Fasching
Es ist Fasching. Ich hasse Fasching.
Widerwillig wurde ich zu einem Fasnachtsumzug geschleift, und nun bin ich hier. Dicht gedrängt stehe ich nach dem Umzug im Festzelt und wünsche mir ich wäre an einem anderen Ort. Egal wo, nur nicht hier.
Die erste Faschingsregel lautet: Fasching darf keinen Sinn ergeben. Und so stehe ich in der Menge, neben mir machen Menschen komische Veränkungen auf Biertischen. "Geht von den Tischen runter! Seid doch einmal vernünftig. Wir übernehmen keinerlei Verantwortung.", versucht ein kleiner Mann im Charly-Chaplin-Anzug zu erklären.
Ich glaube er ist der einzige der heute nicht fröhlich ist. Der kleine Mann und ich.
Der Qualm starker Mentholzigaretten treibt mir die Tränen in die Augen, während ich verzweifelt versuche, Luft zu bekommen. Es stinkt, ist dreckig und laut. Überall liegen ausgelaufene Bierflaschen und Konfetti.
"Klar, wir haben Guggenmusik.", sage ich mir leise. Aber zu Guggenmusik kann man sich nicht rythmisch bewegen. Doch die Menge tanzt. Auf den Tischen.
Ich stelle mir vor, wie alle Tische gleichzeitig auseinanderbrechen und eine Massenpanik ausbricht. Aber es geschieht nicht.
Fasching ist ein Fest für Leute, die in ihrem normalen Leben nicht fröhlich sein können. Die Guggenmusiker ziehen aus der Halle und Schlagermusik setzt ein. Im Geiste verfluche ich mich, dass ich so dumm war hier her zu kommen. Ich hasse Schlager.
Alle tun fröhlich. Außer mir und dem kleinen Mann, der die Veranwortung hat.
Die zweite Faschingsregel: Drängeln und Schubsen, so gut es geht.
Normalerweise bin ich ein freundlicher Mensch, aber ich kann die übertriebene, gespielte Fröhlichkeit nicht ausstehen. An Fasching schalten die Menschen ihren gottgegebenen Verstand ab, besaufen sich und tanzen die ganze Nacht durch. Der ernüchternde Moment kommt erst am nächsten Morgen, wenn sie mit einem schweren Kater aufwachen, alleine oder neben einer Person, die sie noch nie zuvor im Leben gesehen haben, und die sie zuvor, wohl nur in einem Augenblick der Umnachtung, als hübsch betrachtet haben.
Mir wird es zuviel. Die Menge tobt und ein Tisch kracht zusammen. Keine Massenpanik - nur Gelächter.
Ich gehe hinaus in die Kälte und entferne mich vom Festzelt. In die Musik im Hintergrund mischen sich leise die Sirenen von Krankenwagen. Minderjährige Mädchen werden hinausgetragen und in den Wagen geladen.
Keine Ahnung, was sie daran finden, aber ich möchte meinen Magen nicht auspumpen lassen.
Wind kommt auf, frische Luft - endlich! Der Mantel meines Kostüms weht auf. Langsam gehe ich an den Schnapsleichen zur Bushaltestelle. Es ist Fasching. Wie jedes Jahr.