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Fast wie früher
Kurz nach halb drei nachts betrat Patricia leise den Flur. Matheus schlief schon. Ein indirektes Licht durchzog die Wohnung. Sie lies sich in die Couch fallen. Wohltuend befreite sie ihre Füße von den Highheels. War sie doch schon seit gestern 6 Uhr abends unterwegs. Eine Fußmassage ihres Verlobten würde jetzt Wunder wirken. Für einen kurzen Moment hielt sie inne. Ein sanftes hohes Rauschen im Ohr war durch die Stille im Raum noch intensiver. Patricia drehte den Kopf und betrachtete das Zimmer. Mit viel Bedacht hatten die beiden Ihre Wohnung im vierten obersten Stockwerk renoviert. Hohe Decken, alte Holztüren, Parkettboden und eine kleine Dachterrasse mit Pflanzen, in guter Nähe zur City mit den vielen Gassen, feinen Restaurants, minimalistischen Clubbars und urigen Kneipen. Fast wie im Film. Für eine zeitlos romantische Komödie eine gute Kulisse. Und um in dieser Szenerie einen tollen Abend zu bestreiten, hatten sich Patricia und Ihre langjährigen Freundinnen, schon Wochen vorher, zum Ausgehen verabredet. Neben Familie, Beruf und Renovierung nicht immer einfach, aber planbar. Plaudern beim typischen Italiener ums Eck bei Pasta und Wein und dann schauen, was der Abend noch für die Frauen parat hielt.
Eine herrlich warme Sommernacht. Etwa um halb neun abends betraten die drei Frauen den kleinen Club. Patricia, Claudia und Anke. Alle Mitte 30, zusammen aufgewachsen und gemeinsam die Höhen und Tiefen der Schule und der ersten Liebe gemeistert. Jeder kannte jede, Ihre Annehmlichkeiten, Vorlieben und Verzickungen. Angeheitert und kichernd, durch den Wein beim Essen und ihre Gespräche, erhielten die drei, dachten sie jedenfalls, für einen kurzen Moment ein wenig Aufmerksamkeit bei den anderen Gästen. Blicke, Kopfdrehen und es schien fast so als ob die Musik für einen Bruchteil einer Sekunde aussetzte. Claudia erspähte einen freien Stehtisch am anderen Ende der Bar. Gekonnt, durch jahrelanges Training in den angesagtesten Clubs, bewegten sie sich zielgerichtet zu ihrem Objekt in der Ecke. Patricia schlängelte sich hintendran durch die noch überschaubare Menschenmenge. Für einen kurzen Moment blickte sie etwas höher in die Augen eines Mannes. Sie spürte einen kleinen Impuls. Nach einer kurzen Bemusterung seines markanten Gesichts mit dem schüchtern wirkenden Lächeln und ihrem stummen „Hi“ folgte sie ihren Freundinnen. Er war definitiv jünger als sie. Es gefiel, was sie gerade gesehen hatte. Das darf nicht sein, während sie an Matheus dachte. „Wein!?“ erklang deutlich an Ihrem Ohr und durchbrach Ihren Gedanken. Sie nickte und Claudia bestellte in ihrer dominanten Art. Der Kellner stellte die drei gut gefüllten Weingläser vor Ihnen auf. „Zum Wohl die Damen, auf diesen Abend.“ prostete Claudia den beiden zu.
Der Rhythmus der funkigen Musik zeigte nebst den drei nächsten Weinrunden Ihre Wirkung. Ausgelassen und frei fühlten sie sich auf der Tanzfläche. Keiner der drei Frauen hätte gedacht, dass es so gut werden würde. So eine gänzlich planlose Fortsetzung des Abends verbarg Überraschungen. Sie fühlten sich zehn Jahre jünger. Für den Abend zurecht gemacht und durch das schmeichelnde Licht, sahen die drei auch durchaus danach aus. Zurück an ihrem Tisch schaute sich Patricia um. Sah die tanzenden Leute und versuchte Gesprächsfetzen von den nahestehenden Personen aufzunehmen. Der DJ wurde umringt von jungen Frauen Anfang zwanzig, die sich hinter dem Pult anscheinend für kleine Königinnen hielten. Mit einem Glas Sekt in der Hand und die andere zum Beat der Musik in der Luft zuckend, versuchten sie Blicke der Jungs und neidischen anderen Mädels auf sich zu ziehen. So wie sie, damals, eine Dekade früher. „Nichts ändert sich“ stellte sie fest und sprach es kurz laut zu sich selbst aus. Dabei nippte sie an ihrem Glas. ‚Was ein Abend.‘
„Was ändert sich nicht?“ unterbrach sie eine Stimme und riss sie aus Ihren Gedanken. Die Musik war schon fast verschwommen in der Masse der Tanzenden, Plauderenden und Gaffenden. Sie erschrak ein wenig, drehte ihren Kopf zur Seite und blickte dann in die Augen des jüngeren Mannes, die sie zwei Stunden vorher kurzzeitig erfassten. Mit einer leichten Handberührung an Ihrem Rücken unterstrich er sein Bedauern sie aus Ihren Gedanken gerissen zu haben. Patricia zögerte ein wenig und unterdrückte gekonnt ihren Widerspruch seiner Annahme, vernahm mit angenehmen Gefühl seine leichte körperliche Annäherung. „Ertappt“ sagte sie etwas lauter und versuchte ihrem Gegenüber ein überlegendes Gefühl zu geben und lächelte dabei. Als fröhlicher Mensch fiel ihr das Lächeln nicht besonders schwer, der junge Mann schien es gern zu übernehmen und erwiderte mit strahlendem Gesicht. So nahm sie ihm die Schüchternheit oder besser, das was sie als Schüchternheit annahm bei ihm entdeckt zu haben. Patricia verdrängte diesen Gedanken, da er sie ja angesprochen hat, obwohl das stumme „Hi“ zwei Stunden vorher von Ihr kam. Sie hörte ihn fragen „Woran hast Du gedacht?“ Patricia setzte zu einer kurzen Erklärung an und wollte von ihrer damaligen durchlebten Zeit etwas sagen. Sie unterbrach selbst ihre ersten Worte und dachte: ,Nein es gibt kein Früher, es gibt nur ein Jetzt.‘ „Ach nichts weiter. Ich hab nur darüber nachgedacht woher ich den DJ kenne?!“ Flüchtete sie. „Soll ich dich ihm vorstellen? Ich kenn ihn ganz gut.“ Erwiderte er. ‚War ja klar‘ dachte sie und antwortete: „Nein, lass mal, ist nicht so wichtig. Verrate mir lieber deinen Namen.“ „Ich heiße Matthias, aber meine Freunde nennen mich Mattes oder Mats. Das passt eher, weil ich manchmal etwas verwirrt wirke und in Gesprächen viele Gedankensprünge habe.“ Dabei fuchtelte er in kreisenden Fingerbewegung an seiner Stirn und verdrehte die Augen. ,Irgendwie süß‘ dachte Patricia und behielt weiterhin ihr Lächeln. „Freut mich, also, dass wir uns kennenlernen, weniger das mit deiner Verwirrtheit. Ich muss ja jetzt wohl keine Angst um mich haben, soweit das überhaupt möglich ist? Ist das ansteckend?“ fragte sie ironisch. „Solange es sich nur auf Gespräche bezieht, kann eine Ansteckung im Höchstgrad belebend sein.“ „Na dann wollen wir mal hoffen, dass ich nicht allergisch mit Sprachlosigkeit reagiere.“ „Da gibt es ein Mittel gegen, aber das kann ich Dir später verabreichen, sollte die Allergie eintreten.“ „Gut zu wissen“ , antwortete sie lachend. „Patricia mein Name.“ Sie streckte ihm dabei ihre Hand entgegen, soweit es in dem nun schon eng gewordenen Club möglich erschien. „Freut mich“ erwiderte er. Sie spürte seine andere Hand an ihrer Seite. Etwas fester als beim ersten Mal. Sie versteckte gekonnt, dass es ihr nicht missfiel. „Ich würde gerne noch etwas trinken“ , sagte er, „was möchtest Du?“ Sie zeigte ihm den letzten Schluck im Glas. Mats drehte sich zum Tresen und bestellte. Patricia schaute zu Anke und Claudia. Zwei Männer hatten sich zu ihnen gesellt. Sie unterhielten sich anscheinend angeregt und lachten dabei. Worüber konnte Patricia nicht ausmachen. Zu laut war mittlerweile die Mischung aus Musik und lauten Gesprächen. Dieser Geräuschpegel schien exponentiell anzusteigen. Je lauter die Musik, desto lauter die Leute, desto mehr wurde getrunken, weil keiner mehr den anderen verstand und desto mehr wurde gefeiert. Wie eine sich nicht endende Geräuschspirale nach oben, einhergehend mit ansteigender Temperatur und Sauerstoffmangel.
Patricia saß mit Mats auf einer Querstange an der Straße gegenüber des Clubs. Ihre Getränke hatten Sie am Türsteher vorbei rausschmuggeln können und auf dem Boden vor sich abgestellt. Insekten tanzten um das matte Laternenlicht. Musik und Stimmen aus vorbeifahrenden Wagen mit offenen Fenstern. Der hämmernde Bass des Clubs drang nach außen. Sie beobachtete die jungen Menschen. Ein Kommen und Gehen. „Luft. Ein schöne Luft hier draußen. Und noch so herrlich warm um...“ völlig selbstverständlich nahm Patricia Mats’ Handgelenk und drehte seine Uhr zu sich „…1 Uhr. Schon! Zeit verfliegt immer so schnell, wenn es schön ist.“ Wie synchron sagten beide zugleich: „obwohl sie immer gleich tickt.“ Beide lachten und Patricia erschrak aber auch zum einen, weil es die gleichen Worte sind, wenn Sie mit Matheus in den Sternenhimmel schaut. Zum anderen, weil sie immer noch Mats’ Handgelenk hielt. Sie beließ es so wie es war. So vertraut war er ihr. ,Liegt das am Alkohol. Nein das kann nicht sein. Bevor wir in den Club gingen und ich ihn traf, hatten wir drei Mädels zwar was getrunken, aber im Wechsel mit Wasser, waren wir noch Herr unserer Sinne. Und die erste Begegnung war quasi fast nüchtern. Was war es dann?‘ „Der Türsteher weiß genau was er tut und wem er Zugang gewähren darf. Kein einfacher Job zu voran gerückter Stunde“, bemerkte Mats. Stumm nickte sie ihm zu und schaute ihm dabei auf seine vollen Lippen. Sie fühlte sich nun echt zehn Jahre jünger. Nein, sie war es. Mats gab ihr das Gefühl so zu sein. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. Sein Parfüm roch nach Kraft, Charme und Zurückhaltung. Irgendwie passend. Sie hatte es schon im Club an ihm entdeckt. Aber zu extrem war die Mischung aus dem Gewusel durch die Menge an Menschen. Sie fühlte sein Kinn an ihrem Haar. Sein tieferes Einatmen. „Ein herrlicher Duft. Wow.“ flüsterte Mats. Patricia schloss die Augen.
Die Musik, Motoren und Stimmen verschwommen zu einem dumpfen Geräusch in der Nacht. Hinter den beiden hörte Sie ein leichtes zögerliches Zirpen von Grillen und den seichten Strudel des kleinen Bachlaufs. ,Was eine Idylle. Es ist doch wie früher‘ dachte sie und lächelte. Sie war nun wirklich sprachlos. Anregend spürte sie seinen Atem in ihrem Haar. ‚Einer Versuchung nachzugeben ist nicht schwer‘ dachte sie und hob dabei ihren Kopf. Sie schaute in seine Augen. Ihre Nasenspitzen berührten sich. „Hattest Du nicht ein Mittel gegen diese Sprachlosigkeit?“ fragte Patricia leise. Ohne ein Wort küsste er ihre Lippen. Eine Leichtigkeit erfasste ihre Sinne. Sie spürte nun noch mehr Freiheit als zuvor. Gleichzeitig vertraute Geborgenheit im Arm eines fremden Mannes. Der kurze Moment der Verzögerung gefiel Ihr sehr und steigerte ihr Verlangen nach seinen Lippen. Erst zögerlich, dann heiß und innig. Wiederum schloss sie ihre Augen. Seine Hand umfasste ihre Hüfte fest. Noch immer hielt sie das Gelenk seiner Hand, die unter ihrem schwarzen Kleid ihr Bein mit sanftem Druck streichelte. Wie automatisch und vertraut rückten sie noch enger zusammen. Entschlossen sie nicht von der Stange fallen zu lassen, zog er sie fester an sich. Sie fühlte den Pulsschlag an seinem Handgelenk, der sein Verlangen nach mehr bezeugte. In ihrer Brust schlug Ihr Herz heftig wie lange nicht. Wieder küssten sie sich innig. Ohne Zurückhaltung. Ihr beider Atmung waren wie ein Rhythmus im Club. Die beiden Zungen wie Blues und Samba. Wie zwei schwitzende Körper durchs Tanzen bewegten sie sich im Raum hin und her. „Hör nicht auf. Bitte.“ hauchte Sie leise. Seine Hand berührte in leicht fester Bewegung die Innenseite Ihres Schenkels. Millimeter für Millimeter spürte sie seine Hand mehr und mehr in Richtung ihrer feuchten Begierde. Noch festhaltend gab sie der Kraft seines Arms nach und lies seiner Hand freien Lauf, wobei sie leicht den Takt vorgab, wie Sie es am angenehmsten empfand. Ihre Augen noch immer fest verschlossen, atmete sie tief ein und aus. Niemals hätte sie gedacht, dass der Abend so verläuft. „Oh Mats. Was eine herrliche Nacht,“ flüsterte sie.
Sie wachte auf. Es war nicht ihr Schlafzimmer. Patricia bemerkte, noch orientierungslos, dass sie nur ihre Unterwäsche trug. Die Morgensonne schien durchs Fenster. Verschlafen und leicht verkatert, vernahm sie leicht vernebelt eine vertraute Stimme wahr. „Guten Morgen.“ Ein Tasse mit frischem Kaffee wurde ihr gereicht. Lichtgeblendet blinzelte Patricia auf der Suche nach Antworten im Kopf und an der Decke. Sie lag auf dem Sofa. Die vertraute Stimme kannte sie. Glücklich dann Matheus zu erkennen, richtete sie sich auf. Sprachlos umarmte sie ihn fest. Etwas verdutzt fragte er nach dem gestrigen Abend. „Du hattest im Schlaf, meine ich zumindest, sogar meinen Namen gesäuselt. Na hoffentlich kein Albtraum.“ grinste Matheus, während er am Sofaende saß und Patricias Füße massierte. Noch immer müde, schloss sie die Augen und reagierte mit einem tiefen Einatmen auf Matheus‘ zärtliche Hände. ,Fast wie früher‘ dachte sie lächelnd und verbarg die Antwort eingehüllt bis zu ihrem Kopf unter Ihrer Kuscheldecke.