ich winzige, weiße Wolken sehen, die behäbig über einen grellen Himmel wanderten.
Was war es gewesen, dass ich in der letzten Nacht erlebt hatte?
Ich setzte mich auf und spürte die angenehme Kühle des Holzbodens unter meinen bloßen Füßen.
Als ich mir mit den Händen über mein Gesicht rieb, war da eine tiefe Mattigkeit, die sich hinter jeder einzelnen Falte zu verbergen schien.
Vermeintlich war ich im Begriff, den Verstand zu verlieren.
Zeit meines Lebens hatte ich mich mehr für die Phantastereien moderner oder lange verstorbener Schriftsteller interessiert als für die graue Realität, in der ich heranwachsen musste.
Bezahlte ich nun den Preis für meine Begeisterung Welten und Geschehnissen gegenüber, die nie existiert haben?
Immer noch benommen von den Gedanken, die mich geißelten, zog ich mich an und warf dabei einen Blick auf ein angefangenes Manuskript, dessen wenige Blätter auf einem Stapel neben der Schreibmaschine lagen. Ein weiterer talentfreier Versuch, meine Leidenschaft auszudrücken, die mich neuerlichem Hohn aussetzen würde.
Ich wusch mich hastig in dem kleinen Badezimmer neben meiner Kammer. Dann stieg ich hinab ins Erdgeschoß zu meiner Familie.
Oder das, was ich als Familie bezeichnete, und in dessen Kreis ich leben - oder besser gesagt existieren - musste.
Meine Mutter, welche die einzige gewesen war, die meine Passion, was das Schreiben betraf, von Beginn an aufmunternd unterstützt hatte, war früh verstorben.
Und so teilte ich das Haus fortan mit meinem Bruder und meinem Vater, wobei ich nicht zu sagen vermochte, welcher von beiden das kleinere Übel darstellte.
In den Augen beider schien ich eine niedere Kreatur zu sein, da ich, was sowohl Aussehen wie auch Charakter betraf, sehr meiner Mutter ähnelte. Den egoistischen Narzissmus und die enorme Lautstärke meiner verbliebenen Familie hatte ich mir nie zu Eigen gemacht. Und selbstverständlich fand auch meine Gesinnung zur Schriftstellerei nie den erhofften Anklang oder gar erforderlichen Respekt von Seiten des Bruders oder des Vaters.
Wie oft hatte ich geduldig ihre Tiraden über mich ergehen lassen müssen, wenn sie auf Fragmente meiner Geschichten gestoßen waren und diese lautstark und unter höhnischem Gelächter zum Besten gegeben hatten. Natürlich in einer eigenen Interpretation, die meinen Geschichten jegliche Seele raubte und sie zum Gegenstand von Narrentum machte. Sie hatten mich verletzt damit. So tief und schmerzhaft, wie nie ein Mensch zuvor.
So auch am Abend zuvor, als beide, sowohl Vater als auch Bruder, einen besonders bösartig inszenierten Tanz der Demütigung vollführt hatten und sich gegenseitig in ihren Teufeleien zu übertreffen versuchten.
Doch nie hatte man mir mein Martyrium angesehen. Diesen Erfolg wollte ich meiner Familie nicht gönnen. Stattdessen war ich stets bemüht gewesen, die Blätter meiner Geschichten wiederzuerlangen und damit in meine Kammer hinaufzusteigen und mich erst dort, in der Sicherheit meiner eigenen abgeschiedenen Welt, den Tränen zu ergeben.
Es waren jene schmerzhaften Augenblicke, in denen ich meine Mutter über alle Maßen vermisste.
Wie jeden Morgen graute es mir davor, hinunter in die Küche zu gehen und mich mit Adam, meinem Bruder, und meinem Vater an einen Tisch zum Frühstück zu setzen.
Zu meiner Niedergeschlagenheit gesellte sich nun noch der namenlose Alptraum der vergangenen Nacht. Beides zusammen ließ mich zu einem Wesen mutieren, das sich selbst als fremdartig und fehl am Platze befand.
Mein Vater blickte nicht einmal von seiner Zeitung auf, als ich den Raum betrat.
Scheinbar hatten ihn die Dolchstöße des vergangenen Tages gegen sein eigen Fleisch und Blut in tiefster Seele befriedigt.
Adam hingegen starrte mich an, als habe er mein Erscheinen geradezu herbeigesehnt.
Ein verstandloses Grinsen überzog sein feistes Gesicht, während er schmatzend kaute und eine Tasse Kaffee in den Händen hielt.
“Guten Morgen, Shakespeare“, begrüßte er mich mit seinem für ihn typischen, ironischen Tonfall, der mir, wie jedes Mal, das Blut in den Adern zu Eiswasser gefrieren ließ. Ich fragte mich zum wiederholten Mal, wie lange es noch dauern würde, bis das Eiswasser mein Herz erreicht hatte.
Ich versuchte Adam, so weit es in einem derart kleinen Raum möglich erschien, zu ignorieren. Doch gerade diese jämmerlichen Versuche meinerseits spornten die Boshaftigkeit meines Bruders zusätzlich an. Und so sah ich mich den Rest des Frühstücks dem unqualifizierten Wortschwall und der niederträchtigen Energie eines Menschen ausgesetzt, dessen vorrangiges Ziel es im Leben war, die Regale einer schmutzigen, kleinen Firma aufzufüllen und zu verwalten.
Mein Vater sagte während des ganzen Morgens kein Wort. Auch nicht, um Adam in seinen Diffamierungen Einhalt zu gebieten.
Und so stieg ich, nachdem ich meine häuslichen Pflichten verrichtet hatte, wieder die knarrende Treppe hinauf in meine Kammer, setzte mich an die altertümliche Schreibmaschine, und begann frustriert und gedemütigt einige Sätze niederzuschreiben, die jedoch nicht aus meinem tiefsten Innern kamen und keinen Bezug zum Rest meiner Geschichte darstellen wollten.
Am frühen Abend verwarf ich das Geschriebene, indem ich den Papierkorb neben dem Schreibtisch damit füllte.
Während ich später auf einem kleinen Schemel am Fenster saß und mir wie jeden einsamen Abend das Sterben des Tages betrachtete, schweiften meine Gedanken zu all jenen Geschichten zurück, die ich jemals zu Papier gebracht hatte. Zu Anfangs noch mit einem simplen Stift, in späteren Jahren schließlich mit der alten Schreibmaschine, die mir meine Mutter geschenkt hatte, nachdem sie meine von Hand niedergeschrieben Erzählungen mit einem milden Lächeln und dem gütigen Mitleid einer Mutter in den Augen gelesen hatte.
Ich erinnerte mich an all meine Texte. Ebenso an den Spott, dem sie mich aussetzten, sobald einige Seiten meinem Bruder auf die eine oder andere Weise in die Hände gefallen waren. Oftmals hatte sich mein eigener Vater an dem Hohngelächter beteiligt, indem er mir mit hochrotem Kopf meine Geschichten vor Augen hielt und mich wiederholt fragte, ob das denn alles darstellte, zu was mein heranwachsender Verstand fähig sei.
So genau ich mich an die Texte meiner Erzählungen erinnern konnte und die damit einhergehenden Demütigungen, so gut konnte ich mich auch an jene schrecklichen Momente erinnern, in denen ich der Schreiberei den Rücken kehren wollte.
Ich dachte mir in jenen Augenblicken, dass ich nur auf diese brachiale Weise der Schmähung durch meine Familie entgehen und endlich einen gewissen Seelenfrieden finden konnte. Doch diesen finalen Schritt hatte ich nie geschafft. Dazu zerrte und zupfte das Verlangen nach dem Schreiben zu sehr an meiner inneren Unruhe. Und meine Phantasie schien ein immerwährender Wasserfall zu sein, den ich auf keinen Fall zu stoppen vermochte.
An diesem Abend stand ich erneut an der Schwelle zur Selbstaufgabe. Die stechenden Worte meines Bruders brannten mir noch in der Seele und fraßen sich beständig tiefer in mein Innerstes. Und meine Schreibblockade des Tages tat sein übriges dazu, an meiner Begierde zu zweifeln und den unwirschen Worten des Bruders Glauben zu schenken. Dieser letzte Aspekt erschreckte mich bei meinen finsteren Überlegungen am meisten.
Angefüllt mit dieser Schwindel erregenden Düsternis begab ich mich schließlich zu Bett. Die Nacht hatte das Regiment übernommen und einen schrecklichen Tag zu Grabe getragen.
Und so schlief ich schließlich unruhig ein.

Ein Geräusch ließ mich in der Nacht aus einem meiner zahlreichen Alpträume aufschrecken. Erst dachte ich an die üblichen Folgen meiner Träume. Doch dann wiederholte sich das Geräusch, leise und raschelnd, als bewegte sich etwas vorsichtig im Dunkeln. Schlagartig war ich wach und saß aufrecht im Bett.
Ich dachte daran, Licht einzuschalten. Doch fiel genügend Mondschein durch das Fenster, dass ich mich schnell in meiner Kammer zurecht fand. Alles wirkte grau, düster und still.
Ein neuerliches Geräusch lenkte meine Aufmerksamkeit in die Ecke hinter der Tür.
Deutlich konnte ich sehen, wie sich etwas in den Schatten bewegte. Eine gedrungene Gestalt schien in der Ecke zu kauern. Doch wuchs dieses Geschöpf schnell zu immenser Größe heran, als es sich aufrichtete und behäbigen Schrittes aus der Schwärze der Zimmerecke hervortrat.
Mit Schrecken erkannte ich die graue Robe des Mönches, der mich in der Nacht zuvor heimgesucht hatte und scheinbar doch kein Trugbild meiner Phantasie sein konnte. Wieder war das Antlitz in den Schatten der Kapuze verborgen. Auch konnte ich die Hände des Wesens nicht sehen, da sie in den weiten Ärmeln des jeweils anderen Armes steckten.
Die Gestalt trat an das Fußende meines Bettes, wobei der Saum der Robe leise raschelnd über den Boden schleifte. Mit vor Schrecken geweiteten Augen starrte ich dem Mönch entgegen, wobei ich deutlich den unerkennbaren Blick des Wesens auf mich gerichtet fühlen konnte.
Dann blieb die Gestalt stehen, und eine unheimliche Stille breitete sich in der Kammer aus. Das ganze Haus schien sich plötzlich unter der Last des Schweigens zu ducken. Kein Gebälk knarrte, keine Bodendiele ächzte.
Für Sekunden schien die Welt stillzustehen.
Selbst mein hektischer Atem und das brandende Hämmern meines Herzens hatten sich in Lautlosigkeit gehüllt.
Im nächsten Moment wurde meine Kammer, wie schon in der Nacht zuvor, von der dumpfen Stimme des Mönches erfüllt. Und wieder überkam mich die schreckliche Gewissheit, dass die Worte von tief unter der Erde herstammten.
“Hohn und Gespött“, drangen die Worte des unheimlichen Wesens in meinen Verstand. Nichts schien in diesem Moment mehr zu existieren, nur noch dieses unheilige Geschöpf und die kalte Grabesstimme der Kreatur.
“Hohn und Gespött. Sind sie der Lohn für deine Taten?”
Der Sinn der Worte fand seinen Weg kaum in mein Denken. Alles, an das ich denken konnte, waren verfallene Grüfte und von Nebelbänken umschmiegte Gräber mit verwitterten, im harten Erdreich versunkenen Kreuzen und Steintafeln.
“Deine Wünsche. Sind sie die Saat für die abscheuliche Ernte, die du Tag für Tag einfährst?”
Die Gestalt stand still. Und doch hatte ich plötzlich das Gefühl, als lösten sich die grauen Konturen des Schemens auf. Der Umriss des Mönchs schien zu zerfließen. Gerade so, als würde man mit einem Tuch über ein frisch gemaltes Bild wischen.
Erschüttert betrachtete ich mir die grauenvolle Szene, unfähig meinen Blick von dem Schauspiel zu lösen. Immer noch hatten die Worte der Kreatur meinen Verstand nicht erreicht.
Mit den Augen eines Fremden betrachtete ich die schreckliche Verwandlung des Dings, das plötzlich nicht mehr die Gestalt eines hageren Mönchs aufwies.
Vielmehr stand, hoch aufgerichtet und fürchterlich anzusehen, die zottige Gestalt eines riesigen Bären vor meinem Bett. Doch anstatt dem Kopf eines Tieres prangte der Schädel eines Menschen auf dem von schwarzem Fell verhüllten Nacken des Ungetüms.
Ich versuchte zu schreien und mich auf diese sinnlose Weise aus den Klauen dieses Alptraumes zu befreien, denn um einen solchen musste es sich zweifelsohne handeln.
Doch kein Laut drang über meine Lippen.
Trotz der abstrakten Situation, die mir wie der schwärzeste See eines grässlichen Traumes erschien, begann mein rasender Verstand einige Fetzen klarer Gedanken zu formen. Ich dachte, wie schon in der Nacht zuvor, an die Geschichte des jungen Bauernsohnes Johann Faust, dem der Teufel in erster Gestalt als ein in eine graue Kutte gekleideter Mönch erschienen war. Ich versuchte mich der Erzählung zu erinnern, die ich in frühen Jahren mit Begeisterung gelesen hatte. Doch vermochte ich kaum die Fetzen meiner Gedanken festzuhalten, geschweige denn zu begreifen.
Hatte sich der Mönch des Faust nicht ebenfalls in eine riesige Bärengestalt mit menschlichem Schädel gewandelt?
Ich erkannte schemenhafte Bilder aus meiner Jugend. Doch alles, was ich greifen konnte, waren Gespinste und aus purer Furcht geborene Phantasie.
Das Ungetüm stand unbeweglich vor mir. Die Augen des Wesens betrachteten mich mit einer tiefen Ruhe. Dennoch bildete ich mir ein, darin ein hungriges Lauern zu erkennen.
Und sie waren so menschlich, diese Augen. So entsetzlich menschlich.
Dann erfüllte wieder die dumpfe Stimme der Gestalt mein Bewusstsein und jeglicher Gedanke an Faust verflog.
Ich konnte sehen, wie die Kreatur die Lippen bewegte. Die Augen, deren Farbe mich an das finstere Schwarz der Nacht erinnerte, bannten mich, als versuchten sie den bebenden Grund meiner Seele zu erforschen.
Die Worte schienen aus weiter Ferne zu kommen. Als spräche das Wesen aus einer anderen Welt zu mir. Einem Ort, tief unter der Erde, wo die Toten still in ihren Gräbern harren.
Die Kreatur sprach vom Spott meiner Familie und meiner Schwäche, mich ihrem Hohn zu stellen. Es sprach von meinem Eifer, was das Schreiben betraf und dem Unvermögen, mich dieser Passion voll und ganz hinzugeben und mich von ihren Liebkosungen verführen zu lassen.
Langsam - ganz langsam - sickerten die Worte wie eiskalte Wassertropfen in meinen Verstand.
Die brütende Stimme erzählte mir von einem unbändigen Hass, der in meiner Seele gärte und meinen Leib zu vergiften drohte.
Sie sprach von der sengenden Hitze dieser Verbitterung, die eines Tages meinen schwachen Verstand erreichen würde.
Und davon, in wessen Worten dieser Groll geboren worden war und an wessen Hohngelächter sich dieser Hass nährte.
Das Bild meines Bruders Adam entstand in den rasenden Wirbeln meines Denkens.
Die hässliche, vor Sarkasmus triefende Fratze meines eigenen Blutes.
Und dies war der Augenblick, in dem die tiefe Stimme meinen Kopf in all ihrer abscheulichen Vollkommenheit ausfüllte und sich mein Verstand in ein finsteres Meer verwandelte.
Ich wehrte mich nicht mehr gegen die Abscheulichkeiten, die mein Bewusstsein zu sprengen drohten.
Eine tiefe, angenehme Finsternis erfüllte mein Leben, wie ich es bis zu diesem Zeitpunkt gekannt und gefühlt hatte. Etwas in mir veränderte sich, stieg auf aus der Konfusion aus Schmerz und Niedergang, welche die Spottreden meiner Familie in mir angerichtet hatten. Einem dunklen Phoenix gleich kam ein neues, stärkeres Bewusstsein an die Oberfläche meiner Gedanken.
Etwas Mächtiges … Böses …
Begleitet von der tiefen Melodie der Stimme aus einer anderen Welt, die an den verführerischen Gesang der Sirenen erinnerte.
Die Gestalt unterbreitete mir einen Handel. Die Worte tasteten sich durch meinen Geist wie warmes Wasser. Sie erfassten mein innerstes Bewusstsein, berührten es und liebkosten meine tiefsten Wünsche.
Etwas wuchs in mir heran. Etwas Verborgenes, das ich selbst nicht zu erfassen vermochte.
Ich ließ mich mit der dumpfen Symphonie der Worte treiben, labte mich an den Bildern, die in meinem Verstand entstanden und schmeckte zum ersten Mal in meinem Leben eine schier unendliche Ekstase finsterster Stärke.
Das Wesen erklärte mir das Abkommen, das ich in diesem Moment durch meine Begierde mit ihm unterzeichnet hatte. Die Stimme streichelte mein Empfinden und ließ mich das Innerste meiner Gelüste spüren.
Benommen schloss ich die Augen und gab mich den Verlockungen der tiefen, grabesähnlichen Worte hin.
Und als ich am frühen Morgen erwachte, war ich ein gänzlich anderer …

Die Gestalt erschien nicht wieder. Doch die Veränderungen in mir blieben.
Fortan wusste ich mit meinem schlafenden Talent umzugehen. So, wie ich es mir zeit meines Lebens erhofft hatte.
Tage und Nächte verbrachte ich in meiner Kammer und saß an meiner Schreibmaschine. Der Stapel der Blätter auf dem Schreibtisch wuchs schnell und beständig. In meinen Gedanken entstanden Bilder, die klar und scharf wie die Realität anmuteten. Alles, was ich noch zu tun hatte, war niederzuschreiben, was ich sah.
Ich hörte auf die Geschichten, welche mir die Protagonisten meiner Erzählungen zuflüsterten, und ließ meine Finger in einem ekstatischen Tanz über die Tasten der Schreibmaschine fliegen. Keine Phantasie, die sich mir nicht offenbarte. Meine Geschichten gebaren eigene, schauerliche Welten, und ich tauchte immer tiefer hinab in mondbeschienene Täler, auf deren Grund das Böse der menschlichen Psyche lauerte und darauf harrte, entdeckt zu werden.
Zum ersten Mal in meinem Leben wagte ich es, meine Texte an angesehene, seriöse Verlage zu schicken. Nicht immer waren meine Bemühungen von Erfolg gekrönt.
Doch es dauerte nicht lange, bis ich den ersten Vertrag unterzeichnen konnte und mein erstes Buch in den Regalen der Geschäfte und Buchhandlungen zu finden war.
Die Literaturwelt wurde plötzlich auf mich aufmerksam. Ich durchbrach die engen Schranken meiner eigenen, kleinen Welt und erkundete neue Gebiete, lernte neue Menschen kennen und erhielt im Gegenzug eine Anerkennung, wie sie mir zuvor von jeder Seite her verweigert worden war.
Ich wuchs mit meinen Erzählungen. Meine Phantasien wurden schwärzer und lauernder. Und schon bald galt ich in der Szene der schreibenden Zunft als waghalsiger Revoluzzer, der die Leute das Fürchten lehrt und in Gebiete des menschlichen Horrors eindringt, die bisher als Tabuthemen gehandhabt wurden.
Viele der Menschen, die ich auf Reisen und Messen kennenlernte, fürchteten mich ebenso sehr wie meine Geschichten. Und diejenigen, die nicht den Verstand dazu besaßen, verehrten mich in einer fast schon absurden Weise, die der Zuneigung eines kranken Geliebten gleichkam.
Diesen Wandel meiner selbst verdankte ich nur jenem unheimlichen Wesen, das mich in den Nächten heimgesucht hatte. Längst schon hatte ich die wahre Natur jener Gestalt erkannt. Und auch die meine. Denn ich war niemand anderes als der Bauernjunge Johann Faust. Und das Wesen, das meine Verzweiflung heraufbeschworen hatte, war Mephisto, der mir in der Gestalt eines Mönchs und eines Bären erschienen war.
Doch beinhaltete unser Abkommen nicht das bloße Erblühen meines brach liegenden Talentes zum Schreiben. Vielmehr entdeckte ich schon bald und voller kindlicher Freude, dass ich dazu in der Lage war, ganz besondere Geschichten zu schreiben.
Erzählungen, die jegliche Grenze der Phantasie sprengen konnten und die Linien zwischen Fiktion und Realität verwischten.
Erzählungen, ersinnt von der Phantasie des Mephisto.
Eine solche Geschichte schrieb ich eigens für meinen Bruder Adam, dessen Spötteleien längst schon ob meines Erfolges verstummt waren. Und doch trug ich immer noch seine tiefen Wunden in mir.
An einem Abend in meiner Kammer, als ich eigentlich eine neue Geschichte für einen Kurzgeschichtenband beginnen wollte, sah ich plötzlich diese ganz besondere Erzählung in meinem Bewusstsein.
Und ich schrieb sie eigens für meinen Bruder …
Sie handelte von einem Mann, der es nicht schaffte, sich in der Welt zurechtzufinden und jeden, der es gut mit ihm meinte, von sich stieß. Er verspottete seine Mitmenschen und fügte ihnen tiefe, seelische Schmerzen zu, wobei er dadurch lediglich von seinen eigenen geistigen Defiziten abzulenken versuchte. Der Mann machte sich über alles und jeden lustig. Er verlor seine Frau und seine Freunde. Und selbst seine Familie wandte sich zu guter Letzt von ihm ab und ließ den Mann in seinem Haus alleine zurück. Fortan gab es niemanden mehr, der sich den Beleidigungen und Spottgesängen des Mannes aussetzte. Und so wurde der Mann, seiner einzigen Leidenschaft im Leben beraubt, unheilbar krank. In seiner misslichen Lage begann er, Gott anzugreifen und sich über dessen Art, mit Menschen wie ihm umzugehen, zu echauffieren. Die Reden des Mannes, die kein Mensch je gehört hatte, wurden von Tag zu Tag blasphemischer und zeugten davon, dass er dabei war, in seiner Einsamkeit den Verstand zu verlieren. Es gab nur noch ein Ziel seines Spottes in seinem Leben. Und da der Mann demzufolge dem letzten Glauben an Gott abschwor und er sich dadurch in absolute Vereinsamung zurückzog, wurde er kränker und kränker.
Bis er eines Tages an einem Herzinfarkt verstarb und man ihn erst viele Wochen später, als sein Körper längst grau und zerfallen war, auffand.
Ich schrieb über diese Geschichte `Für meinen lieben Bruder Adam´, und schenkte ihm das Buch in einer eigens für ihn gebundenen Ausgabe.
Ob Adam das Buch gefallen hat, habe ich nie erfahren. Denn eines Morgens fand mein Vater ihn tot in seinem Bett. Das Buch aufgeschlagen auf der Brust liegend, die Hände krampfhaft um den Einband gelegt.
Der herbeigerufene Arzt stellte einen Tod durch Herzinfarkt fest, was auf Grund der ungesunden Lebensweise meines Bruders niemandem verwunderlich erschien.
Ich aber wusste es besser. Ich bat meinen Vater, Adams Buch wieder an mich nehmen zu dürfen, und verwahrte es fortan in einer kleinen Schublade meines Schreibtisches.
Im Laufe der Jahre schrieb ich noch weitere dieser besonderen Geschichten, denn als mittlerweile einer der erfolgreichsten und am meisten diskutierten Schriftsteller in Europa nahm ich mir die Freiheit heraus mir keine weiteren Narben auf der Seele zufügen zu lassen. Dies war eine der Annehmlichkeiten meines Kontraktes mit Mephistopheles.
Eines dieser Bücher schenkte ich meinem Vater, keine zwei Monate nach dem Tod seines ältesten Sohnes.
Als ich den Mann am darauffolgenden Morgen mit hervorquellenden Augen und schwarzer Zunge fand, wusste ich, dass mein Vater in dem Buch bis zu jener Stelle gelesen hatte, an der der despotische Vater durch die Hand seines gepeinigten Sohnes zu Tode kam, indem dieser ihn mit bloßen Händen erwürgt hatte.
Das Haus fiel natürlich an mich, dem einzigen Erben meines Vaters. Und so herrschte fortan eine erlösende Ruhe, in der ich mich voll und ganz auf die Erzählungen meiner Phantasiegestalten konzentrieren und deren Geschichten niederschreiben konnte.
Ich genoss dieses seltene Gefühl von Freiheit und Ruhe und erschuf in dieser Zeit einen Bestseller nach dem anderen.
Ein weiteres dieser besonderen Bücher schenkte ich Jahre später meiner Frau, die ich mir nahm, als ich mit der Last der Einsamkeit nicht mehr zurechtzukommen glaubte. Doch schnell entpuppte sich meine Verzweiflungstat als großer Fehler, denn sowohl die Qualität meiner Bücher als auch das Einhalten meiner Agenturverträge litten unter ihrer Anwesenheit.
So schrieb ich die tragische Geschichte einer jungen Frau, welche die große Liebe in ihrem Leben gefunden hatte, jedoch zur selben Zeit die niederschmetternde Diagnose gestellt bekam, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Meine Protagonistin starb auf der letzten Seite des Buches. Und eben diese letzte Seite lag aufgeschlagen auf dem Nachttisch, als ich Eleonora an einem Sonntagmorgen tot in ihrem Bett auffand, von ihrer fürchterlichen Krankheit sichtlich gezeichnet.
Die folgenden Jahre vergingen im Rausch stetigen Ruhmes. Ich galt mittlerweile als der Begründer einer neuartigen, schockierenden Bewegung, deren Anhänger schweigsam und in Schwarz gekleidet ihren Lebensweg gingen.
Ich war der gefeierte Star auf Messen und bei Lesungen und erschuf eine eigene, radikale Literaturbewegung.
Zweimal schrieb ich noch besondere Bücher. Zweimal für Fehler, für die ich mich einen Narren schellte, da sie mit jenem, den ich mit Eleonora begangen hatte, gleichzusetzen waren.
Erfolg macht einsam, wie ich immer wieder feststellen musste. Und in Einsamkeit werden verzweifelte Taten ohne Verstand geboren.
Doch in beiden Fällen konnte ich mein Fehlverhalten durch die Geschenke meiner besonderen - ganz persönlichen - Bücher wieder gut machen.
Schließlich, auf dem Gipfel meines Aufstieges, wo ich als düsterer Anführer einer gewaltigen literarischen Kultbewegung gefeiert und gefürchtet wurde, endete die Laufzeit meines mit Mephisto geschlossenen Vertrages.
Johann Faust hatte vierundzwanzig Jahre, ehe der Teufel das Pfand des Kontraktes, die Seele des armen Bauernjungen, einforderte.
Und auch meine vierundzwanzig Jahre sind in dieser Nacht beendet …

“Schon kann er den Schatten sehen, der sich aus der finsteren Ecke seiner Kammer erhebt. Der Geruch von Rosen erfüllt den Raum. Sein Herz wird schwer, sein Atem schnell und stockend.
Die Gestalt tritt aus der Dunkelheit. Doch diesmal nicht in die schlichte Gewandung eines Mönches gekleidet.
Sie ist gewaltig und droht die karge Kammer unter dem Dach zu zerbersten.
Die Luft beginnt zu vibrieren, erfüllt von einem unirdischen, tiefen Summen.
Er presst seine Fäuste gegen die Ohren, doch längst hat sich das infernalische Geräusch in sein Bewusstsein gebrannt.
In dieser Nacht - seiner letzten auf Erden - zeigt ihm der schwarze Fürst seine wahre Gestalt.
Mit einem letzten Schrei auf den Lippen, den in dem leeren Haus nie jemand hören wird, starrt er auf den entsetzlichen Schatten des Teufels. Längst schon hat er den Verstand verloren. Sein irres Kichern erfüllt die nächtliche Kammer, während Blut aus seinen Mundwinkeln fließt und seine Augen in ihren Höhlen zu schmelzen beginnen.
Welch ein Narr er doch gewesen war …
Zurück bleiben Bücher und Manuskripte eines vom Wahn befallenen Genies.
Darunter einige ganz besondere Bücher, die sein Vermächtnis sind … für einige ganz besondere Menschen …”

 

Hallo Onlyme

Und Willkommen bei kurzgeschichten.de.

Mir hat dein Debüt gut gefallen. Du verwendest eine sehr blumige, mit vielen Adjektiven gespickte und etwas "altertümliche" Sprache, die für mich anfangs gewöhnungsbedürftig war, mit der ich mich dann aber auch schnell zurecht gefunden habe. Normalerweise ist diese Art der Sprache nicht so mein Stil, aber deine Geschichte hat sich sehr flüssig gelesen.

Mir gefallen solche Geschichten, in deren Zentrum ein Handel, ein Tausch mit einem übersinnlichen Wesen, meist dem Teufel, steht, und dem Menschen meist zu spät klar wird, was er eigentlich eingetauscht hat. Dies ist auch Zentrum deiner Geschichte, einer Interpretation des Fauststoffs. Ich würde an deiner Stelle mehr Augenmerk auf diesen Handel und vor allem seine Konsequenzen legen, denn ich finde, das kommt zu kurz in der Geschichte. Du gibst uns zu Beginn einen sehr ausführlichen Einblick in die Gedanken und Gefühle deines Protagonisten, was dir auch gut gelingt. Für mich ist das eine authentische Person, sein Kummer und seine Scham kommen glaubhaft rüber. Doch nach dem Tausch änderst du deinen Stil: Innerhalb kürzester Zeit beschreibst du den Rest des Lebens, ohne noch einmal auf das Innenleben der Person einzugehen. Das ist schade, denn hier verschenkst du Potential: Auf einmal wird aus deiner Figur ein recht kaltblütiger Mörder, der einfach jeden aus dem Weg räumt, der ihm nicht in den Kram passt. Macht er das gern? Hat er innerlich mit sich zu kämpfen? Fühlt er sich gut dabei? Diese Fragen werden größtenteils ausgeblendet. Deine Figur verliert hier an Glaubhaftigkeit, da ich ihre Motive nicht mehr wirklich sehe. Vor allem der Tod seiner Frau passt nicht so recht ins Konzept: Du schreibst, die Qualität seines Schreibens litt unter ihrer Anwesenheit, aber ich verstehe nicht, wie das sein kann, da die Qualität des Schreibens ja Teil des Pakts mit Mephisto war.

Auch ist mir nicht klar, ob der Prot. sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst ist. Fürchtet er sich am Ende? Freut er sich vielleicht, weil er endlich von einer Last befreit ist? Der Sage nach hat Faust ja nicht nur versucht, den Handel später wieder rückgängig zu machen, sondern auch, sich vor Ablauf der Frist das Leben zu nehmen - wie denkt deine Figur in Bezug auf diesen Zeitpunkt? Solche Dinge fehlen mir, und ich denke, da schlummert noch einiges an Möglichkeiten.

Zum "Ausgleich" könntest du die Stellen straffen, an denen du erwähnst, dass der Prot. von seiner Familie verspottet wird. Vor allem den Mittelteil finde ich etwas langatmig, vor allem auch, weil das Ende dann - die Pointe, wenn du so willst - sehr kurz gehalten ist. Hier stimmt das Gleichgewicht noch nicht. Die schon erwähnte Glaubhaftigkeit und Authentizität deiner Figur muss darunter ja nicht leiden.

Kommen wir nochmal zur Sprache: Wie schon gesagt, du verwendest sehr viele Adjektive. Vieles davon gefällt mir recht gut, doch manches Mal schießt du über das Ziel hinaus. Zwei Dinge fallen auf: Zum Einen hast du ein faible für das Dunkle: dunkel, finster, düster tauchen sehr oft auf. Und du verwendest diese Adjektive meist im Superlativ. Ausgewählt eingesetzt kann das zu einer sehr ausdruckstarken Sprache führen, aber wenn es zu oft eingesetzt wird, kommt es aufgesetzt daher, als versuche der Autor, die Szenen zwanghaft spektakulär zu beschreiben. So tauchen bei dir innerhalb etwa einer Seite die folgenden Begriffe auf: "angenehme Finsternis", "finsteres Meer", "dunkler Phoenix", "finsterster Stärke", "finstere Schwarz der Nacht", "schwärzeste See". Das ist mir ein wenig zu viel des Guten.

Insgesamt aber finde ich, dass du die Sprache sehr sicher einsetzt und vor allem auch den Text hinsichtlich Rechtschreibung / Zeichensetzung / Grammatik sehr sauber überarbeitet hast. Der Rest ist jetzt eben feilen und üben, aber dafür sind wir ja alle hier :)

Ein paar ausgewählte Textstellen noch:

Vor Erschütterung starr blickte ich dem Mönch entgegen. Nicht einmal ein Schrei drang über meine Lippen, der meine Familie herbeigerufen und mit Sicherheit mein Leben, und auch das ihre, in eine völlig andere Richtung dirigiert hätte.

"Vor Erschütterung starr" klingt seltsam. Vielleicht besser "Starr vor Erschütterung" oder "Vor Erschütterung erstarrt".
Außerdem würde ich "Nicht einmal ein Schrei" ersetzen durch "Kein Schrei" oder so. Ein Schrei wäre ja schon das Maximum, was über seine Lippen kommen kann, das in Kombination mit "nicht einmal", was ja eher auf ein Minimum hindeutet, klingt irgendwie komisch.

Aus welchem Grund ich gerade in diesen Minuten dieser mehr als merkwürdigen Begegnung einen Gedanken an diese alte Sage, die schon Goethe aufgegriffen hatte, verschwendete, vermag ich heute nicht mehr zu sagen.

Wenn Faust seine Lieblingssage ist und ihm ein grauer Mönch erscheint, ist diese Assoziation nicht allzu schwer :)

Erschien der Teufel dem einfachen Bauernsohn Johann Faust nicht ebenfalls als ein in grau gekleideter Mönch, als dieser ihn in einem Waldstück bei Wittenberg herauf beschwört?

beschwor

Voller Unglauben starre ich auf die seltsame Gestalt, die still und bewegungslos vor mir steht, einem Alptraum gleich, der mich nach dem Erwachen nicht loslassen wollte.

Hier wechselst du die Zeit und schreibst plötzlich im Präsens.

Doch war diese Nacht weder Ausgeburt meiner Phantasie noch das verzerrte Bild eines Traumes, die mich nicht selten des Nachts in all ihren schrecklichen Gestalten heimsuchen.
Meine letzten Zweifel schwanden, als das Wesen erste Worte an mich richtete.
Seine Stimme klang tief und dumpf. Gerade so, als dringe sie aus harter, kalter Erde zu mir. Eine lauernde Ruhe lag in ihr. Nicht selten erinnerten mich die Worte an das brütende Knurren eines finsteren Ungetüms.

Ein "nicht selten" würde ich ersetzen. Hier hätte ich mir nun gewünscht, die Worte des Teufels zu hören. Du schreibst im nächsten Satz etwas lapidar: "Die Worte waren profan". Ja, was hat er denn gesagt? Das ist mir auch später noch aufgefallen, bei der Szene am Küchentisch. Statt den Dialog wiederzugeben, beschreibst du eher, wie etwas gesagt wird. Mir würde der Dialog selbst besser gefallen und die Geschichte dann auch lebendiger machen.

Die Gestalt fragte nach meinen Wünschen. Nichts weitere.

weiter

Und doch fühlte ich einen unheimlichen Atem, der plötzlich meine abgedunkelte Kammer erfüllte.

Hm, unheimlicher Atem. Wie kann der Atem unheimlich sein?

“Guten Morgen, Shakespeare“, begrüßte er mich mit seinem für ihn typischen, ironischen Tonfall, der mir, wie jedes Mal, das Blut in den Adern zu Eiswasser gefrieren ließ. Ich fragte mich zum wiederholten Mal, wie lange es noch dauern würde, bis das Eiswasser mein Herz erreicht hatte.

Ich würde "erreichte" oder "erreichen würde" schreiben.

Ich erinnerte mich an all meine Texte. Ebenso an den Spott, dem sie mich aussetzten, sobald einige Seiten meinem Bruder auf die eine oder andere Weise in die Hände gefallen waren. Oftmals hatte sich mein eigener Vater an dem Hohngelächter beteiligt, indem er mir mit hochrotem Kopf meine Geschichten vor Augen hielt und mich wiederholt fragte, ob das denn alles darstellte, zu was mein heranwachsender Verstand fähig sei.

Das ist so ein Absatz, den ich oben angesprochen habe: Die Info kannst du auch streichen, da dieser Konflikt schon ausreichend thematisiert wurde. Hier kommen keine neuen Informationen hinzu.

Im nächsten Moment wurde meine Kammer, wie schon in der Nacht zuvor, von der dumpfen Stimme des Mönches erfüllt. Und wieder überkam mich die schreckliche Gewissheit, dass die Worte von tief unter der Erde herstammten.
“Hohn und Gespött“, drangen die Worte des unheimlichen Wesens in meinen Verstand. Nichts schien in diesem Moment mehr zu existieren, nur noch dieses unheilige Geschöpf und die kalte Grabesstimme der Kreatur.
“Hohn und Gespött. Sind sie der Lohn für deine Taten?”
Der Sinn der Worte fand seinen Weg kaum in mein Denken. Alles, an das ich denken konnte, waren verfallene Grüfte und von Nebelbänken umschmiegte Gräber mit verwitterten, im harten Erdreich versunkenen Kreuzen und Steintafeln.
“Deine Wünsche. Sind sie die Saat für die abscheuliche Ernte, die du Tag für Tag einfährst?”

Der Absatz gefällt mir besser als das 1. Treffen, da man hier erfährt, welche Worte der Teufel spricht.

Achja, eins noch was mir auch gut gefallen hat: Im letzten Teil hast du mit schönen Worten beschrieben, wie sich um den Autor ein regelrechter Kult bildet, dass er einen besonderen Stil hat und Tabus bricht, ohne diese direkt zu erwähnen. Aufgrund deiner Beschreibung nehme ich dir das auch ab, und es dürfte auch schwer sein, diese Tabubrüche beim Namen zu nennen. Gerade im Horrorgenre werden diese sehr schwer zu finden sein. Das Ganze hat mich dann auch ein wenig an eine Masters of Horror Folge erinnert, nämlich Cigarette Burns mit dem Film La Fin Absolue du Monde :)

Das wars von meiner Seite. Ich würde also wie gesagt noch etwas mehr auf den eigentlichen Handel und den Konflikt eingehen, der sich (vielleicht?) daraus ergibt, dafür den Ärger mit der Familie ein wenig kürzen und vielleicht das eine oder andere Adjektiv streichen. Weniger ist da manchmal mehr.

Viele Grüße.

 

Hallo, Schwups

erst mal Tausend Dank für deine Kritik. Aus diesem Grund hab ich mir hier angemeldet, da ich auf konstruktive und ehrliche Meinungen hoffe.
Das Thema mit den Adjektiven habe ich schon oft zu hören bekommen. Bei anderen Menschen widerum ist gerade das häufige Verwenden von Adjektiven positiv aufgefallen. Ich denke mal, das ist Geschmackssache. Aber natürlich werde ich den Text überarbeiten. Auch in Hinsicht auf die Punkte, die du angesprochen hast, sprich, das Innenleben meines Protagonisten nicht zu vernachlässigen und einige Szenen zu kürzen oder zu streichen.
Ich hoffe, dass ich dann wieder auf dich zhlen kann. Wäre super.

 

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