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Farblos
Farblos
Vertrauen. Treue. Stille. Harmonie.
Alles Eigenschaften die ihr Symbol in der kühlsten Farbe von allen gefunden haben.
Doch sind sie auch alle Teile eines besonderen Ganzen. Etwas das es nur noch sehr selten zu finden gibt.
Ohne ein blindes Vertrauen wird nie mehr daraus.
Ohne wirkliche Treue wird sie nie lange bestehen.
Ohne die Stille in den richtigen Momenten kann sie wie ein dünnes Glas in Sekunden zerbrechen.
Ohne die ausgeglichene Harmonie zwischen den Menschen kann sie zwar bestehen, doch ist sie nichts Wahres. Nur Heuchelei, die ein Bild für andere wahrt.
Doch sollten wirklich einmal alle Faktoren beisammen sein, ist es vollbracht etwas zu erschaffen, dass größer und stärker als Himmel und Erde gemeinsam sind.
So wie das Meer blau scheint – so ist auch eine Freundschaft weiter und tiefer, als man denken kann.
Blau wie die Treue, die Stille, das Vertrauen und die Harmonie.
Blau wie die Freundschaft, von Thomas.
Damals konnte ich noch nicht wissen, wie bedeutend dieser Sommer in Südfrankreich werden sollte.
Wie oft mir noch dieser eine Abend vor Augen kommen sollte.
Immer dann, wenn Johannas Bild vor mir entsteht und ich nichts anderes machen kann, als mir diesen einen Abend, in all seinen Einzelheiten ins Gedächtnis zurufen.
Es war Donnerstag und es hatte geregnet. Doch war der Himmel abends aufgeklart und die Luft war frisch, nicht mehr so schwer, wie am Morgen.
Aus dem alten Backsteingebäude drang der Geruch von frischen Kräutern.
Lars und ich saßen uns gegenüber.
Ein Schwarzer Springer wurde geschlagen, als Joe Yin bat, doch ein paar Teller auf den Tisch zustellen. Etwas mürrisch legte sie Blatt und Stift aus der Hand, erhob sich und ging ohne Eile ins Haus.
Die blauen Teller standen auf dem Tisch und Schwarz verlor die Dame.
Irgendwo in den Bäumen flog eine Taube auf.
Schwarz Schach.
Aus der Küche hörte man abgeschüttetes Wasser plätschern, gefolgt von Salatgabel-Klappern an Porzellan.
„Vorsicht heiß und lecker!“
Schwarz Matt.
Und dann stand sie dort. Die wohl beste Freundin die ein Mensch je finden konnte und die ich meine langjährige Gefährtin nennen durfte.
So wie Johanna dort in der Tür stand, lächelnd, in der einen Hand eine Schüssel Spagetti, in der anderen eine Schale mit frisch geriebenem Käse, verkörpertet sie alles was sie zu dem machte, was sie nun einmal war: Dem besten was einem passieren konnte.
Vollkommen egal, ob als Freund oder Liebender.
Mir war sie nie mehr, als die beste Freundin seit dem ich sie mit zehn Jahren in einer kleinen Grundschule mitten in Witten kennen lernte. Das es so
lange halten würde, war mir nie bewusst, doch warum hätte ich über eine Trennung nachdenken sollen.
Das es dann doch so unbeschreiblich schnell gehen sollte, konnte sich wohl keiner erklären.
Aber dieser eine Sommerabend... nein, wenn ich ehrlich bin, findet mich nie der ganze Abend.
Nur zwei Dinge:
Das Schachspiel mit Lars und wie Johanna mit vor Küchenhitze glänzendem Gesicht und den Schüsseln in den Händen in der Tür stand.
Johanna.
Auch wenn ich dich damals fast jeden Tag sah, (Erst recht nach dem Einzug in die kleine Hevener - WG.) begriff ich erst in diesem Augenblick was du wirklich für ein Mensch warst.
Doch warum?
Warum begriff ich es erst damals und warum sollte ich nur noch so unbeschreiblich wenig Zeit haben, das Begriffene zu bewundern?
Warum?
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Sommer, Sonne, Sonnenschein.
Das schönste was es gibt.
Einfach am Strand liegen; das leise Plätschern der Brandung im Ohr und die Wärme der Sonne auf der Haut spüren.
Lebensfreude, Freundlichkeit, Asien.
Es gibt wohl keinen Asiaten, der nicht sein Leben mit Freude lebt und jedem, egal Freund oder Fremder, eine Freundlichkeit entgegen bringt, die fast erschlagend wirken kann.
Neid, Eifersucht, Verrat.
Selbst schon Judas wird auf alten Gemälden in einem fahlgelben Mantel dargestellt.
Und genau dies ist auch die Farbe, deren Eigenschaften wir ein wenig auf ihrem Weg begleiten wollen.
Gelb die Farbe des Sommers, der Sonne. Das Symbol Asiens und der Freundlichkeit, aber auch Sinnbild für Todsünden.
Für unsere heutigen Wegbegleiter Neid, Eifersucht und Verlogenheit.
Natürlich, wir wussten beide, dass wir am Ende alles andere als Freunde waren. Vielleicht waren wir einmal welche, doch das liegt erst recht zu lange zurück, um sich noch richtig zu erinnern.
Ja, ich gebe zu, dass ich sie zuletzt, besonders in Südfrankreich, oft verflucht habe, aber das es so enden sollte, hätte doch keiner geahnt.
Würde mich heute jemand fragen, wie ich mich an Johanna erinnere, könnte ich nur eins sagen:
Südfrankreich
Nach langen Diskussionen hatte sie mich dazu gebracht, mitzufahren und drei Wochen mit ihr und den Jungs in einem kleinen und verdreckten Ferienhaus im Wald zu verbringen.
An diese drei Wochen erinnere ich mich noch so genau, weil sie damals alles von sich gezeigt hat.
Sie war einfach freundlich, hat gelacht und war immer hoffnungslos hilfsbereit.
Doch am Abend dieses einen verregneten Tages brachte Johanna es zustande, alles was ich so an ihr hasste, auf einmal zu verkörpern.
Diese Frechheit, mit der sie rief: “Yin, könntest du mal ein paar Teller auf den Tisch stellen?“, obwohl sie genau wusste, dass ich mitten in einer neuen Choreographie steckte und endlich einen Faden gefunden hatte.
Genauso gut hätte Thomas es machen können. Dann hätten Lars und ich wenigstens einmal ein paar Minuten für uns allein. Ohne Johanna, die an ihm wie eine lästige Klette hing.
Diese Verlogenheit, mit der sie behauptete, ihr Essen würde schmecken.
Im nachhinein war ich doch sehr froh, dass ich die Einladung, zu ihr, Thomas und Lars in die WG zu ziehen, abgelehnt hatte.
Obwohl es mir um Lars wirklich leid getan hat.
Diese Arroganz, mit der sie im gelben Türrahmen stand und so bescheuert grinste, war auf die Dauer nicht zu ertragen.
Wie sie mit Lars umging, wie sie dabei ihre, nicht braunen, doch erst recht nicht roten Haare in den Nacken warf, war oft schon Übelkeit erregend.
Und obwohl ich mir und den anderen heute eingestehen kann, dass ich sie gehasst habe, wollte ich nie, dass so etwas geschieht.
Ja, ich habe sie gehasst, aber genauso bedauere ich jeden, der sie mochte... oder gar geliebt hat.
So ein Ende wünsche ich keinem!
Am Anfang war nichts.
Und dann?
Dann kam das Rot und verließ den Menschen nie.
Anfang und Ende zugleich.
Leben und Tod.
Liebe und Hass.
In dem Moment in dem sie in der Tür stand, war sie mehr als ein Mensch.
Ein Engel-gleiches Wesen, das mit seinem Lächeln und seinen strahlenden Augen die Zeit still stehen ließ.
Nach vier Jahren der Ungewissheit waren mir auf einmal meine Gefühle zu ihr bewusst.
Wenn ich jemals jemanden geliebt habe, dann war es Johanna.
Und das seit dem Tag, an dem ich sie an der kleinen Tankstelle in Witten kennen lernte, bis zu dem Tag an dem ich dich zum letzten Mal lächeln sah.
Nein, an diesem Tag habe ich nicht aufgehört, dich zu lieben, denn ich liebe dich noch immer.
Auch wenn du versucht hast, uns am Ende die Angst zunehmen, habe ich selbst heute noch Angst, dich zu verlieren, obwohl ich dich schon langst verloren habe. Ich habe Angst davor, zu vergessen, wie deine Stimme klang. Angst davor, zu vergessen, wie mich deine rotbraunen Augen immer wieder in den Bann gezogen haben.
Angst davor dich zu vergessen.
Doch gleichzeitig mit der Liebe zu dir empfinde ich auch einen unbeschreiblichen Hass. Einen Hass auf mich. Einen Hass darauf, dass ich dir nicht gesagt habe, dass ich dich mehr als alles auf der Welt liebte und es immer tun werde. Aber auch einen Hass auf dich, dass du uns erst viel zu spät sagtest, dass es zu Ende geht. Doch immer wenn ich diesen Gedanken in mir entdecke, verfluche ich mich, denn dir möchte ich keinen Vorwurf machen.
Du hattest Angst, genauso wie wir.
Und doch ist alles farblos. Nicht rot, nicht gelb, nicht blau. Nicht einmal schwarz/weiß war mein Leben am Ende. Ohne jede Farbe, aber auch nicht hell oder dunkel.
Kontrastlos... einfach farblos.
Ich habe mein Leben geliebt.
Die unbeschreibliche Freundschaft zu Thomas, ohne die mein Leben nicht halb so lebenswert gewesen wäre.
Selbst die Heuchelei Yins werde ich vermissen.
Doch das, was meinem Leben die letzten fünfeinhalb Jahre Farbe gegeben hat, war Lars.
Selbst in der letzten Stunde brachte ich es nicht über die Lippen, ihm zu sagen, dass ich ihn liebte. Doch hätte er auch nur annähernd etwas ähnliches gespürt, hätte er es mir gesagt. Doch das tat er nicht.
Und so wurde am Ende alles wieder farblos.