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Fast Food Fiasko
„Ich war jung, und ich brauchte das Geld!“
So, oder so ähnlich werde ich einmal meinen Kindern und Enkeln beichten müssen, welch schändlicher Beschäftigung ich in meiner Jugend nachging. Mit Verachtung werden sie auf mich herunterblicken, mich vielleicht anspucken oder treten. Verdient habe ich es, doch hört selbst:
Ich war gerade etwa siebzehn Jahre alt und die Zeit des Führerscheins hatte arg an meinen finanziellen Ressourcen genagt. Völlig verzweifelt auf der Suche nach einem Aushilfsjob hatte ich beinahe die ganze Stadt abgegrast, als ich mich völlig ausgehungert in den örtlichen Fast Food - Schuppen mit dem goldenen M begab.
Ich stand schon ein wenig in der Warteschlange um mir irgendwas Essbares, sofern man in diesem Kontext von essbar sprechen kann, zu kaufen, damit mein mittlerweile dem implodieren naher Magen endlich Ruhe gab, da passierte es. Ein heftiger Streit entbrannte zwischen zwei Südländischen Bedienungen, da einer angeblich die Cousine dritten Grades der Schwester der Mutter des Anderen als zu dick bezeichnet hatte. Neben diversen Verpackungskartons samt Inhalt, Pommesfetzen und Getränkebechern flogen auch die Fäuste, so dass der komplette Personalbereich bald aussah wie Hannibal Lecters Küche oder eine Waldhütte nach dem Jahrestreffen des Hainbuchentaler Satanistenclubs Rot-Schwarz. Der Vergleich schien mir bei näherem Betrachten der nun chaotisch herumliegenden Burgerteile auch nicht allzu weit hergeholt.
Kurz darauf traf die Polizei ein und zerrte die beiden Preisboxer aus der Filiale, wobei diese, eher unfreiwillig, ihren Aderinhalt großzügig über alles verteilten, was den Weg der Fontainen aus ihrer Nase kreuzte.
Habgier ist wahrscheinlich eine der stärksten Versuchungen und trotz dem jede einzelne Hirnzelle bei dem bloßen Gedanken panisch zu kreischen schien, machte sich mein Nervensystem selbstständig, lachte noch mal triumphierend, und setzte meinen Körper in Richtung Manager in Bewegung. Es handelte sich um eine, etwas verzweifelt dreinblickende, junge Frau, etwa Mitte zwanzig, und man hätte meinen können sie hätte ihr ganzes Leben noch vor sich, wäre das verwaschene, wohl ehemals blau-weiße, McDonalds Schichtführer-Hemd diesem Gedanken nicht brutal in den Weg gesprungen. Früher war sie bestimmt ein attraktives McChicken gewesen, doch der stetige Genuss von „Personalverzehr“ hatte sie mittlerweile leider zum BigMäc gemacht.
Freundlich ging ich auf sie zu, und zu meinem eigenen Entsetzen fragte ich sie nach einem Aushilfsjob, da ja nun offensichtlich zwei Kräfte ausfielen.
Da stand ich nun eine Woche später, in einem lächerlichen Kostüm, offenbar aus dem Restbestand des Circus Roncalli entwendet, und einem netten Schild: „Freundlichkeit hat einen Namen“
Darunter mein Eigener. Der Vertrag hatte mir schnell klargemacht, dass ich vom Moment des Einstempelns an, bis zum Moment des Ausstempels ein Leibeigener von Ronald McDonald sein würde. Verdammt zu ewigem Grinsen und geheuchelter Freundlichkeit, ohne Rechte, ohne Entscheidungsgewalt, ein Wunder, dass ich allein aufs Klo durfte.
Beim Begutachten meiner neuen Arbeitskollegen wurden mir auch gleich meine Qualifikationen und der Grund meiner schnellen Einstellung klar. Es waren ganz klar meine Fremdsprachkenntnisse, die mich hier weit über den Durchschnitt qualifizierten. Ich sprach fließend Deutsch.
Die Freundliche Schichtführerin mit dem Pommeshintern war leider im Urlaub und ich wurde nach dem Umziehen von einem anderen Schichtführer Begrüßt… Mehmet.
Er war ein Mann von etwa 50 Jahren, Abendländischer Abstammung, und sein Gesichtsausdruck erweckte den Eindruck, er hätte den letzten Bus verpasst und den Weg von dort aus nach Deutschland zu Fuß zurücklegen müssen.
Mit der Freundlichkeit eines Kuhtreibers wies er mir eine mürrische Frau seines Alters zu: „Zeigen Kasse!“. Sie, den Speckringen an den Oberschenkeln zu urteilen etwa doppelt so alt und fünf mal so lang angestellt wie die junge Schichtführerin, führte mich an ein Gerät mit etwa 150 Knöpfen und einem fettverkrusteten LCD Monitor, von wo aus ich nun ein mal die Woche neun Stunden lang die gierige Meute mästen sollte. Die Funktionsweise war schnell erklärt: „Kunde kommen, fragen was, drücken hier drücken da machen peng machen puff drücken da fragen Cola, drücken da, da und da fragen Eis, drücken hier, ziehen da, fragen wo, drücken da, drücken da….drück…DRÜCK…haun da drauf, gehn da auf, sagen gib, nehmen Geld, tun da rein, sagen nimm, sagen tschüss, fertig, verstehst du?“ „ Also, ich drück…“ „ Naaaah Malaka! Kunde kommen, fragen was, drücken hier drücken da machen peng machen puff drücken da fragen Cola, drücken…“ „Schon Ok, ich hab’s verstanden!“
Derartig gut informiert begann ich freudig dem ersten Nervenzusammenbruch meines Lebens entgegenzusteuern.
Und schon bald traf mich der erste Schlag, ich hatte mich vertippt! Nach Ausprobieren sämtlicher Knöpfe sah die Liste in dem Ding, welches ich manchmal liebevoll „Kasse“ nenne, aus wie eine siebenunddreißig Familien Speisekarte inklusive Vor- und Nachspeise. Die Anzeigeliste auf dem Kleinen Monitor hatte die vierzigste Seite längst hinter sich gelassen und ein zögerliches: „ Öhm, wie mach ich’n das wieder weg?“ brachte mir nur höhnisches Gelächter ein. „ Musst du gehen zu Mehmet, machen Übertippung.“ Dieses Wort sollte mich noch Verfolgen wie die Möwen einen vollen Fischkutter.
Mir der Situation nicht bewusst, ging ich also ins Personalbüro um Mehmet diese „Übertippung“ machen zu lassen. „Öhm, Mehmet, ich glaube ich hab’ da was das nennt sich Übertippung…“
Ich werde diesen Gesichtsausdruck nie vergessen, der etwa dem eines Mannes entsprach, dem der Arzt nach der Hodenoperation erzählt er habe wohl nicht ganz aufgepasst und ihm aus Versehen zwei Herzschrittmacher verpflanzt.
„Malaka!“ schrie er und bewegte sich mit dem Elan eines Schuhlöffels in Richtung Kassenbereich, wo er mit elefantenhafter Beweglichkeit einen kleinen Schlüssel aus der Tasche zog, diesen irgendwo in die Höllenmaschine steckte und mit dieser äußerst unumständlichen Methode die komplette Liste löschte, mir noch einmal zärtlich „Malaka!!!“ entgegenhauchte und wieder im Büro verschwand.
Der Alltag eines McDonalds Kassenknechtes sollte aber noch weitere Hürden für mich bergen, wie zum Beispiel die ‚Verkaufsförderung’ – ein wohlklingender Ausdruck für Konsumnötigung, bei der von der, sowieso schon gestressten, Kassenkraft verlangt wird, die, sowieso schon genervten, Kunden dazu zu nötigen mehr von den, sowieso schon zu teuren, „Genussmitteln“ zu kaufen.
Da stand ich nun, während ich das schielende, aber doch scharfe Auge von Mehmet in meinem Rücken spürte und sollte meine Fähigkeiten im Bereich „Verkaufsförderung“ unter Beweis stellen. Es betrat eine Dame Mitte vierzig den Laden, ihr Äußeres erinnerte mich vage an Japanische Ringkämpfer, und ich könnte schwören ich hätte einen Greenpeace Aktivisten gesehen, der sich heimlich an ihren Knöchel ketten wollte. Sie sah sich ausgiebig das reiche Speisenangebot an und walzte langsam auf meine Kasse zu. Nachdem ich mich von meinem Hechtsprung zur Seite wieder aufgerichtet hatte lächelte ich sie fröhlich an: „Willkommen bei McDonalds, ihre Bestellung bitte?“
„Ein Big Xtra Menü…“ Das war mein Stichwort! „Darfs Maxi sein?“
Ihre Mine verdunkelte sich merklich. „Nein Danke.“
„Kann ich ihnen vielleicht noch ein oder zwei Apfeltaschen aufschw… anbieten?“
„Nein DANKE!“ zischte sie durch die Zähne.
„Wir haben auch seit neustem Muffins, die sind auch lecker!“
„Nein!“ gab sie in etwas gehobener Lautstärke von sich, von was ich mich aber nicht beirren ließ. Ich hatte den VERKAUF zu FÖRDERN!
„Aber nach dem Essen haben sie doch bestimmt noch Lust auf einen leckeren McFlurry! Und da sie ja eh nicht so gut zu Fuß sind können sie sich den Weg ja auch Sp…“
Weiter kam ich nicht mehr, denn ein Schrei drang aus ihrer Kehle, gefolgt von üblem Mundgeruch, der an Komposthaufen im Hochsommer erinnerte.
„Nein verdammt, ich bin auf Diät!!!“
„Getränk?“
„Cola Light…“
Als hätte ich es geahnt.
„Hier essen, mitnehmen?“
„Hier essen.“
„Ha, die kommt eh gleich wieder.“ Dachte ich mir, denn ich hatte längst das dicke Tränchen an ihrer Wange gesehen.
Nachdem die Bestellung fertig gestellt war und sich die Dame langsam aber sicher auf ihren Platz gerollt hatte trauten sich auch meine Kollegen wieder unter der Theke hervor.
Ihre Anerkennung war mir gewiss, und sie respektierten mich noch Monate später als hätte ich Moby Dick mit meinem Schlips erwürgt. Sogar Mehmet schenkte mir ein lächeln. „Hehe, Malaka.“
Ich denke mal das war ein Lob.
An sich war der Job sehr angenehm, doch die zahlende Kundschaft, im Folgenden „der Feind“ genannt, schaffte es immer wieder mit ihrer freundlichen und intelligent effizienten Art ein wenig Sonnenschein in meinen Arsch scheinen zu lassen.
Schon als sich die Filialentür öffnete stellten sich meine Sinne auf Überlebenskampf ein: Ein Familienvater in seinem Sonntagsanzug von Adidas und einem fleckigen weißen Unterhemd betrat den Laden gefolgt von seiner Frau, die man leicht für Adolf Hitler hätte halten können, wären ihre Haare etwas kürzer gewesen, und zwei bemitleidenswert hässlichen Kindern.
Stütze-Überweisungs-Tag.
Pascha bewegte seinen Astralkörper auf meine Kasse zu, beim gehen wohl darauf bedacht seine Genitalien in keinster Weise einzuengen, betrachtete kurz die Karte und ließ dann sein rauchverhangenes Amselstimmchen erschallen:
„Bruno, Eugen, was wolltern?!!“
„Ich mag en Happymeal mit…“
„Schnauze! Kriegstn Bigmäc!“
„Ich mag…“
„Er kriegt auchn Bigmäc! Erna! Was willstn du?“
„Och nur was kleines, ich nehm…“
„Kannst bei den Kindern mitessen! Wirst eh zu fett.“
Geistesgegenwärtig fragte ich: „Die BigMäc im Menü?“
„Hammer was von Menü gesacht?!“
Ich tippte 2 BigMäc ein.
„Papa, ich hab aber Hunger. Ich mag Pommes. Und Durst hab ich auch.“
„Das is doch dabei!“
Immer noch lächelnd warf ich ein: „Aber nur beim Menü.“
„Hammer doch geacht!!! Menü! Biste taub?!“
Lächelnd drehte ich mich um. War eigentlich schon lange nicht mehr im Personalbüro gewesen: „Übertippung!“
2 Minuten und eine Schlüsselprozedur später ging mein Alptraum weiter.
„Darfs sonst noch was sein?“
„Ja, das Geld aus der Kasse…höhöhöhö.“
„Soviel verdienst du im Leben nicht!“ murmelte ich unhörbar.
„Ok, nu bin ich dran! Ich nehm das McChicken Maxi Menü mit Cola, dazu nochn BigMäc…“ - na super, die BigMäc Family - „…zwei Cheeseburger und zwei Apfeltaschen!“
Erleichtert sah ich Licht am Ende des Tunnels, Bestellung zu Ende, nur noch Alles zusammensammeln und bei dieser Gelegenheit endlich dem fürchterlichen Atem dieses Provinzcasanovas entfliehen.
„Sonst noch ein Wunsch?“
„Da ist doch ne Soße dabei, oder?“
„Nein, normal nicht.“
„Steht aber da oben!“
„Das steht bei Chicken Mc Nuggets.“
„Die Meinte ich doch!!!“
Hatte Mehmet ja schon lange nicht mehr gesehen, wurde ja eigentlich mal wieder Zeit. „Übertippung!“
Der Feind hatte vielleicht diese Schlacht gewonnen, jedoch nicht den Krieg!
Abschließend kann ich jedem den Blick hinter die Kulissen des größten Volksvergifters in Deutschland nur wärmstens empfehlen, vorausgesetzt man ist unempfindlich gegen Verbrennungen dritten Grades, Stress, Infektionskrankheiten, Lebensmittelbakterien, sämtliche Vertreter der Gattung Fungus sowie gelegentliche Schläge auf den Hinterkopf und hat ein freundschaftliches Verhältnis zu Nagetieren aller Größenordnungen.
Guten Appetit!